mica-Interview mit Markus Hinterhäuser

“Was man liebt, zur Freundschaft bieten” – Markus Hinterhäuser, seines Zeichens Konzertchef der Salzburger Festspiele, über Ernsthaftigkeit, antiakademische Komponisten und die Störung der Salzburger Totenruhe. Das Interview mit Markus Deisenberger.

Wie kaum ein anderer verkörperst Du den musikalischen Aufbruch, die kulturelle Veränderung in dieser Stadt. Wie, meinst Du, kommt es dazu?
Das ist eine Frage der Eigen- und Fremdwahrnehmung. Es gibt eine Art und Weise, wie man wahrgenommen wird und wie man sich selbst wahrnimmt. In meiner Eigenwahrnehmung bin ich sicher nicht auf dem Standpunkt, dass ich einen besonderen Aufbruch verkörpere. Da gibt es keinen Aufbruch. Was mich interessiert, versuche ich zu machen, habe aber keine Strategie dabei. Ich bin in meinem Selbstverständnis nicht so angesiedelt, dass ich einen Aufbruch oder eine totale Veränderung für mich in Anspruch nehmen würde. Vielleicht gibt es eine größere Hingabe als üblich, das mag sein. Meine Aufgabe ist ja keine Management-Aufgabe, sondern eine künstlerische. Wenn man aber Dinge als eine künstlerische Aufgabe wahrnimmt, dann gibt es eine intensivere Art, diese Inhalte zu transportieren und zu kommunizieren. Vielleicht entsteht dadurch ein wie immer gearteter Unterschied zu dem, was vorher war. Dass ich aus meinem eigenen Leben ein verstärktes Interesse an Neuer Musik und bestimmte Zusammenhängen und auch die Möglichkeit habe, diese Zusammenhänge darzustellen und so anzubieten, dass die Leute das auch für sich in Anspruch nehmen wollen, ist eine andere Geschichte.

Morton Feldman hat einmal gesagt: ich verlasse den Konzertsaal, wenn ich mit dem Fuß zu Wippen beginne.
Dann müsste man ziemlich oft den Konzertsaal verlassen. Ich weiß nicht, ob Feldman seine Musik oder generell Musik damit gemeint hat. Tatsächlich könnte er gemeint haben, dass der Musikbetrieb durchaus ständigen Wiederholungszwängen ausgeliefert ist. Als Konsument ist man daher ständig Situation unterworfen, die man so schon oft gehört hat. Das kann einen in eine gewisse Unruhe versetzen. In dem Moment aber, in dem das Publikum ernst genommen wird, dh mit etwas konfrontiert wird, das ernst gemeint ist, in dem Moment passiert das ja gerade nicht.

Könnte damit nicht auch eine der Neuen Musik inhärente Panik vor Rhythmik, Panik vor Mustern, die sich wiederholen, gemeint sein?
Nein, das glaube ich nicht.

Du hast eben die Ernsthaftigkeit angesprochen, die dem Publikum entgegen gebracht wird. In Deiner Arbeit geht es ganz zentral um Hörerlebnisse, um die Schaffung besonderer Hörsituationen, in denen ein an sich heterogenes Publikum durch eine Besonderheit, die sich nur im Hier und Jetzt ereignet, zu einer Homogenität verschmilzt. Würdest Du retrospektiv sagen, Du warst dabei erfolgreich?
Schwer zu sagen. Ich habe erst eine Saison hinter mir. In der Außenwahrnehmung war es wohl sehr erfolgreich. Da mag jetzt komisch klingen, aber in meiner eigenen Wahrnehmung entwickle ich nicht so ein Gefühl dafür, ob etwas erfolgreich war oder nicht. Ich entwickle eher ein Gefühl dafür, ob etwas in dem, wie ich es mir vorgestellt habe, aufgegangen ist oder nicht. Das ist ein Unterschied zu einer Bewertung, die mit Erfolg und positiver Kritik zu tun hat. Über positive Kritik freue ich mich zwar, aber ich besitze nicht die Fähigkeit, ein großes Gefühl dafür zu entwickeln. Ein Gefühl kann ich nur dann entwickeln, wenn ich sehe, dass etwas entstanden ist, das in etwa dem entspricht, was ich mir gewünscht habe.

