mica-Interview mit Puschmann

Einer, der die Grazer Club- und Elektronikszene mitbegründet, mit Begleitern gelenkt und unterwandert hat, steht nach über zehn Jahren immer noch gerne an dem Ort, an dem er angefangen hat, hinter dem Plattenteller. Florian Puschmann erzählt Lucia Laggner von den eindrucksvollsten Momenten, spricht von seinem Energiehaushalt, bezeichnet den Dj als Gruppendynamiker, stellt finanzielle Vergleiche zwischen seiner Vinylsammlung und zwei Kleinwägen auf, charakterisiert das Hausboot und bezeichnet sich selbst als fragil. Ein Interview mit einem, der denkt, bevor er spricht.

Puschmann spielt als Dj seit über zehn Jahren eine Rolle in der Grazer Clublandschaft. Kannst du diese Dekade Clubgeschichte und Clubszene umreißen?

Puschmann: Ich versuche das von unserer Warte aus zu erklären. Am Beginn unserer Arbeit war ein gewisser Pionierstatus vorhanden. Ein Gefühl von “nirgends wirklich rein passen”. Dazu kam, dass viele Locations nur kommerzielle Events veranstalteten. Da haben wir versucht, eigene Partys zu gestalten. Zunächst illegal, dann wanderte man langsam in Locations und entwickelte sich weiter. Wir haben immer gedacht, dass wir von der Grazer Warte aus etwas musikalisch “pionieren” müssen und haben gleichermaßen immer wieder erlebt, wie das Ganze in Mainstream übergegangen ist. Wir waren also immer wieder auf der Suche nach neuen Baustellen. In den 90er Jahren war Drum’n’Bass der common sence und erst Ende dieses Jahrzehnts ist Minimal Techno in den Fokus gerückt. In den darauf folgenden fünf bis sechs Jahren hat sich dieses Genre in eine für uns unschöne Richtung entwickelt und ist heute, wenn man von Nischen absieht, eigentlich tot. Es beschreibt gemeinhin das, was man heute als Minimal Techhouse bezeichnet. Damit fühle ich mich nicht mehr wohl.
Das Hineinwandern in große Locations, das Spielen von großen Partys und jetzt auch wieder das Herausfallen aus dieser Infrastruktur beschreibt die letzten Jahre. Viele Locations haben sich in eine sehr kommerzielle Richtung entwickelt, einige sind “verstorben”. Diese Tatsachen machen uns heimatlos. Das passt aber auch für uns ganz gut, weil wir die Möglichkeit haben neue Kraft zu sammeln und Energie zu schöpfen, um zu überlegen was als Nächstes kommen könnte.
Meine persönliche Entwicklung ist immer in Kurven verlaufen. Ich habe mich immer wieder zurückgezogen, um wieder motiviert und frisch zurückzukommen. Im Moment erlebe ich eine Downphase in Graz, in der einfach wenig geht und sich kaum Locations der Verkommerzialisierung verschließen.

Gibt es in diesen vielen Jahren Djing ein eindrucksvolles Erlebnis, das dir stark in Erinnerung geblieben ist?

Puschmann: Definitiv hängen geblieben ist eine Party, die wir zusammen mit Soundsilo 2001 in einer Nähereihalle in der Konrad von Hötzendorfstraße veranstaltet haben. Aus dem nichts heraus, aus üblem Grafikdesign, üblen Flyer, die wir selbst verteilt haben, waren plötzlich viele hundert Leute in dieser Location, die für Grazer Verhältnisse sehr dezentral gelegen ist. Eine weitere Party Namens Volume, 2002 eine Kooperation zwischen Widerstand und Luv ist mir auch stark in Erinnerung. Das Fest hat im Kristallwerk  statt gefunden und auch dort waren auf einmal wahnsinnig viele Leute. Die Infrastruktur hat das eigentlich gar nicht zugelassen. Wenn ich länger nachdenke, gibt es vermutlich ganz viele Momente, in denen ich extreme Gänsehaut hatte und große Gefühle statt gefunden haben. Diese Erinnerungen sind nur ein paar Meilensteine, an welchen aus einer kleinen Initiative eine große Sache erwachsen ist.

Wenn du Laurent Garniert auf der einen Seite und Dj Hell auf der anderen betrachtest, wie stehst du dann zu dem Lebenskonzept Djing?

