Der Erfinder, Manager und künstlerische Leiter des Festivals “Glatt & Verkehrt” über sein Verständnis von Volks- und Weltmusik und das Bestreben, innovative und spannende Begegnungen abseits des Kommerz zu ermöglichen. Glatt & Verkehrt 2007 ist am 15. Juli mit der „Werkstatt für Musikanten“ gestartet, die eigentlichen Konzerttage beginnen am 21. Juli in Schloss Spitz, Fortsetzung am Hauptaustragungsort Winzer Krems. Langfassung eines in der jazzzeit Nr. 67 erschienenen Gesprächs, das Heinz Rögl mit Jo Aichinger geführt hat.
Was gibt es in diesem Sommer bei Glatt & Verkehrt zu sehen und zu hören?
Joe Aichinger: Heuer gibt es ein bisschen eine Veränderung: Es gibt mehr Eigenproduktionen und auch noch mehr Uraufführungen. Wir möchten interessante und aktuelle Tendenzen im Mainstream der Weltmusik auf ihre Schnittmengen mit anderen zeitgenössischen Musikströmungen untersuchen. Es gibt eine ganze Reihe von Paarungen von gegensätzlichen und/oder zusammenpassenden Künstlern, die hier zum ersten Mal gemeinsam auftreten – was bei uns ja bereits eine gewisse Tradition hat. Mit der kolumbianischen Sängerin Lucia Pulido, die für ganze drei Monate bei uns ist, gibt es eine echte artist-in-residence. Das ist einer Initiative des Landes Niederösterreich zu verdanken, die es ermöglicht, KünstlerInnen für maximal drei Monate einzuladen, die dafür auch ein Stipendium bekommen. Lucia hat so Networking-Möglichkeiten und macht außerhalb unseres Zusammenhangs auch ein Elektronik-Projekt mit Angélica Castelló.
Lucia wird in in einem Columbian-Austrian Encounter gemeinsam mit Franz Hautzinger und Patrick Pulsinger auftreten .,
Joe Aichinger: … wobei hier zu bemerken ist, dass es erstmals bei unserem Festival auch Elektronik gibt. Das haben wir bisher immer ausgelassen, auch ein bisschen aus der Scheu heraus, dass es im Bereich Elektronik ohnedies eine Menge von Festivals und Konzerten gibt. Andererseits wollen wir uns den Entwicklungen im Elektroniksektor, wo sich sehr viele interessante Dinge tun, nicht länger verschließen. Und warum sollte man nicht einmal Elektronik mit einer traditionellen ethnischen Musik verbinden?
Vielleicht erzählst du ein wenig aus der Historie dieses Festivals .
Joe Aichinger: Glatt & Verkehrt, das ist ursprünglich ein Kind von mir, eine Idee, die im Rahmen meines Diplomlehrganges am ICCM, damals noch in Linz und Wels, hervorgegangen ist. Anlässlich der Millenniumsfeiern hat mich dann aufgrund dieser meiner Diplomarbeit die Stadt Krems gefragt, ob ich ein Festival zu dem Thema “Am Fluss der Zeit” ausrichten könnte – und was lag da näher als ein Schifferklavier: Wir haben damals ein Akkordeonfestival gemacht. Ich war damals als technischer Leiter in der Kunsthalle für den Aufbau der Ausstellungen verantwortlich und habe zwischen den Ausstellungen immer wieder einzelne Programme gemacht und davon geträumt, da draußen am Land einmal ein anständiges Festival zu machen. In dieser Kooperation der Kunsthalle und der Stadt Krems, die nur für ein Jahr gedacht war, bekam ich die Chance dazu. Natürlich waren dabei auch Kulturtourismus, Landschaft, Wein, Kulinarik ein Thema. Mich hat es immer schon interessiert, Dinge auf eine unübliche Weise in Verbindung zu bringen und zusammenzuführen: Eben zum Beispiel Volksmusik und Neue Musik. Natürlich mit einem Konzept dahinter. Und das ist sofort aufgegangen, es war ein großer Erfolg. Da waren etwa am selben Tag die Schneeberg-Buam und Pauline Oliveiros zu Gast und in Sachen Neuer Musik völlig unbedarfte Leute haben da erstmals begriffen, was das ist. Natürlich gab es auch Kontrapositionen, aber wir haben gespürt, dass da ein Potenzial drinnen liegt. Das war 1995.
