mica-Interview mit Robert Rotifer

Er ist der Mann vor Ort. Egal ob Nick Cave oder Tricky: Wenn sich ein Überlebensgroßer des Pop für eine Wortspende bereit erklärt, ist es meist Robert Rotifer, der ihm das Mikro vorhält. Und das nicht nur, weil er vor mehr als zehn Jahren in das Mutterland des Pop nach London bzw. Canterbury auswanderte, sondern einfach weil er einer der profundesten österreichischen Pop-Journalisten ist. Zusätzlich dazu war und ist Rotifer aber vor allem eines: Musiker. Sein neues Album “Coach Number 12 of 11” bietet gewohnt melodiösen und feinsinnigen Gitarrenpop. Im mica-Interview spricht der Pop-Connaisseur dann auch von der reinigenden Funktion der Schizophrenie Musiker/Musikjournalist und macht sich so seine Gedanken über Journalistengequatsche, Pop-Derivate und das nostalgische Sehnen nach wahrhaft progressiver Musik.

Die andere Seite des Lautsprechers

Du bist Österreicher, der Britpop macht, nach Großbritannien auswanderte, für österreichische und deutsche Medien schreibt, moderiert und auf Wohnzimmer Records Wien releast. Es scheint als hättest Du es Dir in dieser Schizophrenie wohlig eingerichtet.
Ich fühle mich schon sehr privilegiert, das machen zu können was ich mache. Aber um das als wohlig zu bezeichnen, dafür ist es bei weitem zu viel Arbeit. Von wegen Schizophrenie: Ich muss gestehen, dass ich teils schon auch Probleme mit der Situation habe. Gerade jetzt vor der Tour hatte ich enorm viel Arbeit. Es hat auch schon Gigs gegeben, wo ich davor so viel Arbeit hatte, dass ich überhaupt keine Möglichkeit mehr hatte, mich auf das, was ich mache, wirklich gut zu konzentrieren und ich mir dachte, wie viel besser es doch wäre, die Zeit zu haben, sich wirklich gut vorzubereiten, sich in die Musik richtig rein zu versetzen….

Das heißt, du bekommst den Kopf nicht mehr frei?
Du bekommst den Kopf nicht frei und dieses Mal ist es das erste Mal, dass ich wirklich eine Art Festplattencrash in meinem Hirn hatte. Wenn du an drei Geschichten gleichzeitig schreibst, eine Radiosendung vorbereitest und dich dann auf die Nummern, die du spielst, konzentrieren sollst, wird es manchmal schon komisch. So merkwürdig es auch klingt: “Schizophren” ist das richtige Wort dafür. Die Schizophrenie hat ja auch eine reinigende Funktion. Wenn man Songs schreibt, kriegt man allmählich wieder das richtige Gefühl für die andere Seite des Lautsprechers.

Das heißt man kommt allmählich auch wieder rein?
Du kannst ein- und ausschalten. Insofern ist Stress etwas Gutes, weil du dich zwingst, den Schalter zu kippen. Wenn ich jetzt die ganze Zeit nur hinter der Musik anderer Leute hinterher wäre, wäre das erstens unbefriedigend und würde ich zweitens das bekommen, was der Engländer eine “Tunnel Vision” nennt. Wer selbst Songs schreibt, reflektiert ganz anders, drückt Dinge auf eine ganz andere Weise aus. Für Musiker etwa spielen Fakten überhaupt keine Rolle, dafür muss man wieder auf eine ganz andere Weise konzis sein, die beim Schreiben eines Artikels dann auch wieder helfen kann. Ich lese oft Beiträge von Vielschreibern, in denen Dinge stehen, die einfach Journalistengequatsche sind. Als Journalist passiert es dir ständig, dass du in einem ganz spezifischen Journalistenkauderwelsch verfällst. Über das Songschreiben kann man sich wieder ganz gut aus dieser Umklammerung befreien.

Damit man eine neue Perspektive auf das eigene Tun bekommt?
Ja. Aber umgekehrt ist es auch reizvoll, mit diesem Wunsch zu spielen. Manchmal kommt es ja vor, dass ich die Gitarre vierzehn Tage lang überhaupt nicht anrühren kann. Schließlich habe ich auch zwei Kinder. Und wenn es dann endlich wieder klappt mit ein paar Stunden Freizeit, dann freust du dich unglaublich darauf, sie in die Hand zu nehmen. In Teenagerjahren kam es oft vor, dass man sich dachte man spielt immer das Selbe und weiß nicht mehr wie man neu anfangen soll. Diese erzwungenen Pausen hingegen sind manchmal echt toll. Abnützungen kann es da kaum geben. Letztens habe ich in England einen Gig gespielt, bei dem ich davor eine Woche überhaupt nicht zum Gitarrespielen kam. Das kommt dann einem Abenteuer gleich: Du stehst auf der Bühne neben dir und schaust dir zu.

