mica-Interview mit Lukas Haselböck

Am Mittwoch, 12. Juni 2013 bringt das Ensemble Playtpus neben Werken von Jaime Wolfson und Grzegorz auch eine Komposition von Lukas Haselböck im Wiener Musikverein zur Uraufführung. In seiner Tätigkeit als Komponist, Sänger und Musikwissenschaftler verbindet unterschiedliche Herangehensweisen zur Musik. Trotz seiner theoretischen Arbeit bleiben sowohl das Komponieren wie auch das Musizieren sehr emotional geprägte Handlungen. Wie er diese verschiedenen musikalischen Bereiche gewichtet und was ihn beim Komponieren beeinflusst, darüber sprach er mit Lena Dražić.

Herr Haselböck, Sie stammen aus einer hochmusikalischen Familie – Ihr Vater war Organist, Ihre Mutter Musikwissenschaftlerin und Musikpädagogin, Ihr Bruder ist ebenfalls Organist … war es für Sie quasi die einzige Möglichkeit, selber auch Musiker zu werden, oder war das eine schwere Entscheidung?

Die einzige Möglichkeit nicht. Bei uns zu Hause hat natürlich eine Atmosphäre geherrscht, in der Musik sehr wichtig war, wir waren immer von Musik umgeben. Die Orgel und die Kirchenmusik waren sehr wichtig, und wir haben zu Hause immer Musik gemacht. Gleichzeitig war mein Vater aber auch der Wissenschaft gegenüber sehr offen. Er hat grundsätzlich viel gelesen und sich für viele Richtungen der Geisteswissenschaften interessiert. Ich würde nicht sagen, dass ich auf die Musik festgelegt wurde, das war lediglich eine der Möglichkeiten. Natürlich habe ich schon von klein auf Klavier gelernt und mich mit verschiedenen Aspekten der Musik beschäftigt, aber gleichzeitig war von meinen Eltern her klar, dass auch andere Berufe in Frage kommen. Das fand ich sehr positiv.

Sie haben sich dann doch ganz der Musik zugewandt – Sie sind Komponist, Musikwissenschaftler und Sänger. Wenn ich Sie jetzt frage, wie Sie diese Tätigkeiten gewichten, ist das wahrscheinlich schwer zu beantworten. Gibt es etwas, das Ihnen besonders am Herzen liegt, oder ergibt das einfach ein Ganzes?

Von der beruflichen Tätigkeit her gesehen ist es natürlich so, dass die Musikwissenschaft ein gewisses Schwergewicht bildet – ich bin ja als Lehrer an der Musikuniversität angestellt, wo ich Musikanalyse unterrichte, dadurch erhält die Wissenschaft automatisch einen gewissen Akzent. Aber das praktische Musikausüben liegt mir auch sehr am Herzen. Natürlich kommt das Ganze zeitlich manchmal etwas kurz, weil ich auch Familie habe, und man sich dann die Zeit sehr gut einteilen muss, damit man auch zum Musizieren kommt. Es gibt Zeiten, wo das nicht so gut gelingt, wo dann auch die Wissenschaft sehr im Vordergrund steht. Und so geht das Ganze eben in Wellenbewegungen vor sich – manchmal gibt es Schwerpunkte in der einen Richtung, dann kommt das andere wieder stärker in den Vordergrund. Aber das bringt auch den Vorteil mit sich, dass man sich wieder auf die anderen Dinge freut.

Ich könnte mir vorstellen, dass Ihre Tätigkeit als Musikwissenschaftler – Sie sind ja vornehmlich in der musikalischen Analyse zu Hause – auch wieder Input fürs Komponieren bietet.

Es gibt viele Dinge, die mich bewusst beeinflussen – es gibt aber auch Dinge, die mich unbewusst beeinflussen. Wenn ich mich mit einem Komponisten beschäftige – egal, ob das ein Komponist des 18., 19. oder 20. Jahrhunderts ist –, dann beschäftige ich mich mit bestimmten analytischen Aspekten, mit kompositorischen Eigenheiten, und es kann sein, dass das dann irgendwo beim Komponieren wieder zum Vorschein kommt. Manchmal fällt mir im Nachhinein auf: Da gibt’s einen Aspekt, der mich vielleicht beeinflusst hat.

Aber das ist kein bewusster Einfluss, sondern es fällt Ihnen erst im Nachhinein auf? Es ist also nicht so, dass Sie etwas entdecken, das dann bewusst einfließt?