Die erste Glatt & Verkehrt-Ausgabe war dann aber erst 1997?
Joe Aichinger: 1996 stellte sich in einem Konsolidierungsjahr die Frage für uns, wie wir das weiter betreiben können und wo wie wir die Mittel dafür hernehmen sollen – also bin ich zum ORF gegangen und habe gefragt, was wäre, wenn wir zusammen ein jährliches Festival machen. Es hieß, das Geld musst schon du aufstellen, aber wir können dir anbieten, 1997 die Konzerte der European Broadcast Union (EBU) beim Festival in Krems zu spielen. Wir stellten Infrastruktur und Marketing, der ORF trug die Kosten der Konzert-Acts, die aus 18 verschiedenen Ländern kamen. Das war also der Startschuss für Glatt & Verkehrt. Damals war auch bereits Wolfgang Schlag dabei, der machte dazu eine Sendereihe gleichen Titels. Das Ganze war ein Live-Festival, bei dem der ORF die Konzerte aufnahm und als Koproduzent fungierte. Und es wurde von Jahr zu Jahr erfolgreicher.
Seit wann ist die Hauptlocation ist im Winzer Krems?
Joe Aichinger: Schon bei der Suche nach einem geeigneten Veranstaltungsort für 1995 wurden wir beim Winzer Krems fündig: Ein wunderbarer Dreikanthof, man geht hinein und riecht den Wein. Das mit Volksmusik zu verbinden: Etwas Besseres kann einem gar nicht passieren. Volksmusik ist aber nicht unbedingt das, was auf so eine große Bühne passt, eher etwas, das sich in kleinerem Rahmen, in Wirtshäusern und Heurigen abspielt. Wir schauten uns also an, was im Bereich der so genannten World Music lief, waren aber bestrebt, auch ursprüngliche Volksmusik zu bringen und dann aber auch über die Ränder zu schauen, also Sachen aus den Bereich Neue Musik, Jazz und Improvisation, sogar auch Pop mit hereinzubringen. Ich sehe den Jazz ja auch als Volksmusik. Das Erfolgsrezept liegt bei verschiedenen Faktoren: Gutes Konzept, Spielort, der Sommer. Und der große Vorteil, wenn man einen Partner wie den ORF mit seinen Marketingmöglichkeiten hat.
Wie setzte und setzt sich das Publikum zusammen?
Joe Aichinger: Die Zusammensetzung hat sich in den letzten paar Jahren sehr zugunsten der Region verändert. Wir haben vor fünf Jahren eine Erhebung gemacht: 5 % aus der Region, 60 % aus Wien, Sonstige aus der weiteren Umgebung bis nach Linz und natürlich Touristen, die hier Ferien machen Deshalb haben wir Projekte im Rahmen der “Wachauer Begegnungen” mit lokalen Musikern, die wir stärker einbinden wollten, angeleiert. In den letzten drei Jahren war das zum Beispiel die Trachtenkapelle Rossatz, mit der Christoph Cech Projekte gemacht hat.
Heuer trifft bei den Wachauer Begegnungen der amerikanische Gitarrist Marc Ribot auf Wolfgang Muthspiel und den Klassik-Starschlagzeuger Martin Grubinger.
Joe Aichinger: Völlig unterschiedliche Leute.
Was da herauskommen soll, weiß von vornherein keiner?
Joe Aichinger: Nein (Aichinger lacht vergnügt).
