mica-Interview mit Harald Huber (ÖMR)

mica-Interview mit Harald Huber (ÖMR)Vielfalt ins Schaufenster! – Harald Huber, Präsident des Österreichischen Musikrats, über latent vorhandene Ausbildungs-Defizite, die Quoten-Politik und die Pflege des musikkulturellen Erbes. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Wozu braucht Österreich eine parlamentarische Enquete, die sich mit Strukturen des Musiklebens und zukünftigen Weichenstellungen auseinandersetzt?
Österreich versteht sich nach wie vor als Musikland. Die Musik spielt im Leben des Landes und auch im internationalen Image eine herausragende Rolle. Um diesen Stellenwert weiter zu entwickeln und Perspektiven für das 21. Jahrhundert zu gewinnen, ist es außerordentlich wichtig, dass die Interessenvertretungen engen Kontakt mit der Politik halten. Das ist eine große und dringende Notwendigkeit. Deshalb freue ich mich, dass die Enquete zustande kommen wird.

Ihren Worten lässt sich eine gewisse Dringlichkeit entnehmen, die wahrscheinlich nicht erst seit gestern besteht. Wieso dann erst jetzt?
Das ist eine philosophisch grundsätzliche Frage. Die Notwendigkeit hat die Musikszene schon einen längeren Zeitraum über gespürt. Um solche Dinge aber auf die Tagesordnung zu bringen, bedarf es dann immer eines ganz besonderen Nachdrucks. Ich denke aber jetzt nicht darüber nach, warum nicht schon im vergangenen Jahr, sondern ich konzentriere mich auf den dritten Juni.

Inwiefern haben sich die ökonomischen Rahmenbedingungen denn in den letzten Jahren geändert?
Ich würde im Moment nicht nur von ökonomischen Rahmenbedingungen, sondern von Rahmenbedingungen insgesamt sprechen wollen. Zum einen gab es einen technologischen Wandel, der das Produzieren, Verteilen und Konsumieren von Musik beeinflusst hat und die Musik in eine neue Landschaft gebracht hat. Dann haben wir den Prozess der Europäisierung und Globalisierung zu gewärtigen. Das ist eine ganze Menge an Dingen, die wir zu berücksichtigen haben. Als Österreichischer Musikrat, als National Council des internationalen Musikrates, orientieren wir uns an den Rechte des internationalen Musikrates, bei denen es darum geht, allen Menschen Zugang zur Musik und zur musikalischen Betätigung und Künstlern Zugang zu den Medien und gerechter Entlohnung zu verschaffen. Das haben wir unter diesen geänderten Bedingungen zu forcieren und auch in Österreich zu betreiben.

Durch die von Ihnen angesprochenen Umwälzungen ist für den Musiker von heute einiges leichter, vieles aber auch schwerer geworden. An den Musiker werden, will er Geld mit seiner Arbeit verdienen, immer größere Anforderungen gestellt. Wo bestehen Defizite?
Ich würde hier drei Punkte nennen wollen: Zum einen gilt es in ganz verschiedenen Stadien der Ausbildung den Hebel anzusetzen. In Anlehnung an die von Österreich ratifizierte Unesco-Convention stellt sich die Situation in den Medien derzeit so dar, dass Österreich was die Präsenz österreichischer Musik in den Medien anbelangt, im europäischen Vergleich an definitiv letzter Stelle liegt.

Zu Punkt 1: In der Ausbildung gibt es einen neuralgischen Punkt, den es zu bearbeiten gilt. Wir hoffen, dass diesbezüglich eine patente Arbeitsgruppe im Bildungsministerium eingerichtet wird. Derzeit beobachten wir ein Zurückfahren der musikalischen Ausbildung von VolksschullehrerInnen. Genau das Gegenteil davon ist, was wir wirklich brauchen. Auch der Ausbildungsstand an den Hochschulen ist unzureichend. Die musikalische Ausbildung der Lehrer muss insgesamt verbessert, nicht verschlechtert werden, um sich dem Ziel des garantierten Zugangs zur Musik anzunähern. Was die Ausbildung im Bereich der Volksschulen anbelangt, sehen wir die Möglichkeit der Kooperation von Volksschulen und Musikschulen. Hier sind legistische Maßnahmen zu setzen. Das Schulorganisationsgesetz ist weiter zu entwickeln. In alle Schulgebäuden und allen sonst geeigneten kommunalen Gebäuden kann Unterricht abgehalten werden. Es ist ein Paket zu schnüren, das die Kooperation zwischen Volks- und Berufsschulen ermöglicht. Wir haben in Österreich eine gute elementare Musikpädagogik und die soll auch zum Zug kommen. In manchen Bundesländern stößt man auf Finanzierungsgrenzen. Man muss hier Möglichkeiten finden, diejenigen Musiklehrer, die keine Anstellung mehr finden können und diejenige Schüler, die keinen Ausbildungsplatz mehr bekommen, zusammen zu bringen. Wir fordern die Einrichtung einer Arbeitsgruppe im Bildungsministerium. Weiter nur stichwortartig: Im Bereich der AHS hat Österreich einen sehr geringen Anteil an Musikgymnasien. Hier besteht ein großer Bedarf an Ausbau und Reformation. In der Universitätslandschaft muss man unbedingt eine Re-Demokratisierung der Universitäten und mehr kulturelle Vielfalt in den Ausbildungsgängen vorsehen.