Oft fließt es  unbewusst ein. Das Komponieren ist eine sehr emotionale Angelegenheit, und oft scheitert man damit, Dinge bewusst zu planen. Es ist mir oft so gegangen, dass ich ein strukturelles Konzept hatte oder einen gewissen Plan für eine Komposition, und dann musste ich ihn im Prozess des Komponierens wieder umstoßen, weil ich gemerkt habe, es funktioniert so nicht. Es gibt da viele Dinge, die im Unterbewussten stattfinden, und die man erst im Nachhinein bemerkt. So ist es mir z. B. gegangen, als ich mich mit Gérard Grisey beschäftigt habe. Da habe ich bemerkt, dass dieses prozesshafte Komponieren auch bei mir eine immer stärkere Rolle spielt. Aber bei mir ist es in ganz anderer Weise zum Vorschein gekommen.

Sie haben sich auch intensiv mit Cerha beschäftigt, bei dem ja ebenfalls Prozesse eine große Rolle spielen. Mich würde interessieren, wie Sie die Prozesshaftigkeit konkret in Ihrem Komponieren umsetzen?

Es geht mir um eine gewisse Art von Wahrnehmbarkeit und Nachvollziehbarkeit. Dadurch, dass gewisse Stationen durchlaufen werden, entsteht so etwas wie „musikalische Logik“. Diesen Begriff hat Hugo Riemann sehr oft verwendet und auf die Dur-Moll-Tonalität bezogen bzw. darauf, dass man als Hörer in der Lage ist, harmonische Stationen nachvollziehen. Ich habe mir immer schon Gedanken darüber gemacht, ob es so etwas in der Neuen Musik auch geben kann, und mich damit beschäftigt, wie man von einer Station zur nächsten kommen kann, ohne tonal zu komponieren. Cerha ist sicher einer, der sich auch mit solchen Arten von Entwicklungen oder Prozessen beschäftigt hat. Ich habe nicht versucht, die Art und Weise nachzuahmen, wie Cerha oder Grisey das gemacht haben, sondern diese Idee der Nachvollziehbarkeit auf der Basis meines eigenen Komponierens weiterzuverfolgen, wie ich es seit dem Studium entwickelt habe.

Sie waren ja in ihren kompositorischen Anfängen sehr stark von der Wiener Schule beeinflusst, und die Expressivität spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Ihrem Schaffen. Könnten Sie vielleicht beschreiben, wie sich das im Laufe der Zeit verändert hat? Was ist heute anders als vor 15 Jahren?

Das ist eine interessante Frage. Meine Anfänge waren sicher sehr stark in der Musik Schönbergs, Bergs und Weberns verwurzelt, und in dieser Musik spielt der Gedanke des Thematischen noch eine große Rolle: ein Thema als musikalischer Gedanke, der individuell entworfen und sehr stark von Expressivität geformt ist. Wenn man diese Art des Komponierens weiterverfolgt, kann man natürlich die Wiener Schule weiterdenken, aber ich bin in meinem eigenen Komponieren gewissermaßen an eine Grenze gestoßen.

Worin bestand diese Grenze?

Die Musik Weberns ist an und für sich schon eine sehr komplexe, sehr expressive Musik. Wenn man jetzt versucht, diese Expressivität weiterzudenken, die motivisch-thematische Dichte vielleicht sogar in gewissem Grad noch zu steigern, kommt man irgendwann an einen Punkt, wo man sich Fragen stellt in Bezug auf die Wahrnehmbarkeit der Musik, oder auch in Bezug darauf, welche Rolle Einfachheit in der Musik spielt. Das wäre dann der andere Pol.

Sie haben auch eine Phase durchlaufen, in der Einfachheit für Sie sehr wichtig wurde. Ist sie das heute immer noch, oder haben Sie so etwas wie eine Synthese dieser beiden Pole erreicht?

Ich habe versucht, Einfachheit zu berücksichtigen, aber nicht Einfachheit als Simplizität, sondern auch das einfließen zu lassen, was ich vorher gemacht habe. Ich habe versucht, dieses komplexe Denken zu hinterfragen insofern, als ich mir die Frage gestellt habe: Ist das wirklich alles relevant, was ich komponiere? Kann man da etwas weglassen? Und wenn ich etwas weglasse, ist dann der Gehalt immer noch da? Wie weit kann ich diese Musik reduzieren, ohne dass sie etwas an Aussage verliert?