Die Doppelfunktion Musiker & Journalist stelle ich mir aber auch nicht gerade einfach vor. Du wirst ja nicht nur beurteilt, sondern beurteilst auch selbst. Wird man da manchmal schräg angeschaut von Kollegen? Gibt es Berührungsängste?
Im Gegenteil. Zunächst gibt es von Haus aus viele Musiker, die mit mir als Musiker Kontakt aufnehmen. Es ist aber auch klar, dass man als Musikjournalist zu jener Gruppe von Menschen gehört, die von Musikern angegangen werden, weil sie etwas für einen tun können. Das ist vollkommen legitim und normal. Wenn es mir tatsächlich gefällt, tu ich das dann ja auch gern etwas. Aber mein Einfluss ist ein begrenzter. Genau das ist der Punkt, an dem es sich kreuzt, an dem einen das Gefühl beschleicht, dass beides ein wenig in Konflikt miteinander gerät.

Dadurch dass ich ein obsessiver Sucher nach Erzählsträngen innerhalb des Pop-Universums bin – dh ich suche gerne nach dem Grund, warum eine Band so klingt wie sie klingt ohne es zu wissen, und versuche Kausalketten zwischen dem Sound einer Band und dem was vorher war, was woanders herkam, herzustellen – ernte ich manches mal, wenn ich mit anderen Musikern zusammen bin und diese Dinge anspreche, schon auch leere Blicke. Oft interessiert es sie auch. Dann fällt mir wieder auf, dass ich in die Journalistensprache verfallen bin und sie deshalb nicht so reagieren wie ich es mir vielleicht wünsche, weil es einfach nicht ihr Kommunikationsweg ist. Umgekehrt passiert mir das mit Journalisten aber auch genauso.

Inwiefern?
Als manche Leute Mitte zum Beispiel bis Ende der 90er Jahre Kontrabässe sampelten und dann Musikjournalisten schrieben, dass diese Leute Jazz- Einflüsse hätten, dachte ich mir immer: Mein Gott, Kontrabass sampeln heißt doch noch lange nicht Jazz zu machen. Jazz bedeutet Improvisation, bestimmte harmonische Abläufe…

Geschichte…
Auch Geschichte und klassische formale Abläufe in puncto Thema spielen, Improvisieren, auf das Thema zurückkommen. Aber das alles hat überhaupt nichts damit zu tun haben, was da im Pop-Format geschah. Dieser Jazz-Verweis war vielmehr ein schneller Kurzschluss, der für einen Musikjournalisten vielleicht funktioniert, für einen Musiker aber überhaupt nicht. Ich weiß ja auch, dass ich kein Jazzgitarrist bin und es nie sein werde. Trotzdem ist es nur eines von vielen Beispielen, wo Musikjournalisten etwas schreiben, das Musiker nie im Leben als Teil ihres Erlebens wieder erkennen würden. Doch manchmal ist es von Vorteil, beide dieser Perspektiven zu haben. Manchmal behindert es vielleicht auch und man kann es mitunter nur schwer ausblenden.

Du bist aus einem Land, in dem man es sich als Pop-Musiker eher schwer tut, weil die Pop-Musik im Gegensatz zur Klassik und zur Volksmusik eher weniger Tradition hat, in ein Land ausgewandert, das sich marktmäßig hermetisch gegen Dinge abschottet, die von außen kommen und seine eigenen Hypes nach seinen eigenen Regeln erzeugt. Kurz: Drüben hat man es als Pop-Musiker nicht unbedingt leichter. Würdest Du´s noch mal tun, dh würdest Du noch mal die Koffer packen und ins Mutterland des Pop auswandern?
Als ich rüber ging, war ich sechsundzwanzig und es war eine Zeit, als in England kein wie immer geartetes Bedürfnis nach dem, was ich da so mache, bestand. Damals, nach dem Sterben des Britpop, der im Gegensatz zu hier, wo man einfach britisch beeinflusste Popmusik darunter versteht, in GB ein ganz klar abgetrenntes und bereits abgeschlossenes Bild hatte, nämlich die 90er Blur- und Oasis-Geschichte und das Ganze, was im Gefolge kam und wo auch unglaublich viele mittelmäßige und schlechte Bands darunter waren, habe ich für die Musicbox und andere unzählige britische Bands interviewt, die sich alle von Britpop distanzierten. Im Übrigen tat das ja sogar Blur ab Mitte der 90er. Und in meinen Artikeln habe ich das auch oft und kritisch beleuchtet. Trotzdem bin ich immer als er Britpop-Fritze gesehen worden, weil ich eben anglophil bin und oft dort war. Britpop aber im Sinne des Versuchs, derivative populistische Popmusik zu machen, war nie mein Ding. Ich bin zwar jemand, der in seinem eigenen Schaffen und dem was andere machen klassisches Songwriting sehr schätzt, aber das ist nur ein Ding, dessen sich Britpop bediente.

