mica-Interview mit Peter Ablinger

Im Café Sperl traf sich Peter Ablinger mit Heinz Rögl zum mica-Interview.  Der genreübergreifende Komponist  war bei Wien Modern zur Gestaltung einer Ausstellung im WUK und zu Konzerten eingeladen, mit Stücken aus dem Werkzyklus “weiss/weisslich”, zum anderen den immens spannenden “Sprachkompositionen” für computergesteuertes Klavier. Die Konzerte im Neuen Saal folgten teils im Anschluss an Vorträge namhafter Forscher zum Schwerpunkt “Musik und Gehirn”. Viele der daran Interessierten hörten dann auch gerne noch die Kompositionen von Ablinger, Alvin Lucier oder Brian Ferneyhough – vielleicht zum ersten Mal.

Werkliste und Kurzchcharakteristik von Leben und Biographie Peter Ablingers entnimmt man am besten der Komponistendankenbank des mica: Die Schwerpunkte seines Schaffens bilden bis 1994 solistische, kammermusikalische Besetzungen bis zu 25 Instrumenten, beispielsweise “Der Regen, das Glas, das Lachen” als eine Art Summe der bisherigen Arbeit. Während sich in den darauffolgenden Jahren die Arbeit in mehreren parallelen Werkzyklen entfaltet – chararakteristisch etwa die Beschäftigung mit Instrumenten und ElektroAkustik (oft in Zusammenarbeit mit Programmierern und Studios, wie dem IEM Graz, u. a.), oder der Werk-Komplex “Weiss/Weisslich”, welcher Instrumentalstücke, Installationen, Objekte, Aufnahmen, Hinweise und Prosa umfasst – , entstehen seit 2001 vielteilige Serien-Stücke (z.B.: “Voices and Piano”) oder mehrgliedrige Netzwerke, in denen verschiedene musikalische Gattungen, Topoi, Besetzungen miteinander kombiniert sind, z. B. ein Hinweis und ein Instrumentalstück, oder eine Installation, ein Elektronik- und ein Orchesterstück (z.B. “Altar”, oder die Stadtoper “Opera/Werke”) (Komponistendatenbank)

HR: Als was würdest du dich eigentlich bezeichnen? Als Musiker, als Komponist, als Installlationskünstler .?

Peter Ablinger: Nicht so einfach. Eigentlich ganz normal und traditionell als Komponist, weil es doch die Ausgangsposition gewissermaßen ist, von der ich dann manchmal eben die üblicheren Vorgehensweisen des Komponierens auch verlasse, in andere Bereiche übergehe. Aber Genreüberschreitendes ist für mich niemals Selbstzweck oder bewusster Ausweitungsversuch des Komponierens, es ist eher, dass man eben den Schritt hinaus wagen muss aus dem eigenen Haus, um die Umrisse des Hauses in dem man wohnt zu erkennen. Insoweit sind Installationen usw. für mich Untersuchungen der Grundbedingungen des Hörens, Bestandteil meiner Arbeit. Aber als Zentrum würde ich mich weiterhin gerne als Komponist sehen.

Das heißt also, dein Komponieren hat einen Musikbegriff, der das Phänomen der Wahrnehmung mitreflektiert, ist es nicht auch davon abhängig, wie man was hört, und ob man in einem Konzertsaal ist oder in einem anderen Raum, wo alles ganz anders klingt? Steht man, sitzt man? Geht dir das bloße im Konzertsaal Anhören von Alter oder Neuer Musik, oder von romantischer, nicht oft einfach auf die Nerven?

Naja, ich würde das nicht auf romantische Musik ausweiten oder Bach, die haben sich die Aufführungsbedingungen, in denen man ihre Musik hört, ja selbst geschaffen. Die romantische Musik hat die Konzertsäle, wie wir sie heute haben, eigentlich erst erfunden. Das ist eher etwas, was ich manchmal an der Neuen Musik als inhärente Art von Konservativismus kritisiere, dass sie eigentlich nichts erfunden hat, außer Dinge, die mit Tonsatzkategorien, mit Notenpapier und Schreibweisen, vielleicht noch mit Instrumentenkategorien zu tun haben, während sie die Grundbedingungen des Komponierens, Aufführens und so weiter völlig unangetastet gelassen hat und gleichartig weiterbetreibt wie schon in früheren Jahrhunderten .

