mica-Interview mit Martin Siewert

„The Golden Years“ heißt das brandneue Album von Trapist, der gemeinsamen Formation von Joe Williamson, Martin Brandlmayr und Martin Siewert. Mit Markus Deisenberger sprach Martin Siewert über das Dechiffrieren von Versatzstücken, Babypausen und Vertrauensvorschüsse.

Wenn man sich die Trapist-Albenfolge ansieht – das erste erschien im Jahr 2002, das zweite schon 2004 – sah es anfangs danach aus, als würde fortan alle zwei Jahre eines herauskommen. Doch seit dem letzten Album sind dann doch beachtliche acht Jahre ins Land gezogen, und wenn ich mich nicht irre, ist auf eurem neuen Album auch Material zu finden, das schon länger fertig ist. Wieso hat es so lange gedauert?

Die zeitliche Entstehung der Stücke ist sehr unterschiedlich. Die frühesten Aufnahmen stammen aus 2004, die jüngsten aus 2011 – teilweise im selben Stück. Das zweite Stück „The Spoke And the Horse“ etwa stammt zur Gänze aus 2011. Das dritte Stück wiederum, „Pisa“, ist ein Live-Mitschnitt aus 2007. Das letzte hingegen ist durchwegs 2004/2005 entstanden. Der Grund dafür, weshalb es länger gedauert hat, ist aber weniger ein künstlerischer als vielmehr ein persönlicher: 2004 gab´s noch keine Kids in der Band, mittlerweile sind es deren sechs. Und die Babypausen fanden natürlich nicht akkordiert statt. Das ist also einer der Gründe, ein anderer mag sein, dass wir alle auch Verpflichtungen mit anderen Bands und Projekten haben. Erklären kann ich es aber nicht. Wichtig war uns allen jedenfalls, dass wir uns keinen Stress machen. Der Druck, einem bestimmten Erscheinungsrhythmus zu entsprechen, ist ja zumindest in dem Musikbereich, in dem wir uns bewegen, übertrieben und von der Szene selbst verursacht. Ob eine Band wie Trapist jedes Jahr oder nur alle drei Jahre ein Album raus bringt, macht keinen wirklich großen Unterschied. Wir verlieren deshalb nicht gleich unsere komplette Fanbase und verschwinden nicht in der Versenkung.

Hat der Titel „The Golden Years“ eine tiefgreifendere Bedeutung?

Der spielt genau mit diesem Umstand, dass sich der Entstehungsprozess fast über eine ganze Dekade hinzog, die für jeden einzelnen von uns große private wie künstlerische Umwälzungen mit sich brachte. Joe ist in diesem Zeitraum alleine drei Mal umgezogen. Der Titel ist sozusagen ein augenzwinkernder, interner Verweis darauf, wie viel passiert ist. In den Pressetexten aber haben wir den Umstand gar nicht so breit getreten, um zu verhindern, dass die Kritik das zu sehr aufgreift und nur noch über den langen Entstehungsprozess reden will. Dann will jeder gleich eine drauf zurückzuführende Inhomogenität hören und so weiter. Es ist ja nicht so, dass wir durchgehend daran gearbeitet hätten. Es gab ja vielmehr lange Pausen zwischen den einzelnen Arbeitsschritten.

Wie ergibt es sich, dass in einem Stück gleichzeitig ältere und aktuelle Aufnahmen enthalten sind? Ist das Ergebnis einer – das Wort wirst Du als Improvisationsmusiker hassen – „Jam-Session“, auf die zu einem späteren Zeitpunkt aufgebaut wird?
So entsteht das meiste von Trapist, ja. Es gibt nichts, was am Reißbrett entstehen würde, was im kompositorischen Sinne vorher auf Papier oder im Kopf entworfen worden wäre. Es basiert alles auf Improvisation – nicht immer direkt, weil wir vorher mitunter schon festlegen, in welchem Dynamik-Bereich und in welchem zeitlichen Ausmaß sich das Stück bewegen soll. Aber der Startschuss ist trotzdem Improvisation. Der Grund, weshalb im ersten Stück zwei Passagen unterschiedlichen Entstehungsdatums zueinander finden, ist aber ganz banal: Bei einem bestimmten Stück hat uns einfach der Part ab einem bestimmten Zeitpunkt immer so gut gefallen, das davor nicht. So kam es zu einem Mix auf horizontaler Ebene, weil wir den Mittelteil, mit dem wir nicht so zufrieden waren, neu einspielten.