Ein Freund und Musiker hat meine Musik einmal als “this intelligent 60s thing” genannt und ich habe diese Bezeichnung schmeichelhaft und richtig gefunden. Gleichzeitig muss man sich dabei aber eingestehen, dass Intelligenz in England immer auch ein wenig mit Skepsis betrachtet wird, weil es etwas ist, das nicht selten mit den Prädikaten prätentiös und hochnäsig bedacht wird. Aber die 60s stimmen. Das war mein Rückzugsgebiet. Ich habe 80er Jahre Popmusik mit wenigen Ausnahmen nie gemocht. Es hat ja auch sehr viele andere gegeben, die sich wie ich in die 60er flüchteten. In den 70ern genauso: Die Sex Pistols haben ja auch Small Faces-Nummern gespielt. Es war dies eine Art nostalgisches Sehnen nach wahrhaft progressiver Musik.

Vor allem wegen der Werbeeinnahmen und Tantiemen…
Absolut. Werbung ist überhaupt der Schlüssel – auch wenn man von der Major- und Indie-Problematik redet. Die Nummer eines Freundes wurde einmal in einem Will Farrell-Film verwendet. Und zwar zentral. Der Hauptdarsteller singt seinen Song. Er hat lediglich 2.000 Euro dafür bekommen. Die Producer haben angerufen und 2.000 Pfund geboten. Bei der Plattenfirma haben sie natürlich eingewendet, dass das alles andere als der übliche Preis sei und nur ein “Na, dann eben nicht geerntet. Es gäbe schließlich genügend andere gestrandete Ex-Punks, deren Songs man verwenden könne.

Wortwörtlich?
Nein, aber sinngemäß. Aber wenn der Song jetzt auf Universal erschienen wäre, bezweifle ich, dass die Verhandlung so verlaufen wäre. Die hätten denen schon erzählt, was Sache ist. Weißt Du: Dieses “Dog Eat Dog” ist schon extremer geworden – eine vielleicht extrem pessimistische Sichtweise, die aber durch das begründet ist, was ich sehe. Die Leute mit den großen Häusern sind meist Publisher. Bands, die wirklich auf großem Fuß leben, gibt es auch in England nur noch ganz wenige. Der Unterschied ist natürlich, dass du es in Österreich halt überhaupt nicht schaffen kannst, davon zu leben. Eine andere befreundete Band, Hamfatter, glaubte, als ihre Single “Girls in Graz” hier in der Rotation lief, sie könnte ihre Karriere darauf aufbauen. Als ich ihnen erklärte, dass man in Österreich, auch wenn man hundert Mal hintereinander Nummer eins der Indie-Charts ist, nicht davon leben könne, glaubten sie mir zuerst nicht. Aber so ist das: es ist eben ein Mickey Mouse Markt.