Welche Philosophie steckt hinter den konkreten Programmierungen, Engagements, Zusammenstellungen? „‚Weltmusik“, „Volksmusik“, das sind ja Allerweltsbegriffe, die alles Mögliche umfassen können.
Joe Aichinger: Entscheidend ist Bauchgefühl, Erfahrung und persönlicher subjektiver Geschmack. Meiner und der meines Partners Albert Hosp, der eigentlich auch seit Beginn an dabei ist. Wir gehen so vor, dass wir uns zunächst ein Thema wählen – heuer ist es das Jodeln. Ein solches Thema funktioniert dann gut, wenn es auch möglichst exotisch bespielt wird. Vom name-dropping, also große, bekannte Namen zu holen, wollen wir noch mehr abkommen, wichtig ist die konzeptuelle Ebene, sind Neuproduktionen, seltsame Paarungen und außergewöhnliche Kombinationen. Wir können es uns mittlerweile leisten, dass sowohl Publikum als auch Künstler auf unsere Auswahl, auch von Unbekanntem, vertrauen und das auch annehmen. Das ist das eigentlich Reizvolle und macht natürlich viel Arbeit.
Und schließt wahrscheinlich auch Risikobereitschaft mit ein?
Joe Aichinger: Etwa, wenn man eine Elektronikern bittet, ein akustisches Programm zu spielen und das dann nicht ganz hinhaut, wie es im Vorjahr mit Natacha Atlas passiert ist. Es war nicht überragend, es hat gerade noch gepasst, war ok, viele Leute waren begeistert, ich nicht so sehr. Aber es ist schon sehr reizvoll, etwas ganz Schräges zu machen, heuer etwa zum Beispiel die Kombination postsowjetischer Balkan-Beats mit ungarischen Dudelsäcken mit vom Freejazz kommenden Albuquerque-Folk des Akkordeonisten Jeremy Barnes (Anm.: A Hawk and a Hawksaw (Mexiko) & Hun Hangár Ensemble (Ungarn, 29.7.) Ein gutes Beispiel dafür, dass beide Welten noch da sind, spürbar sind, ihre Identität behalten, jenseits von beliebigen Fusions und Verschmelzungen, wie sie in der Weltmusik sonst oft passieren. Genau das will ich.
Gibt es etwas, was ihr euch nicht leisten könnt?
Joe Aichinger: Der budgetäre Rahmen ist natürlich nie ausreichend, aber wir haben vergleichsweise gute Möglichkeiten. Ein alter Traum: Paolo Conte, aber wirklich mit einem ganz speziellen Konzept. So große Namen sind sonst eher was für Mega-Events, große Konzertveranstalter oder das neue Megazentrum Grafenegg. Wobei ich mir bei einem wie Paolo Conte schon vorstellen kann, dass der auch zu einem kleineren Veranstalter kommt, wenn ihn etwas wirklich interessiert
Was passiert beim heurigen Themenschwerpunkt “Jodeln”?
