Der in den Niederlanden geborene und seit 1998 in Salzburg lebende und arbeitende Komponist Manuel de Roo gehört wohl zu den experimentierfreudigsten Vertretern einer neuen Generation von “ernsten” Musikern, die weder mit Pop noch mit dem klassischen Kanon Berührungsängste haben. Als Musiker ebenso bei Opern- und Musicalproduktionen (Tiroler Landestheater, Salzburger Landestheater, Mozarteum Orchester Salzburg) tätigen, können wir Manuel de Roo (der auch Mitglied beim oenm – Österreichisches Ensemble für Neue Musik in Salzburg ist) aber auch immer wieder beim Klangforum Wien antreffen. Als Komponist war er u.a. für das stART-Festival Salzburg sowie die Klangspuren Schwaz tätig. 2003 bekam er den Förderpreis Komposition der Universität Mozarteum, 2005 wurde er als “ein klang”-Stipendiat zum Komponistenforum Mittersill eingeladen, 2008 erhielt er das Jahresstipendium Komposition des Landes Salzburg und 2009 wurde ihm der Publicity Preis der SKE verliehen. Anlässlich der heurigen Salzburg Biennale unterhielt sich Didi Neidhart mit Manuel de Roo über Neue Musik, Soundscapes, Pop und lustvolle Regelbrüche.
Im Rahmen der heurigen Salzburg Biennale hast die Musik zu Bernhard Braunstein Projekt “Polaroids” geschrieben, das am 23.03. im Salzbruger Filmkulturzentrum Das Kino uraufgeführt wird. Wie war da das Produktionsverfahren? Dabei geht es ja um Musik, die sich auf verklingende und ausklingende Sounds konzentriert. Wie war da der Zugang und was waren dabei sozusagen die “Erkenntnisgewinne”?
Die Idee des Verklingens quasi als Hauptmotiv zu benützen, war eigentlich Berhards Idee, die mich gleich interessiert und im Lauf der Arbeit mehr und mehr inspiriert und beglückt hat. Nach fast zwei Jahren der Klangsuche und Reflexion habe ich nun rückblickend das Gefühl, ich habe ausgehend von seiner Idee die Musik als solche ganz neu kennengelernt. Das ist sehr bedeutend und auch bewegend für mich. Und natürlich habe ich zunächst aus dem Reservoir der Möglichkeiten meines eigenen Instruments, der Gitarre, zu schöpfen versucht, aber um noch längere und auch heterogenere Ausschwingklänge zu bekommen, habe ich nach vielen Klavierexperimenten schliesslich die Saiten einer alten Zither nicht mit ihrer eigenen Schwingung, sondern als Spannungsträger für schwingende Objekte benützt. Mit zwei Klangschalen wurde das dann klanglich genauso, wie ich es brauchte.
Wie ist dein Verhältnis als doch eher “junger” Komponist und Musiker zur Neuen Musik? Nach 100 Jahren gibt es doch auch hier stilistische und ästhetische Konventionen, Regeln und Normen (wie auch die ewig gleichen Vorurteile gegen diese Musik – zu sperrig, zu elitär, zu disharmonisch, zu abgehoben). Spiegelt sich eine Auseinandersetzung damit auch in und bei deinen Arbeiten?