Was nicht bedeutet, dass du nicht selber manchmal für konventionelles Klavier, Akkordeon oder dergleichen schreibst und mit Noten als Spielanweisung strukturell festlegst?

Ja selbstverständlich, das heißt überhaupt nicht, dass ich nicht auch selbst weiterhin Gebrauch machen möchte von diesen Dingen, ich komponiere auch für klassische Instrumente, Ensembles bis Orchester in konventioneller Notenschrift. Ich möchte dem nicht einfach den Rücken kehren, nur möchte ich die Gesamtsicht dessen, was ich da tue und was passiert beim Hören ins Visier nehmen und nicht nur diesen Ausschnitt eines tradierten Komponistenbildes weiter betreiben.

In Themen kannst du dich über Jahre hindurch verbeißen und daraus mit der Zeit große “Zyklen” organisieren. Zum Beispiel ist etwa “weiss / weisslich” so ein wiederkehrendes Grundthema deiner Arbeit und deinen Überlegungen, in denen du dich mit dem “Rauschen” und angrenzenden Hörbedingungen auseinandersetzt. Seit 1980, glaube ich, mit den ersten Kompositionen dazu und daraus entstehen immer wieder neue Sachen – Jetzt lässt du sogar Bäume wachsen, die du nach einem bestimmten System gepflanzt hast, auch um in deinem “Arboretum” (es gibt davon sogar schon mehrere) zu untersuchen, auf welche Art – dunkel, hell, wispernd, dumpf – sie im Wind rauschen. Es gibt ein Foto von dir, wie du mit Mikrofon vor einem Haselstrauch stehst, um das aufzunehmen. Du willst etwas genau ausloten?

Letzten Endes geht’s noch viel weiter als diese sichtbaren oder unmittelbar ins Auge fallenden Serien, Namen. Letzten Endes habe ich eine Vorstellung von meiner Arbeit, dass im Grund genommen eigentlich alle Serien, die ich jemals begonnen habe und vielleicht noch beginnen werde, zusammengenommen gewissermaßen nur ein einziges “Stück” sind, das  sich immer wieder unter einer jeweils anderen Perspektive zeigt. Das ist ein sehr wesentlicher Gedanke.

 

 

Lässt sich das irgendwie benennen von dir, was dieses “Stück” ausmacht? Blöde Frage?

Keine blöde Frage . aber keine vielleicht in Worten zu beantwortende, weil sonst könnt’  ich wahrscheinlich in Pension gehen. Aber es ist ein wichtiger Punkt, dass die unterschiedlichen Arbeitsstrategien – ob das nun eine Installationsarbeit betrifft oder in Richtung Konzertstück geht – eben keine die Vielfalt pflegende und suchende Herangehensweise ist, sondern eigentlich ein- und dasselbe, das sich auch aus institutionellen Gründen eben auf die eine oder die andere Weise zeigt. Oft möchte ich etwas machen, was zwei Dinge miteinander kombiniert, aber ich weiß beispielsweise, dass in einer Konzerthaussituation nur die übliche konzertante Version überhaupt eine Chance auf Realisierung hat, und ich muss mir einen anderen Ort suchen, wo ich den anderen Aspekt des gleichen Werkes vorführen kann und das funktioniert dann etwa nur in einem galerieähnlichen  Ort. Sodass es dann ausschaut, als wären das zwei verschiedene Dinge. Das sollen sie aber gar nicht sein.

Dass du verschiedene Ansprechpartner erreichst, dass in eine Galerie oder ins WUK unter Umständen ganz andere Leute als ins Konzerthaus oder den Musikverein gehen, vor dem sogar ein Teil des Wien Modern-Publikums vielleicht eine Schwellenangst hat, ist keine primäre Überlegung von dir?

