mica-Interview mit Gerald Resch

Gerald Resch ist einer der bereits etablierten jungen Komponisten Österreichs. Er studierte Komposition bei Michael Jarrell, Beat Furrer und York Höller. Seine Werke setzen sich sehr oft mit unterschiedlichsten Einflüssen aus nicht-musikalischen Bereichen, wie Architektur, Geologie, Sprachwissenschaft, Textilkunst usw., auseinander. Unter seinen Auftraggebern kann Resch bisher unter anderem das Konzerthaus Berlin, das Wiener Konzerthaus, Klangforum Wien, Nieuw Ensemble Amsterdam, Nederlands Vocaal Laboratorium, Festival Wien Modern verzeichnen, Aufführungen seiner Werke fanden bereits bei prominenten Veranstaltern wie den Salzburger Festspielen und dem Musikverein statt. Am 14. September wird sein Stück Land beim Brucknerfest 2008 uraufgeführt. Sabine Reiter hat Gerald Resch zu seiner kompositorischen Arbeit befragt.

SR: Ich würde gerne mit deinem Stück Land für das Brucknerfest 2008 beginnen. Was war die Idee dazu, der musikalische Ausgangspunkt?
GR: Das Brucknerfest beginnt immer mit einem Eröffnungsakt, der kein öffentliches Konzert ist, sondern nur eines für politische Gäste. Der Bundespräsident hält eine Ansprache, die Frau Kulturministerin hält eine Ansprache, der Landeshauptmann und so weiter. Ich habe das letztes Jahr gehört, da hat Johanna Doderer die Auftragskomposition für diesen Eröffnungsakt gemacht. Die Musik ist dabei gewissermaßen schmückendes Beiwerk. Es gibt eine Festrede, die war voriges Jahr von Konrad Paul Liessmann. Was bei diesem Festakt allerdings obligat gespielt wird, ist die Bundeshymne, und zwar in dieser sehr pompösen Orchesterfassung. Mir war unwohl bei der Vorstellung, dass das einerseits ein Publikum sein wird, das sich so aus Prominenz zusammensetzt, aber eigentlich nicht ganz freiwillig mit einem Stück Neuer Musik konfrontiert wird. So habe ich versucht, etwas zu finden, womit sie möglicherweise durch dieses Stück ganz gut durchkommen werden. Ich wollte jetzt nicht deswegen meinen Stil ändern, sondern ich wollte etwas finden, wodurch sie die ganze Zeit hörend beschäftigt bleiben. Deswegen habe ich mich entschieden, diese Bundeshymne, die in demselben Konzert gespielt werden wird, in einer, sagen wir einmal etwas verzerrten oder deformierten Art und Weise als Urmelodie zu verwenden, die dann sowohl die Harmonik als auch rhythmische Dinge steuert. Über diese Urlinie habe ich dann unterschiedliche Variationen komponiert, die allerdings sehr fließend ineinander übergehen. Das Stück sollte auf Wunsch des Auftraggebers nicht länger als acht Minuten sein und da dachte ich mir, ich bleibe schon rein von der Zeitökonomie her wirklich bei einer Sache und beleuchte die von sehr unterschiedlichen Seiten her. Dass diese Hymne bei mir freilich nicht besonders verklärend-feierlich klingen wird, sondern eher nur im Hintergrund auftaucht mit einer melodischen Floskel, die dann irgendwie unerwartet weitergeht, dachte ich, bringe ich auch mit diesem merkwürdig fragmentarischen Titel “Land” ganz gut zum Ausdruck. Das lässt einen gewissen Freiraum, der hoffentlich auch in dem Stück kompositorisch eingeflossen ist. Es ist gewissermaßen der Versuch, von einem objet trouvé auszugehen und das zu kneten und in eine Form zu bringen, mit der man etwas machen kann. Wenn ich Glück habe, werden die Leute doch versuchen, dahinterzukommen, was sie jetzt gerade hören. Ich denke, sie werden interessierter dabeibleiben, wenn sie immer wieder Inseln finden, wenn sie etwas erkennen, das ihnen bereits vertraut ist.

