Ab 19. Februar zeigt das Theater an der Wien als Neuproduktion und Uraufführung „Die Besessenen“ nach dem Roman von Witold Gombrowicz, der erstmals 1939 in polnischen Zeitungen erschien. Es ist Johannes Kalitzkes bereits vierte Oper. Johannes Kalitzke, einer der wichtigsten ständigen Dirigenten beim Klangforum Wien, braucht als hervorragender Interpret (er leitete u. a. auch „I hate Mozart“ von Bernhard Lang in diesem Haus) nicht vorgestellt zu werden. Wohl aber als Komponist. Im Dirigentenzimmer sprach Heinz Rögl mit ihm bei den Proben des neuen Stücks, das nach dem Libretto von Christoph Klimke von Kasper Holten inszeniert wird.
Johannes Kalitzke (*1959) „gehört als Komponist und Dirigent zu den prägenden Persönlichkeiten des zeitgenössischen Musiklebens. „Dass seine Musik als die Summe der musikgeschichtlichen Erfahrung von der Ars nova bis heute bezeichnet werden kann, verdankt sich nicht zuletzt dieser Doppelfunktion. Darüber hinaus schöpft er aus einem breiten Fundus an philosophischen und literarischen Kenntnissen, die er – nicht nur in seinen Musiktheaterwerken – immer wieder dazu nutzt, seine Musik in einen aktuellen gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Diskurs zu stellen.“ Das ist der Vorstellungstext eines kürzlich im pfau-Verlag erschienenen Buches (Übergänge. Der Komponist und Dirigent Johannes Kalitzke, hrsg. von Stefan Drees und Frieder Reininghaus). Der Band wirft „Schlaglichter auf diesen perspektivenreichen, pluralistischen Geist und sein facettenreiches Œuvre“ und umfasst Texte von Josef Häusler, Johannes Kalitzke, Lothar Knessl, Hartmut Lück und Jens Schubbe.
Christoph Klimke hat den Roman von Gombrowicz für die Opernbühne eingerichtet. Jahrzehntelang galt dieser Roman wegen des Krieges als verschollen, bevor er 1967 wiederentdeckt und in viele Sprachen übersetzt wurde. Für die Libretto-Dramatisierung wurde Gombrowicz’ „Schauerroman”-Vorlage verdichtet und auf einzelne Handlungsstränge konzentriert.
Christoph Klimke schreibt über das Libretto: „Die egozentrische, junge und schöne Maja ist mit Cholawicki verlobt, dem vermeintlichen Erben eines alten, heruntergekommenen, aber an Kunstschätzen reichen Schlosses. Er soll mit seinem Erbe auch sie wohlhabend machen und gleichzeitig ihre Mutter vor dem Bankrott retten. Die materiellen Pläne werden jedoch von Leszczuk durchkreuzt, einem jungen (Tennis)-Spieler, in den sich Maja verliebt. Beide sind skrupellose Egoisten, mitschuldig an der Selbstzerstörung der Gesellschaft, die von morbidem Verfall gezeichnet ist. Der Einzige, der sich wirklich für die Zukunft und die Bewahrung der Kultur des Landes einsetzt, ist der Kunsthistoriker Skolinski, der die Sammlung im Schloss begutachtet. Nicht nur von Besitz, sondern auch von seinem verschollenen Sohn besessen, ist hingegen der alte Fürst und Schlossherr. Die Besessenen enden schließlich in Zerstörung – am Schluss bleibt nur Desillusionierung.“
Johannes Kalitzke selbst zu seiner Oper: “… ein junges Paar im Mittelpunkt des Geschehens ist in gegenseitige Hassliebe entbrannt. Beide versuchen unentwegt, sich im Wettstreit über Grenzerfahrungen einander zu beweisen. Dabei denkt keiner von beiden an etwas anderes als an die Flucht vor sich selbst, und auch alle anderen von sich selbst Besessenen in diesem Stück verbindet als einzig verbliebener Nenner gemeinschaftlicher Erfahrung ein diffuser Bereich von Urängsten, über den sie sich auf unterschiedliche und dennoch repräsentative Weise definieren.