Was war bei den “Kontinenten” der spezielle Wunsch?
Ich wünsche mir bei allem etwas. Das Wünschen ist bei weitem nicht nur auf Neue Musik bezogen. Es gibt ja auch das Neue im Alten. Auch Musik von Schumann, Schubert, Mozart und Haydn bedeutet nicht Stillstand, sondern geht in der Entwicklung, in der Rezeption der Musik immer weiter. Da fühle ich mich genauso wohl. Das sind alles Prozesse, die weitergehen. Sowohl die Interpretationsmöglichkeiten als auch die Qualität kann sich verändern. In den von Dir angesprochenen Kontinenten, bei denen Musik im Zentrum steht, die man immer noch als “neu” auffasst, ist das natürlich schwerer zu vermitteln, weil es immer noch eine große Barriere für viele Menschen gibt, sich dem auszusetzen. Das hat natürlich Gründe. Aber ich bin auch gar nicht dazu da, musikwissenschaftliche Kurse zu halten, sondern biete etwas an und stelle dem, was ich anbiete, etwas Begleitendes bei – sicher nicht im Sinne eines musikwissenschaftlichen Diskurses.

Aber das, was Du beistellst, soll den Zugang erleichtern.
Ja, sicher. Aber ich kann das auf einen sehr einfachen Punkt bringen. Egal ob es nun Monteverdi, Schubert oder Boulez ist: Es gibt einen einzigen Grund, weshalb Musik geschrieben wird: Musik will sich mitteilen. Es gilt daher eine Konstellation zu schaffen, in der sich Musik ideal mitteilen lässt. Das hat mit den Räumen, den Interpreten, der Programmzusammenstellung und – das klingt auf Anhieb vielleicht ein wenig eigenartig – mit der Ernsthaftigkeit zu tun, mit der man die Sache betreibt. Ernsthaftigkeit bedeutet allerdings nicht, dass man statistisch einen bestimmten Prozentsatz einer bestimmten Richtung, eines bestimmten Genres in einem Programm repräsentiert wissen will. Das alles interessiert mich überhaupt nicht. Es geht vielmehr darum, mit dem, was man macht, etwas zu erzählen, eine Mitteilung zu machen. Jeder, der etwas schreibt, ob Worte oder Töne, teilt etwas mit. Und diese Mitteilung muss man erkennen. Wenn man die Nachrichten erkennen kann, die in den Werken und Aussagen verborgen liegen, kann man sie vielleicht auch so positionieren, dass sie für den Hörer nachvollziehbar werden.

Scelsi, Sciarrino. Welche Kriterien sind ausschlaggebend für die Wahl der Komponisten, die in den Kontinenten besonders gewürdigt werden? Was bewegte dich zu sagen: Der ist es. Den müssen wir uns genau ansehen bzw. anhören?
Das hat natürlich schon mit persönlichen Vorlieben zu tun. Nur, was man besonders liebt, kann man auch besonders mitteilen.

Du hast einmal gemeint, die genannten Komponisten seien “antiakademisch”, was eine gewisse Faszination für Autodidakten und Unangepasste erkennen lässt.
Stimmt. Dass es Komponisten sind, die allesamt in keine akademische Schublade passen, spielt sicher eine Rolle. Da gibt es eine Fülle an interessanten Fällen in der Musikgeschichte. Die interessantesten sind mE die, die nicht unbedingt deshalb schreiben, weil sie in einem akademischen Sinn zu schreiben haben, weil sie so und so viele Aufträge bekommen, sondern ein anderer Wille dahinter steht. Das offenbart sich besonders gut bei Scelsi. Scelsi ist Planeten weit davon entfernt, was man einen akademischen Komponisten nennen könnte. Das hat mich stark fasziniert. Das hat aber auch immer mit dem Grundthema der Festspiele zu tun und wird sich auch ändern. Im Grunde genommen sind mir die Künstler am sympathischsten, bei denen eine andere Dynamik erkennbar ist, die andere Kanäle haben und für sich andere Kriterien in Anspruch nehmen, um sich mitzuteilen, nicht so sehr die akademische Schulung, was nicht heißen soll, dass die einen schlechter sind und die anderen besser wären.