Bei meiner Abschlussprüfung des Kompositionsstudiums wurde ich gefragt, ob ich mich selbst als moderner ODER postmoderner Komponist sehe. Da kumulierte in meiner Wahrnehmung ein Streit um Überzeugungen, der mich während des Studiums immer intensiv begleitet hat, an dem ich selbst aber bestenfalls ein phänomenologisches Interesse habe. Führen sollen ihn ruhig andere, aber bitte ohne mich! Natürlich sehe ich Konventionen, die mich manchmal mehr und manchmal weniger stören. Viel interessanter für mich wäre es, die Verbindung zwischen unvereinbar scheinenden Überzeugungen herzustellen. Das hat aber auch besonders damit zu tun, dass eine Abgrenzung, die einer seelischen Absicherung der eigenen, begrenzten Sichtweise dient, einfach nicht meine Sache ist! Besonders eine wie auch immer gebaute formale Komplexität ist dann wichtig, wenn der Gehalt der Musik es verlangt, nicht aber wenn das Publikum, die Professoren oder die Kritiker es verlangen. Mindestens genauso verhält es sich übrigens auch mit der Traditionsgebundenheit. Da wünsche ich mir schon das Gefühl großer Verantwortung. Ich möchte jedenfalls nicht meine eigene Begrenztheit durch den absichtlich herbeigeführten Anschein besonderer Intelligenz sowie deren öffentlicher Anerkennung am Ende sogar vor meinem eigenen Bewusstsein auf Distanz halten oder verleugnen. Dann lieber die Reduktion auf Wesentliches. Ich hoffe, man kann diese Haltung in meiner Musik durchhören, ich wünsche mir fast immer, dass sie möglichst unprätentiös rüberkommt.
In der letzten Ausgabe des österreichischen Musikmagazin “skug” findet sich ein bemerkenswerter Satz von David Schweighart, dem Schlagzeuger der zwischen Avantgard, Neuer Musik, Free-Jazz, Electronic und Postrock operierenden Formation Tupolev. Und der geht so: “Denn eines muss die so genannte ernste Musik, so verrückt sie auch konzipiert sein mag, innerhalb der engen Grenzen ihres eigenen Kosmos immer noch sein: schön gespielt. Studierte Musiker also, die studierte Musik so spielen, wie es ihnen gerade in den Kram passt oder wie es nicht das Notenblatt, sondern ihre Instrumente fordern, wirken da fehl am Platz.” Wie siehst du das? Ist technische Perfektion, ist Virtuosentum wirklich so wichtig, um hier mitmachen zu können? Das erinnert doch auch fatal (trotz Leuten wie etwa John Cage) an den überwunden geglaubten Geniegedanken des 19. Jahrhunderts als bürgerliche Vorstellung dessen, was einen Künstler ausmacht.
Na ja, manchmal ist es schwer zu definieren, was “schön” gespielt eigentlich ist. Und Virtuosentum ist für mich kein Selbstzweck sondern wenn überhaupt ein Hilfsmittel, oft aber doch eher eine Peinlichkeit. Geht es in einem Konzert nur darum, dann geht es nicht um die Kunst selbst, sondern darum, den Aufführenden als Helden erscheinen zu lassen. Manchmal liest man auch in Kritiken, dass dieser oder jener Dirigent einen “großen Triumph” gefeiert hat, oder Beethoven wird überhaupt gleich durch das seelische Nadelöhr eines Deliriums hindurchgezwungen. Lächerlich. Für mich hat der Satz aber bei komponierter Musik dennoch einen richtigen Inhalt: wenn man eine Komposition aufführt, dann ist der Musik am meisten gedient, wenn man alle eigenen Möglichkeiten ausschöpft, der Idee der Komposition (“Notenblatt”), dem Gehalt der Musik, möglichst nahe zu kommen. Und dieser Begriff von “Schönheit” beim Spielen hat vielleicht auch mit der Bemühung zu tun, dem Publikum so entgegenkommend wie möglich bei der Wahrnehmung dieser Idee zu helfen. Darin sehe ich so etwa den Unterschied zwischen selbstherrlicher und selbstloser Schönheit beim Spielen. Aber es ist halt nicht jede Musik komponiert. Und nicht jede Musik WILL dem Publikum entgegenkommen…
Du bist 1979 geboren und somit auch quasi mit Popmusik sozialisiert worden (siehe auch deine E-Gitarre). Wie hat sich das ausgewirkt? Auf deiner Homepage präsentierst du dich ja auch nicht ganz unironisch mit einer klassischen akustische Gitarre und einem Lautsprecher im modischen Design. Und weiters finden wir dort quasi als Laufschrift die Botschaft “::: Manuel de Roo mag Sie. ::: Schauen Sie öfter mal vorbei! ::: …er mag Sie wirklich! ::: Ehrlich…”
Ach so, ja das Foto. Hihi, das sind eigentlich Hi-Fi-Lautsprecher, die für mich eine möglichst originalgetreue Wiedergabe darstellen, quasi als Symbol für meinen interpretatorischen Anspruch beim Aufführen zeitgenössischer Musik. Und Popmusik, YES! Eine in früher Kindheit heimlich angehörte Kassette der Beatles ist der eigentliche Grund, warum ich trotz “klassischer” Musikerfamilie (Vater Dirigent, Mutter Oboistin) dann doch auch Musik selber machen wollte. Eine direkte Auswirkung davon bewusst zu beschreiben fällt mir aber sehr schwer, keine Ahnung warum. Und ja, ich mag Menschen. Meistens so lange, bis sie mich wirklich davon überzeugen, dass das unberechtigt ist.
