mica-Interview mit Pieter Gabriel (sleep sleep)

Vor wenigen Monaten hat der Wiener Musiker Pieter Gabriel („City of Last Things“) mit seinem Minialbum „CVRS“ aufhorchen lassen. Anfang der Woche ist nun das gänzlich selbst komponierte Debutalbum “Gospel” in einer schönen Vinyledition auf Noiseappeal Records erschienen: Irrlichternde Songstrukturen, kokette Basslines und barocke Cello-Motive – vorurteilslos und geschmackssicher zieht Gabriel hier alles in den Brennpunkt, um es seiner persönlichen kreativen Vision anzuverwandeln. Dass sich dabei songwriterisches Talent und produktionstechnisches Wissen vortrefflich austarieren, macht ihn zu einem der überzeugendsten “Soundwriter” des Landes. Und „Gospel“ zum vermutlich schönsten Popalbum des Jahres. Das Interview führte David Weidinger.

Vor ziemlich genau 4 Jahren hast du dein Debutalbum “City of Last Things” unter deinem bürgerlichen Namen veröffentlicht. Jetzt folgt mit “sleep sleep” ein separates Projekt, das zwar aufs erste Hören reichlich anders klingt, nach einigen Durchläufen drängen sich aber doch auch Kontinuitäten auf. Weshalb ist “sleep sleep” als eigenständiges Projekt notwendig geworden?

Genau genommen ist es ein neuer Name, kein separates Projekt. Es musste einfach ein neuer, nicht so assoziationsbeladender Name her, hinter dem ich in Ruhe arbeiten kann.

Es ist für dich also kein Problem, “Gospel” als quasi-Fortsetzung von “City of Last Things” unter anderem Namen zu hören… was hat sich deiner Ansicht nach stilistisch und kompositorisch verändert?

“Gospel” stellt für mich einen Neuanfang dar, keine Fortsetzung. Die beiden Alben haben nichts miteinander zu tun. “City of Last Things” entstand damals unter Druck in sehr schneller Zeit und ist heute nicht mehr wirklich repräsentativ für mich. Eher ein Zeitdokument meiner musikalischen Anfänge. Ich hatte damals noch nicht viele Songs fertig, deshalb landeten zwangsläufig auch ein paar unausgereiftere Lieder auf dem Album. Für “Gospel” hingegen habe ich mir wesentlich mehr Zeit gelassen. In dieser Zeit hat sich auch mein “Werkzeug” grundlegend verändert.
Die Instrumente die auf “City of Last Things” noch omnipräsent waren  – Gitarre, Ukulele, Piano – sind auf “Gospel” fast nirgendwo mehr zu finden. Auf “City of Last Things” wurden die Songs von der Stimme getragen, auf “Gospel” werden sie von den Arrangements getragen. “City of Last Things” war eher Tagebuch, “Gospel” mehr wie ein Fantasy-Comic.

Man merkt “Gospel” die investierte Zeit hörbar an. Erstaunlich finde ich allerdings, dass diese perfektionistischen Arrangements auch schon auf der “CVRS”-EP in ähnlicher Qualität vertreten waren – und die hast du ja vergleichsweise im Eiltempo aus dem Boden gestampft. Wie kam es zu der Idee, Coversongs als erstes Lebenszeichen von sleep sleep zu veröffentlichen?

Die Arrangements zu “Teenage Spaceship” und “Dirty Diana” sind bereits 2010 entstanden. Auch ein grobes Arrangment zu “Wild at Heart” lag schon ein gutes halbes Jahr vor der Idee zu EP herum.
Letzten November/Dezember fragten mich dann Noise Appeal Records, ob ich Lust hätte, im Rahmen einer H.P. Zinker Tribute-Night im Rhiz ein Cover zu spielen. Ich kannte nur einen Song – “Morning Light” – der eigentlich nur ein halber HP Zinker Song ist, aber egal. Ich setzte mich am nächsten Tag zuhause hin und hatte den Song recht schnell neu arrangiert. Im Zuge dessen fielen mir dann wieder die anderen, herumliegenden Coverversionen ein und so kam langsam die Idee für die EP zustande.

Die aktuellen Arrangements heben sich sehr deutlich von der Schlichtheit auf “City of Last Things” ab. Besonders dein Hang zur Klangfläche und zum Ambient sind eher jüngeren Datums. Wann hast du gemerkt, dass sich diese Stilmittel sehr gut mit deinem Begriff von Popmusik vertragen?

Diese sphärischen Elemente waren eigentlich schon von Anfang an dabei. Auch auf “City of Last Things” flirren hinter den Akustikgitarren schon die Rückwärts-Pianos und Harmoniumflächen dezent herum. Das rückte dann mit der Zeit einfach immer mehr in den Vordergrund.
Ich nehme mir auch schon seit 4 Jahren vor, ein Ambient-Album zu veröffentlichen. Aber die Popsongs kamen mir bislang immer in die Quere. Vielleicht nächstes Jahr.

Hast du auch schon eine Idee, wie sich die aktuellen Songs mit ihren komplexen Arrangements ohne Reibungsverluste auf die Konzertbühne bringen lassen?

Nein, habe ich nicht. Das war auch nie ein Kriterium. Es wird vermutlich auch keine Konzerte zu “Gospel” geben.

Aber macht dir das Live-Spielen grundsätzlich Spaß oder reißt du dich eh nicht so drum?