Im Zentrum der Handlung steht eine Art Vorhang, ein Handtuch, das sich in einem dunklen Winkel einer Schlossküche durch rätselhafte Bewegungen und Verzerrungen bemerkbar macht, und welches im Kontext symbolisch für dieses kollektive Unterbewusste steht, das bildlos, unkenntlich und unerklärbar geworden, bei allen Beteiligten namenloses Grauen erzeugt. Diese Angst führt in letzter Konsequenz in verschiedene Stadien der Selbstzerstörung.“
Heinz Rögl: „Die Besessenen“ von Witold Gombrowicz – von ihm stammt auch die Vorlage der Boesmans-Oper „Yvonne, die Prinzessin von Burgund“ war ein in Fortsetzungen erschienener „Schauerroman“. Christoph Klimke beschreibt, um welche Personen es sich handelt: Um zwei junge Liebende (Maja und Leszcuk)und dass im Palast nach verborgenen Schätzen gesucht wird. Cholawicki ist erpicht darauf, an alte Malereien heranzukommen, während das junge, freidenkende Paar auf die Spur eines verschwundenen Sohnes namens Franio kommen will. Sie sind fasziniert vom Unbekannten, vom Phantastischen und Poetischen. Die besondere Atmosphäre des Stücks– irgendwo zwischen Erotizismus und Verbrechen – macht die andere Realität aus. Nur die besessen sind von einem anderen Leben, sind in der Lage, mit ihrem ‚normalen’ Leben in irgendeiner Weise zurechtzukommen. Wenn die Illusion stirbt, sterben auch Liebe und Poetik. Worum geht es Ihnen?
Johannes Kalitzke: Also, ich habe das Buch durchlesen, bin auf den Stoff gekommen einfach dadurch, dass ich in gewissen Abständen auf der Suche nach Opernstoffen bin. Jedes zwanzigste Buch kann man näher daraufhin untersuchen, ob es als Opernstoff taugt. Bei den „Besessenen“ war es so, dass mir das ganze Sujet, das „Setting“ – der Wald, das Schloss, die vorkommenden Personen – schon beim Lesen einen Bühnencharakter assoziiert hat. Und es war mir ungeheuer leicht vorstellbar, das zu einer Oper umzuarbeiten. Wohlgemerkt nicht als Geschichte, sondern als „Bilderbogen“. Was da drin passiert, die Atmosphäre, die aufgebaut wird. Und man reagiert darauf assoziativ und unmittelbar. Wenn man merkt, daraus entsteht Musik beim Lesen, dann muss man der Sache nachgehen. Bei „Inferno“ von Peter Weiss wäre ich da nie darauf gekommen, hätte ich nie gedacht, dass man daraus etwas machen kann. Das beruhte dann auf einem Impuls von dem Auftraggeber – das war Bremen – und so habe ich mich der Sache erstmals angenähert und nach einer gewissen Zeit entsteht da eine Reibungsfläche und man ist gezwungen, ganz andere Sachen zu komponieren, als man gewohnt ist. Das hat natürlich auch seine großen Vorteile. Das war bei den “Besessenen“ nicht so.
Sie haben einmal dazu gesagt, mich interessiert die äußere Handlung weniger als die inneren Stimmen – aber jetzt sprechen Sie von einem „Bilderbogen“?