Was gefällt dir bei Popmusik?
Bei der Band Moloko, die leider nicht mehr zusammen ist, mochte ich ausser Roisin Murphy’s Stimme die klangliche Vielfalt und die damit zusammenhängende Experimentierfreudigkeit, vor allem beim Song “Knee Deepen” in der Version des Albums “I Am Not a Doctor”. Früher habe ich Genesis immer geliebt, besonders die älteren Aufnahmen wie etwa “The Lamb Lies Down On Broadway”. Und alte Liebe rostet bekanntlich nicht. Midnight Oil waren auch immer einer meiner Favourites. Schade, dass der Peter Garrett, der Sänger, jetzt nur (!) noch Politik macht. Und dann ist da noch ein lieber Freund von mir, der sich King Richard nennt. Mit dem tausche ich mich immer wieder intensiv aus. Genau wie ich ist er kein ästhetischer Abgrenzer, hat mit seinem ersten Album “debut” versucht, von Song zu Song eine sehr persönliche Brücke zwischen Genres zu schlagen. Einmal Lyrik auf elektronischem Beat, dann Gitarrenballade, einmal Comedy, dann wieder Progressive und zwischendurch undefinierbare, minimalistische, völlig abgedrehte elektronische lo-fi-Experimente… Ich hab auch schon läuten hören, beim nächsten Album kommt das auch innerhalb einzelner Songs. So was mag ich sehr! Hab übrigens gesehen, dass King Richard’s Album “debut” seit kurzem bei CDBaby und im iTunes-Store erhältlich ist, habs mir auch gleich offiziell gekauft und kann es nur wärmstens empfehlen!
Siehst du Verbindungslinien zwischen Pop und Neuer Musik, Transformationen, die zwischen den Genres möglich sind? Oder gehst du der so genannten “Trivialkultur” bei deinen konkreten Arbeiten dann doch lieber aus dem Weg?
“Trivialkultur” ist ein Begriff, der in mir eher sympathische Gefühle weckt. Wenn Kultur nicht mehr “trivial” sein kann, wo es notwendig ist, dann ist sie halt elitär und vielleicht sogar dumm. Ich kann mir die Walpurgisnacht in Goethe’s Faust nicht ohne derbe Sprache vorstellen. Wenn ich komponiere, dann mag ich mir eigentlich nie Gedanken darüber machen, ob und wie vielleicht solche Verbindungslinien gerade entstehen. Das merke ich dann schon hinterher, wenn’s fertig ist. Und wenn es mich am Ende eh nicht überzeugt, kann ich es ja immer noch zurückhalten, wie etwa dreiviertel meiner Ideen. Aber es entsteht schon eher von selbst.
Wie ist das The Mental Arthritis Orchestra entstanden, bei dem du zusammen mit Walt Michelson und Irena Popovic Musik “zwischen Flamenco und Fat Possum, Operette und Google Hop, zwischen Schulmädchenreport und Herschell Gordon Lewis, “My Green Valley” und “The Wild Bunch” oder zwischen Queneau und Rosegger, zwischen Krokodilen und tödlichen Viren” spielst und dabei ja musikalische Gefilde bereist (schmuddeliger Trash-Underground zwischen Sex & Horror), die wohl nicht weiter von Neuer Musik entfernt sein könnten?