Gehen wir zu Deinem aktuellen Album, das sich vom letzten doch beträchtlich unterscheidet.
Dass sich viel tun wird, war eine Entscheidung. Ich hab das letzte Album sehr gemocht, aber mir, als ich es wieder hörte, gedacht, dass mir als Hörer eigentlich zügige Popmusik am meisten Spaß macht. Mit den Electric Eels in den 90er Jahren wollten wir das auch machen, waren aber zu verkrampft dazu. Und eigentlich, so dachte ich dann bei mir, habe ich es noch nie geschafft, wirklich die Musik abzuliefern, die ich auch selbst am liebsten höre. Es ist leicht, eine schöne Ballade zustande zu bringe, wenn man sich daheim konzentriert mit der Akustischen hinsetzt, aber ich wollte Songs, mit denen man auf der Bühne Spaß haben kann und nicht das Gefühl aufkommt, man müsse etwas vortragen, sondern immer weiß: Der Song trägt sich selbst. Im Ergebnis sind dann eben Songs wie I Believe You dabei raus gekommen. Ich kann mich noch gut an einen Mailwechsel mit Wohnzimmer Records erinnern. Da kam irgendwann die Anfrage, ob es denn jetzt eine neue Platte gebe. Und ich hab geantwortet: Ja, es kommt eine neue Platte. Sie wird einen Combo-Sound haben und sie wird retro klingen – nicht aus Stilpflege, sondern weil sie meine Leidenschaft zum klassischen Songwriting reflektieren wird. Und es wird eine Pop-Platte sein. Das hab ich genau gewusst und es auch darauf angelegt. Und ich wusste, dass Stefan Franke Klavier spielen soll, weil er ein unglaublich begabter Arrangeur ist. Und dann begann ich Demos zu machen, alleine mit der Akustischen, und sie Stefan Fanke zu schickt, der seine Arragement-Ideen zurückschickte. So ging das eine Weile.

Schließlich habe ich noch Tilo Pirnbaum, einen Schlagzeuger aus Liverpool, nach Canterbury geholt. Alles Weitere ging dann sehr schnell: Im  Wohnzimmer wurden Schlagzeug, Gitarre und Bass aufgestellt, die Songs in einem Tag gelernt. Tags darauf sind wir ins Studio gegangen und haben alle Backing-Tracks an einem Tag eingespielt. Ich dachte, wenn die Songs so logisch sind, dass sie für die Band sofort erfassbar sind, damit müssen sie auch für die Hörer erfassbar sein.

Du hast vom journalistischen Zugang gesprochen, dem Drang danach zu forschen, weshalb etwas so klingt wie etwas klingt. Was meinst Du ist der Grund dafür, dass etwa “Frankfurt Kitchen” so klingt wie Billy Bragg?
Für mich klingt Frankfurt Kitchen nicht wie Billy Bragg. Aber die Sachen, die raus kommen, sind ja oft nicht die, an die man denkt. Das heißt: Nur weil ich mir etwas anderes dabei dachte, muss Deine Beobachtung noch lange nicht falsch sein. Mein direkter Bezugspunkt zu Frankfurt Kitchen waren aber die Hidden Carmeras, die ich vor Jahren einmal live sah. Bei diesem Auftritt hat Joel Gibb Lou Reed-ähnliche, nur viel schnellere, unglaublich treibende Rhythmen auf der Gitarre gespielt.

Simple Rhythmik…
Einerseits ist das sehr simpel, andererseits ist in Frankfurt Kitchen so eine Doppel-Triole drin, wie sie mir von meinem jugendlichen Pete Townsend-Nachspielen geläufig sind. Da kommt es darauf an, wenig nachzudenken und das Handgelenk zurückschnalzen zu lassen. Joel Gibb hat das sehr gut drauf. Und der zweite Bezugspunkt war Jonathan Richman. Tjinder Singh wollte bei Brimful of Asha zum Beispiel auch wie Jonathan Richman klingen. Das Bindeglied zwischen Richman und Frankfurt Kitchen ist das Konkrete im Text, das absichtlich alltäglich Banale. Dass man die Laden aufzählt, das also, was üblicherweise in Liedtexten nicht vorkommt, weil es gänzlich unpoetische Sprache ist, liebe ich an Richman, weil dieser fast schon unbeholfene Sprachgebrauch, dieses Ringen nach Worten eine fast peinliche Nähe zum Hörer erzeugt – vergleichbar mit einer Interviewsituation wie der unseren. Den Songs selbst hab ich im Zug geschrieben, hatte Rhythmus und Gesangslinie im Kopf und wollte das finden, was schon da ist anstatt lange zu suchen.

Es war zu lesen, Dein aktuelles Album klinge, als hättest Du Dich frei gemacht von alten Lasten. Ist das auch so eine Journalistenperspektive, mit der man als Musiker letztlich wenig anfangen kann, oder siehst Du das als Musiker ähnlich?
O Ja. Das Freimachen vom ständigen Selbstreflektieren setzte schon bei der Platte davor. Mir ist es immer mehr egal, wie das, was ich tue in den großen Plan passt. Aber es stimmt auch insofern, als ich mich nicht mehr wirklich darum kümmere, ob die Platte etwas sagt, was gesagt werden muss, wie es bei “Before the Water Wars” noch der Fall war. Dieses Mal habe ich mir die Freiheit genommen, Songs für den Lustgewinn zu schreiben.