Die beiden Musiker Richard Eigner und Roman Gerold haben mit Ritornell ein spannendes, kaum einzuordnendes Projekt zwischen Elektronik und Jazz, freien Formen und Struktur geschaffen. Vier Jahre nach dem Erstling „Golden Solitude“ erscheint nun, wiederum auf dem deutschen Elektroniklabel Karaoke Kalk, das neue Album „Aquarium Eyes“, auf dem die Sängerin Mimu Merz eine wichtige Rolle spielt. Sebastian Fasthuber hat das Dreiergespann unmittelbar vor der Live-Premiere des Albums in der Linzer Stadtwerkstatt befragt. Die nächsten Ritornell-Konzerte sind am 27. und 28. Juni in Linz (Lentos bzw. Kirche St. Theresia) und am 28. Juli beim Popfest Wien.
Ihr habt vom ersten zum zweiten Album einen ziemlichen Sprung gemacht. Das erste war noch viel heterogener, das zweite klingt vergleichsweise stringent.
Richard: Man kann zunächst sagen, dass wir es jetzt sicher mehr draufhaben. Ein Album zu machen, ist ja ein Erfahrungsprozess. Vom Sound her ist das neue Album schon eine Spur besser. Man muss auch wissen, dass wir diesmal beim Produzieren das gleiche Grundmaterial verwendet haben. Teilweise entwickeln wir die Nummern komplett unabhängig voneinander. Wir geben uns zwar schon Feedback, aber manches produziert eben Roman aus, manches ich. Wir haben zwar eine andere Herangehensweise, aber eben die gleichen Aufnahmen und Sounds verwendet. Deswegen wirkt es sicher stringenter. Beim ersten Album haben wir seperat über Jahre Nummern gesammelt. Da gibt es welche, wo man ganz eindeutig den Roman oder eben mich raushören kann.
Roman: Das erste Album ist entstanden, als wir uns gerade erst gefunden haben. Da merkte man schon eine gemeinsame Haltung, aber noch keine gemeinsame Klangästhetik. Ich habe meine Stücke damals noch mit echt schlechten Sounds gebaut, weil ich noch gar nicht berücksichtigt habe, dass sie irgendwann einmal veröffentlicht werden und laut und super klingen sollen. Mir war das Konzeptuelle wichtiger, was man dem ersten Album meines Erachtens auch anhört.
Richard: Wir haben diesmal auch viel weggeschmissen. Teilweise haben wir als Band und mit Mimu als Sängerin aufgenommen. Da haben wir leider auch den größten Hit geopfert, weil er nicht richtig reingepasst hat.
Mimu: Halb so schlimm. Sehr spannend finde ich die reduzierte Variante von „Urban Heartware“, weil die total atypisch zum Rest des Albums entstanden ist. Die Nummer ist live im Studio eingespielt worden. Wir waren dabei ohne Sichtkontakt im Gebäude verteilt. Dazu braucht es eine Genauigkeit des Hörens und dadurch ist eine große Intensität zustande gekommen.
Richard: Wir haben vorher viele erfolglose Takes davon aufgenommen und dann beschlossen, einfach zu improvisieren. Das hat gepasst. Ich habe danach nur mehr ganz minimale Sachen rauseditiert.
Roman: Das Stück war aber die Ausnahme. Meist haben wir kleine, grobe Skizzen und Loops angefertigt und dann einzelne Musiker eingeladen, um etwas dazu zu spielen. Daraus haben wir uns wieder etwas rausgesucht. Man sieht schon: Normal dauert es bei uns relativ lang, bis etwas entsteht.
Das erste Album war rein instrumental gehalten. Wie ist es gekommen, dass nun so viel Gesang zu hören ist?
Richard: Beim ersten Album haben wir die Mimu noch gar nicht gekannt. Ich habe sie über eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Wir haben gesagt, probieren wir doch einmal etwas aus, und so ist zuerst „Urban Heartware“ entstanden.
Durch die Stimme ergibt sich ein anderes Hörgefühl. Das erste Album klang vergleichsweise kühl und etwas verkopft.
Richard: Wirklich? Ich finde beide Alben nicht kühl. Aber das kann ich selbst schwer einschätzen. Man hat ja kaum Distanz zu Dingen, die einem am Herzen liegen und an denen man so lang gearbeitet hat.
Roman: Mir kommt unsere Musik, speziell das erste Album, schon sehr sperrig und verkopft vor. Mittlerweile versuchen wir Kopf und Bauch besser auszubalancieren.
