mica-Interview mit Klaus Ager

“Drei von sechshundert sind einfach zu wenig!” – Klaus Ager, seinerseits Präsident des Österreichischen Komponisten Bundes, spricht im mica-Interview mit Markus Deisenberger offen über das Image-Bekenntnisse, die Defizite im Förderwesen und den österreichischen Minderwertigkeitskomplex.


Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Probleme österreichischer Komponisten?

Die größten Probleme liegen in der Wahrnehmung. Da fängt es an. Den meisten Leuten, die ein Musikstück hören, ist gar nicht bewusst, dass hinter diesem Stück auch ein Komponist steht. Das ist der erste Punkt. Der zweite ist, dass die Förderung der Komponisten durch Veranstalter und allen voran den ORF derzeit völlig ungenügend ist und darüber hinaus weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Was mir vorschwebt ist ein der österreichische Agrarwirtschaft ähnliches Image-Bekenntnis. Die nämlich hat es geschafft zu sagen: Wir wollen österreichische Qualität. Nun sollte sich auch endlich die österreichische Musikwirtschaft zu einem Bekenntnis zu österreichischer Qualität durchringen.

Es muss also Sendeplätze geben, in denen explizit und absichtlich österreichische Musik gespielt wird?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir wollen keine Quote, aber es muss einfach mehr sein als es jetzt der Fall ist. Derzeit liegen wir bei 17% und im Bereich der E-Musik bei 0,2% des Gesamtsendeaufkommens von Musik. Der europäische Schnitt aber liegt bei etwa 40%.

Wenn ich meine persönliche Wahrnehmung heranziehe, kommen mir 17% bei der U-Musik sogar noch hoch vor. Herr Ager, wo wird heute österreichische Musik gespielt?
Auf Ö3 und fm4.

Und im Fernsehen?
In Formaten wie Starmania kommen zum Teil österreichische Produktionen vor.

Aber doch wohl kaum Kompositionen.
Zum Teil schon. Gerade bei den jugendgeförderten Sachen ist schon ein bisschen was da, aber auch dort ist es weit zu wenig.

Ist diese Mangelerscheinung auch ein Problem des Stellenwerts an sich?
Wahrscheinlich schon. Was wir machen müssen und ja auch versuchen ist, das Image – eben so wie es auch im Agrarbereich funktioniert hat – zu heben. Es gab da eine ganz konzentrierte Imagekampagne für österreichisches Rind. Es würde mich wundern, wenn das für den Bereich der Musik nicht auch funktionieren sollte, wenngleich man Musik nicht in dem Sinn kaufen, aber doch zumindest hören kann.

Gibt es Stellenwertunterschiede zwischen Klassik und Neuer Musik?
Natürlich. Das ist im E-Bereich unser großes Problem. Die Förderung in der bildenden Kunst etwa geht zu einem Großteil in die zeitgenössische Kunst, während die Förderung im Musikbereich im Wesentlichen in die Förderung der Klassik und eben nicht der zeitgenössischen Musik geht. Denken Sie nur an die Oper, die Philharmoniker und die Salzburger Festspiele.

Hat das mit der Verzahnung zwischen Musik- und Tourismuswirtschaft zu tun?
Zum Teil sicher.

Sie sind nicht nur Funktionär beim ÖKB, sondern waren auch Veranstalter der Aspekte Salzburg und lehren am Salzburger Mozarteum Musikanalyse? Hat eine Stadt wie Salburg andere Probleme als Wien?
Das glaube ich schon. Salzburg hat auch durch die Übermacht der Festspiele einige gravierende Probleme. Zudem ist es einfach viel kleiner als Wien, es gibt daher bei weitem nicht so viele Möglichkeiten und Nischen. In Wien ist es nicht zuletzt durch die Arbeit des Konzerthauses etwas differenzierter und leichter, viel aber nicht.

Aber Leute wie Markus Hinterhäuser (Konzertchef Salzburger Festspiele) und Stephan Pauly (Geschäftsführer Stiftung Mozarteum) setzen doch gezielt auf Neue Musik. Ist da in den letzten Jahren nicht auch etwas in Bewegung gekommen?
Schon. Wir haben ja nicht umsonst dreißig Jahre in diese Richtung gearbeitet. Aber  wenn ich mir die Programme von Herrn Hinterhäuser und Herrn Pauly ansehe, kann ich darin nicht viel österreichische Musik ausmachen. Scelsi und Xenakis weilen auch nicht mehr unter den Lebenden. Also: So toll wie wir uns das vorstellen, ist das bei weitem noch nicht.