Damit bin ich schon beim nächsten dringlichen Punkt angelangt: Ab 1.1. 2006 wurde die Möglichkeit einer Niederlassungsbewilligung für ausländische MusikerInnen abgeschafft. Wir fordern die Wiedereinführung. Es geht nicht an, dass Österreich einerseits die Unesco-Konvention zur Schaffung musikalischer Vielfalt ratifiziert und andererseits in der konkreten Politik völlig entgegen gesetzte Wege beschreitet. Da sind die Parlamentarier dringend darauf aufmerksam zu machen. Hier wurden existenzielle Nöte erzeugt. Außerdem hat Österreich Jahrhunderte lang vom Zuzug ausländischer Künstler profitiert.

Der dritte Punkt betrifft nicht nur den ORF, sondern auch die privaten Anbieter. Um mich diesbezüglich auf ORF-Zahlen zu beziehen: Mit einem Anteil von 20% österreichischer Musik am Gesamtmusikprogramm sind wir derzeit im europäischen Vergleich das absolute Schlusslicht. Dass sich ein Staat, der sich selbst Musikland nennt, in dieser Schlussposition wieder findet, ist nicht verständlich und auch nicht einzusehen. Die Schweiz, die bisher in dieser Schlussposition war, hat eine Charta zwischen Musik und Medienvertretern zustande gebracht. In Bezug auf die Radioprogramme und das Verhältnis an heimischen Produktionen in denselben sind dort schon Erfolge zu verzeichnen.

Basiert diese Charta denn auf einer Quote?
Nein. Von der Festschreibung einer solchen Quote wurde abgesehen. Stattdessen wurde ein regelmäßig tagendes Überwachungsgremium installiert und eine schriftliche Vereinbarung geschlossen, wonach der Anteil Schweizer Musik in den Programmen schrittweise zu erhöhen ist. Das war ein erster wichtiger Schritt, den wir uns auch in Österreich wünschen würden. Selbstverständlich kann man die Angelegenheit auch über eine Quote regeln. In Finnland etwa gibt es einen heimischen Anteil von über 50%. Man könnte auch Frankreich und Griechenland heranziehen – Länder, die sich nicht unbedingt als Musikländer verkaufen und dennoch weit vor Österreich rangieren. Der Vergleich ist beschämend. Notfalls muss man dieses Defizit eben über eine Quotenregelung reparieren.

Aber gerade in Hinblick auf die von Ihnen in anderem Zusammenhang angesprochenen Minderheitenrechte und gewollte Migration ist die Einführung einer solchen Quotenregelung doch gefährlich. In Frankreich etwa führt die existente Sprachquote dazu, dass nicht französischsprachige Minderheiten diskriminiert werden.
Das ist richtig. Da muss man äußerst vorsichtig sein. In Frankreich ist es definitiv eine Sprachquote, die mit der staatlichen Sprachpolitik zusammenhängt. Da gibt es einerseits verschiedene Migrantenkulturen, die dadurch unterdrück werden. Andererseits hat die Quote für einen Aufschwung des französischen Hip Hops gesorgt, der wiederum ein Sprachrohr eben dieser Migrantenkulturen ist. Das muss man sehr differenziert betrachten. Es gibt die verschiedensten Modelle. Eine Quote darf jedenfalls kein Gängelungsinstrument in Richtung Staatskultur und Zensur sein. Mit dieser Art von Quote wollen wir nichts zu tun haben. Wir wolle eine Quote, die im Rahmen der ratifizierten Unesco-Konvention das kulturelle Erbe pflegt und die Vielfalt bestehender österreichischer Musikkultur ins Schaufenster stellt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir wollen und brauchen den internationalen Kulturaustausch. Aber wir h

