mica-Interview mit JUUN/Judith Unterpertinger

Jazz-Klavier hat Judith Unterpertinger, die sich selbst JUUN nennt, studiert – doch Jazz alleine ist ihr zu wenig. Über die Grenzen von Genres, Kunstformen und Ländern hinweg bewegt sich ihr Schaffen als Musikerin wie auch als Komponistin. Wie sie ihren eigenen Platz findet, darüber sprach sie mit Lena Dražić.

Du hast bei Christoph Cech an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz Jazz-Klavier studiert. Ich finde es interessant, dass du ursprünglich keine klassische Kompositionsausbildung gemacht hast – inwiefern hat dich das geprägt?

JUUN: Ich habe im Jazz-Klavier-Studium den Schwerpunkt Jazz-Komposition gewählt. Mir ist aber sehr bald klar geworden, dass mir Jazz alleine zu wenig ist. Jazz hat mich damals sehr interessiert, aber ich wollte mich einfach nicht festlegen, wollte mehr Möglichkeiten kennenlernen und habe dann nach einem Jahr begonnen, auch klassische Komposition zu studieren.

Hast du den Jazz-Bereich als restriktiv, als normativ empfunden?

JUUN: Jazz hat ganz klare Regeln, innerhalb derer man sich bewegen kann, oder aus denen man sich bewusst hinausbewegt, dabei aber doch dem Kontext Jazz verhaftet bleibt. Aber es gibt eben viel mehr als Jazz – er ist eine von vielen Möglichkeiten.

Ich kenne viele Leute, die sich im Jazz verorten, aber Sachen machen, die vom Klang her genauso gut in der sogenannten Neuen Musik möglich wären. Deshalb finde ich es interessant, dass du den Jazz-Bereich doch als weniger offen empfindest – es gibt da so ein gewisses Jazz-Idiom, und das ist es dann?

JUUN: Ich würde mich überhaupt nicht im Jazz verorten. Was mich viel mehr interessiert hat, war Improvisation – vor allem freie Improvisation, also ohne Leadsheets als Ausgangsmaterial. Die Abteilung an der Universität heißt ja mittlerweile Abteilung für Jazz und improvisierte Musik, und ich habe eben zu 90 Prozent improvisierte Musik gemacht und zu 10 Prozent Jazz. Jazz war damals der Weg für mich, an die Uni zu kommen, aber ich habe bald die Richtung gewechselt.

Hast du dich dann in der klassischen Komposition zu Hause gefühlt, oder war das auch wieder irgendwie einengend?

JUUN: Ich habe ein gewisses Handwerk erlernt, ich habe aber schon während des Studiums vor allem an Aufträgen gearbeitet. Das heißt, ich habe wenig studiert und einfach schon komponiert, was, wie ich glaube, der bessere Weg ist.

Du arbeitest häufig spartenübergreifend, zum Beispiel mit bildender Kunst, mit der visuellen Ebene, wie in den „London Wall Studies“ …

JUUN: Es gibt drei Werke, die sich mit Fotografie als Ausgangsmaterial beschäftigen. Die erste Komposition war „außen, von innen“, das Ausgangsmaterial dazu war eine Serie von Porträt-Fotos, „Thirsty Camel“. Dazu habe ich in kanadischen Kaffeehäusern von innen Fotos durch die Fensterscheiben von vorbeieilenden, laufenden, schlendernden Menschen gemacht. Diese dienten mir dann als Vorlage für Tuschezeichnungen – ich habe Details abstrahiert, wie zum Beispiel einen Nasenflügel oder eine gerunzelte Stirn. Diese Grafiken bilden den Ausgangspunkt der Komposition. So habe ich das Fixierte der Fotos wieder in Bewegung übersetzt; das war 2007. 2008–2011 sind die „London Wall Studies“ entstanden, Fotografien von Mauerwerk in London. Zu den daraus entstandenen Zeichnungen habe ich dann drei Solowerke, „Wall Study I, II, III“ komponiert, und 2010 entstand noch die „zone3“-Serie.

War bei dir immer schon das Interesse vorhanden, dich auch außerhalb der „reinen“ Musik künstlerisch zu betätigen?

