Mit gleich zwei Uraufführungen und einer österreichischen Erstaufführung macht Julia Purgina in diesem Frühjahr auf sich aufmerksam. Dazu kommen einige Wiederaufführungen ihrer Solowerke, die die österreichische Komponistin und Bratscherin teils auch selbst spielen wird. „Österreichische“ sei an dieser Stelle betont, denn wenn sie ein Konzertmoderator (der Verfasser pfeift an dieser Stelle geringfügig schuldbewusst vor sich hin…) ihrem Geburtsort im bayerischen Straubing gemäß als „deutsche“ Künstlerin ankündigt, dann kann sie schon einmal recht strenge Blicke aussenden oder gar zu energischem Protest anheben.
Ein strenger Blick vom Bratschenpult
Julia Purgina: Straubing hat sich so ergeben, da mein Vater zu dieser Zeit dort Arzt war. Ich bin aber schon mit einem Jahr nach St. Pölten gekommen und dann dort aufgewachsen.
Darf man sich die Jugend in einer Arztfamilie als im bürgerlichen Sinn besonders musikbetonte vorstellen?
Wir fünf Geschwister haben zwar alle ein Instrument gelernt, aber ich bin die einzige, die das dann professionell weiterentwickelt hat.
Kamst du deswegen zur Viola – und nicht zu einem der populäreren Instrumente Klavier, Geige oder Cello –, weil diese im Geschwisterverband schon „besetzt“ waren?
Nein, ich hatte schon zuvor mit dem Klavier begonnen und dann mit acht Jahren den Wunsch Geige zu lernen. Einmal, da war ich etwa 13 oder 14, hatte meine Lehrerin in der Stunde eine Bratsche mit und das hat mir so gut gefallen, dass ich sofort wusste: Ich will umsteigen!
Hast du zu der Zeit auch schon gewusst, wie sehr gerade die armen Bratscher mit Witzen aus der untersten Schublade gesegnet sind?
Gar nix hab’ i’ g’wusst. Mir hat nur einfach die C-Saite gefallen. Das war Liebe auf das erste Streichen!
Du hattest deine frühe Musikausbildung an der Musikschule St. Pölten. Kam dir schon während dieser Zeit der Gedanke, Musik zum Beruf zu machen?
Noch nicht so entschieden. Ich habe ja immer auch andere Sachen studiert. Zunächst hatte ich mir ein Semester lang Musikwissenschaft und Judaistik angesehen. Danach begann ich dann mit zwanzig das Kompositionsstudium. Mit der Viola habe ich mit 17 an der damaligen Wiener Musikhochschule, der späteren –uni, begonnen.
Nach der Tonsatzausbildung bei Claus Ganter erfolgte das eigentliche Kompositionsstudium bei Erich Urbanner. Warum fiel die Wahl gerade auf diesen Lehrer?
Weil ich zum einen seine Erfahrung irrsinnig schätze. Zweitens seine Offenheit. Er hatte sehr, sehr unterschiedliche Studenten, und deswegen entschied ich mich für ihn. Ich ging in eine Probestunde. Da hat er so mit Händen und Füßen unterrichtet – da wusste ich, das will ich!
Die Möglichkeit eines Kompositionsstudiums im elektronischen oder im Medienbereich wäre dir suspekt gewesen?
Elektronik und Film sind mir nicht suspekt, aber es interessiert mich einfach die reine Instrumentalmusik am Meisten. Auch weil ich immer im Hinterkopf habe: Ich will das selbst spielen.
Fast jeder Student bzw. Lernende hat irgendwann auch Krisen, Punkte, an denen er meint, ich kann nicht weiter.
Ja, das gab es bei mir auch. Zwischen dem ersten und zweiten Studienabschnitt, also bevor ich zu Urbanner kam, ging ich 2002/03 für ein Jahr nach Berlin. Und in diesem Jahr habe ich keine einzige Note komponiert, sondern mich ganz auf die Bratsche konzentriert. Nach diesem einen Jahr war mir allerdings klar, dass ich Bratsche spielen UND komponieren will.