Joe Aichinger: Mit Jodeln verbindet man landläufig alpines Jodeln und manchmal auch etwas Hinterwäldlerisches. Ich verstehe aber darunter mehr, eine Form des nonverbalen Kehlgesangs, der manchmal auch viel mit Obertonmusik zu tun hat. Es ist eine Form des “verkehrten” Singens. Für den Jodelschwerpunkt haben wir uns entschieden, nachdem wir das Sylvesterfest in Urnäsch/Appenzell erlebt haben, das am Sylvestertag des alten julianischen Kalenders, also vierzehn Tage später, stattfindet. Dieses Urnäsch ist ein Dorf mit vielleicht 1000 Einwohnern und das Ganze findet außerhalb des Zentrums statt, auf den Höfen entlang der Straße und auf den Almen. Es gibt dort 35 Gruppen, die sich Chlausä nennen, bestehend aus maximal fünf Männern und einer Frau, die bizarre Verkleidungen und Masken tragen. Die haben riesige Schellen umgeschnallt, mit denen sie einen unglaublichen Lärm machen, wenn sie von Haus zu Haus gehen. Vor jeder Haustür singen sie dann aber einen ungemein zarten, schönen Jodler, den sie Zäuerle, oder Ruguuusserle oder Joole und Juuz nennen. Vom frühen Morgen an bis zum späten Vormittag ist das nur für die Einheimischen, erst am Nachmittag kommen dann viele Leute von auswärts, es sind dann 3000 Leute im Ort. – Ich wollte es unbedingt schaffen, so eine Zäuerli-Schuppel herzukriegen. Die werden auch in Krems von Haus zu Haus gehen und anschließend auf der Bühne mit einem Quintett unter der Ägide des helvetischen Musikers Noldi Adler zusammentreffen. Die traditionelle Musik soll dann behutsam neu adaptiert und über sie improvisiert werden. Mal sehen ob das funktioniert.
Kommen wir zum “Österreich-Anteil”.
Joe Aichinger: Der ist ganz wichtig. Da ist natürlich auch der von Rudi Pietsch organisierte Volksmusik-Workshop zu nennen. Mein Traum wäre, das auch mit den Profis als Teilnehmern zu machen, damit daraus auch Acts für die große Bühne entstehen. Die anderen österreichischen Namen – von Patrick Pulsinger bis Martin Grubinger – ersieht man ja aus dem Programm. Ich stehe auch dazu, dass die sehr im Bereich der Jazz-Avantgarde angesiedelte Band des Wolfgang Reisinger hier aufgetreten ist, gemeinsam mit einem sardischen Chor, das war eher ein experimentelles Jazz-Programm. Auch die Bigband von Christoph Cech war drei Jahre in Folge hier. Österreicher waren traditionell immer die Hauptvertreter beim Thementag “Wachauer Begegnungen”, in Zukunft wollen wir die “Encounters” von österreichischen und ausländischen Musikern stärker über das gesamte Festival streuen. Wichtig ist, dass wirklich ein Spannungsfeld entsteht, zwischen verschiedenen Stilistiken, zwischen Österreichern und Ausländern. Ich denke da zum Beispiel als nächstes an ein Projekt, das der Komponist Bernhard Lang mit unterschiedlichen Musikern und Gruppen ausrichten könnte. Räumlich soll das Festival in den nächsten Jahren auch stärker auf den Klangraum in der Minoritenkirche ausgeweitet werden, die derzeit gerade für den Ausstellungsbereich – Stichwort “Frohner-Museum” – erweitert und renoviert wird und in Zukunft mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Voraussichtlich wird es ein eigens programmiertes Wochenend-Programm in der Minoritenkirche werden.
Der Auftakt des Festivals ist der traditionelle Marillenkirtag am Samstag in Spitz, wo diesmal Broadlahn mit dem indischen E-Gitarristen Amit Chatterjee auftreten wird.
Joe Aichinger: Das Eröffnungskonzert ist traditionell in Spitz. Den Marillenkirtag gibt es seit 50 Jahren, der wurde traditionell mit “volkstümlicher” Musik bespielt und der Bürgermeister von Spitz hat mich gebeten, dort im Schloss Spitz etwas ein wenig Anspruchsvolleres zu programmieren. Wobei das Programm schon zum dortigen Umfeld passen muss, damit das Publikum hingeht.
Glatt & Verkehrt (15. – 29. Juli)
Veranstaltungsorte: Winzer Krems, Klangraum Krems Minoritenkirche, Weingut Zöhrer, Schloss zu Spitz, Stift Göttweig.
Programmdetails: siehe mica-Veranstaltungskalender und Link.
Foto Joe Aichinger: Karin Wasner
Foto Lucia Pulido, Franz Hautzinger, Patrick Pulsinger: Lukas Beck