mica-Interview mit Michael Dewitte

Herbert von Karajan wäre heuer hundert Jahre alt geworden. In der Festspielstadt Salzburg stehen die Zeichen im Jubiläumsjahr daher ganz auf Karajan. Michael Dewitte, Geschäftsführer der Salzburger Osterfstspiele und Leiter des Karajan-Centers, im Gepräch mit Markus Deisenberger über Kommerzangst, die permanente Auseinandersetzung mit dem großen Repertoire und die Suche nach dem perfekten Klang. “Aktuell sein, ohne sich zu unterwerfen”

Herr Dewitte, was macht ihn aus, den Mythos Karajan?
Sehr vieles. Zunächst war das 20. Jahrhundert, in dem Karajan wirkte, eine äußerst interessante und doch schwierige Zeit. Seine unglaubliche Karriere kombiniert mit dieser außergewöhnlichen Faszination für Technik und Qualität der Aufnahmen – von der ersten großen Aufnahme 1948 mit Walter Legge, dem legendären EMI-Produzenten, über die Entwicklung des Schallplattenmarktes bis hin zur Erfindung der CD, ist es, die ihn so einzigartig machte. Karajan war eine Gesamtpersönlichkeit, die innerhalb ihres Tätigkeitsbereichs unglaublich viel bewegt hat und heute noch unglaublich aktuell ist.

Was blieb?
Ohne Karajan würde es so einiges einfach nicht geben: Das Luzern-Festival und seinen neuen Saal zum Beispiel. Oder die Century Hall in Tokyo (mit der Adresse Karajansplatz 1, Anm.), die nach Karajans Japanbesuch 1954 gebaut wurde. Damals war das noch eine gewaltige Reise über Alaska mit mehreren Stopps. Es ist eine Fülle von Sachen, die wegen ihm umgesetzt wurden. Auch das große Festspielhaus in Salzburg würde es ohne ihn nicht geben.

Und die Osterfestspiele…
Ja, die würde es auch nicht geben. Andere Dirigenten sind einfach abgetreten. Bei Karajan merkt man, dass dieser Mythos immer noch lebendig ist. Für jeden Veranstalter war es eine Selbstverständlichkeit, dass man da etwas machen muss.

Kann man dem Mythos Karajan in der Programmierung eines Festivals überhaupt gerecht werden?
Es gibt ein gewisses Repertoire, von dem man sagt, es sei klassisches Karajan-Repertoire und das wie in unserem Programm würdigen: Eine Tschaikowsy-Symphonie, ein Beethoven-Violinkonzert mit Anne Sophie Mutter, aber auch Strauß… Dennoch muss man aufpassen: Karajan hatte viel mehr im Repertoire als nur das. Von Bach bis Strauß.

Wagner nicht zu vergessen.
Ja, auf jeden Fall. Insbesondere Parsifal.

Anne-Sophie Mutter und Seiji Ozawa sind Eckpfeiler des heurigen Jubiläumsprogramms. Beide unterhielten sie auch sehr persönliche Beziehungen zu Karajan.
Sie sind seine wichtigsten Schüler, wenn man so will. Das beeinflusst natürliche die Programmauswahl. Andererseits ist es auch enorm wichtig, die ganze Bandbreite zu zeigen. Am Eröffnungsabend haben wir bewusst das Programm gespielt, das Karajan 1928 als erstes Programm spielte. In Zürich, wo es heuer sowohl die Fledermaus als auch den Rosenkavalier geben wird, wollten wir das Operetten-Repertoire forcieren.

Neben der unglaublichen Bandbreite von Konzert über Gesang, Dramaturgie bis hin zur Aufnahme-Technik war Karajan vor allem auch ein Meister im Umgang mit den Medien. Karajan war immer auch eine gehörige Portion Selbstinszenierung.
Er war der erste und bislang einzige, der sich selbst perfekt inszeniert hat. Das, wofür heute schon jeder drittklassige Star eine Agentur braucht, machte er alles selber – sei es was Bilder, sei es was die Musik betraf. Er war jemand, der kein einziges Detail dem Zufall überließ.