SR: Ist das eine neue Entwicklung? Du hast sehr oft außermusikalische Ausgangspunkte und jetzt ist es sozusagen ein musikalisches objet trouvé, ist das für dich etwas Neues?
GR: Das habe ich bisher noch nicht gemacht, das stimmt. Ich denke, dass man beim Komponieren natürlich immer irgendwelche Objekte findet, von denen man am Beginn der Arbeit noch nicht wusste, dass man darauf stoßen wird. Also dass man beispielsweise in eine Stelle hineinkommt, die einen an eine Stelle bei Claude Vivier erinnert, oder an irgendetwas von Ligeti. Das sind dann im allerweitesten Sinn natürlich auch objets trouvés, bei denen man eine Textur zitiert oder eine Textur eben genau anders weiterführt, als sie bei dieser Originalstelle, die einem da in den Sinn gekommen ist, ausgeführt wurde. Vieles beim Komponieren hat prinzipiell mit objets trouvés zu tun. Allgemeiner gesagt, Komponieren ist ja auch so etwas wie finden, und manchmal findet man Objekte, die man selber nicht als allererster gefunden hat, sondern die ein anderer auch schon gefunden hat, auf einem anderen Weg.

SR: Sehr oft hast du außermusikalische Ausgangspunkte, also beispielsweise über einen optischen Eindruck. Was regt dich da an, hast du da sofort eine Klangvorstellung oder ist es eher eine strukturelle Vorstellung, die dich daran interessiert?
GR: Meistens sind es irgendwelche strukturellen Probleme, die ich mit mir herumtrage und die ich dann in irgendetwas Optischem gelöst finde, beispielsweise in der Art, wie ein Teppich geknüpft ist. Ein Teppich von seiner Rückseite betrachtet ist ein vollkommen wirres Geflecht an Fäden, die Vorderseite hingegen ganz geordnet. Das kann einen auf eine Idee bringen, wie auch eine musikalische Form von der einen Seite betrachtet geordnet erscheint, von anderem Blickwinkel aus betrachtet aber ganz wirr ist. Es sind oft solche Sachen, die mir beim Komponieren einfallen, die mich an etwas erinnern und irgendwie sicherlich in meine Musik mit einfließen.

SR: Verhält es sich mit tessuto so ähnlich?
GR: Ja, genau. Tessuto heißt auf italienisch gewebt und das ist deswegen italienisch, weil ich das Stück in Italien geschrieben habe, in Rom. Ich habe damals in Rom gelebt und war auch deswegen so fasziniert von Rom, weil diese Stadt aus sieben Städten besteht, die immer aufeinander gebaut wurden. Es gibt an ausgewählten Punkten der Stadt die Möglichkeit, diese Schichten noch sehr lebendig zu erleben, zum Beispiel in alten Kirchen, wo es zuerst einmal ein heidnisches Fundament gibt, eine Opferstelle, die man noch sehen kann. Dann wurde eben etwas Frühchristliches darauf gebaut und dann etwas Romanisches und dann wird es barockisiert usw. Diese unterschiedlichen Schichten sind alle aufeinander bezogen, führen dieselbe Vertikale weiter, aber jede entspricht den Bedürfnissen der neueren Zeit. So ein schichtweises Aufbauen auf dem, was schon da war, interessiert mich einfach, ich finde das ist eine tolle Sache. Dann kam der Auftrag, dieses Bratschenstück zu schreiben, und ich dachte mir, wie wäre es, wenn ich eine Zeile nehme, die ungefähr eine halbe Minute dauert, und in der nächsten Zeile auf diese Zeile etwas Neues aufbaue, wobei ich aber die Fundamente von dieser ersten Zeile erhalte. Somit ist die zweite Zeile eine Art  verändernde Überschreibung der ersten Zeile, und die dritte Zeile eine Überschreibung der zweiten Zeile usw. So baut sich dieses Stück auf. Was dieses strukturelle Verfahren ganz gut ausdrückt, ist dieser Titel tessuto, Gewebe. In Wirklichkeit hört sich das natürlich nicht so didaktisch an, dass die nächste Zeile kommt, wenn die erste Zeile abgeschlossen ist, sondern es gibt sehr viele Rückbezüge, die man auch hören kann. Also wenn beispielsweise die leere, tiefste Seite der Bratsche gestrichen wird, und ein paar Minuten später wird wieder die leere, tiefste Seite der Bratsche gestrichen, dann erinnert man sich eher an das und nicht so sehr an das, was in der vorherigen Zeile war. Die Erinnerung funktioniert ja sehr sprunghaft, und es gibt in dem Stück immer auch diese unerwarteten Rückblenden, und deswegen eben tessuto, Gewebe – so wie die Rückseite des Teppichs, an der die Fäden kreuz und quer durcheinanderlaufen.

