mica Interview mit Marino Formenti

Der in Italien geborene Pianist und Dirigent Marino Formenti gilt als einer der interessantesten Interpreten seiner Zeit. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf zeitgenössischer Musik, geprägt von der Zusammenarbeit mit Komponisten wie Helmut Lachenmann, Salvatore Sciarrino und Beat Furrer. Er ist bekannt für seine ungewöhnlichen Projekte und Programmierungen. Formenti war lange Jahre Solo-Pianist im Klangforum Wien. Heute, 28.5., hat er im Musikverein für einen von ihm mit Studenten der Konservatorium Wien Privatuniversität gestalteten Abend eine „Carte blanche“. Das folgende Gespräch mit ihm führte Heinz Rögl im mondänen, aber gemütlichen Foyer des Hotel Intercont (das Café Heumarkt war zu).

HR: Lieber Marino Formenti, du bist nunmehr alleiniger Solist…

Marino Formenti: …und Dirigent …

… und warst für lange Jahre der Solo-Pianist des Klangforum Wien. Die suchen jetzt immer noch nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger. Du warst eine große Stütze des Ensembles, hast dich aber auch Soloprojekten gewidmet – ich kann mich persönlich an ein Gespräch mit dir irgendwann erinnern, wo du mich fragtest, ob ich Mitsuko Uchida kenne, ich sagte ja, die habe ich kürzlich interviewt. In der Zwischenzeit hast du – sogar auch in Amerika wo du in einer Kritik mit Glenn Gould verglichen wurdest – eine Solo-Karriere gemacht. Mir ist dein Projekt „Kurtags Ghosts“ noch sehr gut im Gedächtnis und du hast jetzt im Musikverein bei den Festwochen eine „Carte blanche à Marino Formenti“. Was ist das, deine Carte blanche?

Das Konservatorium hat mich eingeladen, mit den Studierenden ein Projekt zu machen. Und Carte blanche heißt eben, dass ich eigentlich alles machen durfte was ich wollte. Das Konservatorium hat sich an mich aber auch gewandt, damit ich pädagogische Hilfestellung leiste. Wir haben daraufhin beschlossen, für dieses Semester eine Lehrveranstaltung zu halten, wo ich beide Ziele verfolgen soll, einerseits dieses Konzert in Zusammenarbeit mit den Festwochen-Konzerten im Musikverein zu gestalten, andererseits eben eine kleine Vorlesung zu halten. Ich habe das Thema unter „Wiener Klang im 20. Jahrhundert“ genommen. Ich bin jetzt seit fast zwanzig Jahren in dieser Stadt, bin Ende der achtziger Jahre nach Wien gekommen, habe etwas weniger als die biologische Hälfte meines Lebens in Wien verbracht, dadurch bin ich gewachsen. Ich  bin immer fast berührt, wenn man mich einen italo-österreichischen Künstler nennt. Weil mir natürlich diese Kultur sehr viel bedeutet. Wenn man sich im sogenannten ursprünglichen „Ausland“ befindet, gibt es einen Punkt, wo kein Ausland und kein Inland mehr ist. Ich habe jetzt in Italien wieder mehr zu tun und fühle mich dort genauso als In- als auch als Ausländer…

… im derzeitigen Italien vielleicht besonders? Als wir junge Studenten waren, wir waren verliebt in Italien … für mich war Italien in den siebziger Jahren – ich spreche jetzt für mich – das Land, auf das ich aufsah, auf seine politische Kultur, seine Öffentlichkeit, natürlich auch auf Musik oder Film …

Heute ist vieles in Italien leider befremdend: Der Schritt woanders hin ist getan worden. Ich mache mir natürlich Sorgen, wie jeder andere. Italien ist einen sehr weiten Schritt gegangen im europäischen Vergleich. Und hoffentlich nehmen sich die anderen Länder kein Beispiel daran.

Marino, die Anfänge deiner musikalischen Ausbildung waren in Italien?

Ich habe die ersten Diplome zwar in Italien gemacht, aber dann bin ich nach Wien gekommen mit dem primären Wunsch zu studieren. Ich habe Klavier mit Oleg Maisenberg und Dirigieren in Wien und Stuttgart studiert, Dirigieren
bei Lajovic gemacht. Es ist so, wie ich nach Wien kam, war die Mauer gerade gefallen und ich kann mich erinnern, ich wurde durch eine Freundin in Mailand – das war die Schwester des verstorbenen Dirigenten Carlos Kleiber – dem Dr. Schlee empfohlen. Und ich habe ihn befragt über hiesige Ensembles, die hier tätig sind und der hat gesagt, es gibt eines – das ist ein Geheimtip, weil es wenige Leute kennen  – das heißt „Klangforum“. Ich kann mich erinnern, sie haben im Schubert-Saal vor einem halbleeren Saal gespielt. Und irgendwie bin ich da eingestiegen und bald darauf ist Peter Oswald [als neuer künstlerischer Leiter des Klangforums Wien] dazugekommen.