Kann es eine derart universell bewanderte Lichtgestalt überhaupt noch geben? Lässt das die Branche überhaupt noch zu?
Kaum. Seit der Ära Karajan ist alles viel schnelllebiger geworden. Karajan fing als Kapellmeister in einem kleinen Theater an, wo man keine die Partitur vorschreibende Besetzung und nur ein kleines Orchester hat; wo man einen Abend den Rosenkavalier mit nur einer Probe und am nächsten Tag den Tristan geben muss, man also wahnsinnig schnell lernen muss. Heute werde Karrieren ganz anders aufgebaut. Allein die Größe des Opernrepertoires von Karajan ist für heutige Maßstäbe eigentlich eine Einmaligkeit.

Wie werden klassische Karrieren heute aufgebaut?
Es nehmen sich nur wenige die Zeit, fünf bis zehn Jahre an einem kleineren Haus wie in Aachen, Ulm oder Köln zu verbringen und da eingehend das Repertoire zu studieren.

Weil man zu schnell den Sprung schaffen muss?
Ja, weil die Agenturen auch sehr schnell mit einem Künstler Geld verdienen wollen.

Sie stehen dem Karajan-Archiv und den Osterfestspielen vor. In beiden geht es – wenn man so will – um die Verwaltung und Fortführung seines Erbes. Was würden Sie aus einer ganz persönlichen Perspektive heraus als dessen Kern bezeichnen?
Absolut höchste Qualitätsansprüche in allen Bereichen. Immer auf der Suche nach förderungswürdigen Talenten, jungen viel versprechenden Künstlern, jungen Musikern zu sein. Frau von Karajan möchte diese Suche auch auf den Bereich der bildenden Kunst ausdehnen. Und nicht zu vergessen sich auch immer und immer wieder die Frage zu stellen: “Sollen wir das noch einmal machen? War das gut genug?” Karajan hat nicht nur einmal alle Beethoven-Symphonien eingespielt. Genauso Abbado. Das Repertoire entwickelt sich immer weiter, hört nie auf. Ein “Ich hab sie jetzt alle einmal aufgenommen, damit hat sich die Sache erledigt” gibt es nicht. Vielleicht den dritten Satz anders, vielleicht doch die Tempi verändern… Es ist eine permanente Auseinandersetzung mit dem großen Repertoire, mit den großen Komponisten.

Ein Ausfluss dieser Auseinandersetzung ist, dass es sehr, sehr viele Aufahmen von Karajan gibt. Im Jubiläumsjahr wird es eine beinahe unüberschaubare Anzahl von Re-Issues geben. Ein Segen oder einfach zu viel?
Das Mozartjahr war für mich ein Overkill. Das Karajanjahr aber hat den Vorteil, dass es heute einfach Formate und Qualitäten gibt, die es vor 15, 20 Jahren noch nicht gab. Ob in Paris, Wien oder Luzern, es gibt sie noch die Leute, die auf der Suche nach dem perfekten Klang sind. In diesem Sine macht es absolut Sinn, noch einmal mit den besten Möglichkeiten ranzugehen und die Qualität auf der Suche nach dem perfekten Klang noch einmal weiter zu steigern.

Die Berliner Philharmoniker wurden unter Sir Simon Rattle stark verjüngt. Was hat sich seit der Ära Karajan noch geändert?
Der Generationswechsel wurde altersbedingt und leider auch aus historischen Gegebenheiten vollzogen, da jüdische Musiker ihren Beruf nicht mehr ausüben durften, was dazu führte, dass eine große Gruppe durch junge Kollegen ersetzt wurde. Innerhalb relativ kurzer Zeit gab es so einen großen Austausch. Aber ganz allgemein muss ein Orchester aktuell sein, ohne sich zu unterwerfen.