Bei den Besessenen geht es weniger um Personenprofile, sondern mehr um Situationen. Auch die Musik, die dabei entstand ist eine Art strukturelle Abbildung einer bestimmten Situation und nicht ein Personenprofil. Wie gesagt, es kam dann nach der Lektüre des Romans zu der Frage, wer sich dafür interessieren könnte und der Verlag hat verschiedene Intendanten kontaktiert, es gab diverse Gespräche und der, der am schnellsten dabei und am enthusiastischsten war, war Roland Geyer vom Theater an der Wien. Wir haben uns gefragt, wer das Libretto machen könnte und Christoph Klimke wurde mir von verschiedenen Leuten, die ich befragt habe, unabhängig voneinander empfohlen. Der hat auch „Das Holzschiff“ von Hans Henny Jahn für Detlev Glanert zum Libretto umgeschrieben – und das ist ziemlich nah dran. Das war für mich ein Argument ihn zu fragen. Er sagte zu und wir haben uns damit beschäftigt. Die wichtigste Arbeit und Frage – welchen roten Faden ziehen wir aus dem Roman, der ja viele Verzweigungen hat, die man unmöglich alle zeigen kann. Die Polyphonien, die in diesem Buch stecken, würden zu wagnerianischen Ausmaßen der Oper führen. Wir mussten destillieren. Wir machten auch einen Schluss, der dem Buch fehlt, das Buch endet ja abrupt. Es ‚implodiert’ am Ende in gewisser Weise. Es gab vier Fassungen des Librettos und am Ende ist etwas entstanden was mir sehr gemäß war. Weil es auch eine Begründung dafür enthält, warum man das hier und heute spielt. Wir wollen ja mit einem Stoff nicht verlängerte Denkmalpflege betreiben, wobei – man kann natürlich auch griechische Stoffe herannehmen, die quasi überzeitliche Gültigkeit haben. Trotzdem ist mir eine Geschichte etwas lieber, die uns näher ist und die uns heute direkter betrifft. Es geht um eine Gruppe von Personen, die sich, wenn man das banal reduziert, über Habgier definiert. Diese Habgier hat allerdings verschiedene Substanzen – die einen wollen ein Geschäft machen, die anderen, die wollen etwas entdecken um sich selbst daran innerlich zu bereichern. Wieder ein anderer – ein Kunsthistoriker – ist eben an der Denkmalpflege interessiert um sich damit zu profilieren. Aber alle Personen suchen etwas, das außer ihnen steht, um sich darüber eine Identität zu verschaffen. Da sie selbst fast keine haben und auch nicht erlangen. Dieses Liebespaar ist eben so geartet, dass es eine immer höhere Reizschwelle überschreiten muss, um sich selbst zu spüren. Man kennt das heutzutage auch von vielen Jugendlichen, die sich selbst verletzen um eine Identität anzunehmen. – Bis zu Mord und Totschlag am Ende. Aber sie tun das im Stück nicht zur Befriedigung von Rachegelüsten, sondern damit sie noch ‚vorkommen’ in der Welt und sich selbst darin verspüren. Würde ich den Ausgang der Handlung verraten wollen, würde ich jetzt weitererzählen …
… nein, das brauchen wir nicht!
Das Zentrum des Ganzen ist ein Schloss. Die ‚Kultur’, da verbergen sich die Traditionen, die Kulturgeschichte einer Nation in Form von Bildern und Skulpturen die da aufbewahrt werden. Es wohnt dort auch ein alter Fürst, der steht für diese Tradition, für das gewachsene ‚Erbe’ wenn man so will, ist aber selber dem Tode nah und ist umgeben von verschiedenen Leuten, die versuchen aus dem Schloss das Beste zu machen. Der Kunsthistoriker will die Bilder in ein Museum schicken, um sie da auszustellen, der Businessmann Cholawicki will sie schlichtweg verkaufen und die Mutter Madame Cholkowsi will damit ihr verschuldetes Hotel sanieren, es geht rundum um die Frage, wie mach ich das zu barer Münze und wie verliere ich die Kultur dadurch, dass ich sie in eine Ware übersetze, statt sie als das gelten zu lassen was sie ist, nämlich ein Erbe das sich weiter überträgt. In dem Moment wo ich sie zur Ware mache, geht sie verloren. Das ist der zweite wichtige Aspekt dabei, aber über diesen Prozess, wie man mit Kultur und Kunst umgeht, entwickelt sich die Geschichte der Personen.
Zur Musik? Es wurde hier ab und zu Kalitzke gespielt, etwa „Wanderers Fall“ mit dem im Dezember leider verstorbenen Walter Raffeiner, aber alle drei Vorgängeropern von Ihnen, die teils grandiose Kritiken hatten, wurden in Österreich noch nie aufgeführt. Wie wird es in der Oper zugehen – gibt es Ensembles, gibt es Polyphonie, gibt es formal Abschnitte und ‚Nummern’ …?