JUUN: Es ist gewachsen. So, wie mir schnell der Jazz zu eng wurde und mich dann in Richtung zeitgenössische Komposition bewegt habe, haben mir auch da bald die Mittel nicht mehr ausgereicht. Tanz und Performance sind für mich als Ausdrucksmittel interessant geworden, weil ich nicht alles in der Musik ausdrücken kann. Dann kam mit der Fotografie eine weitere visuelle Ebene dazu. Wer weiß, wo ich in fünf Jahren bin – ich glaube, es ist wichtig, dass man nach vielen Richtungen hin offen bleibt. Aber ich habe gemerkt, dass die Themen Raum und Raumkonzepte immer wieder Einzug in meine Arbeit halten – wie auch der Umgang mit Objekten, mit dem Körper und der Sprache.

Kannst du mit dem Begriff „Sound Art“ in Bezug auf deine Arbeit etwas anfangen?

JUUN: Sound Art ist ein extrem weiter Begriff, aber auch ein sehr spannendes Feld für mich, weil ich ja auch an der Kunstuniversität Linz einen Lehrauftrag zum Thema Sound Art habe. Ich stelle mir oft die Frage, inwieweit meine Arbeit da hineinfällt. Was mich interessiert, ist die Gleichwertigkeit der verschiedenen Ausdrucksmittel in einem Werk – also die Frage, wie ich die visuelle Ebene gestalten kann, ohne dass sie die auditive Ebene erdrückt, was ja sehr schnell passieren kann. Diese Hierarchien möchte ich aufheben. Ich habe begonnen, einen Weg in diese Richtung zu gehen, der sicher noch viele Jahre andauern wird. Ich glaube, dass viele Schritte und viel Beschäftigung mit diesem Thema nötig sind, damit es wirklich gelingt.

Aber du hast ein sehr konkretes Ziel vor Augen …

JUUN: Genau. Ich bin momentan mit zwei Arbeiten befasst, in denen es unter anderem auch um diese Gleichwertigkeit der verschiedenen Ebenen geht, wobei das für mich nicht das einzige Ziel ist, sondern ein Aspekt unter vielen. Bei dem Projekt „PIANO SUBLIMATION“ arbeite ich mit Michael Wegerer zusammen, einem bildenden Künstler. Wir haben einen Ausstellungsraum im Künstlerhaus Wien zur Gestaltung zugewiesen bekommen und verwenden als Ausgangsmaterial einen Flügel, meine alte Hassliebe. Da haben wir ein Stück rausgeschnitten wie aus einer Torte, und Michael Wegerer hat begonnen, Grafiken zu machen. Wir kreisen eigentlich schon seit über zwei Jahren immer wieder um dieses Thema – er gibt mir Grafiken, ich arbeite damit weiter, er arbeitet dann mit den Soundfiles, die ich erstelle … Es ist ein sehr dialogisches Arbeiten. Am 18. April findet im Rahmen der Grafik-Triennale die Eröffnung statt, da wird es dann Objekte, Grafiken und Sound sowie eine Live-Performance geben.

Du hast vorher gesagt, du kannst mit der Musik allein nicht alles ausdrücken. Ist Ausdruck für dich generell ein wichtiger Impuls? Beziehungsweise: Woher kommt der Impuls, ein bestimmtes Stück zu machen?

JUUN: Das ist ganz unterschiedlich, es gibt da keine Regel. Es ist mal eine abstrakte Idee, manchmal ist es ein persönlicher Moment, dann wieder eine Stimmung …

Ist es bei dir auch so, dass das Experimentieren mit dem Klang den Impuls gibt für weiteres Arbeiten?

JUUN: Der Klang kann mich schon inspirieren, etwas anzugehen, aber es geht nicht nur um den Klang. Es gibt z. B. Stücke, deren Thema die Terz ist – dieser rein musikalische Zugang ist selten mein Weg, mir drängt sich meistens eine außermusikalische Idee auf. Es sind viele Ebenen, die sich dann verknüpfen.

Kannst du das anhand eines konkreten Stückes näher beschreiben?