Vorher haben Sie vom Mangel österreichischer E-Musik in kommerziell orientierten Radio- und Fernsehprogrammen gesprochen. Das mag ja noch einleuchten. Woran aber liegt nun der Mangel an österreichischer zeitgenössischer Musik in Programmen, die sich eigentlich genau diesem Schwerpunkt widmen? Gibt es einfach nicht so viel Gutes oder ist es nur einfach nicht sichtbar?
Glauben Sie mir, es gibt genug Gutes. Bis zu einem gewissen Grad ist es für einen Veranstalter aber – und da spreche ich durchaus auch aus eigener Erfahrung – viel einfacher, Bewährtes und bereits in unzähligen Einspielungen Vorliegendes einzusetzen. Und wenn man einmal etwas Neues sucht, dann setzt man auf die ganz großen Verlage, die wiederum nur einen Teil des Spektrums abbilden. Wir haben in Österreich ungefähr sechshundert Komponisten im Bereich der E-Musik. Davon sind einige vielleicht nicht repräsentativ, aber viele davon sind wichtig, förderungswürdig und “gehören gehört”. Der bekannte Slogan von Ö1 ist richtig und sollte endlich auch auf die zeitgenössische Musik angewendet werden. Auch Neue Musik gehört gehört!

 

 

600 Komponisten sind eine ganz beträchtliche Zahl. Haben Sie den Eindruck, dass diese Leute ausreichend auf die aktuelle Marktsituation vorbereitet werden und wissen, welche Hebel sie wo in Bewegung setzen müssen, um gehört zu werden?
Die jüngeren schon. An den Musikuniversitäten hat sich da schon einiges Grundlegendes verändert. Die Vorbereitung junger Kompositionsschüler ist heute doch eine etwas andere als noch vor zwanzig Jahren, als man dachte, es würde schon irgendwie laufen, wenn man nur das kompositorische Rüstzeug beherrscht. So ist es ja schon lange nicht mehr. Beim Komponistenbund versuchen wir, das zu artikulieren und den Leuten zu zeigen, wie sie das Heft selbst in die Hand nehmen müssen, um Erfolg zu haben. Es sind ja auch nicht alle jung und up to date.

Das heißt, der ÖKB veranstaltet Seminare?
Zum Teil ja. Zum Teil informieren wir in Rechtsberatungen über Rechte. Zwei Mal im Jahr erscheint auch unser Periodikum. Wir verfügen über eine eigenen Anwalt, der sich im Kompositionsbereich auskennt. Diese Aufklärung ist unerlässlich, denn das Recht zu haben und es in Anspruch nehmen sind zwei völlig unterschiedliche Kategorien.

Nun geht es aber doch nicht nur um Rechte, sondern auch in einem ganz wesentlichen Ausmaß um die gelungene Selbstvermarktung des Musikschaffenden im Zeitalter digitaler Medien? Kann das eine auf die Vermittlung von Kompositions- und Musiklehre spezialisierte Ausbildungsstätte überhaupt noch adäquat wahrnehmen?
Ich finde schon, dass das in den Ausbildungszweig des Kompositionsunterrichtes gehört, die Leute in die Funktionen der Musikwirtschaft einzuführen und das Fach Musikbusiness ist meines Wissens auch schon Teil des Lehrplans. Es hat sich einfach zu viel geändert, um das nicht wahrzunehmen. Ein Beispiel: Als ich mit dem Studium fertig wurde, war das erste, was ich tat, mir einen Verlag zu suchen. Davon gab es damals noch einige, was heute einfach nicht mehr so ist.

In Donaueschingen gab es vor ein paar Jahren einen besonderen Focus auf österreichische Musik. War das ein Einzelfall?
Ja. Das hing damals auch mit unserem Engagement zusammen, den damaligen Intendanten eingeladen haben. Es ist aber leider nicht so, dass dort Jahr für Jahr gleich mehrere österreichische Komponisten gespielt werden. Freilich werden Leute wie Furrer, Haas und Neuwirth schon auch bei uns wahrgenommen. Aber drei von 600 sind einfach zu wenig. Wir sind der Meinung, dass es weit mehr österreichische Komponisten gibt, die wahrgenommen werden sollten. Es gibt kaum ein Land, das über so viele so gute Komponisten verfügt wie Österreich. Vielleicht ist ja gerade das unser Problem. Schade ist, dass wir zu wenig wahrgenommen werden und daran sind wir auch selbst schuld. Wir kämpfen mit einem gewissen Minderwertigkeitskomplex, der uns zwingt, uns ständig unserer Leistungen zu schämen.

In einer parlamentarischen Enquete wird traditionell viel diskutiert, da geht es sehr in die Breite. Können Sie in einigen wenigen Sätzen zusammenfassen, worum es Ihnen in der Diskussion gehen wird?
Mir geht es darum, einmal die Zahlen auf den Tisch zu legen und zu zeigen, wie es beim ORF und den privaten Stationen aussieht. Ich denke, es sollte die Abgeordneten interessieren, welch großer Unterschied hinsichtlich erhaltener Fördergelder zwischen Bildender Kunst und Musik besteht, dass wie schon gesagt in der Musik ganz im Gegensatz zur Bildenden Kunst der Löwenanteil in die Förderung klassischer Musik läuft. Die Situation österreichischer Musik ist eigentlich nicht in Ordnung.

Herr Ager, vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Markus Deisenberger

Klaus Ager

 

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