Nein. Es kann eine Sache sein, die mitgedacht wird, wenn ich so komplexe Sachen machen kann, wie etwa die “Stadtoper” in Graz oder die Landschaftsoper, wo dann doch die verschiedenen Arbeitsweisen zusammentreffen können.  Ein “Akt” war eine installationsartige Arbeit in einer Galerie, ein anderer eine konzertante Aufführung wie ein Konzert, ein dritter Akt bei der Stadtoper war das Libretto, das war ein reiner Leseakt, das war ein Buch das nicht vertont wurde, sondern das man lesen sollte. Wo ich schon mitdenke, der Held dieser Oper ist der Hörer selber, der durch diese verschiedenen Akte geht, sich in verschiedenen sozialen Mustern ergeht. Einmal mit Sektglas in der Galerie steht und dort mit Kollegen plaudert, einmal in Reihen im Konzertsaal sitzend, einmal privat bei sich zu Hause im Bett liegend und das Libretto lesend.

Dann gab es auch akustische Repräsentationen verschiedenster Orte und Plätze in Graz, wie den Stadtpark usw., die man im Rahmen einer Ausstellung anhören konnte.

Es gab insgesamt sieben Akte, das Libretto war nur einer davon.

Du pendelst zwischen Berlin und viel auch Österreich. Wie fühlst du dich bei Wien Modern aufgenommen? Von den Veranstaltern, vom Publikum .

Vom Veranstalter fühle ich mich sehr gut aufgenommen,  Berno Polzer hat ja einen speziellen Hang zur ganzen Thematik. Hirnforschung ist nicht direkt mein Thema, aber Wahrnehmung im weiteren Sinn sehr wohl, insofern passten mir meine Auftritte in diesem Rahmen gut hinein. Es ist ja für einen Musikveranstalter kein so unkonventioneller Schritt, zusätzlich so eine Ausstellung wie die im WUK zustande zu bringen

HÖREN hören . Ich weiß, dass Graz und besonders das IEM für dich sehr wichtig sind, Winfrid Ritsch hat dort für dich das “computergesteuerte Klavier” gebaut, gerade heute Abend gibt es mit einem solchen heute eine Uraufführung, eine auf Klavier übertragene Rede Fidel Castros.  

Die seit Mitte der 90-er Jahre bestehende Zusammenarbeit mit dem IEM ist wirklich etwas Besonderes. Normalerweise kriegt man vielleicht ein Angebot, ein halbes Jahr etwas zu machen und dann ist es vorbei und “tschüss”. Aber dass man über Jahre hinweg die Dinge entwickeln kann und die immer noch interessiert sind, wieder einen weiteren Schritt zu gehen und in die Verfeinerung hineinzugehen, die man auch klanglich erleben kann, das ist schon toll und das eigentlich Interessante.

 

 

Du bist seit langem ein “arrivierter” Künstler, kannst dieses machen, jenes, hast Aufträge. Aber am Anfang ist das für keinen leicht, was würdest du jungen Musikern und Komponisten raten zu tun?

So ganz allgemein weiß ich nicht, was ich raten soll. Wir haben soviel junge Komponisten. Den Rat, den ich vielen gebe: Sie sollen sich mehr Zeit lassen (lacht). Die meinen immer, nun sind sie schon 25 Jahre alt und jetzt muss aber die Karriere starten und werden nervös, wenn das nicht passiert. Ich war da sehr geduldig, ich habe während der achtziger Jahre vielleicht im Jahr nicht mehr als eine Aufführung gehabt. Die meisten Aufführungen verdanke ich da meinem Freund und auch Studienfreund Beat Furrer, der mir in den Frühzeiten und Vorzeiten des Klangforums gelegentlicheine Uraufführung ermöglicht hat. Ansonsten gab es gar nichts, ich lebte damals schon in Berlin und hatte keinen Kontakt zur dortigen Neuen Musik. Ich war aber auch nicht ungeduldig oder unzufrieden, meine Freunde sagten alle zu mir, mach doch endlich was, schick dort was hin und da was. Und ich sagte, warte ein bisschen, ich bin noch nicht ganz so weit und in zwei, drei Jahren kommt’s von selber.