Und es gab durch die Musikkuratoren die Aufwertung zum professionellen Solistenensemble, deren Mitglieder ausschließlich von dieser Tätigkeit leben sollten können. Allerdings ist es bis heute so, dass die weniger verdienen als ein Mitglied – sagen wir – des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters. Und einige wollen oder müssen auch nebenher als Solisten auftreten und machen Projekte … Zurück zum Konservatoriums-Projekt für die Festwochen …

Das Konservatorium ist jetzt eine Privatuniversität, die Diplome sind gleichberechtigt mit denen der Universität. Es hat einen künstlerischen Leiter –  Ranko Markovic – der wirklich sehr viele Impulse gesetzt hat, gute neue Lehrkräfte eingeladen hat und auch inhaltlich interessante Projekte macht. Es ist sehr engagiert dort. Da habe ich geschaut – die Institutionen in Wien sind ja sehr gediegen und manchmal auch ein bisschen konservativ, um nicht zu sagen ziemlich – ich wollte der Frage nachgehen, weil man immer wieder vom „Wiener Klang“ redet, ob es diesen Wiener Klang gibt. Ob es auch über die Genres und Instrumente hinaus einen gemeinsamen Nenner gibt.

Beim Klavier gab es zum Beispiel ja immer wieder die Frage „Steinway“ oder „Bösendorfer“, es gibt das Wiener Horn, die Wiener Oboe … aber es gibt auch den Unterscheid in der Akustik der Säle, etwa zwischen dem Großen Musikvereinssaal und dem Konzerthaus. Kurt Blaukopf hat etwa einmal gemeint, die Nachklangzeiten des Musikvereins hätten sich auf Symphonien Mahlers schlecht ausgewirkt (wiewohl ich den Musikvereinssaal und seine Akustik grundsätzlich sehr liebe) …

Akustik  ist natürlich auch wichtig in Bezug auf die Musik, die gespielt wird. Man hat ab den Siebzigern in Europa diese sehr klaren, „trockenen“ Räume gebaut, das hat mit Ästhetik zu tun. aber auch mit der Musik. Sehr komplexe Musik – Ferneyhough oder so – ist im Mozart-Saal nicht am idealsten. Da kann man sich als Interpret natürlich anpassen, auch als Publikum. Man gewöhnt sich leider an alles im Leben (lacht).

Aber der neuere „Gläserne Saal“ im Musikverein ist gar nicht schlecht …

… da habe ich noch keine Erfahrung als Interpret.

Irvine Arditti hat dort ein Solowerk für Violine von Stockhausen gespielt. Rene Clemencic eine seiner Opern.

Was mir sehr auffällt am Wien der Nachkriegsjahre ist, dass hier wirklich alle musikalischen Richtungen vertreten sind, sich hier widerspiegeln – die serielle Musik, die graphische Musik (Haubenstock und Logothetis), später die spektrale, die Mikrotonalität, selbst der Minimalismus und so weiter, manche früher als in Deutschland. Alle diese Richtungen sind hier auf spezifische Weise, manchmal sogar „eigenbrötlerische“ Art entwickelt und  verwirklicht. In Österreich, verglichen etwa mit Frankreich aber auch mit Deutschland, gibt es vielleicht weniger Schulen, mehr Individuen. Wenn man sich die Komponisten ab der Wiener Schule und auch früher anschaut,  alle sind sehr persönlich geprägt, selbst die gemeinsam eine Gruppe gebildet haben – wie Cerha, Schwertsik und Gruber,

… Ligeti, die sind jeder eigene Wege gegangen.

