mica-Interview mit Kreisky

Sie klängen wie ein hysterischer Anfall in Zeitlupe, “wie Falco auf Speed. Sie hätten die üble Laune in die heimische Rockmusik zurückgebracht. Das Feuilleton überhäufte Kreiskys gleichnamiges Debut-Album geradezu mit blumigen Metaphern. Kurz vor ihrem Gig im Salzburger Rockhouse sprachen Frontmann Franz Adrian Wenzel und Drummer Klaus Mitter über Zwischenstimmungen, Scott Walker und unlösbare Probleme. Das Bild, dem man sich fügt

Franz, Du hast am Telefon gesagt, ihr seid auf dem Weg nach Salzburg noch Freunde besuchen. In Linz?
F: Ja, im Posthof. Aber am Telefon hab ich eigentlich das übliche Leute treffen in Salzburg, also am Schauplatz des Auftritts gemeint. Das gehört sich einfach, wenn wir uns schon um den Soundcheck drücken.

Und wieso drückt ihr euch?
F: Naja, den Soundcheck hätten wir schon um 14 Uhr gehabt. Da wir erst gegen 23 Uhr spielen, hätte das bedeutet, dass wir unglaublich viel Leerlauf haben. Da wir eine klassische Rockband mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und ohne Firlefanz sind, haben wir daher einfach darauf verzichtet.

Welche Erfahrungen habt ihr mit Salzburg?
F: Wir waren schon einmal da, um The Fall zu sehen.

Wann war das?
F: Vor circa vier Jahren. Ich persönlich habe bisher selten in Salzburg gespielt. Anscheinend ein schlechtes Pflaster…
K: Man hört nur von Freunden, die hier lebten, dass hier absolut tote Hose ist. Das Rockhouse bedient halt viele und die ARGE schaut so aus, als habe sie nicht wirklich volles Programm. Außerdem machen sie auch Theater und Kabarett. In puncto Popmusik hinkt Salzburg im Vergleich zu anderen österreichischen Städten hinterher.

Was meint ihr unterscheidet euch von anderen Gitarrenbands, die in deutscher Sprache singen?
F: Ich höre so etwas kaum.

Deutschsprachige Rockmusik?
F: Genau.

Was von Vorteil ist beim Musikmachen?
F: Auf jeden Fall.
K: Ich denke unsere Musik ist nach außen hin kantiger. Zu unseren Texten wäre so ein drunter gelegter netter Gitarrenschrummel einfach unangemessen.
F: Irritation muss es geben. Netter Deutschpop auf so netter Ebene, Sonntagsnachmittagslieder Hamburger Provenienz – das ist nicht unseres.

Hört man “Wo Woman ist, da ist auch Cry” und dann “Vandalen”, dann muss man feststellen, dass ihr über eine enorme Bandbreite verfügt. Hier der gerade geächtete “schrummelige” Pop, da wirklich grantiger Punk.
K: Wir sind eben keine Songband, sondern eine Albumband.
F: Das hat dann schon wieder so ein sündhaftes Vergnügen Platz. Ich meine, dass man poppt.
K: Die von dir angesprochene “poppige” Nummer kommt zwar sehr freundlich daher, ist aber textlich sehr böse. Sie ist spontan entstanden, sie ist einfach passiert.
F: Man gestaltet sie dann eh anders. Da passiert einiges auf der Gitarre, was in dem Genre durchaus unüblich ist.

Das heißt, es geht auch darum, mit der typischen Erwartungshaltung zu spielen und sie ironisch zu brechen?
F: Auf jeden Fall. Wir wollen die Leute keineswegs vor den Kopf stoßen, aber ein interessantes Hörerlebnis bieten – das wollen wir schon. Den Moment abbilden, der Sinnhaftigkeit hat. Es gibt ja auch überhaupt keinen Grund mehr, Genremusik zu machen. Außerdem wären wir dafür viel zu schlechte Musiker. Frei von Einflüssen ist man letztlich aber freilich nicht.

Alle Bandmitglieder kommen ja auch aus sehr unterschiedlichen Ecken…
F:
So ist es. Ich etwa bin ein virtuelles 70er-Jahre-Relikt. Meine letzte große musikalische Neuentdeckung war das Electric Light Orchestra.

Im Ernst?
F: Völliger Ernst. Aber da gibt es auch den klassischen Spruch, dass wir vier eigentlich nie in einer gemeinsamen Band spielen dürften.

