mica-Interview mit Josef Klammer

„Wir haben die Linie, keine Linie zu haben.“– Der Verein V:NM feiert heuer sein 15. Betriebsjubiläum und ruft im Kulturaustausch mit London vom 7. bis 10. April zum 8. V:NM-Festival in Graz. Hauptverantwortlich für das einzigartige Festival für Neue, Improvisierte und elektronische Musik ist der Grazer Musiker und Konzeptkünstler Josef Klammer.

V:NM heißt Verein für Neue Musik….

Josef Klammer: …eigentlich heißt´s: Verein zur Förderung und Verbreitung Neuer Musik. Ursprünglich hieß es ja Vertrieb für Neue Musik, weil wir von der Idee ausgingen, damit die eigenen CDs zu vertreiben. Allerdings konnte man das im Vereinsregister nicht so registrieren.

Wenn nun der Normalverbaucher den Begriff Neue Musik hört, stellt er sich wohl auch das vor, was man normalerweise darunter versteht. Wie sehr trifft dieser Begriff, den es ja seit etwa 1920 gibt, für den Verein und sein Festival zu?

Klammer: Der Begriff Neue Musik steht ja nur im Namen des Vereins. Das Festival selbst definiert sich immer anders. Dort steht heuer klar drin: neue, Beistrich, improvisierte, Beistrich, elektronische Musik. Das Festival ist viel weiter gefasst. Im Vereinsnamen steht Neue Musik deshalb, weil wir uns damals zusammen mit Werner Dafeldecker, Burkhard Stangl und Seppo Gründler gesagt haben, dass im Grunde alles gemeint ist, was ab dem 20. Jahrhundert gespielt wird.

Und da gehört Jazz auch dazu?

Klammer: Jazz ist auch dabei, das firmiert unter Improvisierter Musik.  In St. Johann etwa heißt´s auch Festival für Jazz und Improvisierte Musik. Es ist immer schwer, sich auf eine Definition festzulegen. Jazz haben wir aber nicht hineingeschrieben, weil wir das auch unter neuer und improvisierter Musik sehen wollen. So viel Jazz ist bei uns auch nicht dabei.

Was ist so besehen der Hauptanteil beim Festival?

Klammer: Improvisierte Musik mit viel Elektronik. Und auch Neue Musik. Aber die Improvisation steht natürlich im Vordergrund. Improvisiert wird mit Neuer Musik, elektronischer Musik und Jazzmusik. Es gibt sehr wenig komponierte Sachen, heuer fast nichts. Diesmal gibt´s eher Konzepte.

Und eine Klanginstallation.

Klammer: Eher ein „work in progress“ von Lee Patterson, als Installation kann man es nicht bezeichnen. Er erarbeitet sein Projekt in der Werkstadt Graz, und die Leute können zusehen, wie er dort an seinem Tisch arbeitet und experimentiert – wie ein Koch oder Elektrotechniker, der irgendetwas herstellt. Er stellt sich sozusagen selber aus.

V:NM betont immer wieder, dass das Festival nicht kuratiert wird.

Klammer: Alle gut 60 Vereinsmitglieder werden eingeladen, bis zu einem gewissen Zeitpunkt Projekte abzuliefern. Sie können  sich dazu Gäste aus dem In- und Ausland einladen. Obwohl die Fahrtkosten in diesem Fall irgendwie gedeckt werden müssen, sonst nimmt das überhand. Wir kuratieren nicht, es soll möglichst jedes Mitglied ein Projekt einreichen, das vorher nocht nicht passiert ist. Experimente sind erwünscht, „one night stands“ sind erwünscht, und wenn es sich um Kompositionen handelt, muss es mindestens eine österreichische Erstaufführung sein. Wenn es erfolgreich ist, wird es wahrscheinlich ohnehin weiter bestehen. „Plasmic“ von Elisabeth Harnik oder etwa „Pivot“ sind typische Projekte, die daraus hervorgegangen sind.

Es werden ja erfreulicherweise immer mehr Mitglieder. Irgendwann wird das Gremium wohl vor die Qual einer Auswahl in irgendeiner Form gestellt werden, also das Festival vielleicht doch zu kuratieren?

Klammer: Mit der Einladung geht ja von uns der Hinweis hinaus, zuerst immer unter jenen Mitgliedern die Projektpartner zu suchen, mit denen man noch nie zusammengespielt hat. Heuer sind wir aber mit fast achtzig Musikern an unsere Grenzen gestoßen. Beim nächsten Festival wird es sicher anders aussehen. Vielleicht arbeiten wir dann mehr mit Konzepten, oder wir formulieren die Ausschreibungen konkreter.

Es gibt unter den V:NM-Mitgliedern eine Reihe von Musikern, die im Kontext des zeitgenössischen Jazz auftauchen, ohne jetzt wirklich experimentell zu sein.