Pendelst du gern, fährst du gerne herum und wo ist dein “Lebensmittelpunkt?” In Schwanenstadt geboren, hast du in Österreich studiert, lebst schon lange in Berlin, wo bist du am liebsten?

Fotos: Siegrid Ablinger

Also meine Stadt ist jetzt schon Berlin geworden, die ist mir halt groß genug. Die ist so groß, dass man selbst zu der eigenen Szene, in der man tätig ist, keinen Überblick mehr hat, das gefällt mir sehr gut. Dass man dort manchmal einen Komponisten trifft und feststellt, der lebt  schon seit sieben Jahren in der Stadt und ich bin ihm noch nie begegnet – ich mag das. Sonst, in der freien Zeit und so weiter bin ich nach wie vor ein leidenschaftlicher Österreich-Fahrer und fahre halt auch entweder in die Weingegenden oder in die Berge. Wobei – in den letzten Jahren ist das sehr viel geworden mit dem Herumfahren -, ich mag das eigentlich nicht, das heißt, wenn ich dann wo  bin, bin ich sehr glücklich und es ist dann alles ganz anders und aufregend. Aber ich mag dieses Herumjetten eigentlich nicht. Wenn ich nach Österreich fahre ist das ja was Anderes. Da komme ich zurück, von wo ich herkomme, das sind Landschaften, die es in Berlin so nicht gibt und einen guten Wein haben sie auch nicht. Das brauche ich schon, das ist ja wie ein Nachhausefahren und nicht Fortfahren. Aber bei einem ständigen Herumfahren in der ganzen Welt bin ich skeptisch, allein schon aus ökologischen Gründen, und versuche das möglichst zu bündeln.

Was ist das Neue an der Uraufführung der “Quadraturen IIIc” heute Abend bei deinem letzten Wien Modern- Konzert (“Fidelito / La Revolución y las Mujeres”)?

Heute gibt es ein langes, zirka fünfundfünfzig Minuten dauerndes  Stück für computergesteuertes Klavier, welches auf einer Rede von Fidel Castro basiert. Und anders als alle diese im vergangenen und dieses Jahr in Wien vorgestellten Stücke, die Sprache auf Klavier transferieren, geht es bei diesem viel weniger um die schallrealistische Repräsentanz des Ausgangsmaterials, sondern ich würde dieses Stück viel musikalischer nennen, wo das klanglich Nicht-Repräsentierende eine genauso wichtige Rolle hat, wie die gelegentliche Nähe zum Wiedererkennen des Stimmklanges von dem spanisch redenden Fidel. Ich habe das schon vor fünf Jahren komponiert – ohne Rücksicht darauf, wie schnell ein Klavier überhaupt repetieren kann, also galt es bis jetzt als unspielbar. Winfried Ritsch hat es in diesem Frühjahr erst umsetzen können – vor fünf Jahren gab es technisch die Analysewerkzeuge dafür noch nicht. Dadurch ist es nun viel mehr in die Nähe des Klangs etwa der “Quadraturen” mit den Stimmen von Schönberg (“A Letter from Schoenberg”, 2006) – Schönberg kommt übrigens auch in “voices and piano” (1998-2008) für konventionelles Klavier und CD-Zuspielung vor – oder Freud (“Freud in England”, 2006) gekommen.

Beim “Freud” ist es ja so, dass man Freuds Satz fast wörtlich versteht, dann verschwindet es mehr und wirkt sehr schön wie ein “komponiertes Liednachspiel”.

Jein. Es ist so, dass das Ausgangsmaterial bleibt, es ist nicht komponiert, aber die angewandten Raster sind gröber, sodass es wie “Musik” wirkt.

Alle Fotos © Siegrid Ablinger