mica-Interview mit Hannes Löschel

OdeonMusik steht sowohl für genre- wie auch kunstspartenübergreifende Projekte. Von 1. bis 3. März geht nun die vierte Ausgabe unter der künstlerischen Leitung von Hannes Löschel vonstatten und bringt von der One-Woman-Installation über Duos bis hin zu 100 Saxophonen und 100 Flöten diverse Besetzungen auf die Bühne. Welche Möglichkeiten der Raum des Odeons bietet und was ihn am Überschreiten der Genregrenzen reizt, darüber sprach Hannes Löschel mit Doris Weberberger.

Was beim Programm von OdeonMusik wie auch in deiner eigenen Musik sehr präsent ist, ist das Spartenübergreifende. Was reizt dich daran und was bedeutet das Überschreiten der Genregrenzen für dich?

Berufsfelder für Musiker neu erfinden. Von CDs können wir ja nicht mehr leben (lacht) – wenn ich jetzt pragmatisch antworte. Vor allem glaube ich aber, dass es ganz natürlich ist,  wenn sich musikalische Sparten im Spezialistendasein zu sehr festfahren, die Frage zu stellen, in welchem Raum wir uns mit der Musik bewegen. Das führt zu theatralen, installativen Fragen oder zur Frage der Bedeutung der Live-Performance. Wenn wir schon nicht so viele CDs verkaufen (wobei die ja auch für einen kleinen Konzertraum gemacht sind: zuhause, in der Küche, wo auch immer …), wird das Bewusstsein dafür stärker, dass Musik Schall und Rauch ist und dass sie in der Live-Performance am unmittelbarsten erlebbar ist. Musiker stehen oder sitzen beim Spielen, es gibt Konfrontation oder Gegenüberstellung mit Text, es gibt die Welt der Abstraktion (eines Fieldrecordings etwa) mit dem Konkreten (einem Lied z. B.).  Ein Mischungsverhältnis zwischen diesen Elementen zu finden, wie sie sich im Theatersaal beleuchten und ob sie eventuell “eingerichtet” werden sollten, war die ursprüngliche Intention. Dazu kommt der Raum des Odeons, der es unmöglich macht, sich nicht mit ihm zu beschäftigen. Er wurde von Erwin Piplits und Ulrike Kaufmann (Obmann und Künstlerische Leiterin des Odeons) vor 30 Jahren sehr bewusst “Odeon” getauft. Dem entspreche ich gerne. Der Raum klingt z. B. bei sehr reduziertem Klang toll; deswegen gibt es Solos und Duos. Wegen seiner Größe eignet er sich aber auch für Massen. Letztes Jahr haben wir eine Serie mit massiv besetzten Stücken von Salvatore Sciarrino begonnen, die heuer ihre Fortsetzung findet. In dem Spannungsbogen zwischen dem sehr Reduzierten und dem sehr Üppigen das Programm zu gestalten, war die Idee zu OdeonMusik IV.

Du hast gerade die große Besetzung angesprochen: In “Studi per l’intonatione del mare” von Salvatore Sciarrino sind heuer neben Solisten 100 Flöten und 100 Saxofone im Einsatz. Letztes Jahr wurde „La bocca, i piedi, il suono“ mit 100 Saxofonen aufgeführt. Wird diese Serie im nächsten Jahr noch weitergehen?

Ich glaube, er hat nicht mehr. Natürlich hat er sich sehr gefreut, dass wir das Stück aufführen, weil “La bocca, i piedi, il suono” und das heurige Stück erst zum zweiten oder dritten Mal aufgeführt werden.

Da muss man ja auch erst einmal die Instrumentalisten auftreiben.

Das war die Leistung von Lars Mlekusch. Es sind acht Solisten dabei und es ist doch eine komplex ausnotierte Partitur. Letztes Jahr ging es um eine prozessionsartige Bewegung um das Publikum herum. Dadurch, dass die Tribüne im Raum steht, kann man auch tatsächlich umsetzen. Ich wüsste gar keinen anderen Saal, in dem man das machen könnte. Das heurige Stück ist von der Aufstellung eher traditionell, die Instrumentalisten stehen auf der Bühne, vom Klang zielt diese Masse weniger auf Lautstärke, eher auf Räumlichkeit.

Womit wir wieder beim Raum sind: Viele Stücke Neuer Musik werden in einem Konzertsaal aufgeführt, passen da musikalisch aber eigentlich nicht wirklich hin. Da bietet das Odeon durch die Flexibilität viele Möglichkeiten und hat nicht die Aura eines Konzertsaales.

Es sind meistens Musiker dabei, die in verschiedenen Bereichen tätig sind, die dadurch auch befähigt sind, sich auf spezielle Situationen wie das Odeon und seinen Raum einzustellen.