 

Sie haben den erbärmlichen Anteil österreichischer Musik in Fernsehen und Radio angesprochen. Gibt es hier nicht einen Riesenunterschied zwischen fm4 und ORF1, zwischen Hörfunk und Fernsehen? Wäre nicht Willkommen Österreich, es gäbe doch keinen einzigen Sendeplatz, an dem sich junge österreichische Pop-Musik im Fernsehen präsentieren kann.
Zugegeben. Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Programmschienen. Fm4 etwa hat einen Anteil von einem Drittel. Die versuchen schon einiges in diese Richtung. Auch das Fernsehen hat einige Programmschienen, die österreichische Musik befördern. Aber um dem internationalen Standard zu genügen und dem Kulturauftrag gerecht zu werden, müsste der ORF – über die Privaten muss man gesondert reden – seinen Bemühungen verdoppeln.

Sie waren lange Jahre auch Vorstand des Instituts für Popularmusik. Seit Falco war international nicht mehr viel los mit der österreichischen Popularmusik – sieht man von aus dem Underground kommenden Einzeltätern wie Gustav, Naked Lunch, Bauchklang und anderen einmal ab. Sind – was die Musikwirtschaft anbelangt – die falschen Leute am Ruder oder ist die heimische Pop-Musik aus schlichtem Qualitätsmangel nicht konkurrenzfähig?
Als Präsident des österreichischen Musikrats muss ich flächendeckend argumentieren. Mir ist jede Musik recht. Ob das jetzt hervorragende Ergebnisse in der zeitgenössischen Musik sind oder Schlager und volkstümliche Musik. Das ist alles förderungswürdig. Wir haben da eine große Vielfalt zu gewärtigen, die wir insgesamt befördern müssen. Größere kommerzielle Erfolge sind nicht planbar. Wer die Erfolgsgeschichte von Christine Stürmer in Deutschland kennt, weiß dass es da eine Menge an Unwägbarkeiten, merkwürdigen Dinge und glücklichen Zufällen gab. Insgesamt ist die Förderpolitik jedenfalls zu verbreitern, was bis zu einem gewissen Grad mit dem Musikfonds ja bereits geschehen ist. Wo es einen wirklichen Bedarf gibt, ist diese bunte Vielfalt an Musikproduktion darzustellen, sie abzubilden. Nicht nur in den heimischen Medien, sondern auch im Ausland. Und da ist die Politik gefordert, Geld zu investieren.

Nun sind Sie Einerseits sind Präsident des ÖMR, andererseits waren Sie maßgeblich am Aufbau des Instituts für Popularmusik beteiligt. Schlagen da nicht zwei Herzen in Ihrer Brust, die manchmal miteinander in Konflikt geraten?
Um mich auf die Breite des Musikrates konzentrieren, habe ich die Leitung des Instituts ja auch abgegeben. Darum kümmert sich heute Kollege Wolfgang Puschnig. Der Aspekt der Popularität ist meiner Auffassung nach nur aus der gesellschaftlichen Gesamtheit zu betrachten.

Gibt es nicht ein Ungleichgewicht zwischen subventionierter Klassik und vernachlässigter Pop-Musik?
Vielleicht ja. Die musikalische Landschaft hat sich aber in den letzten Jahren entscheidend verändert. Wir verfügen über eine vitale Jazz-Landschaft, eine vitale Dance-, Rock- und World Music-Szene. Österreich ist ein äußerst vielfältiges Musikland und braucht die Unterstützung der Politik, um das rüberzubringen. Das wird das Generalthema sein am 3. Juni.

Am 3. Juni wir viel geredet werden. Wie geht es dann weiter? Was wir der nächste Schritt sein?
Da wird es einige Forderungen geben, auch in Hinblick auf Gesetzesinitiativen und Novellierungen. Da ist auch der ÖMR gefordert, die Dinge weiter am …

… Köcheln zu halten?
Deshalb habe ich bewusst gezögert. Ich wollte den Ausdruck “Köcheln” unbedingt vermeiden. Köcheln tun wir eh die ganze Zeit. Es geht darum, die Dinge wirklich voranzutreiben.

Vielen Dank für das Gespräch.