 

SR: Wenn du mit einem Strukturplan beginnst, wann kommt die Klangvorstellung dazu?
GR: Ich komme da ein bisschen von zwei Seiten gleichzeitig. Es gibt auf der einen Seite eben diese strukturellen Überlegungen und auf der anderen Seite probiere und improvisiere ich. Ich skizziere etwas, das mir gefällt, und weiß noch nicht, ob ich das verwenden kann, oder wofür. Ich habe dann immer riesige Tafeln mit Post-Its, wo hundert Möglichkeiten – eigentlich hundert Fundstücke –   draufstehen. Dann schaue ich, was davon ich brauchen kann. Meistens werden die Sachen dann ganz anders verwendet als ich ursprünglich dachte, dass sie verwendet werden – indem ich sie kombiniere oder etwas dann doch nicht verwende, oder von einer anderen Seite betrachte. Es ist eigentlich ganz lustig, dass wir jetzt wieder über objets trouvés sprechen. Ich arbeite mit einer Art Zettelkasten, wo zuerst unterschiedlichste Beobachtungen zusammengetragen werden. Dann schaue ich, was zusammenpasst, und wie sich das möglichst organisch auseinander entwickeln kann. Es ist mir recht wichtig, dass meine Musik einen gewissen Zug entwickelt und dass sie in diesem Zug bleibt. Ich habe es gern, wenn Sachen weitergetragen werden und sich miteinander verbinden.

SR: Ich habe gelesen, dass du dich in deiner Kompositionsweise an die Theorie der Gestaltkomposition von York Höller anlehnst?
GR: York Höller ist wirklich ein sehr interessanter Komponist, weil er diese deutsche Tradition – er hat bei Bernd Alois Zimmermann studiert – und die französische Tradition, also Pierre Boulez, zusammenspannt. Höller geht davon aus, dass, so ähnlich wie bei einem genetischen Code, ein Musikstück ebenfalls so eine Art Urlinie haben kann, aus der heraus es sich entwickelt. Er nennt das Klanggestalt und man kann sich das eigentlich ein bisschen so vorstellen wie eine Reihe. Aber die Möglichkeiten, damit umzugehen sind sehr viel freier, nämlich auch fragmentarisch und es gibt Wiederholungen innerhalb dieser Klanggestalt-Urmelodie. Ihm war auch der Begriff der Kohärenz immer sehr wichtig,  die er in seinem Werk glaubt, dadurch zu erreichen, dass er sich ständig auf eine allgemein gültige Urgestalt bezieht, die Melodik, Harmonik, Form und Rhythmik des Stücks prägt. Wenn die Klanggestalt sehr viele enge Intervalle hat, wird das Stück natürlich andere harmonische Möglichkeiten haben, als wenn es vor allem Quinten und Quarten wären, um ein ganz einfaches Beispiel zu nennen. Diese Vorstellung einer organischen Kohärenz hat mich gefesselt. Ich komponiere nicht mit derselben Technik wie er das macht, aber vom ideellen Gesichtspunkt aus finde ich das recht bemerkenswert. Daher spüre ich beim Komponieren doch immer wieder, wie er sozusagen hinter mir steht, und mir über die Schulter schaut.