Formal ausgedrückt wäre das eine Art Suitenform, also eine Folge von musikalischen Stationen, die alle eine bestimmte Situation widerspiegeln. Ich arbeite in der Regel immer mit sehr kleinen Ton- und Rhythmuszellen, die in sich konsistent bleiben, aber sich in ihrer Verkettung verändern. Man könnte das eine Art Camouflage-Technik nennen. Das ermöglicht durch Veränderung der Intervallstrukturen eventuell auch Ausflüge in eine andere Zeit – etwa in den gregorianischen Choral, aber auch die Übersetzung in etwas ganz Anderes. Das heißt, es bleibt der Genotypus vorhanden aber das Phänomen ist davon unabhängig. Auf diesem Prinzip ruht eigentlich die ganze Oper. Es gibt also bestimmte einfache Strukturen wie Rotation oder Skalen oder Hoquetus-Sprünge, die in allen möglichen Geschwindigkeiten und Verlagerungen in Höhe und Breite durchgezogen werden. Es wird Bewegung simuliert.
Wie ist das für den Hörer? Gibt es dramatische Zuspitzungen?
Das glaube ich schon. Es ist schon so, dass die Oper und auch ihre Personen eine Entwicklung haben.
Eine „Implosion“ am Ende?
Ich denke schon, dass am Schluss allein der Verlauf immer mehr ausdünnt. So wie auch die Personen in sich immer mehr abnehmen, leerer werden. Es ist auch für einen Komponisten sehr schwierig vorherzusehen, wie jemand anderer die Musik hört, die man schreibt. Wenn es dramatische Zuspitzungen gibt, hoffe ich, dass man die auch so wahrnimmt.
Herr Kalitzke, in Ihrer Werkliste gibt es nicht nur die vier Opern, sondern auch andere Stücke, bei denen sehr oft Vokalstimmen eine wichtige Rolle spielen. Ich stieß auch auf Ihr Stück „Kafka-Komplex“ und eine besonders schöne Textstelle, die ich kürzlich in Salzburg auch von György Kurtàg komponiert in dessen „Kafka-Fragmenten“ hören konnte: „Wie ein Weg im Herbst: Kaum ist er reingekehrt, bedeckt er sich mit den trockenen Blättern“ …
Was mich an der menschlichen Stimme auch immer fasziniert hat, sind die Möglichkeiten sie elektronisch erweitern zu können. Mit dem Bau von elektronischen Instrumenten lässt sich im buchstäblichen Sinn Sprache „instrumentalisieren“. Bei der Oper ist für mich auch die Differenzierung wichtig, wann und warum etwas eigentlich gesungen wird. Ich habe da durchaus eine gewisse Hassliebe zu gewissen Operntraditionen, wenn irgendwelche Brüllaffen vorne an der Rampe stehen und etwas singen, was erzwungenermaßen mit der Handlung überhaupt nichts zu tun hat. Das ist eine Artistik per se, die mir persönlich ungeheuer fremd ist. Andererseits gibt es Opern, die das brüske Gegenteil dieser Selbstdarstellungs-Rituale darstellen, zum Beispiel „Wozzeck“. Da ist kein Ton zuviel gesungen oder gesprochen. Und es gibt keine musikalische Eitelkeit, mit der man herausfordert, was ein Sänger da noch alles bringen kann. Das ist für mich das perfekteste Beispiel um Oper als solche zu legitimieren. Der „Wozzeck“ ist für mich irgendwie der Idealzustand. Wenn man mit der Avantgarde groß wird und auch mit den Errungenschaften der modernen Sprachbehandlung konfrontiert ist wie Schnebel, Kagel usw. – dann gibt es natürlich ein riesiges Spektrum, aus dem man auswählen muss. Wenn man dann wieder auf Oper zurückkommt, das werden Sie auch bei den „Besessenen“ hören, wo man ganz klassisch Opernstimmen führt, dann muss man zumindest wissen warum man das tut. Und man muss in bestimmten Situationen auch darauf verzichten. Es gibt ganz bestimmte Zustände, wo sich das unterscheidet. Es gibt hier auch Szenen, wo gesprochen wird und einer dann wieder einen Ton singt und dann spricht er wieder weiter. Aber er muss in jeder Situation emotional beteiligt sein.
Sie arbeiten in der Oper auch viel mit Elektronik und Samples.