Puschann: Ich kann mir vorstellen, dass, wenn man das Djing irgendwann einmal zu einer sehr hohen Professionalisierung treibt und auch zu einer Abgeklärtheit, man mit einem sehr geringen Energiehaushalt eine Party bespielen kann. Das ist allerdings etwas nicht besonders Erstrebenswertes, weil es mir um das Party machen und um sehr intensive Erlebnisse mit dem Publikum geht. Ich würde nicht jemand sein wollen, der in den Club geht, sein Ding abliefert und dann auch gleich wieder ins Hotel fährt. Das ist ja auchdas, was ich bei der ersten Frage kurz angesprochen habe: Es geht immer wieder um das Kraftsparen, um ein “sich zurückziehen”, ein “Runterschrauben”. Ich denke auch, dass es einfach wichtig ist, da man sich dadurch die “Gamprigkeit” und Geilheit auf das Spielen bewahrt und nicht zu einem professionellen Dienstleister wird. Dienstleister will ich nie sein, weil es für mich nicht Sinn der Sache ist.

Dennoch liegt die Frage auf der Hand: ist Dijing Kunstausüben oder Dienstleisten?

Puschann: Kunst ist vermutlich zu hoch gegriffen. Ich glaube, dass er im besten Fall ein Gruppendynamiker ist. Er ist eine Mischung aus einem Journalisten, einem Musiker und einem Performer, der Dinge in die Hand nimmt und Tools verwendet. Im Idealfall setzt er diese dann so ein, dass er ein sehr spannendes und großes Ding zwischen sich und den Leuten im Raum aufbauen kann. Natürlich sind die Tools nicht seine eigenen. Man kann ihn daher weder als Musiker noch als Act bezeichnen. Ich denke, das Wort Gruppendynamiker trifft die Realität ganz gut.

Siehst du Parallelen zu einer Coverband?

Puschann: Es ist vielleicht vergleichbar, aber ich glaube, dass ein Dj weitaus mehr Einfluss auf die Dramaturgie und den Ablauf des Abend nimmt. Wenn er ein gutes Timing und Gefühl für den Moment beweist, dann können da wirklich große Sachen passieren. Djing hat viel mit Sensibilität, Bewusstheit und Kommunikation zu tun.

Wie informierst du dich über Neuheiten und Trends, neue Releases?

Puschmann: Ich habe vor 4-5 Jahren aufgehört Musikpresse zu lesen, habe früher regelmäßig Kritiken im Groove, vor allem aber De:bug durchgeackert. Ich verlasse mich jetzt nur mehr auf mein Ohr, bin viel freier von der Meinung anderer. Mein Auflegen hat dadurch, glaube ich, an Qualität gewonnen und ich bin viel eigenständiger. Das ist wohl das klare Gegenteil zum Download kompletter Charts bekannter Acts auf Beatport zum Paketpreis. Dadurch wird einem das wichtigste Stück Arbeit abgenommen und man gewinnt nur scheinbar einen Informationsvorsprung.

Wie lässt sich das Leben des Clubmenschen in deinen Alltag integrieren?

Puschann: Beruflich bin ich Gestalter, Produktdesigner, entwickle Ausstellungskonzepte, erschaffe Kunst im öffentlichen Raum und verstehe mich auch als Industriedesigner. Das ist alles eine gestalterische Tätigkeit und daher für mich dem Auflegen verwandt. Djing passiert auf einem anderen Energielevel, weil es eine sehr intensive und zehrende Tätigkeit ist. Wenn man zwei, drei Stunden spielt, dann ist der Energieverbrauch ein ganz anderer, als wenn man im Büro an Entwürfen arbeitet, aber letztlich sind es ähnlich fordernde Tätigkeiten.
Im Endeffekt geht es auch darum mit zunehmendem Alter nicht noch fertiger aus dem Wochenende raus zu gehen, als man es am Ende der Arbeitswoche war. Ich mache mir immer konkretere Gedanken darüber, welche Bookings ich annehmen will und bin in meiner Selbstdarstellung sehr passiv. Ich habe weder Mixes online, noch führe ich eine Webseite oder eine Facebook Fanseite. Weil ich einfach das Gefühl habe, dass die Menschen, die mich wollen, mich auch finden. Dafür muss und will ich es nicht zu sehr pushen und auch nicht zu oft spielen. Es wäre auch nicht möglich so oft zu spielen, wie früher und es würde im Hinblick auf den Energieverbrauch auch keinen Sinn machen.

Denkst du, dass die Bühne, ungeachtet ihrer räumlichen Gestaltung, sei sie erhaben oder nicht, eine Anziehung auf dich ausübt? Siehst du dich als Bühnenmensch?

Puschmann: Bühnenmensch bin ich, glaub ich, keiner. Ich denke, dass das Auflegen ein gutes Mittel zwischen Performer und Konsument darstellt, das ich gut mit mir vereinbaren kann. Ich bin nach wie vor nervös und betreibe in der Vorbereitung großen Aufwand. Weil ich auch einfach den Anspruch erhebe, dass meine Auftritte jedesmal gut und anders sind und ich viel neues Material präsentieren kann. Trotzdem vermeide ich es, mich ganz vorne hin zu stellen, denn tatsächlich schmückt man sich ja mit fremden Federn. Für einen Dj ist ein gewisses Maß an Understatement angebracht, weil er nicht primär eigenes Material performt, sondern auch Fremdmaterial verwendet. Das (Dj-)Pult ist als Ort der kleinen Privatsphäre sehr gut. Ich genieße es sehr, etwas beitragen zu können und mich in der Öffentlichkeit in eine exponierte Position zu begeben.