SR: Beim Festival Soundings im Mai des heurigen Jahres, einer Veranstaltung des österreichischen Kulturforums London, wurde deine Komposition lettura, rilettura, aufgeführt. Worauf zielt hier der Titel “Lesen / Wieder-Lesen” ab?
GR:
Ich habe als Abschlussstück des Studiums bei York Höller 1997 ein viersätziges Klaviertrio komponiert. Das habe ich zurückgezogen, aber irgendwie hat es mich doch nicht ganz losgelassen. Ich habe mir die ersten beiden Minuten aus dieser Komposition noch einmal vorgenommen – quasi noch einmal gelesen, was ich da gemacht habe – und gewissermaßen wieder mit einer anderen Schicht, mit einer anderen Farbe weiter komponiert. Das merkt man auch sehr deutlich in der Abfolge dieses Stücks, das zwei Teile hat, einen A-Teil und noch einmal einen A-Teil, wobei dieser zweite A-Teil in eine andere Richtung ausgrast, aber deutlich als Double des ersten Teils erkennbar bleibt.

SR: Machst du das gerne, Stücke wieder aufzugreifen? Du hast dich z.B. eingehend mit dem Fagott beschäftigt. Haben die Stücke Passagen für Fagott und die Knoten für Fagott und Orchester dann auch miteinander zu tun?
GR: Ja, ein bisschen. Prinzipiell greife ich Stücke eher nicht wieder auf, aber natürlich nimmt man Erfahrungen aus dem einen Stück mit ins nächste Stück. Diese beiden Fagottstücke – es gibt auch noch ein Duo für zwei Fagotte, Nebeneinanderlinien  – sind alle für Robert Buschek entstanden, der ein hervorragender Fagottist ist. Ich habe in dem Solostück Erfahrungen gemacht, die ich dann auch ein bisschen in das Fagottkonzert Knoten übernommen habe, und in dem Duo für zwei Fagotte Nebeneinanderlinien habe ich Texturen ausprobiert, die auch in Passagen oder auch im Violinkonzert Schlieren wieder auftauchen.

SR: Du schreibst öfter für spezielle Interpreten, eben Robert Buschek, oder Schlieren für Patricia Kopatschinskaja.
GR: Patricia wünscht sich gerade eine Zugabe von mir, sie möchte auch bei ihren konventionellen Konzerten Neue Musik-Zugaben zu Gehör bringen. Das ist jetzt gerade mein aktuelles Projekt. Es ist das fast so etwas wie eine Freundschaftsarbeit, die man da leistet und da denkt man natürlich an diese Freundin und versucht sie auch ein bisschen zu porträtieren. Ich werde versuchen, wie glaube ich fast jeder, der für Patricia schreibt, ihren sehr extravaganten und sehr besonderen Charakter in irgendeiner Weise in diesem Stück zum Ausdruck bringen zu lassen. Sie ist recht witzig und hat es zum Beispiel gern, wenn sie in einem Stück auch singen und tanzen darf. Wenn man so einen Interpreten hat, könnte man natürlich auch sagen, dieser Aspekt interessiert mich nicht, weil er mir zu fern ist, oder man kann das vielleicht irgendwie ironisch aufgreifen.

SR: Wirst du das tun?
GR: Weiß ich noch nicht.