Du hast den Begriff Schublade gebraucht. Der Begriff der Avantgarde ist ein wenig zu einer solchen verkommen. Was tun, um diese Schublade wieder interessant zu machen? Ist das ein Kraftakt oder ergibt sich das durch die Beschäftigung wie von selbst?
Es klingt vielleicht unglaubwürdig, aber ich habe keine Strategien dafür. Beim Zeitfluss-Festival, das ich gemeinsam mit Tomas Zierhofer-Kin veranstaltete und das nun auch wieder eine Weile zurück liegt, hatten wir überhaupt keine Kriterien. Dort haben wir vor allen Dingen Stücke programmiert, die für uns selbst interessant waren. Die Grundidee war also erst einmal, ein Festival mit Dingen zu veranstalten, die wir hören wollen und sonst nirgends zu hören bekamen. Vielleicht ist das der beste Ansatzpunkt. Wenn wir Lust hatten, einen Chor schreiender Mä

 

In unserem letzten Gespräch hast Du gemeint, die Festspiele seien “durchlässiger” geworden. Was genau meinst Du damit?
Dass im Vergleich zu früher eine ungemein größere Zahl an Veranstaltungen und künstlerischen Sprachen Platz findet. Von Klassik mit den Philharmonikern über Neue Musik, experimenteller Musik bis hin zum Young Directors Project, das junge Regisseuren eine Plattform bietet, hast du hier eine riesige Bandbreite, die mit einem immens hohen Kartenangebot korreliert. In fünf Wochen werden 240.000 Karten angeboten – das ist fast eine Viertel Million Karten – und zeigt ganz gut die Bandbreite an Interessen, die man berücksichtigen, wenn nicht abdecken sollte. Das ist doch etwas ganz anderes als früher.

Das heißt, auch das Selbstverständnis der Festspiele hat sich verändert?
Das Selbstverständnis der Festspiele hat sich sehr stark in der Zeit, als wir Zeitfluss machten, verändert. Das war das Postulieren der Nach-Karajan-Zeit. Da haben sich die Festspiele unter Mortier und Landesmann neu definiert. Da wurden neue Spielstätte etabliert und neue Regisseure geholt. Da hat sich sehr vieles verändert. Ob es sich seit dieser Zeit bis heute wesentlich geändert hat, bezweifle ich. Die wirkliche Neudefinition fand in den Jahre 91 bis 95 statt. Da kam etwas in Bewegung und da musste auch etwas in Bewegung kommen, weil es schon sehr erstarrt war.

Empfindest Du es heute als erstarrt?
Nein, gar nicht. Die diesbezügliche Frage kann aber auch nicht lauten, ob man einen Schritt zurückgehen, sondern wie viele man nach vorne tun kann. 

Wie viel Veränderung verträgt eine Stadt wie Salzburg?
Das ist nicht die Frage. Die Frage ist, wie viel Veränderung die Salzburger Festspiele vertragen. Denn man kann es drehen und wenden wie man will: Die Festspiele werden zu einem ganz beträchtlichen Prozentsatz von Nicht-Salzburgern besucht. Das ist ein Publikum, das in Strömen aus aller Herren Ländern in die Stadt fließt. Das Salzburger Publikum ist überschaubar, was logisch ist, weil die Stadt einfach sehr klein und von der Einwohnerzahl überschaubar ist. Und dann findet Sommer für Sommer diese Riesenangelegenheit statt und lässt sie für fünf Wochen explodieren.

Aber der Anteil an Leuten, die sich sogar über geschenkte Kunst ereifern ohne sie je richtig verstanden zu haben und ohne sie verstehen zu wollen, ist doch unglaublich hoch hier?
Über was ereifern sich die? Über Kunst im öffentlichen Raum. Doch wohl nicht über Kunst hinter verschlossenen Türen.