Was genau meinen Sie damit?
Es gibt eine Ästhetik der 70er Jahre – das ist im Design und im Kino übrigens ganz genauso – die man  heute einfach nicht mehr will, vor allem was Inszenierung und Bühnebild anbelangt. Andererseits: So wie Karajan in den 70ern Parsifal dirigiert hat, so muss man es erst einmal versuchen zu machen. Was ich damit sagen will, ist: Geschmacksrichtungen, die beim Publikum gewisse Mainstreams, ändern sich. Andererseits gibt es objektive Qualitätsmerkmale.

 

 

Das heißt: Die jeweilige Inszenierung mag der Mode unterworfen sein, nicht aber der Klang, der im Falle Karajans immer noch ein nachahmenswerter ist.
Genauso ist es. Es gab nach dem Weggang von Gerard Mortier auch immer wieder die Diskussion, ob nun Regisseur oder Dirigent wichtiger sei. Diese Auseinadersetzung ist eine permanente.

Und wie lautet Ihre persönliche Meinung dazu?
Wenn man einen guten Regisseur und einen guten Dirigenten hat, ist die Debatte überflüssig.

Die Osterfestspiele kommen seit Karajan – im Gegensatz zu den Sommerfestspielen – traditionell mit einem Minimum an Subventionen aus. Wie wird das bewerkstelligt?
Wir verfügen über eine unglaubliche Publikumstreue. Viele Besucher sind auch gleichzeitig Mitglieder des Fördervereins und kaufen das Abo. Das führt natürlich zu Kartepreisen, die wir gerne senken würden, was aber leider nicht geht. Und wir haben das Glück, dass uns Mäzene und Sponsoren unterstützen, die dieses Jahr ca. 25% des Gesamt-Etats stellen.

Ist es nicht auch dieser Karajan-Bonus in Zusammenhang mit den großen Namen, der das ermöglicht?
Natürlich. Mit den Berliner Philharmonikern haben wir den Nummer 1-Weltstar und zugleich eine Garantie für allerhöchste Qualität. Sir Simon Rattle, vorher Abbado und Solti, tragen das ihre dazu bei.

Mutter, Quasthoff…
Das ist schon klar: Für den Preis, den wir verlangen, müssen wir auch das entsprechende Produkt bieten.

Sir Simon Rattle sprach oft von Balance. Die Osterfestspiele hätten ein sehr spezielles Publikum und es gehe darum zu finden, was dieses Publikum hören will. Wie kann man sich dieses Publikum vorstellen und vor allem: was will es hören? Und sehen Sie eine Gefahr, beim Erfüllen dieses Hörerwunsches in die Beliebigkeit, in den Kommerz abzurutschen?
Es darf nicht so sein, dass man aus Beliebigkeit heraus programmiert.
Sondern: was ist interessant, was ist gut und was können wir am besten?
Aber nicht: Was gefällt den Leuten am meisten? Sicher möchten wir ab und an Sachen machen, die uns dann letztlich zu riskant weil zu modern oder aus einem anderen Grund heraus zu gewagt sind.

Dafür gibt es doch die Kontrapunkte innerhalb des Festivals.
Sicher, aber manchmal würde man gerne mehr und vor allem mehr Jugendarbeit leisten, was aber derzeit budgetär einfach nicht möglich ist. Einerseits geht es also um die Einhaltung der von Ihnen angesprochenen Balance. Andererseits würde jede
Beliebigkeit in der Programmierung und in der Auswahl der Künstler dem Festival ein sehr schnelles Ende bereiten.

Wo sehen Sie die Zukunft des Festivals?
Die Zukunft liegt in der Einmaligkeit, einmal im Jahr zu Ostern gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern in diesem Haus und mit diesem Publikum so gut es nur geht Opern und Konzerte aufzuführen.

Begreifen Sie das Osterklang Festival unter Harnoncourt als Konkurrenz?
Nein. Gerade jemand wie Harnoncourt hat natürlich immer die Entwicklung der Interpretation vorangetrieben. Gerade er ist also auch auf der Suche nach dem perfekten Klang. Insofern ist das kein Widerspruch. Grundsätzlich ist aber jeder gute Konkurrent eine Herausforderung und kann so nur gut für die Entwicklung des Festivals und letztlich gut für das Publikum sein.