Diese Tätigkeit des Djing wird, wie jeder andere Beruf – vorausgesetzt man betrachtet es als Beruf – auch entlohnt. Was für eine Rolle spielt eine finanzielle Entlohnung für dich, was für eine Rolle nimmt sie im Vergleich zu anderen Entlohnung ein, wie etwa gegenüber dem Erfolg?

Puschann: Ich glaube, dass die Entlohnung nur auf einem immateriellen Level stattfinden kann. Sie präsentiert sich als gutes Feedback, gutes Gefühl, gute Stimmung oder einem schönen Erlebnis. Ich bin ein Mensch, der seit 13 Jahren Vinyl kauft und enorme Mengen an Geld dafür ausgegeben hat. Mir bleibt bei weitem weniger über, als jemandem, der die gleiche Musik als MP3 kauft oder herunterlädt. Wenn Nummern wirklich gut sind, kaufe ich oft ganze EP’s und das ist natürlich sehr ineffizient. Ich hätte mir vermutlich schon lange zwei Kleinwägen kaufen können, wenn man den Wert dessen, was zu Hause an Schallplatten herumsteht, misst. Finanziell ist die Entlohnung also zu vernachlässigen. Die wirkliche Entlohnung gleicht einem spirituellen Feedback, auf einem merkwürdigen Level, das man als Dj erfährt.

Ist der Veranstalter und Labelbetreibende eine logische Konsequenz aus deiner Tätigkeit als Dj?

Puschann: Das war sie sehr lange, weil die Musik, die wir spielen wollten, keinen oder einen zu kleinen Platz in den Clubs hatte. Das hat sich mit der Zeit geändert und das ist auch der Grund, warum wir derzeit als Veranstalter pausieren. Unter anderem natürlich auch deshalb, weil uns in Graz die Infrastruktur fehlt.
Wir bringen derzeit auch keine Musik heraus. Das würde aber zum Pioniergedanken zählen, weil man dadurch den Anspruch erhebt, etwas Bleibendes zu gestalten und den flüchtigen Momenten im Club etwas Dauerhaftes gegenüber stellt. Natürlich erinnern sich die Leute an wirklich gute Momente im Club, aber im Endeffekt bleiben diese Stimmungen und Erinnerungen in einem dunklen Raum gefangen, weil sie dort passieren sind und dort auch nicht raus kommen. Deshalb ist es gut und wichtig Musik zu releasen. Gerade auch, da man die Reichweite schlagartig erhöhen und plötzlich in Berliner oder Londoner Plattenläden vertreten sein kann. Diesen Drang verspürt, meines Erachtens fast jeder, der auflegt.

Hast du Erklärungen dafür, warum diese Infrastruktur in Graz gerade nicht gegeben ist?

Puschmann: Auf der einen Seite ist es offensichtlich, dass die Regelungen in der Gastronomie kaum Platz für nicht-kommerzielle oder nicht extra stark finanzierte Projekte bieten. Es ist extrem schwer eine Location so aufzubauen, dass sie allen Auflagen entspricht, wie man es ja auch bei der Niesenbergergasse gesehen hat, die extrem lange sehr gut gelaufen ist und einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Man hat auch das Gefühl, dass es derzeit in Graz geradezu Kultur ist, alles ein bisschen zu beschneiden und großes Augenmerk darauf gelegt wird, dass es ruhig und gesittet zugeht. Das gefährdet die Stimmung und den Nährboden für junge Leute, die spannende Dinge machen und sich in eine interessante Richtung entwickeln wollen. Auf der anderen Seite verstehe ich, dass Postgarage und PPC sich in eine sehr kommerzielle Richtung entwickelt haben. Das kann man niemandem übel nehmen, weil jeder, der relativ viel Geld in eine Location gesteckt hat, auch irgendwann gut davon leben will. Das muss man einsehen. Aber es ist definitiv an der Zeit für neue Dinge, die ja auch zum Teil schon im Busch sind. Wo und was sich da genau entwickeln wird, kann man noch nicht genau sagen.

Du hast es in Teilantworten schon eingestreut, aber ich würde trotzdem in einer eigenen Frage noch intensiver auf Hausboot (ehem. Houseverbot) eingehen. Wie würdest du diese Marke, dieses Label und Kollektiv charakterisieren?