Das war eine vielleicht zufällige und jedenfalls sehr erfreuliche Begegnung beim Komponistenforum in Mittersill, wo Irena als Komponistin und Walt als Artist In Residence eigeladen waren. Ich war dort als Gitarrist des OENM. Irena kannte ich schon vorher ganz gut vom Studium. Wir haben uns einfach zusammengefunden und gemerkt, dass wir irgendwie komplett auf einer Wellenlänge unterwegs waren. Wir haben philosphiert, phantasiert und gelacht wie verrückt. Dann war klar, dass Mittersill nicht lange genug für uns dauert. Wir mussten einfach was gemeinsam machen. Unser erstes abendfüllendes Musiktheater, das hauptsächlich Walt’s Biografie erzählt (“I was never born”), haben wir dann nach anderthalb Jahren regelmässiger Wochenendproben in Feldkirch im Theater am Saumarkt erstmals aufgeführt. Das schöne war, dass wir uns ganz konsequent dem Verdacht entgegengestellt haben, wir würden irgendeine ästhetische Meinung vertreten.
Das macht dir ja sichtlich Spaß (vgl. die Videos auf deiner Homepage). Ist das jetzt nur “Leisure Time Music” wie ein Titel des Mental Arthritis Orchestra lautet, oder beeinflusst das auch dein eigentliches Schaffen und Denken über Musik?
Das hat einen ganz eminenten Einfluss auf alles andere in mir. Es tut gut, sich hin und wieder zu fragen, warum man eigentlich welche Ästhetik schätzt. Vorher ging das eher unbewusst bei mir, jetzt hat sich der Spassfaktor beim Reflektieren mindestens verzehnfacht!
Wie wichtig ist das Performative bei deinen Arbeiten? Ich denke da konkret an die auf deiner Homepage zu findenden Improvisation mit Julia Schwrazbach.
Das ist ein ganz anderer Aspekt, der für sich selbst immer weiter wächst. Tatsächlich ist Julia Schwarzbach eine ganz wunderbare und aussergewöhnlich inspirierende Tänzerin. Ihre Offenheit im “Jetzt” ist von einer solchen Kraft, dass jedesmal ein starker gemeinsamer Sog entsteht. Was ich mit ihr gemeinsam so alles erkunden und entwickelen konnte, beeinflusst auch darüberhinaus mein Komponieren. Unsere gemeinsame Spontaneität bestärkt mich im Nachhinein immer wieder darin, Aufführenden Freiräume zu geben.
Der afroamerikanische Freejazzmusiker Albert Ayler hat Ende der 1960er die Zukunft der Musik in “reinen Sounds” gesehen. In einer Musik, die sich von den Tönen befreit. Wie wichtig sind Sounds (Soundscapes) für deine Arbeiten? Gibt es da Unterschiede zu dem, was gemeinhin in der Klassik und der Neuen Musik “Klangkörper” genannt wird?
Soundscapes finde ich vor allem in Bezug auf ihre Dauer höchst interessant. Ich habe gerade im Roman “Childhood’s End” von Arthur C. Clarke von einer Inselkolonie namens (Neu-)Athen gelesen, wo in der Musik hauptsächlich die kürzeste sowie die längste wahrnehmbaren Klangdauern gesucht werden, um über die Zeithaftigkeit mehr zu erfahren. Bei dieser Vorstellung werden Soundscapes für mich ganz besonders interessant!
Nachhaltig beeindruckt bin ich zum Beispiel auch von “Zerstörung des Zimmers/der Zeit” von Christian Ofenbauer – da hört man 48 Minuten lang einen Klang. Das ist zwar schon Jahre her, dass ich das während meines Studiums in Salzbrug gehört habe, aber der Eindruck lebt immer noch sehr stark, regelrecht körperhaft, in mir. Das einzige Soundscape, das man leider nie zu hören bekommt, ist die Stille. Schade.