Wir haben neben den 25 Musikern zwei Sampler und damit auch einen ziemlich großen elektronischen Aufwand, der mir unverzichtbar für die Klanglandschaft der „Besessenen“ erschien. Elektronik hat immer etwas ganz Bezauberndes, weil man mit ihr in der Arbeit zu Ergebnissen kommt, die man sich nicht vorstellen konnte. Sie ist nie Selbstzweck, sondern ich sehe sie als Erweiterung der instrumentalen Klangsprache.
Was macht allgemein Gesang aus? Und sein Verhältnis zu Sprache? Sind Musik und Sprache ein Widerspruch?
In jeder guten Philosophie der Musik, etwa bei Ernst Bloch, heißt es: Am Anfang der Musik war der Gesang und der Tanz. Man kann natürlich auch Laute, Vokalisen singen. Aber es ist klar, dass der Gesang etwas transportiert. Umgekehrt kann Sprache Musik nicht unbedingt transportieren aber Musik transportiert Sprache.
In Ihre Oper soll man einfach hineingehen, sich darauf einlassen, konzentrieren?
Ach ja, ich finde schon.
Sollte man den Gombrowicz-Roman vorher lesen? Günter Krämer hat die Vorlage auch schon einmal für das Theater ‚dekonstruiert’.
Ich glaube das Libretto und das Roman-Original unterschieden sich letztlich ziemlich stark, in der Oper geht es um die Fokussierung eines ganz bestimmten Aspekts. Wenn man so will ist es eine Paraphrase über Gombrowiczs Roman, aber keine Wiedergabe. Um auf Ihre vorherige Frage zurückzukommen: Ich halte nichts davon, dass man eine Fahr- oder Reifeprüfung machen muss, um sich in eine Oper zu setzen. Man muss überhaupt nichts vorher tun, außer sich vielleicht die Inhaltsangabe durchlesen.
Wird Kasper Holtens Inszenierung überzeitlich sein?
Es hat schon sehr Gegenwärtiges. Man liest vielleicht die polnischen Schriftzüge. Aber das Stück ist in die Gegenwart gerückt. Ich selbst musste mich erst daran gewöhnen, weil ich vielleicht in meinem tiefsten Inneren eine romantische musikalische Seele habe. Aber es macht mir große Freude, jetzt mit Kasper Holten zusammenzuarbeiten. Seine Personenregie ist phänomenal. So könnte mir das nie einfallen. Es gibt ein paar optische Details über die man sich verständigen muss. Die Musik hat sehr dunkle Farben, wenn es auf der Bühne grell zuginge, wäre das ein Widerspruch, diese Sachen muss man abstimmen. Aber ich habe mit Kasper Holt schon beim Komponieren der Oper über sein Regiekonzept sprechen können. Es gab gegenseitiges Feedback.
„Die Besessenen“ im Vergleich zu Ihren drei ersten Opern (Jack Tiergarten, Moliere, Inferno), welche würden Sie gerne wiederaufgeführt sehen?
Die „Besessenen“ sind meine erste Oper, die mehr oder weniger aus dem Nullpunkt entstanden ist. Das heißt, es gibt kaum musikalisches Material das ich bei anderer Musik von mir schon einmal ausprobieren konnte. Der Zettelkasten war einfach leer. Bei den anderen Opern, die waren auch mit großem Orchester, ist natürlich nützlich, wenn man bestimmte Fragmente in einem anderen Kontext, einem symphonischen Stück, erprobt. Weil es Dinge gibt, die man selber noch nicht richtig abschätzen kann. Man kann auch in kleineren Dimensionen vorwegarbeiten. Aber die Opern sind schon so ein “opus summum“ der kleineren Sachen, die man vorher geschrieben hat, wo man Erfahrungen machen konnte. Das ist jetzt hier nicht so. Allerdings hatte ich die große Freude, schon im Dezember einmal den Orchesterpart mit dem Klangforum aufnehmen zu können. Das war nur zum Proben gedacht. Das ist natürlich eine luxuriöse Situation. Auch dass es der Regisseur kennt.