Puschmann: Houseverbot ist ja mittlerweile Hausboot, weil der Name aus den 90ern für uns irgendwann nicht mehr tragbar war und die neue Version der Erkennbarkeit dient und für mich, dem geringsten Übel entspricht. Am Anfang war dieses Ding als Marke unterwegs, als Vehikel, das sich in der Clublandschaft bewegt hat. Derzeit ist es eine Art Referenz für guten Clubsound. Wenn hinter einem Namen oder auf einem Flyer Hausboot steht, dann wissen die Leute, was sie dort erwartet. Früher waren wir ein Label, eine Marke und heute ist es eine Referenz. Der Verbund ist loser geworden, obwohl wir alle noch auflegen und es ist nicht auszuschließen, dass Hausboot wieder stärker zur Marke wird. Derzeit ist es einfach eine Interessensgemeinschaft. Wie es sich weiter entwickeln wird, kann ich nicht abschätzen. In jedem Fall hat die Sache weiterhin ihre Berechtigung.

Ich würde gerne den Fokus auf deine schon weiter oben anskizzierte Arbeit als Gestalter legen. Was ist White Elephant? In welchem Verhältnis steht es zu dem Musiker und Dj Puschmann?

Puschann: White Elephant sind ich und Tobias Kestl. Tobias war schon früher, und mit anderen Leuten, die schon lange nicht mehr dabei sind, Teil von White Elephant. Seit fünf Jahren arbeiten wir zu zweit unter diesem Namen zusammen. Eigentlich ist White Elephant durch ähnliche Interessen geprägt wie Houseverboot oder Hausboot: starker Forscherdrang, sehr große Neugierde, unkonventionelles Denken auf einem professionellen Level und in einem professionellen Umfeld. Das ist tatsächlich das Ding wovon wir leben und leben müssen, daher muss es bestimmte Anforderungen erfüllen. Hausboot bewegt sich auf der anderen Seite des Ziffernblattes, weil es eine Tätigkeit ist, die ähnlich professionell ausgeübt wird, aber keinen wirtschaftlichen Hintergrund besitzt. Der Antrieb ist sehr ähnlich und vergleichbar.

Du hast schon davon gesprochen, dass du deine Bookings selektierst. Welche Kriterien bilden die Grundlage deiner Entscheidung?

Puschann: Ich sehe mich nicht als Dienstleister und ich will mich niemandem aufdrängen. Ich will an Orten spielen, wo ich mit meinem Ansatz für die Leute und für mich am meisten herausholen kann. Ich bin da sehr fragil und ein bisschen empfindlich, wenn gewisse Dinge nicht hinhauen, weil ich ausgesprochen viel Engagement und Energie hineinstecke. Ich will nirgendwo spielen, wo ich das Gefühl habe, dass die Leute nicht offen sind, für das, was ich ihnen anbieten kann und mit ihnen machen kann.

Im Zuge der Kommerzialisierung elektronischer Tanzmusik hat ein Trend eingesetzt, der Veranstaltungen mit internationaler Beteiligung einen ungleich großen Vorsprung gegenüber lokal besetzten Veranstaltungen verschafft hat? Denkst du, dass diese Entwicklung rückgängig zu machen ist und Menschen, die auf diesem kommerziellen Wege Zugang zur Clubkultur gefunden haben, auch von weniger hochstilisierten Veranstaltungsformen zu überzeugen sind?

Puschmann: Das hat natürlich was mit den Medien zu tun, weil Relevanz heute ganz anders zu Stande kommt, und sich Namen und Images ganz anders verbreiten als früher. Wir haben, als wir ab 2005 “Birds” veranstalteten, immer größere Acts aus Deutschland eingeladen und sind drauf gekommen, dass, wenn nur Locals spielen, viel mehr Leute kommen. Das war eine eigenartige und sehr überraschende Situation und eine Erkenntnis, dass die Identifikation offensichtlich eine ganz andere ist. Ich glaube, dass bei der Musik, die wir derzeit spielen, die Namen in Graz nicht ziehen würden, weil die Leute das in so einer kleinen Stadt einfach nicht kennen. Man schreibt irgendwen drauf und sie sehen einen Namen, der nicht aus Graz ist und damit ist es dann erledigt. Klar kann man Richie Hawtin einladen und 25 Euro Eintritt verlangen, aber die großen Namen, die für uns große Namen darstellen, sind für Graz vermutlich zu spezifisch. In Wien funktioniert das noch eher.
Im Endeffekt möchte ich mich als Veranstalter nicht zu sehr in den Sog irgendwelcher Prominenter begeben, weil ich mir nach wie vor wünsche, dass die Leute wegen der Party und der Musik kommen und mich anhören, weil ich es bin. Es gibt Crews, die sich mit den Leuten, die sie buchen, mitbranden. Für uns ist das grundsätzlich nicht interessant.

Foto Credits: Marco Rossi, Marlon Fink, Florian Puschmann.

http://white-elephant.at/