Wobei ja Webern selber ganz viel weggelassen hat. Trotzdem ist seine Musik alles andere als das, was man so gemeinhin unter „einfach“ versteht.

Natürlich, insofern ist das auch wieder ein Vorbild. Was aber bei Webern weniger eine Rolle spielt, ist der Humor, der dann bei mir immer wichtiger geworden ist, eine gewisse ironische Doppelbödigkeit. Es ging also auch um gewisse Spielarten des Ausdrucks, die vielleicht in der Wiener Schule weniger eine Rolle spielen.

Wobei ja der Humor wieder etwas spezifisch Österreichisches ist – nicht nur in der Dichtung der Wiener Gruppe oder bei Jandl, sondern auch bei Schwertsik und Cerha …

Ja, das hat auch eine Tradition. Ich glaube, dass diese Literaten und Komponisten dadurch in der Lage waren, in gewisser Weise Traditionen der Expressivität weiterzudenken – ich möchte nicht sagen zu überwinden, weil diese Traditionen großartig sind, die muss man gar nicht überwinden; die Wiener Schule spielt natürlich für einen Wiener immer eine Rolle – aber diese Ausdruckswelten vielleicht durch neue Facetten zu bereichern, die dort noch nicht so stark präsent sind.

Einen Schwerpunkt in Ihrem Komponieren bildet die Vokalmusik. Hängt das damit zusammen, dass Sie auch selbst Sänger sind?

Ja, ganz sicher. Ich habe neben meinem Kompositions- und Musikwissenschaftsstudium noch Gesangspädagogik studiert, und habe dann mit unterschiedlicher Intensität auch Konzerte gegeben. In letzter Zeit viel mit Neuer Musik, weil ich häufig mit Komponisten in Kontakt bin, die mich dann fragen, ob sie etwas für mich schreiben können. Außerdem organisiere ich gemeinsam mit Gernot Schedlberger eine Konzertreihe mit dem Titel „cercle“, wo immer wieder Vokalstücke zur Aufführung gelangen. Da ist es natürlich so, dass die Vokalmusik für mich als Komponist auch eine große Rolle spielt. Wenn ich Vokalmusik komponiere, und insbesondere, wenn ich sie für mich selbst komponiere, steht der Gedanke der Ausführbarkeit auch irgendwo im Vordergrund. Das heißt, ich überlege mir, wie könnte sich das anfühlen, wenn ich das tatsächlich aufführe? Das spielt dann schon im Prozess des Komponierens eine Rolle, und dadurch entstehen diese Stücke auf andere Weise, als wenn ich z. B. ein Instrumentalstück schreibe.

Sie schreiben auf Ihrer Homepage, als Sie zum ersten Mal eine Oper komponiert haben, ist Ihnen aufgefallen, dass Ihnen das eigentlich viel leichter fällt als das Komponieren von Instrumentalmusik.

Da spielt noch ein weiterer Aspekt hinein, und zwar die Beschäftigung mit Texten, mit Lyrik. Die ist mir immer sehr nahe gestanden. Wenn ich Lyrik lese – am Anfang war das Rilke oder Ungaretti, in jüngster Zeit ist es auch Lyrik von ZeitgenossInnen wie Andrea Häuser, auch HC Artmann hat mich beschäftigt – dann stellen sich bestimmte Bilder und Klangfarben ein, und die Klangfarbe ist etwas, das mir auch beim Komponieren sehr wichtig ist. Es ist natürlich nicht egal, ob ich Vokalmusik schreibe, die von Streichern, Bläsern, oder von einem gemischten Ensemble begleitet wird, oder ob ein Klavier oder Schlagzeug dabei ist. Es ist für mich ganz zentral, diese Farben und Bilder, die in den Texten transportiert werden, auch entsprechend in Musik umzusetzen.

In Ihrem Werkkommentar zu „… jenes Licht …“ nach Texten von Paul Celan und Nelly Sachs steht der Satz: „Wo die Sprache verstummen muss, beginnt die Musik“. Bringt das in Ihren Augen das Verhältnis von Sprache und Musik auf den Punkt?