Vielleicht macht es ja aber gerade das aus.
F: Ja eh.
K: Auf Papier sind wir sozusagen unverheiratbar. Martin wäre ein Metalgitarrist oder hätte es werden sollen.
F: Er hat wirklich Gitarre spielen gelernt und ist eher der mathematische Typ, sucht sich Sachen raus, die er für richtig hält und spielt sie, ist dabei aber sehr in seiner Welt und sehr abstrakt. Man könnte sagen, Martin schafft die Textur, während Georg (der Bassist, Anm. ) eher der Rock-Typ ist.

 

 

Und Du?
K: Ich habe immer sehr kuriose Dinge gehört, eine schwere Zappa-Phase gehabt. Dann kam alles zwischen Kraftwerk und Bowie. Mein derzeitiger Überflieger ist Klaus Nomi. Auch viele Soundtracks.

Wie sieht es mit Scott Walker aus?
F:
Da stößt du hier auf offenste Ohren…
K: Jetzt hast Du einen Säulenheiligen auf den Tisch gestellt. Seine Alben sind so reichhaltig…
F: Vom hochwertigen Konfektionspop der Walker Brothers bis hin zu den eiskalten Monolithen, die er jetzt so hinstellt.
K: Ich war in der Urania bei der Premiere der Doku “30th Century Man”. Da war
das Playboy-Bunny zu Gast, das ihm eines Nachts Jaques Brel vorspielte.

Das Beispiel Scott Walker müsste ja doch beweisen müsste, dass man es eigentlich auch von Starmania zu vernünftiger Musik schaffen kann.
F: Eigentlich schon. Nimm den Sänger der Monkees. Der schaffte es auch vom plumpen Unsinn zu Weltklasse. Doch ja, ich könnte mir das durchaus vorstellen.
K: In “30th Century Man” gibt es eine Schüsselszene, als die Walker Brothers nach einem Konzert Backstage befragt werden und Scott Walker auf die Frage, worum es ihm eigentlich gehe, erklärt, das einzige, was ihn interessiere, sei es Platten zu machen. Zu produzieren. Alle andere anderen sind in ihren Antworten viel flapsiger, er dagegen unglaublich fokussiert. Das hat den weiteren Weg angedeutet, denke ich. Sein Wirken hat sich langsam dort hin verschoben.

Tatsächlich hat er geschafft, seinen mit den Walker Brothes erarbeiteten Ruhm binnen drei Alben zu zerstören.
K: Und dann liefert er das Meisterwerk ab. Man darf dabei aber auch nicht vergessen, dass die 70er für sein Verständnis von Musik nicht gerade reichhaltig waren.

Eigentlich war seine Musik in gewissem Sinne ja auch reaktionär, hat er doch die in vollem Gange befindliche Beat-Revolution ignoriert und sich auf Jaques Brel gestürzt…
K: Und dabei auf große Gefühle gesetzt, das Innere nach außen kehren und sich exponiert. Die Musik ist in jeder Phase übertrieben und pathetisch. Auf seinen Soloalben 1 bis 4 sind schon einige Pathos-Bomben dabei.
F: Allein die Streicher-Arangements… Auf “Nightfly” hat er dann mit dem neuen Stil angefangen, die langsamen dringlichen Dinge forciert. Aber ich glaube du solltest es Dir gut überlegen, bevor Du noch einmal so einen Namen in die Runde wirfst.
K: Damals bei der Premiere wurde anschließend die ganze Nacht Scott Walker gespielt. Ein einmaliges Erlebnis.

Ihr habt vorher davon gesprochen, eine Albumband zu sein. Kann man sich das überhaupt noch leisten – eine Albumband zu sein?
F:
Die Frage stellt sich nicht. Das muss man sich leisten. Ich weiß zwar nicht, wo sich das Musikbiz hin entwickelt. Und es ist schon richtig, dass man dort in größeren Einheiten denkt. Aber es wird immer wichtiger, etwas Zyklisches mit Cover auf den Tisch zu legen.
K: Obwohl das schnelle Rotzige mit Singles und EPs, wie es aus dem Punk kommt, schon auch etwas hat.
F: Oder Split-Singles… Aber insgesamt haben wir eine starke Präferenz hin zu runden Alben.

Die man von vorne bis hinten durchhören kann, ohne ständig weiter skippen zu müssen?
F: Es gibt ja zum Beispiel nichts Unerträglicheres, als 12 Mal hintereinander eine Nummer mit dem exakt gleichen Energie-Level hören zu müssen.
K: Und das muss auch gar nicht das große Konzept sein, sondern einfach eine gewisse Spannung, die sich durch das ganze Album zieht.
F: Ein schlüssiges Bündel an Nummern; Dinge, die den Hörer beim ersten Mal ansprechen, aber auch solche, die ihn erst beim fünften Mal ansprechen.
K: Am besten ist es immer dann, wenn der Hörer nach dem ersten Mal Durchhören eine andere Lieblingsnummer hat als nach mehrmaligem Hören, dh wenn es Stimmungen gib, die kürzer und solche die länger anhalten.