Am ersten Abend gibts nach der Hommage an John Cage, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre, die Installation “Elektro Altar” von Angélica Castelló, ein Beispiel dafür, wie ein Raum Musik erhöhen und überhöhen kann. Ein lustvolles Verhältnis zwischen dem “Billigen” und dem “Heiligen”. Eine Art “billige Huldigung” im großen Theatersaal. Ich könnte mir das schwer in einem Konzertsaal vorstellen. Auch das Spiel mit dem Raum, mit der Wahrnehmung von Raum in der Musik – das geht im Odeon gut. Sciarrinos Stück letztes Jahr begann z. B. im Foyer, der Klang war nicht ortbar. Abstrakte Musik ist ja oft konkreten Ursprungs und der Konzertsaal beschneidet diese Assoziationsketten meistens.

Du gestaltest OdeonMusik seit 2010. Was das Programm immer durchzieht, ist die Verbindung von bedeutenden Komponisten des 20. Und 21. Jahrhunderts mit Aktuellem.

Die kleine Verbeugung vor John Cage findet statt, weil gerade in der interdisziplinären Kunst Cage ein Pionier war. Natürlich, oder eigentlich: Zum Glück klingt seine Musik und seine Kunst heute historisch. Aber wir verbeugen uns z. B. vor seiner Collagetechnik, die er als einer der ersten in aktueller Musik etabliert hat, in dem wir einige der Stücke gleichzeitig spielen. Cage hat ja mal auf die Frage, ob er Beethoven-Symphonien gerne höre, geantwortet: “Ja!, am liebsten alle zugleich!”

Was darf man noch erwarten?

Der zweite Tag bei OdeonMusik IV ist dem Meer gewidmet. Die Musiktheaterinstallation “Miranda – eine Überlandpartie” ist eigentlich die Fortsetzung einer Kooperation mit dem Filmarchiv Austria und einem dortigen sehr kreativen Mitarbeiter, dem Schriftsteller Thomas Ballhausen. Gemeinsam haben wir 2010 unter dem Titel “WienSchnittBild” Filme vertont. Die Fortsetzung sollte sich unter dem Titel “ÜberLandPartie” weg von der Stadt bewegen. Übrig blieb ein Text zum Thema “Insel”, eine Bearbeitung des “Sturm-Stoffes” von Shakespeare. Parallel dazu bin ich auf Fieldrecordings von Peter Kutin vom Nordwestbahnhof, der ja in unmittelbarer Nachbarschaft des Odeons liegt, aufmerksam geworden.  Zudem waren gerade einige neue Songs im Entstehen. Das alles fügt sich nun in eine kurze Musiktheaterinstallation über eine Insel, das Wetter und das Wegwollen. Der Bühnenraum ist dabei sehr spärlich besetzt. Im zweiten Teil des Abends wird dann von 200 MusikerInnen und 8 SolistInnen Sciarrinos “Studi per l’intonatione del mare” zur Aufführung gebracht.

Am dritten Abend ist die Begegnung von Konrad Rennerts “… SPEAK WHAT WE FEEL, NOT WHAT WE OUGHT TO SAY …” mit der Geschichte der Räumlichkeiten des heutigen Odeon zentral. Unter nationalsozialistischer Herrschaft war dort ein Zensurbüro eingerichtet. Um dieses – sehr verdichtete – Stück herum gibts einen bunten Abend mit Duos wie etwa Duthoit-Hautzunger, oder rdeča raketa  von Maja Osoinik und Matija Schellander und einem Duo des chinesische Tänzers und Choreographen Jianan Qu und mir. Zum Schluss spielen unsere einzigen heurigen Gäste „Dans les arbres“ aus Frankreich und Norwegen Kammermusik mit präpariertem Klavier, Gitarre, großer Trommel und Klarinette.

Zu Aufführungen Neuer Musik kommt oft nur ein eingeschworener Kreis, neues Publikum zu erreichen ist schwierig. Wie gehst du damit um?

Ich würde mich freuen, wenn viele Junge kommen. Im Odeon könnten sich die Publikumsströme auch noch besser überkreuzen. OdeonMusik IV ist  jedenfalls so angelegt, dass jeder Abend eine eigene Community abholen könnte. Es ist immer wieder sehr erfrischend, wenn Publikum da ist, das nicht ursprünglich von der Musik kommt, wo die Hörgewohnheiten nicht so routiniert sind. Ich habe da auch in der Kritik, in der Ablehnung schon sehr erfrischende Sachen gehört und nehm das gerne mit, weil es auf eine interessante Weise oft präziser ist, wenn man das nicht in “Fachsprache” hört. Ich erlebe das oft als eine anregende Diskussion, die mir selber Spaß macht.

 

 

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