Das ist eine Frage, zu der man sehr viel sagen könnte. Es gibt natürlich verschiedenste Beziehungen zwischen Sprache und Musik – etwa die, die wir schon in Barockmusik antreffen, wo bestimmte rhetorische Figuren in Musik umgedeutet werden. Es findet sich z. B. ein Ausruf in der Sprache, der dann in einen musikalischen Ausruf umgewandelt wird. Das wäre eine Sprach-Musik-Beziehung, die sehr einfach nachzuvollziehen ist. Ich würde nicht sagen, dass das in meiner Musik völlig ausgeschlossen ist, es existiert schon an manchen Stellen. Andererseits gibt es auch eine Beziehung von Sprache und Musik, die komplizierter oder vielleicht auch gar nicht zu erklären ist. Ich lese beispielsweise eine Zeile eines Gedichts, und es stellt sich bei mir eine bestimmte Farbe ein, ich weiß genau, das möchte ich mit einem Cello oder einem Marimbaphon komponieren, und ich weiß aber nicht warum. Das ist eine Ebene, die sich nicht logisch erklären lässt – insofern ist dieses Zitat „Wo die Sprache verstummen muss, beginnt die Musik“ auf einer bestimmten Ebene von Relevanz, aber ich würde nicht sagen, dass es nur diese Ebene gibt, und das macht eben die Beziehung zwischen Sprache und Musik so reich. Es gibt Beziehungen, die sich erklären lassen, und andere, die sich nicht erklären lassen, und wenn es die nicht gäbe, würde vieles an musikalischem Reichtum wegfallen. Wir würden uns Musik wahrscheinlich nicht mehr so gerne anhören – es gibt eben vieles, was sich nur durch Musik ausdrücken lässt.

Was da für mich dahintersteht, ist nach wie vor der Gedanke der Expressivität. Das ist ja auch das Zentrale bei Lyrik – bestimmte Worte und Sätze evozieren Bilder oder Stimmungen. Es geht immer um die Kommunikation solcher Gefühlsinhalte.

Absolut, ja. Ich habe vorher von der Expressivität in Bezug auf das Thematische gesprochen. Mich haben aber in den letzten 5 bis 10 Jahren auch Möglichkeiten interessiert, wie man diese Individualität einmal hintanstellen kann. Gibt es auch Möglichkeiten des Komponierens, wo man sozusagen die Musik selbst sprechen lässt? Bei Debussy finden sich Stellen, wo man das Gefühl hat, die Natur spricht, nicht der Komponist. Bei Grisey findet sich Musik, wo man das Gefühl hat, es werden nicht Themen komponiert, sondern Gestalten, die aus der Musik selbst auftauchen. Natürlich ist das eine Illusion, natürlich spricht auch hierdurch die Individualität des Komponisten. Aber mich hat in den letzten Jahren immer diese Grenze interessiert – wo hört der Komponist auf, wo beginnen die Töne selbst zu sprechen? Das ist dann auch eine Möglichkeit, die Expressivität im traditionellen Sinn zu hinterfragen. Auch, wenn man sich die Musik mancher heutiger Komponisten anschaut – z. B. Grisey, der schon 1998 gestorben ist, aber auch Sciarrino – da hört man Klangprozesse, wo man das Gefühl hat, das sind keine individuell gesetzten Themen im herkömmlichen Sinn mehr, sondern Klangaggregate oder Klangströme, die nicht mehr unbedingt als Ausdruck eines Individuums gelten können. Das finde ich interessant.

Das führt mich zu einer ganz allgemeinen Frage: Ist es heute in der Neuen Musik noch möglich, etwas im emphatischen Sinne Neues zu schaffen, oder war nach mittlerweile gut 100 Jahren Neuer Musik alles quasi schon einmal da? Gibt es überhaupt diesen Anspruch, etwas zu machen, das noch nie da war?