Herr Kalitzke, Sie sind Komponist, aber auch Dirigent und sagten einmal, das eine sei Ihnen ebenso wichtig wie das andere. Welche von Ihnen geleiteten Aufführungen der letzten Jahre sind für Sie musikalisch gesehen besonders wichtig gewesen? „I hate Mozart“ zum Beispiel?
Das war sehr anspruchsvoll und sehr unterhaltsam gleichzeitig und hat großen Spaß gemacht. So ein Ereignis bleibt einem als Dirigenten im Gedächtnis hängen. Man macht ja gut und gern viele Konzerte und ich habe das Glück, es mit äußerst wenigen Stücken zu tun haben, bei denen ich sage ich kann das nicht verantworten oder das mag ich den Zuhörern nicht zumuten oder antun. Das war in Deutschland vor zwanzig Jahren schon manchmal anders, da wurden auch Kompositionen aufgeführt wo man sich dachte du liebe Zeit – ein bisschen mehr Lebenserfahrung hätte der doch haben können als er sich entschloss Komponist zu werden. Heute sind Qualität, Niveau und Können etwa beim Klangforum Wien, beim Ensemble Modern oder bei den großen Rundfunkorchestern, mit denen ich zu tun hatte mehr als akzeptabel. Was natürlich auch hängen bleibt sind Konzerte und Opern die sich erst mal sperren, wo man sich wirklich beschäftigen muss. Ich habe etwa vor zwei Wochen in Berlin die Zweitaufführung von einem Spahlinger-Stück gemacht, das eigentlich als unaufführbar gilt, ein Stück über Marcel Duchamps, das ich auch selber vorgeschlagen habe, weil ich dachte, das muss doch irgendwie gehen. Und das war eine Tour-de-force sondergleichen, auch für das Orchester, aber wenn’s dann gelingt, hat man eine ganz andere Spur im Gedächtnis, als wenn einem etwas leicht von der Hand geht. Das hat gar nichts mit der Qualität der Komposition zu tun. Was einem im Inneren haften bleibt, sind die gesprengten Widerstände.
Haben Sie beim Unterrichten, in Seminaren und Vorträgen bestimmte Ratschläge für Komponisten, und auch für Dirigenten, die am Anfang stehen?
Zum Beispiel in einem Dirigentenforum arbeite ich unglaublich gerne. Beim Komponieren tue ich mich mit Ratschlägen etwas schwer. Und zwar, weil es unglaublich schwierig ist, objektive Normen für die Bemessung von Qualität zu formulieren. Ich kann ja nicht darüber reden ob mir etwas gefällt oder nicht gefällt. Wenn jemand kommt und das was er komponiert hat wirkt sehr sperrig, auch unlogisch, es funktioniert nicht, kann der guten Glaubens immer noch sagen – genau so habe ich es aber gewollt. Das ist irgendwie auch ein Killerargument in unserer „Anything goes“-Gesellschaft. Man kann ja nichts anderes tun als möglichst genau hinzuschauen, was für ein Potential einer mitbringt und wie kann er aus dem was er mitbringt etwas machen, was möglichst von mir überhaupt nicht beeinflusst ist. Man kann ihn eigentlich nur über die Straße führen auf der er schon steht. Das kann gut gehen, kann aber zu wenig sein. Jetzt habe ich mit Erfolg um Ihre Frage gedrückt … Aber ich mag sie doch beantworten: In einem Komponistenforum werden ja immer auch bestimmte ästhetische Fragen und Hintergründe diskutiert. Und wenn man da einen Ratschlag geben will, dann muss man sagen, liebe junge Leute, beschäftigt euch bitte auch mit Musik, die etwas älter ist als zehn Jahre. Man stellt immer wieder fest, dass Leute mit Stockhausen, Ligeti, Bernd Alois Zimmermann sich überhaupt nicht auskennen. Das kennen viele nicht. Es ist auch oft der literarische Hintergrund nicht so vorhanden, dass man weiß, ich baue mir damit ein handwerkliches Repertoire auf aus dem ich Nutzen ziehen kann, allein schon, dass ich es kenne. Ich muss etwas gekannt haben damit ich etwa weiß warum ich es verwerfe. Die Bildungsbreite bei Komponisten müsste viel breiter sein, als sie bei vielen gegeben ist. Stattdessen ist oft ein bisschen die Tendenz, dass man sich an das dranhängt was funktioniert.