Schon bald nach dem Auslandsjahr in Berlin, wo sie an der Universität der Künste bei dem Berliner Philharmoniker Ulrich Knörzer ihr Spiel vervollkommnete, diplomierte Julia Purgina an der Wiener Musikuniversität bei Wolfgang Klos. Ihr Kompositionsstudium vollendete sie 2006 mit dem Diplom, schloss dem aber noch Postgraduate-Studien bei Chaya Czernowin an. Zurzeit befasst sie sich in ihrem Dissertationsstudium mit Zufallstechniken in Kompositionen zwischen 1950 und 1965 unter dem besonderen Aspekt des Vergleichs von Europa und den USA. Auffällig also das anhaltende Interesse am Theoretischen.
Ich habe immer neben den praktischen musikalischen Fächern auch anderes studiert – Sprachen etwa. In meiner Berliner Zeit Slowakisch, da ich auch meinen eigenen Wurzeln nachspüren wollte, jetzt Russisch. Ich habe eine starke Affinität zu anderen Kulturen, interessiere mich wahnsinnig für Japan.
Wie sieht es mit Japanisch aus?
Das nicht gerade. Aber ich kann perfekt Sushi bestellen! Wir kommen immer durch. Was mich dort besonders interessiert ist, wie die Gesellschaft funktioniert, wie soziale Strukturen entstanden sind, wie der Zusammenhalt da ist – ganz anders als bei uns.
Bist du demnach sehr oft in Japan?
Nicht so sehr oft, aber unsere Hochzeitsreise vor kurzem ging dorthin.
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass Julia Purgina seit dem Vorjahr mit dem Dirigenten und Komponisten Roland Freisitzer verheiratet ist. – Doch gleich zurück zur Geographie. Aus einigen Konzerten weiß man, dass die Komponistin gerne Stadtpläne „vertont“!
Diese Phase ist vorbei. Aber sag niemals nie! Stadtpläne sind nach wie vor wichtig. – Es ist das Graphische. Aber nicht nur das, sondern das, was man hineinfühlt: Wenn ich auf einem Plan eine Grünfläche sehe, stelle ich mir einen Park vor. Wenn ich eine Straße sehe, eine Autobahn. Das ist wie ein Piktogramm.
Eine andere Gruppe von Kompositionen heißt Lunarium.
Das war mein letzter Zyklus. Die Hauptidee dabei war, drei Solostücke zu schreiben, die wie Erde, Sonne und Mond umeinander kreisen. Und da geht es um die jeweiligen Beleuchtungen. Der ursprüngliche Gedanke wäre gewesen, dass die drei Soli auch zusammen als Trio aufgeführt werden könnten, aber das habe ich dann doch verworfen, weil sich ein zu dichtes Gewebe ergeben hätte. So gibt es nun diese Stücke für Viola solo, für Violoncello solo – komponiert für Maria Frodl – und eines für Kontrafagott solo, das für Robert Gillinger-Buschek entstand.
Ein weiterer Titel, der im Werkverzeichnis öfter als einmal aufscheint, lautet Herbarium.
Das sind Sammlungen von Miniaturen – einmal für tiefes Streichtrio, einmal für Orchester – denen Gedichte von Neruda zugrunde liegen, in denen er Pflanzen erwähnt und mit sehr eigenartigen Adjektiven versieht. Den Gedanken von Minaturensammlungen mag ich einfach sehr gerne. Das schreibe ich am liebsten.
Man ist dabei gezwungen auf den Punkt zu kommen.
Genau. Ich bin ein Mensch, der gerne auf den Punkt kommt; nicht darum herumredet. [lachend] Aber es hat auch einen ganz pragmatischen Grund: weil man nicht so lange daran sitzt.
Ein gerade begonnener Werkzyklus heißt Euonymus.
Das ist zunächst ein Stück für Tenorsaxophon und Ensemble, dem aber noch weitere folgen werden. Euonymus 02/11/08 [2. November 2008, Anm.] folgt einem Gedicht von John Updike und bezeichnet einen Strauch, den er von seinem Fenster in New York aus gesehen hat. Die Komposition folgt den Stimmungen von Updikes Gedichten.