Im Falle der Fledermaus auch über die.
Weil das so eine Ikone der österreichischen Identität ist. Das, worüber sich die Leute aber üblicherweise ereifern ist das, was sie unmittelbar vor sich sehen. Das ist jetzt ein anderes großes Thema: Viele Leute sind einfach glücklich, wenn sie in einem große Freilichtmuseum, in einer großen Kurzone leben und mit nichts konfrontiert werden, was verstörend sein könnte. Etwas wie Kontrakom kommt da ungelegen. Auch wenn der kleine Hubschrauber ja doch eigentlich null war.

Vor allem wurde er ja ohnedies ins Eck verfrachtet…
Das kommt dazu. Worum es aber wirklich geht ist, wie aufgeschlossen und dynamisch eine Stadt im Verhältnis zur Schönheit und ihrem historischen Wert ist. Wie sie sich heute trotz oder wegen ihrer historisch gewachsenen Situation, die ein unglaublicher Magnet für die ganze Welt ist, äußert. Definiert sich das alles in Rückschritt oder kann sich eine solche Stadt noch – jetzt einmal abgesehen von verordneten Innenstadt-Events – öffnen? Die Stadt lebt ja nicht durch am Wochenende stattfindende Autorennen oder Beachvolleyball-Turniere. Die rituell synthetisch verordneten Belebungen sind doch die eigentlich Fehlgeburten dieser Stadt. Wenn ich um halb neun vom Festspielhaus zum Kapitelplatz gehe, finde ich dort keine Menschenseele. Wenn andererseits das Triangel im Sommer um zwölf Uhr zuzusperren hat, weil sich irgendjemand, der in der Sigmund Hafnergasse wohnt, in seiner Ruhe gestört fühlt, kann ich mich nur wundern. Zumal man die Sommertage, an denen Künstler auf Publikum treffen, draußen sitzen und sich austauschen können, ohnedies an einer Hand abzählen kann.

Sind nicht letztlich Leute wie Netrebko, Dasch und Schäfer, die dort nach zehn noch feiern wollen, Störenfriede der Salzburger Totenruhe?
Im Grunde genommen ist das so. Die Leute die wir einladen, hierher zu kommen, und dann dort sitzen und darüber reden wollen, was sie gesehen und was sie nicht gesehen haben – ob Künstler oder Publikum – das alles wird um zwölf zugeklappt. Da hat es wieder still zu sein. Da kann man dann rein gehen. Alles war drinnen ist, stört nicht. Alles was draußen ist stört.

Einer deiner von den Medien geprägten Beinamen war “Moderator des Unbequemen”. Genießt man solch ein Label, ist einem das egal oder empfindet man das letztlich sogar lächerlich?
Weder das eine noch das andere. Ich würde das nicht überbewerten, das liegt in der Natur der Sache, wenn man einen Job hat, in dem man sich äußert und öffentlich ist. Alles, was öffentlich ist, unterliegt einer Beurteilung. Das kann jetzt ein schmückender Beiname sein wie in diesem Fall oder auch etwas Abschätziges. Dass man das Unbequeme moderieren kann, ist ja nicht einmal das Schlechteste, das über einen gesagt werden kann. Moderieren heißt ja eigentlich, dass man es zugänglich macht. Es gibt unbequeme Musik, die ihre Bedeutung hat und der man helfen muss, ihren Platz zu finden. Wenn man das vermitteln kann, ist das OK, aber ich halte mich nicht so sehr damit auf.