Wie viel Zeit, glaubst Du, braucht man, um Trapist zu verstehen? Ist es beabsichtigt, dass man sich tief einlassen muss, um eure Musik zu verstehen? Oder funktioniert eure Musik auch, wenn sie nur oberflächlich wahrgenommen wird?
Die Musik soll auch in einer sehr direkten – oberflächlich würde ich es nicht nennen – Wahrnehmung funktionieren. Ich glaube nicht, dass sich unsere Musik gezwungenermaßen erst nach x-fachem Zuhören erschließen muss. Intendiert ist das zumindest nicht. Es ist natürlich ganz sicher eine Musik, die mit ganz bestimmten Zitaten und Versatzstücken operiert. Ob man die alle dechiffrieren kann oder will, überlassen wir dem Publikum. Mein Wunsch wäre es, dass die Musik auch ohne Vorgeschichte und ohne Hören der vorherigen Trapist-Alben verständlich ist und man ihr etwas abgewinnen kann.

Du hast vorhin davon gesprochen, dass die Musik ausschließlich improvisiert ist. Andererseits gibst Du Dir schon auch Mühe, wieder erkennbare Muster zu verwenden. Gerade in der ersten Nummer „The Gun That´s Hanging“ hat das wiederkehrende Motiv etwas geradezu Meditatives…
Es ist mir absolut wichtig, dem Hörer immer wieder etwas an die Hand zu geben, was er wieder erkennt. Eine gewisse Motivik oder Leitmotivik, wenn auch nicht im klassischen Sinn, oder auch Elemente, die ein Stück definieren, halte ich für interessant und wichtig. Ich bin auch ein Freund der Repetition und – wie etwa in „Pisa“ hörbar – auch des Brechens von repetitiven Strukturen. Bei Trapist war es immer so, dass bestimmte Passagen oft wiederholt werden. Es spricht ja auch nichts dagegen, im improvisatorischen Sinne formal oder strukturell so zu denken. Für mich liegt gerade bei Trapist das Augenmerk stärker auf solchen „Motiven“, die durchaus auch einen gewissen Wiedererkennungswert haben und so den jeweiligen Stücken eine eigene Identität geben. Das mag auch der Grund dafür sein, warum wir die Stücke „Songs“ und nicht „Kompositionen“ nennen. Dennoch ist das Material, das wir in den Stücken verwenden, nicht austauschbar. Die Wiedererkennbarkeit ist schon ein großer Unterschied zu anderen Ensembles der improvisierten Musik, bei denen es teils mehr um Klangforschung im Mikro-Bereich geht.

Inwiefern liegt es daran, dass jeder von euch einen sehr eigenständigen, wieder erkennbaren Sound hat? Schlagzeugtechnisch hört man Martin Brandlmayr (etwa auf „The Spoke and The Horse“) raus. Hört man, denkst Du, den Siewert auch hin und wieder?
Martin Brandlmayr hat einen so unverkennbaren persönlichen Stil, der sich sowohl inhaltlich über die Art, wie er Grooves interpretiert, als auch über seinen ureigensten Sound, definiert. Das hört man auf jeden Fall. Bei mir ist das bewusst anders. Es gibt zwar sicher oder hoffentlich wieder erkennbare Siewert-Approaches, aber die definieren sich eher über den Zeitpunkt, zu dem ich etwas Bestimmtes spiele, als über den eigentlichen Sound. Ich spiele mit codierten Versatzstücken, wo der Sound einer ist, den man schon tausendmal gehört hat. Das stört mich nicht im geringsten – ganz im Gegenteil, ich finde es sehr interessant, in diesem Kontext mit Klängen zu spielen, die gewisse Aha-Erlebnisse hervorrufen.

Hat sich in den acht Jahren seit dem letzten Trapist-Album deine Art zu spielen sehr verändert, was Technik und/oder Selbstbewusstsein anbelangt?
Nein, das glaub ich nicht, höchstens ein bisschen. Was sich aber sehr verändert hat, ist die Produktionsweise. Im Prozess haben wir uns da wieder ein wenig von der allzu aufwändigen Art, vom detaillierten Post-Editing und ausufernden Restrukturierungsarbeiten am Computer, entfernt. Es ist mehr live gespielt, auch die Overdubs. Es gibt im Vergleich zur ersten Platte tatsächlich kein Sequencing. Das Album ist also analoger, direkter und weniger produziert als unsere früheren Arbeiten. Das Feld haben wir mit „Ballroom“ ganz gut beackert. Jetzt gerade interessiert uns das aber nicht mehr so.

Warum? Weil diese Manie des Überproduzierens eine bloße Modeerscheinung war, die auch wieder vorüberging, oder weil man ganz bewusst wieder analoger und direkter werden wollte?
Ich weiß nicht, ob es eine Modeerscheinung war, aber es war etwas, das mich damals einfach mehr interessierte als heute. Da kann ich zwar nur für mich sprechen, aber es hat auch mit anderen musikalischen Betätigungsfeldern zu tun, wo man lange Zeit im Studio verbringt. Vielleicht bin ich auch deshalb dazu bereit, dieses überpenible Herumfeilen aus unsrer Musik draußen zu halten.