Während der Pop-Markt am Boden liegt, boomt die Klassik. Immer neue Festivals entstehen. Wann ist die Sättigung des Marktes erreicht?
Der Markt ist relativ stabil zur Zeit, weil er anders funktioniert. Im Pop wird ein Produkt, das funktioniert, so schnell wie nur irgendwie möglich und so breit wie möglich eingesetzt, damit es so viel Geld wie möglich abwirft.
Der Vorteil der Klassik liegt in der Vergleichsmöglichkeit. Eine neu eingespielte Beethoven-Symphonie kann ich einfach mit unzähligen anderen Interpretationen vergleichen und mir dann ein Urteil bilden, herausfinden, was mir am besten gefällt. Meinen Lieblings-Popsong kann ich nur schwer in einen Kontext mit vierzig ähnlich klingenden Bands stellen und dann argumentieren, warum das konkret meine Wahl ist. Sowohl in der Klassik aber als auch im Pop werden sich die Produkte, die gut sind, halten. Andere werden kommen und gehen.

Zurück zum aktuellen Programm der Osterfestspiele: Denken Sie, dass die spezifische Programmwahl (Walküre, Beethoven-Violinkonzert mit Mutter, Ozawa dirigiert etc.) beim Publikum auch sentimentale Stimmung hervorrufen wird?
Bei den Leuten, die schon zu Karajans Zeiten kamen, mit Sicherheit. Das haben wir bei der Eröffnung gesehen. Das kommen schon viele Erinnerungen hoch.

Sind jene Leute, die damals schon dabei waren, nicht ein zu vernachlässigendes Publikum?
Diejenigen, die aktiv dabei waren vielleicht. Viele aber kennen Erzählungen ihrer Eltern. Viele hören zu Hause alte Aufnahmen, lesen sogar Partituren

Ist das Publikum der Osterfestspiele überhaupt ein sehr verständiges, gelehrtes?
Unbedingt. Deshalb habe ich auch große Angst vor einer Kommerzialisierung des Festivals, dass die Leute nur noch wegen der Adabei-Geschichte kommen. Sicher: Sponsoren sind notwendig. Aber man muss den Sponsoren auch klar machen, dass man niemanden, der ins Konzert will, ausschließen darf, weil das dem Festival und damit letztlich auch dem investierten Kapital schaden würde.

Das heißt, man begrenzt die Kontingente…
Ja, denn der Künstler merkt sofort, ob das Publikum wegen der Musik oder wegen des Seitenblicke-Berichts in der Pause da ist. Wenn es so ist, dann ist es für alle ein verlorener Abend. Insofern haben wir großes Glück, denn die Osterfestspiele haben einen sehr überschaubaren, fast schon familiären Charakter und einem großen Stammpublikum.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs dieses Stammpublikums aus?
Wir haben bereits ein Abo für die zweite Generation kreiert.

Das funktioniert?
Ausgezeichnet. Das Publikum wird doch konsequent unterschätzt. Wir leben in einer RTL2-Gesellschaft. Wir halten dagegen. Man kann der Jugend schon etwas zutrauen. Nur sollte man sie vorbereiten, was Sir Simon Rattle auch tut. Die blödeste Unterscheidung ist doch auch die zwischen E und U. Für mich gibt es nur gute und schlechte Musik, und gute und schlechte Aufführungen.

Michael Dewitte wurde 1966 in Brügge geboren. 1991 wurde er Konzertreferent des Direktoriums der Salzburger Festspiele, 1996 Assistent des künstlerischen Leiters der Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado. Seit 1998 ist er Geschäftsführer der Osterfestspiele.

Die Osterfestspiele Salzburg wurden 1967 von Herbert von Karajan gegründet etablierten sich von Beginn an zu einem der exklusivsten, künstlerisch brillantesten und international renommiertesten Festivals im globalen Festspielreigen. In deren Zentrum standen jeher eine aufwändige Opernneuproduktion im Großen Festspielhaus und das große Orchester-Repertoire.