Es passiert oft, dass welche etwas machen, das schon einmal viel besser da war …
…ja aber es passiert ja …
… pausenlos.
Es kann mal sein, dass einem das selber passiert, man ist ja nicht davor gefeit. Jedenfalls ist es eine substantielle Sache dass man sich einfach besser informiert über die letzten fünfzig Jahre. Weil ohne diese Kenntnisse steht man wirklich in einem leeren Raum und tritt selber auf der Stelle. .
Sie selbst haben ja auch literarische, philosophische, gesellschaftliche Ansprüche bewiesen, man braucht nur Namen zu nennen mit denen sie zusammengearbeitet oder sich auseinandergesetzt haben – Thomas Brasch, Peter Weiss usw. Sie wollen ja in Ihrer Musik die Welt von heute darstellen, wie sie ist.
Das ist immer eine Gratwanderung, also man darf das nicht mit Tagesaktualität verwechseln. Aber es gibt geistige Unterströmungen, die Gegenwart kennzeichnen und die muss man schon ein bisschen hervorkratzen, wenn man etwa nachdenkt über die faschistoiden Elemente einer ganz bestimmten Kapitalismus-Auffassung, ist das zum Beispiel ein Thema, das mich sehr interessiert. Wie gibt man vor etwas zu vermeiden um es aber gleichzeitig wieder darin zu verstecken. Ich finde schon, dass die Musik allgemein darauf reagieren kann, nicht direkt politisch, aber soziologisch. Schon in der Renaissance hat Musik diese geistigen Unterströmungen erfasst und auf ihre Weise beleuchtet.
Zum Abschluss: Sie haben ein langes und wahrscheinlich auch spezielles Verhältnis zum Klangforum Wien und seine Mitwirkenden. Was zeichnet das Klangforum aus, warum arbeiten Sie gerne mit dem Klangforum?
Das Klangforum zeichnet sich aus dadurch, dass ein Dirigent sich dann immer wie ein Fisch im Wasser fühlt, es ist ein Elysium der erfüllten Wünsche. Man hat ein ungemein hohes Niveau der Voraussetzungen. Allein in zwei Tagen die ganze Oper schon vorher in mehr als erkennbarer Weise auszuspielen und zu proben, das kriegen Sie nirgends hin. Das ist schon ein enormes Phänomen und warum soll man damit nicht glücklich sein, natürlich ist man glücklich. Aber jetzt muss ich genau in zwei Minuten zur Probe.
Lieber Herr Kalitzke, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.
Die Besessenen
Oper (Uraufführung)
Musik von Johannes Kalitzke
Text von Christoph Klimke, nach dem gleichnamigen Roman von Witold Gombrowicz
Auftragswerk & Neuproduktion des Theater an der Wien
Besetzung Komposition & Musikalische Leitung Johannes Kalitzke
Inszenierung Kasper Holten
Bühne Steffen Aarfing
Kostüme Marie í Dali
Licht Jesper Kongshaug
Frau Ocholowska, Mutter von Maja Noa Frenkel
Cholawicki Leigh Melrose
Maja Hendrickje van Kerckhove
Leszczuk Benjamin Hulett
Fürst Holszanski Jochen Kowalski
Skolinski Manfred Hemm
Maliniak Rupert Bergmann
Orchester Klangforum Wien
Aufführungen: 19., 21., 23., 25. Februar 2010
Die Beginnzeit der Oper Die Besessenen von Johannes Kalitzke wird für alle Vorstellungen von 19.00 auf 20.00 Uhr verlegt, da das Werk ohne Pause zur Aufführung gelangt (Ende: ca. 21.30 Uhr). Das Theater an der Wien lädt alle ‘besessenen’ KartenkäuferInnen ein, vor der Vorstellung um 19.15 Uhr ein ausführliches Einführungsgespräch zum Uraufführungswerk zu besuchen.
Das Einführungsgespräch findet im Theatermuseum im Theater an der Wien statt.
Anmeldung und Reservierung bitte ab sofort an philipp.wagner@theater-wien.at.