Ich weiß natürlich, dass der Begriff des Neuen heutzutage sehr skeptisch gesehen wird. Es würden wahrscheinlich viele Zeitgenossen an meiner Stelle sofort antworten, das Neue gibt es heutzutage nicht mehr. Ich bin ein bisschen vorsichtiger: Ich würde sagen, den Anspruch, Neues zu schaffen, kann es schon geben. Es stellt sich die Frage, wie man diesen Begriff definiert. Wenn man das Ganze auf einer Materialebene sieht, im Sinne der Harmonik, der Motivik oder der Klangfarben, wird es wahrscheinlich schwierig sein, etwas zu finden, das noch nie da war. Aber ich denke, dass da der Anspruch falsch formuliert ist. Mit jedem Jahr entwickelt sich in unserer individuellen Lebensauffassung und auch in der Welt, in der wir leben, sehr vieles weiter. Wir sehen, wie sich die Wissenschaft entwickelt – jetzt wurde z. B. im CERN in der Schweiz das Higgs-Boson gefunden. Wir können uns diesen Veränderungen unserer Umwelt nicht entziehen. Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass wir so komponieren können wie vor 100 oder auch vor 50 Jahren. Wir kennen heute so viel Musik, die wir vor 50 Jahren noch nicht kannten, und wir werden auch auf politische Ereignisse und soziale Probleme in irgendeiner Weise reagieren. Damit meine ich nicht, dass jede Musik politisch oder gesellschaftlich sein muss, aber irgendwie wird sich das niederschlagen und unsere Musik verändern. Wir sollten auf jeden Fall wach sein diesem Neuen gegenüber, das unsere Welt mit sich bringt. Wenn in dieser Art von Neuheit Materialschichten auftreten, die wir schon kennen, heißt das nicht, dass sie genauso wie in ihren ursprünglichen Zusammenhängen verwendet werden. Es kann sein, dass ein Dreiklang oder eine Farbe, die wir schon kennen, in einem neuen Zusammenhang neue Bedeutung erhält. Und das ist für mich dann auch eine Art von neuer Musiksprache.

Gibt es Tabus beim Komponieren? Gibt es Sachen, die man ganz klar nicht mehr darf?

Das muss, denke ich, jeder für sich selbst beantworten, jeder hat da eine andere Sensibilität. Für mich persönlich ist es so, dass bestimmte Dinge verbraucht sind. Wenn ich dann ein Element in einem bestimmten Zusammenhang verwende, habe ich nicht den Eindruck, dass es uns heute noch eine ästhetische Botschaft vermitteln kann. Das ist aber, wie gesagt, meine ganz persönliche Ansicht, das kann für jemand anderen auch wieder anders sein.

Trotzdem – ist es nicht so, dass durch das Wegfallen eines Innovationsdrucks, wie er vielleicht vor 100 oder auch vor 60 Jahren noch in stärkerem Maß vorhanden war, wieder Sachen möglich werden, dass man manches entspannter angehen kann? Sie schreiben z. B. auch auf Ihrer Homepage, am Musiktheater gefalle Ihnen, dass einfach eine Geschichte erzählt werden kann. Das ist ja an sich etwas sehr Traditionelles.

Ja, da haben Sie Recht. Dieses Erzählen von Geschichten ist heutzutage sicher entspannter möglich als z. B. in der Nachkriegszeit, wo etwa in der Art, wie in Frankreich Romane geschrieben wurden, das Geschichtenerzählen an und für sich problematisiert wurde. Heutzutage gibt es nur mehr ganz wenige Autoren, die das Erzählen von Geschichten problematisieren würden. Für mich ist ganz klar, dass in dem Moment, wo sich die Bühne für eine Opernaufführung öffnet und Menschen in Kostümen auftreten, das Erzählen einer Geschichte einfach möglich ist, einfach in der Atmosphäre dieses Abends. Das Geschichtenerzählen ist etwas durch und durch Menschliches, das würde ich überhaupt nicht als überkommen oder verbraucht ansehen. Wenn es darum geht, herkömmliche Erzählmuster zu hinterfragen, gibt es dazu ja viele Möglichkeiten. Es muss ja nicht so sein, dass eine Geschichte von A nach B erzählt wird – es gibt so viele Möglichkeiten, verschiedene Ebenen einzuführen und auf eine spezielle Erzählsituation auch musikalisch zu reagieren. Der Film hat uns in dieser Hinsicht sehr bereichert.

Das heißt, man muss heute nicht mehr um jeden Preis die Tradition zertrümmern, die Väter ermorden und das Rad neu erfinden?

Ganz sicher nicht. Ich glaube, dass das ganz selten auf diese Weise gemacht wurde – auch dort, wo Komponisten proklamiert haben, dass sie die Tradition zertrümmern, war es in Wirklichkeit gar nicht so. Schönberg war ein konservativer Revolutionär, wie man so gerne sagt. Die Serialisten haben auch vieles in ihre Musik aufgenommen, das von der Wiener Schule her kam, und die postseriellen Komponisten haben mehr von Boulez und Stockhausen gelernt, als man üblicherweise glaubt. Die Revolutionen, die so laut ausposaunt wurden, waren entweder gar keine, oder sie waren nicht so extrem, wie sie ursprünglich gedacht waren. Insofern glaube ich, dass jede Generation etwas von der vorherigen lernt, und dass auch Komponisten Neuer Musik vieles von der klassischen und romantischen Musik lernen können.

 

 

 

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