Peter Marsh (BBC) hat geschrieben, eure Musik klänge nach Morton Feldman, John Cage und David Tudor. Die drei mögen auf der Hand liegen, aber sind das tatsächlich die Paten eurer Musik?
Nein, überhaupt nicht. Ich sehe das eher ironisch, weil er ja sagt, wir klängen so, als ob die drei eine Rock-Band hätten. Der Schwerpunkt seiner Aussage lag also immer auf der Rockband.
Feldman schätze ich persönlich sehr und vielleicht mehr als andere Komponisten der Moderne. Dass er aber direkt etwas mit uns zu tun hätte, würde ich mich nicht zu behaupten trauen. Direkte Vorbilder, die für unsere Musik Paten standen, gibt es glaube ich nicht. Natürlich gibt es viele Einflüsse, aber die sollen gar nicht so direkt zu Tage treten und hörbar sein.

Jetzt abgesehen vom produktionstechnischen Aspekt, Den Du bereits erwähnt hast – wie unterscheidet sich „The Golden Years“ von den vorherigen Trapist-Alben?
Ich finde, dass es sich auf der rhythmischen Ebene deutlich unterscheidet. Was auf der ersten Platte, die komplett live eingespielt wurde, präsenter war als auf der zweiten ist, wie wunderbar Joe und Martin mit elastischen Grooves umgehen, die sich be- und entschleunigen und trotzdem einen spürbaren Beat haben. Das ist auf diesem Album wieder deutlicher hörbar. So etwas wie das letzte Stück, bei dem der Beat abgesehen vom Intro fast dreizehn Minuten zu stoppen scheint, dann aber doch immer wieder weiter geht, hätte es auf dem letzten Album nicht gegeben. Auch die Formen sind dieses mal länger, es gibt mehr Raum und größere Bögen. Es gibt auch ein wirklich schönes vierzigminütiges Stück, das auf dieses Album nicht drauf gepasst hätte, das wir aber hoffentlich bald veröffentlichen, weil es absolut veröffentlichungswürdig ist.

Ich finde witzig, dass Du Dich persönlich, als Du vom Groove der Stücke sprachst, ausgeklammert hast. Warum? Weil Du Dich als Gegenpart zum Groove der beiden anderen wahrnimmst?
Nein, das kann man nicht trennen.

Wie kann man sich die Entstehung eines Trapist-Albums überhaupt vorstellen? Ihr trefft euch und legt einfach ohne jedes Korsett – außer wie Du sagtest den ungefähren Dynamik-Bereich und die Länge der Improvisation – los?
Nicht unbedingt. Wenn wir uns jetzt treffen würden, würden wir an zwei Tracks, die im Herbst live entstanden, konsequent weiterarbeiten, bis sie so sind, wie wir uns das vorstellen. Da geht es um das rhythmische Fundament und die Loops, die ich dazu erarbeitet habe. Es kommt also sehr auf den Zeitpunkt an, zu dem wir uns treffen.

Wenn ihr live spielt, ist das vorher klar, welche Stücke ihr wie lange spielt, oder ist das völlig offen?
Klar ist, welche Stücke wir spielen. Wie sie anfangen, wie lange wir sie spielen und wie sie enden, ist aber offen. Da kann viel passieren. Vom Album unterscheiden sich die Live-Versionen sowieso, aber auch von Abend zu Abend können die Versionen deutlich voneinander abweichen und einmal zehn, einmal zwanzig Minuten lang sein. Dass da Überraschungsmomente und auch komplett gegenläufige Szenarien passieren können, ist schon intendiert.

Wie hält man, vor allem wenn die Stücke länger dauern, die Spannung zwischen Aufbau und Entladung aufrecht?
Im idealen Fall dadurch, dass es nicht so ist, wie man es erwartet. Wenn ich improvisiere, ist ein gewisses Überraschungsmoment immer wichtig und auch inspirierend. Wenn das genauso klingt wie auf Platte, dann würde ich es ja auch nicht mehr improvisiert nennen. Das müssen auch gar keine individuellen Aktionen sein, das kann sich durch Verschiebungen ergeben, da gibt es unzählige Möglichkeiten, Dinge zu brechen oder anders zu machen als bisher. Es muss sich jedenfalls frisch anfühlen. Überhaupt nichts gegen komplett strukturierte und determinierte Musik. Mit Radian, wo ich mit dem Martin Brandlmayr seit letztem Jahr auch zusammen spiele, ist das weitestgehend organisiert und auskomponiert, was auch seinen Reiz hat. Bei Trapist aber zelebrieren wir das genaue Gegenteil.