JUUN: Ich arbeite, neben „PIANO SUBLIMATION“, gerade an einem Stück mit dem Titel „Judith“. Da geht es zum einen um die biblische Figur aus dem alten Testament, das Buch Judit. Zum anderen geht es um den Tod meiner Großmutter, nach der ich benannt wurde. Ich habe vier MusikerInnen eingeladen, davon eine Sängerin. Es wird ein Libretto von Magdalena Knapp-Menzel geben und eine Videoperformance. Das Video wird Catherine Ludwig gestalten, aber ich werde selbst performen. Die  Videoperformance ist für mich ein neues Medium, sie scheint mir aber in diesem Kontext eine sehr gute Lösung zu sein, um neben der sprachlichen und der musikalischen auch die visuelle Ebene hinzuzunehmen. Eine Live-Performance wäre unglaublich aufwändig zu gestalten und finanziell fast nicht zu machen, wenn man auch Live-Musiker dabei haben möchte. Außerdem ist es sehr spannend, Verknüpfungen zwischen diesen verschiedenen Ebenen zu finden. Das wird am 12. Oktober im Rahmen des Festivals Musica Sacra im St. Pöltner Dom stattfinden.

Du warst in den letzten Jahren in verschiedenen Ensembles aktiv – mit No Business For Dogs bist du 2012 z. B. beim Ulrichsberger Kaleidophon aufgetreten, mit krillit+/- beim Interpenetration Festival in Graz und mit deepseafishK beim Next Festival in Bratislava.

JUUN: Diese drei Ensembles sind derzeit meine Hauptprojekte. Sagen wir so: Es braucht als Gegenpol zum Komponieren das Live-auf-der-Bühne-Stehen, das Interagieren mit MusikerInnen. Die drei Projekte sind sehr unterschiedlich: Bei No Business For Dogs bilden Grafiken von mir das Ausgangsmaterial, die Stücke werden dann aber gemeinsam erarbeitet. Zu krillit+ muss man sagen: krillit ist eigentlich ein Duo von Alison Blunt und mir. Als ich zusätzlich noch Gino Robair aus den USA eingeladen habe, haben wir es krillit+ genannt. Als dann Alison krank wurde und nicht auftreten konnte, war das Resultat krillit+/−, also Gino Robair und ich. Es ist ein bisschen kompliziert, es sind quasi drei Formationen. Bei deepseafishK – das „k“ steht für „keys“ – spielten wir ursprünglich alle drei auf Instrumenten, die mit Tastatur zu tun hatten. Mittlerweile haben wir das auf „Horizontal Saiten Instrumente“ – wie ich es gerne nenne – erweitert. Bei unserem letzten Konzert hat Manon Liu Winter Clavichord gespielt, Katharina Klement Zither und ich Piano Guts. Wenn aber ein Klavier vor Ort ist, wird das selbstverständlich auch bespielt.

Der Ausdruck Piano Guts stammt von dir?

JUUN: Ja. Früher habe ich es „Klavier-Innenräume“ genannt – es gibt aber im Englischen nicht wirklich ein Wort dafür, manche nennen es „Inside Piano“ oder „Broken Piano“. Dann habe ich mir gedacht: „Piano Guts“, denn es sind ja die Innereien eines Klaviers, die ich rausnehme. Das ist in den letzten Jahren zu meinem Hauptinstrument geworden. Ursprünglich war es ein Notlösung, weil oft kein Flügel zur Verfügung steht, auf dem man spielen kann. Dann habe ich entdeckt, dass es viele verschiedene Klänge ermöglicht, wie es sie selbst beim präparierten Klavier nicht gibt. So habe ich außerdem etwas gefunden, das transportabel ist und mich von den Veranstaltungsorten unabhängig macht. Viele davon haben einfach keinen Flügel, sei es aus finanziellen Gründen oder aus Platzmangel. Dafür stehe ich jetzt vor dem das Problem, dass es schwierig ist, damit ins Ausland zu fahren, weil es einfach wahnsinnig viel wiegt – man kann es nicht einfach im Flugzeug mitnehmen.

Man kann auch nicht einfach vor Ort ein Klavier zerlegen …

JUUN: Derzeit ist geplant, dass wir mit deepseafishK  in New York spielen. Und nachdem die Konzerte mit Gino Robair einfach so großartig waren, hoffe ich, dass ich dann auch mit krillit+/− in den USA spielen kann. In diesem Fall versuche ich, vor Ort ein Klavier aufzutreiben. Das ist gar nicht so sehr das Problem, kaputte Klaviere gibt’s genug, aber es ist wirklich ein Tag harte Arbeit, ein Klavier zu zerlegen.

Lassen sich bei dir Projekte, die mehr mit Improvisation zu tun haben, von solchen trennen, wo die Komposition im Vordergrund steht – oder kommt ohnehin immer beides vor?