Richard: Wir haben oft komplett unterschiedliche Sichtweisen. Ich finde unsere Musik extrem zugänglich. (Lacht) Aber klar: Wir wollen keinen oberflächlichen Scheiß machen. Es soll sich immer etwas finden, das man erst nach ein paar Mal Hören entdeckt.
Roman: Das ist absolut unser Anspruch. Vielleicht machen wir auch Kopfhörermusik. Verkopft und Kopfhörer, das passt doch gut zusammen.
Ihr beiden wirkt wie unterschiedliche Pole. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Richard: Wir kennen uns seit 2004. Wir haben beide an der FH Salzburg Multimedia Art studiert. Das erste Projekt war eine Vertonung von einem Tanztheaterstück, „Urgent Appetite“ hat das geheißen. Das hat gut funktioniert und darum haben wir weitergemacht. Und es stimmt, wir sind sehr unterschiedliche Pole, allerdings mehr menschlich als musikalisch.
Roman: Richard ist der Ober-Networker, das muss man schon sagen. Ohne ihn würde es dieses ganze Projekt in der Form nicht geben. Ich hätte nie die Kraft gehabt, das so durchzuboxen.
Richard: Ich möchte das Projekt halt vorantreiben. Und nach zig Jahren klappt es momentan eh nicht so schlecht.
Roman: Was man vielleicht auch sagen soll, ist dass der Richard eigentlich ein Schlagzeuger ist und ich Pianist. Ich habe früher sehr viele Jazzsachen gespielt.
Richard: Aber wenn man so anfängt, müsste ich auch sagen, dass ich früher in Coverbands gespielt habe, die ganz schlimme Musiken gecovert haben. Ich glaube, diese Vergangenheit kann man ruhen lassen.
Interessant wäre: Habt ihr beide sowohl einen Elektronik- als auch einen Jazzbackground?
Roman: Mich betrifft mehr der Jazz, ich wollte das auch eine Zeit lang studieren. Das Instrument Klavier spielt auch in jedem meiner Stücke eine Rolle, ich schaffe es einfach nicht, das ganz auszuklammern.
Richard: Ich muss ihm immer sagen: „Nein, das ist zu sehr Jazz. Du musst andere Akkorde verwenden.“ Wir haben beim Proben auch eine lustige Methode gefunden: Immer wenn Roman findet, ich spiele zu viel, kommt er mit komischen Jazzakkorden daher, damit ich aufhöre. (Lacht)
Roman: Diese ganzeEasy-Listening-Seite, wenn man so sagen will, spielt für mich bei Ritornell schon eine Rolle.
Richard: Für mich nicht so. Ich kenne mich als Schlagzeuger mit Harmonien auch gar nicht aus. Roman weiß immer genau, wie er harmonisch arbeitet, ich muss mich daran herantasten.
Roman: Im Gegenzug hat der Richard mir dabei geholfen, dass ich mein Wissen wieder vergesse. Wie geht dieses Picasso-Zitat? „Ich habe ein Leben lang dazu gebraucht, wieder zeichnen zu lernen wie ein Kind.“ Ich habe durch Ritornell gelernt, wieder neue Wege zu beschreiten. Musik ist doch nicht so geregelt, wie ich immer geglaubt habe.
Mimu, die mehr wie Songs funktionierenden Stücke auf dem neuen Album kommen von dir?
Mimu: Ja, Texte und Melodie dazu.
Richard: Sie bekommt von uns Skizzen geschickt und schickt ihre Sachen retour, mit denen wir dann weiterarbeiten. Oder sie kommt ins Studio und nimmt den Gesang bei uns auf.
Mimu: Insgesamt werden die Stücke mit Stimme schon sehr gemeinsam entwickelt. Teilweise entwickeln sich Dinge auch bei Konzerten. Wir haben da viel improvisiert. Ich habe immer mein Textarchiv mit und reagiere damit auf die Musik. Ich glaube, beim Konzert im Dom im Berg haben wir 50 Minuten lang nur improvisiert.
Richard: Manche Stücke sind jetzt schon drei Jahre alt. Wir waren nie untätig, es dauert nur einfach seine Zeit, bis sich alles zusammenfügt. Wir haben alle auch andere Projekte, die die Arbeit an Ritornell immer wieder unterbrechen.
Mimu: Andererseits sind das auch Erfahrungswerte, die man in die gemeinsame Arbeit einbringen kann.
Richard: Mimu, zwei Kollegen und ich haben zum Beispiel eine zweistündige DVD zu einem Buch von Elfriede Jelinek gemacht. Das war eine Literaturvisualisierung und –vertonung. An der Musik bin ich sicher ein halbes Jahr gesessen.