Die Stücke auf dem Album sind sehr unterschiedlich. Einmal eher heterogen, einmal sehr homogen. Absicht?
Ein generelles Ansinnen ist es, mit gewissen Erwartungshaltungen von uns, aber auch der Hörerinnen und Hörer zu spielen. Da gibt es dann zwei Möglichkeiten: Die Erwartungshaltung exakt zu erfüllen, was in einem experimentellen Kontext mitunter auch schon wieder als Bruch gesehen werden kann, oder gewisse Dinge hart zu  brechen. Daher ist es durchaus möglich, dass sich etwas über dreißig Minuten gleichmäßig kaum bewegt. Es kann aber auch sein, dass es irgendwann überaus hart gebrochen wird. Dass man das selber, wenn man das Stück zu spielen beginnt, noch nicht weiß, ist überaus spannend. Ob es bei der festgelegten Grundstimmung bleibt oder sich irgendjemand an irgendeiner Stelle denkt „Sorry, aber jetzt ist erst mal Schluss mit Grundstimmung“ und das Schiff wo völlig anders hindirigiert, ist also offen. Durch langjährige Zusammenarbeit gibt es freilich gewisse Einstellungen und Systeme, die funktionieren. Das weiß man und auf die greift man bewusst oder unbewusst immer wieder zurück.

Nervt das oder ist es beruhigend, auf diese festen Parameter zurückzugreifen?
Beides. Je nachdem. Das passiert aber bei allen improvisierten Ensembles, ist also nichts Trapist-spezifisches. Es ist immer ein Changieren zwischen einem bestimmten Ensemble-Sound, der ja auch gewünscht ist, und dem Wagnis. Die Spannung zwischen diesen beiden Bereichen muss man immer im Auge behalten und damit spielen…

Wieso erscheint eigentlich „The Golden Years“ nicht mehr auf Thrill Jockey, sondern auf Staubgold? Ist der Grund, dass Du schon bei anderen Projekten mit Staubgold Kontakt hattest?
Das ist sicher ein Punkt. Weil es mit Markus (Detmer, Anm.) auf eine unkomplizierte Art und Weise abläuft. Warum dann doch nicht Thrill Jockey, ist schwer zu sagen. Irgendwann hatten wir einen Gutteil des Albums fertig und gaben es den Verantwortlichen dort zum Probehören und da hieß es dann, sie würden gerne das ganze Album hören, was mir ein wenig auf die Nerven ging. Die Entscheidung fiel dann aus dem Bauch heraus, weil es bei Staubgold einfach mehr Vorabvertrauen gab und das Album dort auch ohne Zweifel gut aufgehoben ist.

Gibt es überhaupt noch so etwas wie ein Label, bei dem man sich restlos zu Hause fühlt, weil sich dort jemand um den Menschen und seine geistigen Erzeugnisse kümmert?
Ob ein Kümmern in diesem musikalischen Bereich überhaupt existiert, wage ich zu bezweifeln. Persönlich habe ich das noch nie erlebt. Was mir einfach auf die Nerven geht – das mögen die anderen Trapists aber anders sehen – ist dieser Zensur- oder Sanktus-Beigeschmack, den es hat, wenn ein Label von einer Band, die dort schon etwas veröffentlich hat, alles hören muss, bevor es letztlich Ja sagt. Uns gibt’s ewig, wir haben zwei Platten auf zwei arrivierten Labels veröffentlicht, haben von ATP bis Expo alles gespielt. Da würde ich mir einen gewissen Vertrauensvorschuss wünschen. Mehr als irgendein Kümmern.

Denkst Du, dass das Verhältnis zwischen Labels und Künstlern schlechter geworden ist?

Nein, die Labels werden überrannt, können nur einen Bruchteil dessen herausbringen, was sie wollen. Und Geld lässt sich sowieso keines mehr verdienen. Die Gegenperspektive zu der eben Geschilderten ist mir also durchaus bewusst. Trotzdem…

Welchen Stellenwert nimmt Trapist in Deinem Oevre ein? Kann man das definieren?
Dieser ist von den Releases der letzten Zeit der mir persönlich wichtigste. Das ist definitiv.

Vielen Dank für das Gespräch.

Am 6. Oktober wird Trapists neues Album „The Golden Years“ beim Musikprotokoll des steirischen Herbstes offiziell präsentiert. Weitere Live-Daten (unter anderem ein Support Auftritt für Godspeed You Black Emperor in der Arena) folgen.

Fotos Trapist: Maria Ziegelböck

 

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