Bei deinen Arbeiten fällt ein selbstverständlicher Einsatz und Umgang mit der E-Gitarre auf. Zwar irritiert sie manchmal, wenn sie aus einem mitunter eher tradierten Klanggefüge herausbricht, dennoch wirkt sie nicht aufgesetzt. Ist also weder Classic-Rock, noch Jazzrockgenudel, sondern – da haben wir es wieder – Klangkörper, Soundtool. Was reizt dich an diesem Instrument (u.a. im Gegensatz zur klassischen Konzertgitarre)? Welche Einflüsse, Vorbilder, Inspirationsquellen hast du?
Das kann ich noch gar nicht so genau sagen, was mich alles daran reizt. Mindestens die Hälfte ist unbewusst. Jedenfalls ist ein Gitarrenvertärker eine unheimliche Begrenzung für mich, da die gesamte hörbare Klangfarbe da drin entsteht. Das bringt für mich eine zusätzliche Lust, diese Begrenzung dennoch mit der rechten Hand zu überwinden, und dem Sound mit den Fingern oder dem Plektrum dennoch mir selbst einzuverleiben. Deswegen hab ich auch immer so minimalistische Effektsettings. Ich sage mehr Hand, weniger Fuss!
Was sind Elektronik und Computer als Tools zur Klangerzeugung und zur Klangverfremdung für dich?
Höchst interessant. Aber manchmal fühle ich mich wie Alice im Wunderland. An der Uni hab ich mal ein paar Kleinigkeiten in clm (common lisp music) programmiert, aber danach hab ich etwas den Faden dazu verloren. Als nächstes würde ich mich gerne mit pd beschäftigen, das scheint mir sehr intuitiv und im Gegensatz zu Max/MSP gratis. Mal sehen, ob ich da hineinkomme…
Hört man sich einige deiner Stücke an, dann fallen einem sofort gewisse narrative Strukturen auf. Jetzt nicht in der Art und Weise von direktem Geschichten erzählen (es ist ja keine Programm-Musik), sondern eher im Sinne durchaus filmischer, soundtrackhafter Sound- & Landscapes (etwa bei “Von Engeln” – 1. “Hildegard spricht”, auch wieder mit E-Gitarre). Hab ich mich da verhört (oder was rausgehört, was gar nicht intendiert ist), oder sind das durchaus Strukturen mit denen du arbeitest? Vielleicht auch, um mehrere mögliche Zugänge zu deinen Werken zu ermöglichen?
Du legst mir die Antwort in den Mund. Manchmal ist so ein formaler Zugang wie das direkte Begleiten eines Textes oder Abschnitte in bestimmten zueinander passenden Längen ein angenehmes Vehikel, um die Wahrnehmung etwas zu erleichtern, das man zwar schreiben muss aber eh nicht erklären kann.
Wie wichtig ist Rhythmus, sind Rhythmen in deiner Musik?
Für mein Erleben und Arbeiten gibt es zwei Arten von Rhythmus. Persönlicher Wille von einem Subjekt lässt sich immer ganz toll mit einer kurzen rhythmischen Struktur darstellen. Für mich ist das auch oft mit einem Bewegungsdrang verbunden. Dann gibt es für mich so etwas wie eine Lebensvorraussetzung in einem Stück, etwas das viel länger dauert, sich als Einheit über das ganze erstreckt. Dadurch kann ich eher größere Entwicklungslinien darstellen, die einem subjektiven Willen nicht so unterworfen sind. So – und an den Schnittpunkten wirds dann meistens spannend und existenziell für mich! Ganz besonders ist das bei dem gerade erwähnten Stück “Von Engeln” der Fall. Da habe ich mich an der Spannung oder Entsprechung zwischen Mikro- und Makrostruktur als Symbole für das menschliche Individuum bzw. die neun Hierarchien nach Dionysos Areopagita einmal richtig kraftraubend abgearbeitet. Keine Ahnung, ob ich das jetzt noch alles im Detail erklären könnte, da müsste ich mal die Papiere mit den Entwürfen suchen.