Die Festspiele haben sich verändert, sind nahbarer geworden, decken heute ein riesiges Spektrum an unterschiedlichsten Kunstformen und Genres ab, werden von einer überschaubaren Zahl an Salzburgern wahrgenommen. Der Rest wird hierher geschleust…
Geschleust werden sie nicht. Die kommen schon von alleine. Das Angebot kann jeder für sich in Anspruch nehmen. Ich weigere mich, gewissen Klischees hinterher zu laufen. Die Festspiele sind vielleicht teuer, aber nicht so teuer, dass sie sich nicht jeder leisten könnte. Du kannst in jedes Konzert im Mozarteum für 8 bis 10 Euro gehen. Du kannst auch für 20 Euro Karten im Festspielhaus bekommen. Natürlich gibt es auch wahnsinnig teure Karten und das ist auch OK so, denn sie sind ja auch nicht aus Willkür so teuer. Wir bieten etwas an und dieses Angebot kann jeder hier annehmen, wenn er nur will. Ich bin ja auch nicht als Türsteher engagiert. Ich beurteile die Leute nicht. Jeder kann kommen und jeder ist willkommen. Natürlich gibt es Konzerte, die haben ein interessanteres Publikum und solche, die das nicht in diesem Ausmaß für sich beanspruchen. Aber eine Beurteilung steht mir als jemandem, der mitverantwortlich für das Angebot ist, nicht zu. Diese Stadt definiert sich zu einem hohen Maße durch die Salzburger Festspiele. Bei vielen Leuten ist noch das Gefühl vorherrschend, sie könnten nicht wirklich daran teilhaben – ein Gefühl, das ich mit meinem Wirken massiv abzubauen versuche. Dieses Gefühl soll und darf nicht bestehen.

Ich wollte dieses Klischee auch gar nicht bedienen, sondern diese eigenartige Wertigkeit, die Du anhand des Triangel-Beispieles angesprochen hast, vertiefen. Die Festspiele locken sehr viel Geld in diese Stadt, manchmal werden deren Stars und Besucher aber so behandelt, als seien sie bloß geduldet.
Merkwürdig ist vor allem, dass viele Leute sehr viel Geld mit den Festspielen verdienen, ohne etwas mit ihnen zu tun haben, sich sozusagen dranhängen. Jemand, der eine Antiquitätenmesse veranstaltet, wird sie wohl kaum im November ausrichten, sondern dann, wenn das viel kritisierte Publikum der Festspiele, wenn das Geld da ist. Mit

 

Hat sich das Klischee des unnahbaren Konstrukts verbessert?
Das glaube ich schon. Wir tun ja auch viel, damit sich das verbessert. Ich persönlich bin ja auch nicht wirklich jemand, der unnahbar ist. Der Jürgen Flimm genauso wenig. In der Art und Weise, wie man mit dem Publikum umgeht, wie man Dinge in Programmen und Pressekonferenzen vermittelt, hat sich vieles verändert. Als ich noch in Salzburg studierte, war das wie der Kreml hier. Da kam man überhaupt nicht hinein. Nicht zuletzt durch Zeitfluss und Kontinente hat sich eine neue Preisgestaltung etabliert. Aber es ist doch so: Vor nicht allzu langer Zeit spielte Nick Cave in Wien, da haben die Karten zwischen 80 und 120 Euro gekostet und das Konzert war total ausverkauft. Madonna und Bruce Springsteen kosten 160 Euro und die Karten gehen wie nichts weg. Bei Bob Dylan werden, egal was er kostet, 3.000 Leute dort sein.

Ich weiß, dass die Festspiele teure Karten haben und es ist OK. Es ist ja auch nicht schwer, die teuren und die ganz billigen Karte zu verkaufen, Schwer ist es, die mittlere Kategorie an den Mann zu bringen. Und der Gerechtigkeit halber muss man sagen, dass die Festspiele ein produzierendes Festival sind. Wir produzieren vier bis fünf Opern, produzieren Schauspiel, haben die Wiener Philharmoniker als Residenzorchester hier und das kostet einfach sehr, sehr viel Geld, das man irgendwo wieder rein bekommen muss. 77% davon spielen wir selbst wieder en. Das ist wahnsinnig viel. Da muss man die Parameter richtig sehen. Alleine vier bis fünf Opern jährlich zu machen, kostet unfassbar viel Geld. Und das gibt es nirgendwo anders auf der Welt – ein Festspiel dieser Größe, das Oper, Schauspiel und Konzert in dieser Qualität anbietet.

Und das ist in dieser Form erhaltenswert?
Ich hoffe doch.