 

 

Entgegen der ganzen Entwicklung, die doch eher in eine andere Richtung, nämlich in die des schnell via IPod oder Telefon konsumierbaren Einzeltracks geht…
K: Es gibt Bands, die man immer nur mit einer Nummer assoziiert. Bands, bei denen fast niemand über das erste Häppchen raus gelangt ist. Aber wenn ein Album gut geplant war, dann hat das einen längeren Wert für den Hörer.
F: Egal, wie die Hörgewohnheiten sich entwickeln, wichtig ist, dass man etwas ganz und fertig macht. Und danach wieder weiter macht. Man weiß zwar nicht wohin, aber weiter muss es gehen.

Woran arbeitet ihr gerade?
K: Es gibt schon neue Nummern, die wir live spielen, damit wir sie lernen.

Wo geht das hin?
F: Schwer zu sagen, weil wir ja gerade erst angefangen haben, zusammen wachsen. Ich glaube, dass man Entscheidungen über Richtungsänderungen erst nach der zweite Platte wird fällen können, indem man nämlich entscheidet, ob und wenn ja welchen Parameter man jetzt verändert, verschiebt.

Damit es interessant bleibt.
F: Genau.

In einem Interview hat einer von euch mal gemeint, eine Marktlücke zu reißen ist besser als nach dem großen Markt zu schielen.
F: Keine Ahnung mehr. Aber grundsätzlich stimmt das ja auch, obwohl Marktlücke doof klingt. Aber den Eigenstil zu pflegen ist immer sinnvoller als zu schauen, wie man den großen Markt knacken kann.
K: Man merkt es diesen Bands ja dann auch schnell an, dass sie viele Kompromisse eingegangen sind und nichts mehr übrig geblieben ist von der ursprünglichen Idee. Meist ist das im Endeffekt eine eigenartige Mischung, die sich in einer Konsensmitte trifft, in der nichts mehr funktioniert.
F: Einer der großen Reize an der ganze Sache ist doch, wenn man eines Tages aufwacht und feststellt, dass man tatsächlich eine eigenen Stil hat.

Liest man die Rezensionen zu eurer Platte, stellt man andererseits fest, wie schwer es den Journalisten fällt, euch einzureihen. Viele haben sich mühevoll Vergleiche abgerungen: Von Postpunk bis Indie. Letztlich ist das, was ihr macht, aber doch einfach intelligente Popmusik. Gibt es davon so wenig, dass es zur Sensation gerät?
K:
Am Anfang war uns eigentlich gar nicht so klar, wo das mit der Band hingeht. Das Projekt ist aus der Vorband Gelee Royal entstanden.
F: Dort sind wir irgendwann angestanden. Mit der letzten Platte waren wir sehr zufrieden, wollten uns aber verändern, einen Parameter erheblich zu verschieben und haben uns entschlossen, auf eine Rockbesetzung aufzustocken. Und dann brauchten wir auch einen neuen Namen. Bei dem Entschluss, Kreisky zu werden, spielte auch die Überlegung mit, Sachen wegzuschmeißen. Bei all den Sachen, die man macht, hat man ein Bild von sich, dem man sich fügt. Wenn man die Parameter verschiebt, ist man wieder freier.

Und entwirft ein neues Bild, dem man sich neuerlich fügt?
K: Sicher, aber man zieht nicht mehr den Schweif hinterher.
F: Martin und ich machen nun seit 14 Jahren gemeinsam Musik. Da war noch so viel aus den Jugendjahren drin. Dieses Gefühl, Schulspezies zu sein, galt es auszublenden.

Inwiefern spielt in eurer Musik Protest eine Rolle?
F:
Hmmm…

Gibt es eine politische Message?
F:
Politische Message spielt gar keine Rolle. Wenn überhaupt, dann nur insofern, als das Private Eingang in die Songs findet. Aber natürlich suchen wir nach Identifikationspunkten. Wichtig ist, dass es Dinge gibt, die das Publikum anspricht. Wesentlich interessanter als Politik finde ich ist es, die Schattenseiten unserer Gesellschaft zu besuchen.

Indem man in verschiedene Rollen schlüpft?
F: Klar. Weil man dadurch ungleich drastischer werden kann.

Spannender als aus der zurück gelehnten Beurteilungsposition?
F: Mir geht es um Dinge, die man selber kennt. Der eigene Neid und die eigenen Eifersuchtsgefühle – übersteigert dargestellt.

Gerät diese übersteigerte Darstellung dann nicht zum Protest?
F: Doch. Gegen einen selbst.