JUUN: Projekte, bei denen ich selbst spiele, haben immer mit Improvisation zu tun: Bei krillit ist es freie Improvisation, bei deepseafishK sind es Konzeptimprovisationen. Die Interaktion und das sofortige Reagieren auf die Situation, auf die anderen MusikerInnen ist der Grund, warum ich es so spannend finde, auf der Bühne zu sein. Da ist immer ein großer Anteil an Improvisation dabei und ein unterschiedlich großer Anteil an Konzept/Komposition. Wenn ich mich aber zurückziehe und für ein Ensemble komponiere, kann es zwar auch vorkommen, dass Improvisation ein Thema ist, aber die Komposition ist doch immer gewichtiger.

Hast du zurzeit auch Aufträge von Ensembles?

JUUN: Ich habe momentan die beiden Aufträge, von denen ich schon gesprochen habe – „PIANO SUBLIMATION“ für das Künstlerhaus und „Judith“ für Musica Sacra. Das ist völlig ausreichend für dieses Jahr.

Du kannst dich also nicht über mangelnde Auftragslage beschweren …

JUUN: Die Auftragslage ist nicht schlecht, aber die Bezahlung ist zum Teil eine Katastrophe. Komponieren könnte man sowieso ohne Ende, und es ist auch nicht schwierig, ein Ensemble zu finden – viele freuen sich über neue Stücke. Aber wenn es dann zur Bezahlung kommt, schaut es ganz anders aus.

Gehörst du zu den Glücklichen, denen es gelingt, zumindest in verwandten Bereichen ihr Geld zu verdienen? Mit dem Unterrichten oder mit Aufführungen …

JUUN: Das Komponieren und das Spielen von Konzerten sind meine Haupteinnahmequelle, momentan unterrichte ich auch an der Uni, ich habe aber keine Privatschüler, weil ich erst vor Kurzem wieder von England zurück nach Österreich gezogen bin. Vor zwei Jahren wollte ich schon alles hinschmeißen, weil ich mir gedacht habe, es ist eigentlich ein totaler Irrsinn. Ich habe dann ein Jahr lang gar nicht komponiert und gemerkt, dass das leider auch nicht geht. Es gibt da diesen inneren Drang, es trotzdem zu machen, und so werd’ ich halt weiterkämpfen. Sehr schade finde ich, dass es keine Förderungen gibt, die zum Beispiel über vier Jahre gehen – so hangelt man sich von einem Projekt zum nächsten und kriegt maximal eine Finanzierung für ein Jahr, wenn man Glück hat. So gibt es leider überhaupt keine Möglichkeit, dass man einmal über mehrere Jahre hinweg etwas entwickeln kann.

Und wie lange warst du in London? Wie ist die Situation dort?

JUUN: Ich habe knapp fünf Jahre in London gelebt. Die Situation ist eine ganz andere: Dieses Förderwesen, wie es bei uns existiert, gibt es dort eigentlich nicht, dafür funktioniert das Privatsponsoring viel besser. Andererseits kann man in England unglaublich viele Konzerte spielen, aber es läuft alles nur auf Eintritt: Das Höchste, was ich jemals bekommen habe, waren 20 Pfund für ein Konzert. Es ist dort gang und gäbe, dass die Leute andere Jobs haben, und man versteht dann auch, warum viele MusikerInnen aus England so gerne in Österreich auftreten – weil es hier einfach noch fixe Gagen gibt. Ich möchte die Zeit in England nicht missen, aber ich würde nie wieder einfach meine Koffer packen und in ein anderes Land gehen, wo ich niemanden kenne. Wenn man wirklich hauptberuflich als Musikerin in London überleben will, ist es noch einmal um ein Eck schwerer als in Österreich.

Leben wir also doch auf einer Insel der Seligen?

JUUN: Den Ausdruck „Insel der Seligen“ finde ich ziemlich absurd. Was mich wütend macht: Es ist viel Geld da, aber die Verteilung ist eine Katastrophe. Wenn ich mir anschaue, wie hoch die finanzielle Unterstützung von Konzerthäusern ist, die zum hunderttausendsten Mal irgendeinen Mozart aufführen, dann werde ich sauer. Das Problem ist, dass so wenig für die zeitgenössische Kunst passiert, und ich habe den Eindruck, in der zeitgenössischen Musik ist es besonders schlimm. Mehr Geld für zeitgenössische Kunstschaffende – das würde mich sehr freuen.

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