Klammer:
Denen steht es auch frei, so etwas im Rahmen des Festivals zu bringen, dann hat man halt ein Jazzkonzert. Dann spielen die eben mit irgendwelchen Jazzmusikern zusammmen, mit denen sie schon immer spielen wollten, das aber bislang nie zustande kam. Es kam auch schon oft genug vor, dass sich Jazzmusiker jemanden aus der elektronischen Szene oder der so genannten Neuen Musik für ihren Festivalbeitrag gesucht haben, was ja mittlerweile schon überall üblich ist. Nach Möglichkeit sollte es disziplinübergreifend sein.

Wie ist das einem Publikum zu vermitteln?

Klammer: Wir sehen das immer so wie einen Kongress, ohne vorher zu wissen, wie´s ausgeht. Zum Nicht-Kuratieren gehört ja dazu, dass es stilistisch so verschmolzen und bunt wird. Es ist und bleibt immer ein Risiko. Interessant zu beobachten ist dabei, dass zum Beispiel Jazzhörer hingehen und dann in der Neuen Musik etwas entdecken, das sie vorher noch nie gehört haben. Wo sie merken, das dieses mit jenem zusammengehen kann. Das Publikum muss bei uns einfach auf Experimente gefasst sein. Wenn ich zu einem anderen Festival hinfahre, weiß ich auf Grund der Linie dort, was mich ungefähr erwartet. Wir haben nur die einzige Linie, dass wir keine Linie haben. Wenn ich zu einem reinen Jazzfestival fahre, werde ich nie erfahren, was es etwa im experimentellen Bereich der Neuen Musik Interessantes gibt.

Zuerst fand das V:NM-Festival immer jährlich statt. Warum ging man zu einer Biennale über?

Klammer:
Die ersten Jahre war es ein Vorstellen der Mitglieder und gleichzeitig das Präsentieren der Tonträger. Die Grundidee von V:NM war immer, die Musik seiner Mitglieder besser zu verbreiten. Deshalb haben wir auch immer einen Katalog mit all unseren Produktionen herausgegeben. In Zeiten des Internets ist der Vertrieb über diese Kanäle aber immer kleiner und kleiner geworden, vor allem in diesem Segment. Man bestellt nun hauptsächlich über´s Internet. Deshalb haben wir uns entschlossen, ein Festival zu machen, wo man sich selbst und seine Tonträger präsentieren kann. Die ersten drei Festivals waren noch jährlich, bis wir darauf gekommen sind, dass nicht sehr viel Neues nachkommt. Es kommt mehr heraus, wenn man den Leuten zwei Jahre zum Nachdenken Zeit gibt, um neue Ensembles und Ideen zu bilden. Das hat sich auch bewährt, zumal es auch finanziell leichter ist. Man hat ein Vorbereitungsjahr und ein Festivaljahr. Die letzten zwei Mal ist auch noch der Kulturaustausch dazugekommen, wo die steirischen Musiker ein Land bereisen und mit den dort ausprobierten Ensembles zurück nach Graz kommen. In geraden Jahren haben wir nun den Kulturaustausch, in ungeraden Jahren das Festival. Köln war der erste Austausch und London nun der zweite.

Wie ist die Auswahl dieser Partner, wie kam man gerade auf diese Städte?

Klammer:
Wir waren 2008 beim „Alpenglühen 1“ in Köln, wo Österreich den Schwerpunkt bildete. In diesem Jahr war eigentlich schon der Kulturaustausch mit London geplant, scheiterte aber am Geld seitens der Engländer. Dann dachten wir uns, warum sollen eigentlich nicht die Steirer etwas mit den Kölnern machen, zumal wir die Leute ja schon kannten. Machen wir einfach andere Ensembles. Zusammen mit Hans Koch, Achim Tang und Bettina Wenzel von der Kölner Seite ging das dann auch ziemlich schnell. Innerhalb eines Monats ist der gesamte Austausch gestanden.
Und danach haben wir uns gesagt, es noch einmal mit London zu versuchen. Nicht zuletzt auch, weil uns dabei die Londoner Agentur Sound and Music kräftig unterstützt hat.

Apropos Unterstützung, von wem wird V:NM unterstützt?

Klammer: Stadt, Land, Berg (Bund; Anmerkg.)  dem SKE-Fond und von GFÖM. Und die Agentur Sound and Music übernimmt einen Teil der Gäste aus London. Wir erhoffen uns, dass von öffentlicher Hand erkannt wird, was da an Kommunikation und Verbreitung dahinter ist. Wir sehen das eigentlich wie eine Präsentationsplattform, wo man zeigen kann, was es gibt an Musik aus diesen Bereichen in Österreich.

Das heißt, die Auswahl der Partner richtet sich zwangsläufig auch nach den Möglichkeiten, in welchem Land man etwas lukrieren kann?

Klammer: So ist es. Wir gehen davon aus, das ein Beitrag seitens dieses Landes geleistet wird. Wenn wir bereits Leute da oder dort kennen oder es Interesse gibt, tut man sich natürlich wesentlich leichter. Für den nächsten Kulturaustausch gibt es Interesse aus Polen und Frankreich.

Wer trifft die Entscheidungen über neue Mitgliedschaften im Verein?