Hängt das mit historischen Gegebenheiten zusammen, mit der österreichischen Seele, das ist ja uninteressant. Wenn du heute schaust, zum Beispiel ein Komponist wie Georg Friedrich Haas – was ist das für eine Musik? Arbeitet er mit Wyschnegradsky-Akkorden, ist er mikrotonal, ist es Klangflächenkomposition, ist es Neo-Expressionismus? Oder Olga Neuwirth. Du kannst sie echt unmöglich einordnen. Also mache ich jetzt dieses Projekt: Unsere kleine Liebeserklärung an Wien. Die jungen Studenten sind alle sehr gut, ganz toll,  Einige machen schon richtig Karriere. Es sind gute Musiker, aber sie haben in mancher Beziehung noch nicht so viel Erfahrungen mit Neuer Musik, da hab ich ein bisschen eine Brücke geschlagen, das heißt, ich habe zum Beispiel im punkto Schwierigkeit einen Weg finden müssen, wie ich sie sowohl ästhetisch als auch technisch fordere aber nicht überfordere.

Welche Leute wirken mit, welche Instrumente?

Alle möglichen, einige Sänger auch …

Ich schaue im Programm nach.

Ja, aber wir ändern und feilen noch. Eigentlich geht es vom „Pierrot lunaire“ aus. Weil ich – auch pädagogisch – mit Schönberg beginnen will [Anm.: Vorankündigung Formenti – „Mit Wiener Brut meinen wir hier die Kinder, und die Kinder der Kinder, und die Kinder der Kinder der Kinder von Papa Schönberg.“]. Weil viele Leute wissen immer noch nicht, dass Schönberg kein Terrorist war, sondern ein Musiker, ein echter Komponist. Ausgehend von wenigen „Pierrot“ – Liedern dachten wir an eine ziemlich bunte Palette, die von Schwertsik und Cerha bis Klaus und Bernhard Lang geht.

Wie lange wird das dauern, länger?

Nein. Das ist ein normales Konzert, zwei Stunden oder vielleicht etwas kürzer. In der Mitte gibt es eine Installation, die „Wiener Flut“ heißt. Das Projekt heißt ja „Wiener Brut“. Wir wollten die Studenten auch mit Konzepten, Aufnahmen und so weiter auseinandersetzen – gemeinsam mit Peter Böhm, der auch am Haus irgendwie gebunden ist, und vor allem gemeinsam mit den jungen Künstlern haben wir eine Installation versucht zu realisieren. Es ist ein richtiges „work in progress“, ich zittere auch ein wenig. Weil … das sind junge Musiker, aber es ist lustig, es gibt Sachen – zum Beispiel Bernhard Lang, der sehr, sehr schwierig ist mit ganz komplexen Rhythmen, etwa Septolen im Dreivierteltakt oder so … da haben wir selber früher manchmal Monate gebraucht und uns sehr geplagt um sie spielen zu können. Und die sind teilweise schneller als ich und meine Kollegen im Klangforum waren. Aber es ist manchmal schwer, eine wunderschöne lange Legatolinie zu verlangen, die nicht abbricht, oder eine Melancholie im Klang und solche Sachen. Diese technischen, rhythmischen, schnellen Sachen sind sofort da, das andere – das muss manchmal noch „geweckt“ werden sozusagen.

Spielst du auch?

Ich werde dirigieren, ich spiele nicht. Klar, es wäre möglich gewesen, aber jetzt haben wir schon viele Stücke. Und das geht nicht, das würde zuviel.
Ich habe dich als Dirigent der Prokofjew-Oper „Engel aus Feuer“ mit dem Ensemble_on_line (phace) im Odeon sehr gut in Erinnerung.
Danke. Gestern war die letzte Vorstellung.

War es immer gut besucht? Es waren ja immerhin neun Vorstellungen!

Ganz, ganz voll. Bei den letzten zwei, drei Malen hat man Leute nach Hause schicken müssen.

Tolle Sänger…

… wir haben uns auch sehr bemüht bei der Suche. Die beiden Hauptrollen sind sehr schwer, besonders die Elena. Eine Off-Produktion … wir haben zwei Monate gebraucht, waren sehr dran. Aber wird sind sehr froh, dass wir es so geschafft haben. Auch die Bearbeitung [Anm.: Wolfgang Suppan] ist sehr gut.

Lieber Marino, du bist jetzt wirklich nicht nur in Österreich, sondern sogar in den USA ein sehr geachteter Pianist, hast in Witten wunderbar Cerha gespielt, zusammen mit Ernst Kovacic auch die „Deux éclats en reflexion“ (1956)  – wohl auch ein Schlüsselstück der Neuen Musik mittlerweile.  

Und bahnbrechend. Auch für György Ligeti. Friedrich Cerha hat mir auch erzählt, wie das war.