Ja und Nein. Ich mag keine Proben, ich hasse es zu touren und es langweilt mich irrsinnig, immer wieder die selben Songs spielen zu müssen. Die einzigen Konzerte die ich momentan spiele, sind improvisierte Ambient/Experimental-Konzerte im kleinen Rahmen. Entweder solo oder zusammen mit dem Cellisten Lukas Lauermann als „The Twentieth Century“.
Ich bin glücklicherweise auch nicht gezwungen, mit meiner Musik meinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen und ich glaube, ich würde auch nicht wollen, dass das Live-Spielen zu einer finanziellen Notwendigkeit wird. Vielleicht ist das nur meine verkorkste Ansicht, aber ich denke, dass der gegenwärtige Trend “Du musst live spielen, sonst verdienst du nichts, sonst wirst du nicht bekannt” keine wirklich positive Entwicklung ist.

Meinst du das jetzt speziell in deinem Fall, weil du ohnehin nicht darauf baust, von der Musik leben zu können? Oder stehen deiner Zunft mit dem Internet allgemein neue Möglichkeiten zur Selbstvermarktung offen, die ein Live-Spielen weniger notwendig macht?

Ich meine damit, dass die Reizüberflutung im Internet leider auch eine Reizüberflutung an Live-Konzerten mit sich gebracht hat. Ständig spielt irgendjemand irgendwo. Es gibt da auch keine Hemmschwellen mehr. Die Leute stellen sich teilweise sogar mit mp3-Player auf die Bühne. Weil es die einzige Chance ist, Geld zu verdienen. Wenn schon nicht durch die Gage, dann zumindest durch ein paar verkaufte T-Shirts und Platten.

Hängt es deiner Auffassung nach auch von der Musik selbst ab, ob ein Konzert schlussendlich Sinn macht oder nicht? Quasi nach dem Motto: Wenn ich meine Songs in der Livesituation soundtechnisch nur schlechter reproduzieren kann, lass ich es lieber gleich bleiben?

Genau. Oder das andere Extrem: Es klingt genau wie auf Platte, auf der Bühne passiert aber absolut nichts was dem Wort “live” gerecht werden würde. Ich war da zB mal auf einem Oneohtrix Point Never Konzert im Rahmen des Donaufestivals. Ich finde seine Musik auf Platte unglaublich großartig. Und dann stellt sich der Typ auf die Bühne, schaut eine halbe Stunde in seinen Laptop, sagt dann “Thanks guys! You were great!” und verschwindet. Das gibt mir persönlich nichts.

Viele Songs auf “Gospel” haben eine beinah räumliche Qualität. Wie sehr fühlst du als Musiker dich von Film und Filmmusik beeinflusst bzw. wie stark ist die sleep sleep’sche Soundarchitektur an Stimmungsbildern aus dem Kino geschult?

Die Atmosphäre und die Stimmung eines Films oder einer bestimmten Filmszene inspirieren mich oft. Der Soundtrack selbst eher selten. In manchen Fällen – bei Blade Runner beispielsweise – gehen Atmosphäre und Soundtrack aber Hand in Hand. Diese seltsam düstere, leicht melancholische Endzeitstimmung hat sich bei mir aber definitiv eingebrannt. Genau wie die auf innere Monologe aufgebaute Stimmung bei Filmen wie “Apocalypse Now” oder Wong Kar-Wai’s “In The Mood For Love”. Das ist schwer in Worte zu fassen…

Du zitierst ja auch recht viel: “Twin Peaks” und “Old Joy” sind als Titel übernommen, anderswo sind Soundschnipsel aus “Fitzcarraldo” versteckt und die Lyrics hast du dir zum Teil auch zusammengesammelt. Ist es ein neuer Zugang für dich, das Singer/Songwriter-Ideal von der alleinigen Autoren- bzw. Urheberschaft ein wenig zu vernachlässigen und sich der postmodernen Zitathaftigkeit und Zusammenklauberei zu öffnen? Oder gab’s das auf “City of Last Things” auch schon?

Das fing textlich teilweise schon beim letzten Album an. Bei “Gospel” hat sich das Zitieren, Kopieren und Stehlen aber auf alle Bereiche ausgeweitet. Das erzählt dann ja trotzdem etwas über einen selbst. Ich zitiere ja nicht aus Filmen oder Büchern, die mir nicht gefallen. Das sind immer auch Sachen, die mich gerade beschäftigen. Soll heißen, ich lese oder höre irgendwo etwas und denke mir sofort: Das klingt gut, das könnte ich aus dem Kontext reißen und für mich verwenden.

Integrierst du dann beim Schreiben bloß gewisse Elemente oder kann ein Zitat aus Kino, Musik oder Literatur sozusagen auch der Ausgangspunkt für einen neuen Song sein?

Sowohl als auch. Es gibt da z.B. eine Folge aus der ersten Staffel von “The Wire”, die als Epigraph den Satz “…a litte slow, a litte late” verwendet. Keine Ahnung wieso, aber das musste ich mir sofort aufschreiben. So entstand z.B. der Song “Gospel”.

Du hast schon The Twentieth Century, dein Live-Projekt mit Lukas Lauermann erwähnt. Hast du vor, in absehbarer Zeit weitere sleep-sleep-Alben nachzuschießen oder steht das erstmal alles in den Sternen?

Es wird auf jeden Fall eine Fortsetzung der CVRS-Reihe geben. Eine experimentellere, mehr instrumentale EP ist auch geplant. Alles weitere steht aber noch in den Sternen.

Danke für das Interview!

http://www.sleepsleep.org/
https://www.facebook.com/sleepsleepofficial?ref=ts&fref=ts
http://noiseappealrecords.bandcamp.com/album/gospel