Das erste neue Werk, das in diesem Frühjahr in Wien zu hören sein wird ist das Ensemblestück Flashroom, das das Ensemble reconsil unter der Leitung von Roland Freisitzer am 24. März im Arnold Schönberg Center aus der Taufe heben wird.
Flashroom ist an Herbarium angelehnt. Hier werden mehrere Miniaturen durch ein durchgehendes Morsen verknüpft – eine Reflexion darüber wie Nachrichten, z. B. im Fernsehen, aufgebaut sind. Man erhält eine wahllose Aneinanderreihung. Noch bevor man eine dieser Nachrichten verarbeitet hat, ist man schon in der nächsten drin.
Das Stück entstand bereits 2008, wird aber erst jetzt uraufgeführt – und zwar als „revidierte“ Version von 2010.
Das konnte ich machen, weil es eben noch nicht aufgeführt wurde. Wenn mir ein bereits aufgeführtes Stück nicht gefällt, tendiere ich zum Zurückziehen. Ich bin nicht für ein grundsätzliches Überarbeiten.
Nach Flashroom folgt am 11. Mai in Moskau die Uraufführung eines Violakonzerts, bei dem das Ehepaar Purgina – Freisitzer mit dem Studio New Music arbeiten wird. Drei Wochen später wird das Ensemble reconsil das Stück im Wiener RadioKulturhaus zur österreichischen Erstaufführung bringen. Man kann annehmen, dass es sich um ein sich selbst maßgenau auf den Leib geschriebenes Stück handelt?
Ich habe ja schon viele meiner Stücke selbst gespielt, insofern ist das nichts Besonderes. Das einzig Spezifische in diesem Fall war, dass ich im Bewusstsein, dass ich die Uraufführung machen werde, geschaut habe, was ich selbst spielen kann. Ich habe etwa gesehen, dass es kein Problem ist, eine Tritonuskette im schnellen Tempo zu spielen – und die steht jetzt drinnen.
Ein Frage, die daraus entsteht: Wie ist für dich allgemein das Verhältnis zwischen der technischen Aufgabe, die sich bei einer Komposition stellt, und dem „Herzblut“, dass dabei einfließt?
Komponieren würde ich nie als technische Aufgabe sehen. Ich bin nicht gefühlsdusselig, aber es kommt doch immer auf den emotionalen Moment an! Was mir jedenfalls wichtig ist, ist dass es persönlich ist; dass das, was ich sagen will, da drinnen steckt. Nicht à la Cage, dass der Autor nicht mehr zählt.
Als Bratschistin freischaffend tätig, hat Julia Purgina bislang u. a. im Gustav-Mahler-Jugendorchester, dem Wiener Jeunesse Orchester und dem Radio-Symphonieorchester Wien mitgewirkt, ebenso gefragt ist sie bei Kammerorchestern und vor allem Spezialensembles für neue Musik, wie dem Ensemble 20. Jahrhundert, dem Ensemble reconsil und dem ensemble LUX, dessen Mitbegründerin sie ist und mit dem sie in dieser Saison als Ensemble in residence der Österreichischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik (ÖGZM) einen Konzertzyklus bestreitet, der auch 2010/11 fortgesetzt wird. Weitere Pläne mit LUX sehen u. a. einen Auftritt bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen vor, bei dem neben dem zweiten Streichquartett von György Ligeti und dem dritten Streichquartett von Sofia Gubaidulina auch Uraufführungen des ägyptischen Komponisten Amr Okbar und des Inders Uday Krishnakumar auf dem Programm stehen. Noch im Frühjahr soll bei Spektral Records eine erste CD mit einer Aufnahme des Streichquartetts von Stephen Siegel erscheinen.
Mir ist wichtig, dass ich diese Symbiose aus selber Spielen und Komponieren leben kann. Mit LUX läuft es sehr gut – und wenn sich das noch steigert und ich dabei auch noch mehr Eigenes spielen kann, dann freut mich das einfach!
Das Gespräch führte Christian Heindl
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