[hr erzählt von der Ligeti-Geburtstagswidmung zu Cerhas 70. Geburtstag in der ÖMZ 1986 (zitiert im Vorspann des mica-Interviews mit Cerha), da geht es um den Vergleich der gleichzeitigen Entstehung der „Spiegel“ und der orchestralen Stücke Ligetis dieser Zeit]

Aber bei den „Spiegeln“ selbst entdeckt man große Unterschiede und eine ganz andere Aussage als in den Ligeti-Stücken. Was mich immer sehr interessiert. Auch an der „Netzwerk-Phantasie“ oder den letzten Stücken Cerhas – das ist dieser Umgang mit der Zeit.

Es gibt – gute – jüngere Komponisten, die manchmal Stücke komponieren, die dann irgendwie zu lang sind und ‚langweilig’ werden. Und bei einem großen, langen Feldman-Stück wiederum kann man hingegen stundenlang zuhören …

Zum Dirigieren – es wird jetzt immer mehr, und ich will das auch mehr und mehr machen, es ist eine Entdeckung für mich. Klavier spielen und Dirigieren sind zwei völlig verschiedene Arten des Musikmachens, die aber nicht so unterschiedlich sind, dass sie in Konkurrenz untereinander stehen, außer eine rein technische und praktische Frage – wie teile ich mir die Zeit ein, um genug zum Üben zu kommen.

Du bist ja auch einer, der sich ungemein viel Zeit nimmt um ein gutes Solo-Programm zusammenzustellen und zu erarbeiten. Ich denke da vor allem an „Kurtags Ghosts“ wo du dessen aphoristische Stücke über die Musik aller möglichen Komponisten mit dem konfrontiertest, woran Kurtag deiner Vermutung oder Recherche nach gedacht hat – ich hörte, dass du alle 200 Scarlatti-Sonaten genau durchsahst und dann zu dem Ergebnis kamst, der beste Scarlatti wurde von György Kurtag komponiert.

Ja, weißt du, ich kann es mir persönlich heutzutage anders gar nicht vorstellen. Wir, stehen an einem Punkt, wo Kultur unheimlich teuer geworden ist. Alle Staaten stehen in der Krise. Es wird wahrscheinlich nicht mehr Subventionen geben als jetzt. Man hat zwei Möglichkeiten: Besinnung oder Zirkus. Es gibt diese tollen Interviews mit Pianisten ab den siebziger Jahren, die eine Universität in Amerika in zwei Bänden machte. Mit Pianisten, die auch mich besonders interessieren. Die was „drauf“ haben, die haben immer alle gesagt, wir haben andere, tiefer gehende Programme als die Generation vor uns. Die nächste Generation wird wiederum bessere Programme machen als wir. Und was ich sehe, ist teilweise gerade ein Rückgang in der Programmierung.

Man braucht nur in Wien bleiben. Am Beginn von Wien modern vor zwanzig Jahren gab es immer eine szenische Produktion einer Oper. Und ein Dramaturg wie Christoph Becher der hat gesagt, lieber HK Gruber komm’, wir machen – sogar bei den „Hörgängen“ (!)  – die Oper „Gloria von Jaxtberg“ szenisch … Das hat er auch finanziert. Heute ist das schwer möglich. Wo ist heute der „generator“, wo werden junge Komponisten aufgeführt? Wann erlebt man Georg Haas’ großartige Oper „Melancholia“ in Wien, auch in einer Neuinszenierung? In einem großen Haus, im Theater an der Wien …

Andererseits gibt es schon auch so viele gute Sachen in Wien. Vor allem ein gutes Publikum. Es sind sehr viele Leute, die sich für Neues interessieren, die neugierig und sehr begeisterungsfähig sind. Und das ist wirklich toll hier. Weil du von Becher gesprochen hast: In Hamburg mache ich mein nächstes Programm. Das heißt  „Liszt Inspections“, das ist ein Versuch, die Figur von Liszt, vor allem mit seinen späten Werken, zu betrachten. Auch mit den vielen ganz unterschiedlichen Anstößen, die er der modernen Musik gegeben hat. Und zwar nicht nur die Atonalität – das ist bekannt, er hat ja, wie man sagt, das erste atonale Stück geschrieben. Sondern auch die Raum-Musik, auch die entwicklungslose Musik, eine Art Konzeptkunst sogar, auch Minimalismus, er hat zwei, drei fast schon minimalistische Stücke komponiert. Ich mache das, weil es mich sehr interessiert – ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass ein Recital oder auch ein Orchester- oder Ensembleabend als Kraut- und Rüben-Zusammenstellung, als Aneinanderreihung  von mehr oder weniger zueinander passenden oder nicht passenden Stücken gestaltet werden kann. Ich glaube, ein Abend soll auch eine eigene Dichte haben …

Eine Botschaft.