Klammer: Der Vorstand entscheidet über´s Geld, über organisatorische Eckpunkte und die Aufnahme neuer Mitglieder. Und wir entscheiden auch gemeinsam, wo wir beim Festival was machen, also die Auswahl der Locations. Mitglieder werden meistens über Empfehlungen von bereits existierenden Mitgliedern oder durch eigene Bewerbungen aufgenommen. Wir hatten jetzt sogar zwei Jahre einen Mitgliederstopp, weil´s einfach zu viele waren. Jetzt haben wir gerade wieder zwei neue Mitglieder aufgenommen. Wie wir in dieser Angelegenheit aber weiterverfahren, habe ich noch keine Ahnung.

Welche Kriterien sind für eine Mitgliedschaft maßgeblich?

Klammer: Wir entscheiden nach der Qualität der Arbeit. Und nach der stilistischen Ausrichtung, also einen Volks- oder Rockmusiker werden wir mit Sicherheit nicht aufnehmen. Aber wenn sich jemand verändern will oder eine Fusion sucht, wird man auch darüber reden müssen. Es gibt auch experimentierfreudige Leute aus der Drum´n´ Bass-Richtung, die dabei sind. Und dann gibt´s natürlich reine Elektroniker wie etwa Johannes Zmölnig, der kommt sogar von der wissenschaftlichen Seite, was auch ein interessanter Aspekt ist.

Wie sieht es um den Nachwuchs aus? Ist V:NM auch bemüht, an die nächste Generation zu denken. Junge Musiker eventuell konkret einzuladen?

Klammer: Das ist eine wichtige Sache, und es sind auch schon sehr viel junge Musiker dabei, vor allem aus der Wiener Szene. Aber es bleibt bei Empfehlungen. Wenn wir jeden ansprechen würden ,der interessant ist, wären wir bald bei 200 Mitgliedern. Die letzten Aufnahmen waren alles junge Musiker.

Wie schwer ist es diese musikalische Vielfalt und den interdisziplinären Anspruch nach außen zu kommunzieren?

Klammer: Es ist schwer zu kommunizieren, und es fehlt auch an den entsprechenden finanziellen Mitteln. Wir können uns keine dicken Kataloge etc. leisten. Wir kooperieren aber sehr gut mit dem Magazin „freistil“ und benutzen dieses quasi als Organ, in dem auch unser Programmheft beigeschlossen ist.

Mit Lee Patterson gibt es heuer auch wieder einen Gastkünstler, der eine Woche als Artist in Residence in der Werkstadt Graz arbeiten wird.

Klammer: Das ist nun nach dem Installationskünstler Bernhard Gál und Daniel Schorno von STEIM, einem Forschungszentrum für elektronische Instrumente in Amsterdam, der dritte Gastkünstler. Das ist dann jemand, den man regelmäßig besuchen und bei der Arbeit beobachten kann.

Vergibt V:NM auch Kompositionsaufträge?

Klammer: Nein, das machen wir grundsätzlich nicht, weil wir alle gleich behandeln wollen. Und wir zahlen jedem ein Honorar in derselben Höhe. Heuer mussten wir auf Grund der knapperen Mittel die Honorare sogar reduzieren. Wenn jemand eine Komposition einbringen will, kann er um eine Kompositionsförderung ansuchen, was wir ihm gerne bestätigen werden.

Die Locations verteilen sich diesmal quer durch die Stadt? Wie erfolgt die Auswahl?

Klammer: Ursprünglich gab es das Dreieck IEM, Stockwerk und ESC, drei Locations, die alle gerademal eine Minute Gehzeit voneinander entfernt waren. Diese Struktur hat sich nun verändert, weil das IEM mittlerweile weit entfernt im Südosten der Stadt ist.
Wir orientieren uns immer daran, wie etwas stilistisch in welche Lokalität passt. In der ESC sind das etwa mehr die akustischen Angelegenheiten, im Stockwerk mehr die im Jazz-Kontext improvisierten Konzerte, in der Mariahilferkirche ist es die Orgel, die bei mehreren Konzerten notwendig ist, das Niesenberger hat sich angeboten, weil es ein junges Publikum hat und wir dieses erschließen wollen, und das Theater im Bahnhof hat sich eher ergeben, worüber wir aber sehr froh sind, weil es dort technisch alles gibt. Ein auch von der Größe her idealer Raum.

Gibt es für die Musiker über die Präsentationsmöglichkeit hinaus so etwas wie einen Mehrwert?

Klammer: Das ist vor allem die Kommunikation untereinander, man multipliziert sich und man lernt viel voneinander. Allein, dass es die Sache gibt, ist schon sehr viel wert. Dass man existiert, dass die Kommunikation untereinander funktioniert und dass man politisch und kulturell eine Basis hat.

Wer sind denn die treibenden Kräfte hinter V:NM?

Klammer: Das sind Seppo Gründler und Elisabeth Harnik in der Produktionsassistenz und als Programm-Mitverantwortliche und Gernot Tuttner als technischer Leiter. Ich selbst mache die Hauptorganisation. Wir vier sind auch kongruent mit dem Vorstand.

Franz Remmalk

Foto 1: Lois Klocker
Foto 2: Otmar Klammer

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