Den Geist, den Daniel Barenboim mit seinem überaus erfolgreichen westöstlichen Diwan nach Salzburg brachte, wird heuer das Bolivar Youth Orchestra fortführen. Ist das nicht eine riesige Chance, dass politische Botschaften Eingang in die musikalische Rezeption finden?
Wenn das von der Politik als Riesenchance gesehen würde, wenn ein Bewusstsein dafür entstehen würde, was man da alles machen kann, wäre das sehr schön. Das Bolivar Youth Orchestra und die ganze Bewegung, die ja viel weiter geht als es der reine Orchesterbetrieb vermuten ließe, wurden vom Wirtschaftsprofessor José Antonio Abreu ins Leben gerufen, der auch Träger des alternativen Nobelpreises ist.

Neulich war in der Zeitung zu lesen, dass über 1.000 Kinder darauf warten, im Musikum aufgenommen zu werden, weil es kein Geld, keine Lehrer und keine freien Stellen gibt, die man bezahlen könnte. Das Bedürfnis scheint also da zu sein, nur die Möglichkeiten sind nicht da, weil sie vielleicht auch gar nicht mehr als so wesentlich angesehen werden. In einem Land wie Venezuela, in dem es so etwas wie die Festspiele, die Staatsoper, das Burgtheater oder andere identitätsstiftenden Hochtempel und Strukturen nicht gibt, gelingt es jemandem wie Abreu, 250.000 Kinder mit Musikunterricht, Instrumenten und Orchesterspiel zu versorgen.

Das also, was eine selbst ernannte Kulturnation wie Österreich längst nicht mehr schafft, ist woanders möglich. Wir haben uns wirklich zu fragen, was es bedeutet, dass etwas Derartiges hier nicht mehr in Anspruch genommen wird, sondern man sich darauf verlässt, dass es da ohnedies die großen Dampfer gibt, die Kultur in die Welt hinaus transportieren. Wir haben uns zu fragen, ob das ausreicht oder wir nicht Gefahr laufen, einen Riesenteil unserer Identität aufzugeben. Ich hoffe und ich wünsche mir, dass die Präsenz eines solchen Orchesters, eines solchen Organismus auch zum Nachdenken über unsere Situation anregt. Ich bin zwar nicht wahnsinnig optimistisch, aber wenn man´s nicht versuchen würde, wäre es noch schlimmer.

Ist diese Situation nicht umso skurriler, als Österreich die Unesco-Konvention, die das Recht auf Musik vorsieht, ratifiziert hat?
Österreich hat auch das Kyoto-Abkommen zum Klimaschutz ratifiziert. Ratifizieren kann man schnell einmal etwas. Es wird aber einfach nichts mehr getan. Das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen.

Neulich wurde eine parlamentarische Enquete zum Thema Zukunftsmusik abgehalten. Wenn Du eine Forderung formulieren könntest, was hättest Du dort sagen?
Ich bin nicht gut in diesen Dingen. Im Verlesen von Manifesten meine ich. Ich kann nur versuchen in dem, was ich mache und durch das, was ich mache, etwas auszudrücken. Wenn es möglich ist, dass von so luxuriös ausgestatteten Festivals wie den Salzburger Festspielen Projekte wie der westöstliche Diwan oder das Boivar Youth Orchestra mitgetragen, mitgestützt werden, damit man das wahrnimmt und sieht, es gibt starke Akzente und starken Willen in diesen Dingen und nicht nur lasche Politik, die es schleifen läst, weil andere Dinge derzeit vermeintlich wichtiger sind, ist das ein Anfang. Wir müssen wissen, dass Kultur, was immer das heißt, Teil unserer Identität ist, und wir sollten vor allem, was Kinder anbelangt, beträchtlich sorgsamer damit umgehen und mit allen Mitteln danach trachten dass sie ihr Grundnahrungsmittel bekommen. Und diese Modelle zeigen, dass das möglich ist. Und nicht nur das: Es hat auch schöne Auswirkungen, aufeinander zu hören. Das ist nicht irgendetwas, wenn ein paar Leute zusammen sind und aufeinander hören müssen, sondern ein starker Prozess, der die soziale Sensibilisierung fördert und viele weitere Konsequenzen nach sich zieht.

 

 

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