Ja. Aber eine vielfältige eben. Es ist auch wichtig, dass die Stücke die man hört an einem Abend, sich gegenseitig helfen und nicht erschlagen. Das ist so wie Essen gehen. Du kannst nicht alles, irgendwie will man die Speisen auf eine sinnvolle Weise kombinieren, auch mit den Weinen … Ich bin nicht der einzige der so denkt, aber ich will das konsequent machen.

Wenn man an die „Wiener Festwochen“ heuer denkt – die haben tolle Produktionen im Schauspiel vor allem (!), in der Musik – natürlich, wir haben „Wozzeck“ und „Lulu“ und ein „Fest für Alban Berg“. Im Schauspiel wurden alle möglichen Gruppen aus Krakau u. a. geladen, wir haben zwei Jelinek-Stücke, wir hatten Robert Lepage („Lipsynch“)  mit einem wunderbaren Abend von 10 Stunden Dauer, eine packende „Familiensaga“, die mit Musik des Komponisten von Gorecki beginnt und endet. Die Zeit ist lang, aber es ist nie langweilig.

Das ist etwas, das mich interessiert, diese Idee … ich werde für den steirischen herbst neun Tage lang spielen, das Projekt heißt „Nowhere“, ich spiele im Stadtmuseum und dann im Schaufenster versuche, die Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen wegzujagen, zu sprengen. Wenn man Musik macht, der Alfred Brendel zum Beispiel, der im Großen und Ganzen ein völlig anderes musikalisches Repertoire geliefert hat – ich spiele aber nächste Woche auch Beethoven 111, hab ich heute geübt, und dann Liszt – der sagte einmal scherzhaft, das Konzert sei die unangenehme Begleiterscheinung eines Musikerleben. Was ich damit sagen will ist, wenn du sechs Stunden übst oder mehr oder weniger dein ganzes, auch privates Leben mit Musik verbringst, ist die Zeit, die du auf der Bühne verbringst, verhältnismäßig klein. Das eigentliche Leben – Selma Lagerlöf meinte, man ist immer auf der Bühne – spielt sich im Leben ab. Und deswegen möchte ich das probieren. Einmal habe ich im Konzerthaus mit Christou ein Projekt gemacht – denn Christou hat wie Cage versucht diese Grenze zu sprengen. Ich habe mich praktisch bei so Übungen zwei Wochen lang gefilmt. Der Musik kannst du nur im Leben nachforschen, das ist die Idee. Das eine musst du technisch lernen, das andere ist es, den Sinn zu suchen. Auch bei Wien Modern mache ich heuer so etwas, ich fange an bei Sonnenuntergang oder höre auf bei Sonnenaufgang. Die Form des Konzertes läuft  wie ich heute glaube mittlerweile oft automatisch wie alles im Leben …

Ja wahnsinnig. Es ist ein Mechanismus, auch bei einem sehr guten Konzert denkst du unwillkürlich beim Zuhören, wo geh ich denn dann auf ein Bier oder so.

Ja genau.

Das ist natürlich schlecht für die Aufnahmefähigkeit beim Hören, ich soll mich doch konzentrieren auf das was ich höre. .

Die Verlängerung  der Erfahrung ist schon auch wichtig. Ich mache auch so Partys. Du kennst ja das „Symposion“ vom Klangforum. Das ist für mich ein bisschen zu viel Betonung auf Trinken, nicht weil ich etwas gegen Rausch habe, überhaupt nicht. Aber die Idee, dass etwas auf Stunden ausgedehnt wird, dass man – auch über den Wein – in Kontakt kommt, mit der Musik und mit den anderen.

Aber die Musiker trinken beim „Symposion“ nichts!

Na ja, du bist ja selber Musiker …

… Hobbymusiker. Ich habe bereits zwei Orchester in meinem Leben verbraucht, bei denen ich heute nicht mehr spielen will, ich hatte Meinungsverschiedenheiten  – das war das Musikvereinsorchester, da war ich sogar „Violindirektor“ (nach den Statuten von 1806) und dann die „Konzertvereinigung im Wiener Konzerthaus“. Lieber Marino Formenti, ich danke herzlich für das Gespräch.

Es hat mich gefreut. Das waren Fragen im Stil von John Cage …

Aber geh!

 

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