Eure Musik ist extrem vielschichtig. Gibt es dennoch einen Grundgedanken, der alles zusammenhält?
Richard: Eigentlich nicht.
Roman: Ich genieße es total, mir bei Ritornell eben nicht ständig Gedanken machen zu müssen, warum ich etwas wie mache.
Richard: Wir haben sicher eine gewisse Klangästhetik und eine generelle Ästhetik. Und es gibt Grenzen, die wir nicht überschreiten würden. Das hält alles etwas zusammen. Wir können auch sicher nicht mit jedem Vokalisten zusammen etwas machen. Mit Mimu klappt es sehr gut. Und auch mit Didi Bruckmayr hat es gut funktioniert. In dem Fall gab es gar kein Stück. Er ist zu mir in den Keller gekommen, hat etwas eingeröchelt und ich habe das Stück anschließend drumherum gebaut. Man muss auch sagen, dass es ziemlich polarisiert, dass wir nun Vocals haben. Manche Leute mögen diese Nummern am meisten, andere halten sie überhaupt nicht aus.
Mimu: Das verstehe ich. Das erste Album hatte schon einen starken Hang zum Abstrakten. Eine Stimme und eine Songstruktur verhält sich dazu halt ziemlich gegenläufig.
Richard: Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, wie das später rezipiert wird. Mich kotzt es auch an, wenn ich Vergleiche lese: „Klingt wie Björk“ oder „klingt wie Portishead“.
Mimu: Ich störe mich gar nicht so arg dran.
Roman: Ich finde, das sind eh nette Vergleiche. Deine Melodien haben schon ein bisschen was von Björk.
Gewagt ist das Cover des legendären Roxy-Music-Stücks „In Every Dream Home a Heartache“. Wie kam das?
Richard: Das habe ich mir eingebildet.
Mimu: Wir wollten die Lyrics ändern und die Puppe sprechen lassen. Wir haben allerdings ein Problem mit dem Verlag gehabt.
Richard: Wir haben die Freigabe nicht bekommen.
Mimu: Also gar keine Antwort bekommen.
Richard: Das war supernervig, weil die Nummer schon komplett fertig war. Wir mussten sie noch einmal einsingen und mastern. Wahrscheinlich war es denen einfach egal, weil sie mit unserer Version nicht viel Geld verdienen würden. Aber illegal wollten wir es auch nicht machen.
Mimu: Covernummern sind immer schwierig. Ich finde, es braucht schon eine Berechtigung, um sich an so ein Ding überhaupt noch einmal heranzuwagen. Diese Berechtigung fehlt unserer Version jetzt leider. Aber live kann ich die Nummer so singen, wie wir sie ursprünglich aufgenommen haben.
Wie verhalten sich eure Konzerte zum Album?
Richard: Das Releasekonzert orientiert sich schon sehr am Album. Aber ansonsten passen wir uns immer an den Rahmen an. Wir haben im Juni zum Beispiel ein Kirchenkonzert, da kommt Mimu mit. Im Celeste werden Roman und ich allein und rein instrumental spielen. Wir schauen immer, was wo besser funktioniert, und ändern dementsprechend die Konstellationen nach dem jeweiligen Rahmen ab.
Roman: Und es variieren auch die Teilnehmer. Eine Zeit lang sind wir mit einer Band gemeinsam aufgetreten.
Richard: Aber von denen sind zwei nach New York gegangen. Und Mimu ist auch nicht immer greifbar, weil sie in Paris lebt. In der Kirche wird uns auch Flip Philipp begleiten, der ist Percussionist bei den Wiener Symphonikern und hat auch am Album auf zwei Nummern mitgespielt.
Letzte Frage: Wie finanziert ihr die aufwändige Arbeit an Ritornell?
Richard: Mit einem Projekt wie diesem ist man auf Förderungen angewiesen. Und die Auftrittsgagen sind manchmal auch schon ganz okay. Sonst wäre das ein reines Verlustgeschäft. Ganz offen gesagt: Am Verkauf von Tonträgern verdient man nichts. Wir haben wieder bei Patrick Pulsinger aufgenommen, der auch nicht ganz günstig ist. Das spielt man nie rein. Gut, dass es Sachen wie den Musikfonds gibt. Und man muss halt auch andere Sachen machen, Theatermusik zum Beispiel.
Fotos Ritornell: Andreas Waldschütz & Adia Trischler
Foto Mimu: Clemens Fantur