Wie komponierst du eigentlich? Gibt es da bestimmte ästhetische Parameter, die in etwa gleich bleiben, oder ändert sich das je nach Interessen, Einflüssen oder Neugierde? Bzw. geht es da nur um musikimmanente Sachen, oder auch um andere, aussermusikalische Parameter?
Schwer zu beurteilen, aber ich glaube (und möchte), dass sich das dauernd ändert. Der Komponist und Dirigent Johannes Kalitzke hat einmal etwas über das Problem Personalstil von Komponisten gesagt, das mich sehr überzeugt hat. Nicht das Abarbeiten an einer (wieder-)erkennbaren Klanglichkeit, sondern das Bestreben, bei jedem Stück möglichst anders zu klingen, bringt ein Profil in das eigene Werk. Ich finde das toll. Das stimmt genau. Auch wenn es für Auftraggeber riskanter ist. Und aussermusikalische Inhalte gibt es irgendwie dauernd bei mir. Ich höre irgendwas, bin betroffen, und muss mich dazu äußern – manchmal eben musikalisch.
In deinen Stücken gibt es immer wieder Texte und Lyrics, ebenso auf deiner Homepage. How come?
Auch wenn ich eigentlich kein großer Bücherwurm bin, liebe ich Sprache. Das Wort an sich ist, vielleicht neben dem Ton und der Zahl, etwas vom Schönsten und stärksten, was ich kenne.
How to make a living? Kannst du von deinen Kompositionen& Konzerten leben, oder gibt es daneben auch noch quasi “Brotjobs”?
Puh ja, schwierig! Ich versuche noch, mein Verständnis dafür weiterzuentwickeln, wie ich meine Arbeit an mehr interessierte Ohren transportieren kann. Aber ich denke das geht vielen Komponisten so. Ich wundere mich in letzter Zeit aber immer öfter selbst darüber, dass Jobs, die ich anfangs eher als Brotjobs sehe, mein Herz dann wesentlich mehr öffnen als etwa Kompositionsaufträge, bei denen die Rezeption der Musik schon fast abgeschlossen ist, bevor sie überhaupt erklungen ist. Ganz besonders erfüllend ist es für mich zum Beispiel, Kinder beim Komponieren zu unterstützen. Ich hatte dazu bisher zweimal bei Klangspuren Lautstark die Gelegenheit. Das ist ein Feriencamp für Kinder, die Musik MACHEN wollen in einem unheimlich tollen Ambiente in Imsterberg in Tirol. So etwas sollte es eigentlich viel mehr geben!
Was gibt es für die Zukunft geplante Projekte?
Ich hab große Lust, gemeinsam mit zwei tollen Kollegen, Ernst Bartmann und Josef Irgmaier, eine Oper zu schreiben. Mit den beiden habe ich schon mehrere Sachen gemeinsam Komponiert, wie etwa das New Sounds Cookbook. Ausserdem würde ich gerne mehr über erfahren Filmmusik. Dazu gibt es an der Donau Universität in Krems ein neues postgraduelles, berufsbegleitendes Studium, das ich wirklich gerne belegen möchte, vor allem weil der Studienplan unheimlich clever gemacht ist – auch im Vergleich zu dem, woran ich selbst früher mal in der Hochschule mitgearbeitet habe. Ich kann mir gut vorstellen, dass da auch ganz andere Perspektiven zu finden sind, die das Überleben etwas erleichtern. Es muss ja nicht unbedingt nur Blockbustermusik sein! Wie auch immer, ich freue mich am meisten, wenn ich nicht ausschliesslich die Köpfe, sondern besonders auch die Herzen des Publikums erreiche. Und gerne auch die Gliedmaßen.
Vielen Dank für das Interview.