 

 

Inwiefern? Gegen die eigene Anpassung?
F: Ja. Indem man zum Beispiel nicht muckt. In den ersten Nummern des Albums geht es genau darum, dass man sich drückt.
K: Gar nicht so sehr als Protest nach außen hin, sondern als nüchterne Feststellung dessen, was man selbst falsch macht.

Und der Kampf mit der eigenen Schattenseite wird dann zu etwas, mit dem jeder etwas anfangen kann?
F:
Eigentlich sind die Probleme unlösbar. Von Neidgefühlen etwa kann man sich unmöglich lösen.
K: So viel zu dem, was uns vom so genannten deutschen Befindlichkeitspop unterscheidet.

Wieso eigentlich “so genannt”?
K: Weil man´s so immer wieder hört.

Von Blumfeld bis Sterne
K: Nein, das ist ja eh die elegante Ecke.

Juli?
K: Das ist die ganz kommerzielle Ecke. Aber dazwischen gibt es ja unglaublich viel, was nicht diesen geilen Schlager macht, den Blumfeld ab und zu hervor gezaubert haben, sondern einen eigenartig verkleideten Schlager spielen. Uns geht es letztlich darum, Musik für Gleichaltrige zu machen. In erster Linie machst du die Musik ja für dich selbst. Und wie kann da ein Dreißigjähriger ernsthaft über die erste Liebe singen? Darüber geht es aber in einem Gros diese Lieder. Da stimmt doch etwas nicht. Das ist doch eine Flut an ausgewählten Befindlichkeiten, die Leute darbieten, die dem überschwenglichen Gefühl der ersten Liebe längst entwachsen sind.
F: In einem gewissen Alter sollte man schon den Anspruch anlegen, gewisse Dinge reflektierter anzugehen.

Und in euren Songs geht es um Alltagswahrheiten, ironisch und zynisch gebrochen?
F: Uff das war jetzt viel. Alltagswahrheiten: ja. Und dann geht es um Abgründe. Ironisch? Bei der Überzeichnung geht es darum, nicht aufzulösen, sondern zu beschreiben und zu umschreiben.

Ist die Rockband ein wichtiges Vehikel, um das zu transportieren?
K: Sie ist eine gute Entsprechung zur Musik.

Wie entstehen die Songs?
F: Indem ich oft Fetzen aufschreibe ohne jede Stringenz, die sich mit anderen – was die Stimmung anbelangt – ergänzen und insgesamt eine gewisse Zwischenstimmung ergeben. Und diese Zwischenstimmung ist dann genau wichtig. Der Graubereich, der kein einfaches Gefühl ergibt, sonder dieses eigenartige Zwischengefühl, aus dem man als Mensch ja oft besteht.

Genau das ist es aber doch, was der Musik Nachdruck verleiht. Indem sich jeder auf die Lücken seinen eigenen Reim bildet.
F:
So stell ich mir den Idealfall vor: Dass die Musik so viel Freiraum bietet, dass ich selbst noch Platz habe. Kantig und treibend sein und physisch. Nicht avantgarditisch und verschwurbelt. Wichtig ist auch, dass man ein Publikum hat. Das ist für uns ja auch neu.
K: Je mehr Leute zum Konzert kommen, desto besser ist es. Unsere Musik ist physisch wahrnehmbar.
F: Eine Größenordnung von 300 Leuten, das wäre mein Wunschtraum.

Vielleicht klappt es ja als Vorband von Christine Stürmer?
F: Das würden wir aber nie wollen, vor richtig großem Publikum zu spielen wie U2. Den Rockstar-Traum wollen wir nicht träumen. Wirklich nicht.

Apropos Rockstar-Traum: Du hast einmal gesagt, der Erfolg einer Christine Stürmer hilft auch einer Band wie euch. Das musst Du mir erklären.
F: Ich weiß nicht mehr, ob ich das tatsächlich genauso gesagt habe. Aber gemeint habe ich damit, dass eine konzentrierte mediale Aufmerksamkeit auf einen deutschsprachigen Sänger auch anderen deutschsprachigen Bands nutzen kann, indem man sich einfach Schritt für Schritt wieder traut, derartige Musik zuzulassen.

Das heißt je mehr die Stürmer im Fernsehen ist, desto mehr seid auch ihr im Fernsehen vertreten?
F:
Das denke ich schon, weil die Leute sehen: Da ist wieder was. Da trauen sich welche, deutsch zu singen. Und sich denken: Na gut. Geben wir Kreisky auch einmal eine Chance und schauen wir, was dabei rauskommt.

Das Interview führte Markus Deisenberger.

Kreisky