SR: Du hast bisher auf dem Gebiet Stimme eher wenig und auf dem Gebiet Musiktheater noch gar nichts gemacht. Hat das Auftragsgründe oder andere?
GR: Meine Frau ist Sängerin, dadurch weiß ich, wie schwer es ist, für Stimme zu schreiben. Ich habe da großen Respekt davor. Man muss unglaublich geschickt sein, um ein gutes Gesangsstück zu machen. Sänger sind wirklich so exponiert mit ihrem Instrument, das muss man mit bedenken und anders darauf reagieren, als hätte man Instrumentalisten vor sich. Für einen Klarinettisten greift sich ein g immer gleich an und für einen Sänger fühlt sich ein g nie gleich an, darauf muss man schon reagieren. Das interessiert mich sehr, auch diese Musiktheaterecke.  Ich bin mit Rose Breuss befreundet, die Choreographin ist, und wir phantasieren immer wieder ein bisschen herum. Aber dann kommt natürlich auch so etwas wie eine Auftragssituation dazu, da hast du schon Recht. Grundsätzlich ist es aber eher so, dass ich auf diesem Gebiet deswegen noch nicht soviel geschrieben, weil ich da großen Respekt davor habe, nicht, weil ich kein Interesse dafür hätte. Beim Musiktheater kommt noch dazu, dass es einfach eine sehr große Sache ist, sich so etwas vorzunehmen.

 

SR: Man fragt sich ohnehin, wo du die Zeit zum Komponieren hernimmst, wenn man liest, was du sonst noch so alles machst, du bist an der Bruckner-Universität, an einer Musikschule in Margarethen.
GR: Da höre ich jetzt auf, weil ich eine Stelle an der Musikuni in Wien bekommen habe, für Gehörbildung und Tonsatz.

SR: Du hast auch einige Werke für jugendliche Interpreten geschrieben, hatte das mit deiner Tätigkeit an der Musikschule zu tun?
GR: Ein bisschen schon. Ich nehme diese Aufgabe – Jugendlichen etwas über Musik zu erzählen – ernst, und versuche, das auch als Musiker ernst zu nehmen. Ich denke mir, dass die neue Musikszene es sich schon auch leicht macht in ihrer Abgehobenheit, die natürlich auch gerechtfertigt ist. Es sind nun mal komplizierte Sachen, und die brauchen ihre Nischen und das hat vollkommen seine Berechtigung. Trotzdem habe ich als Komponist den Wunsch, auch mal etwas zu machen, das man vom Blatt spielen kann, etwas, das so schlüssig und konzis formuliert ist, dass man eben nicht schon sechzehn Semester studiert haben muss, um sich dem überhaupt stellen zu können. Da wäre ich gerne etwas bescheidener vielleicht, oder freundlicher.

SR: Das machen nicht viele Komponisten, für Jugendliche oder für Lehrwerke schreiben.
GR: Mir fällt auch auf, dass nicht wenige Komponistenkollegen selber keine Kinder haben, das kann auch ein Grund sein. Ich habe zwei Kinder und natürlich ist dann diese ganze Sache sehr interessant, wie ein Kind sich entwickelt, was es interessiert und wie sein Zugang ist, man setzt sich mit dem Baby ans Klavier und so weiter. Aber man muss auch ein bisschen aufpassen, dass man da nicht in ein Fahrwasser gerät. Ich habe eine Zeit lang auch für chinesische Instrumente ein paar Stücke geschrieben, und meine Frau hat mich dann Chinesen- und Kinderkomponist genannt, weil gerade ein paar Stücke zusammengekommen sind, die entweder zum einen oder zum anderen gehört haben – Schubladen lauern überall.

SR: Du bist auch Kurator von Konzerten in der Alten Schmiede.
GR: Die Alte Schmiede mache ich sehr gerne, also Konzerte mit Neuer Musik auszudenken und zu programmieren. Ich finde das ist ein ganz wichtiger Ort für eine lebendige Szene, oder fast so etwas wie eine Off-Szene in Wien, wo man ganz niederschwellig bei freiem Eintritt Sachen rezipieren kann.

SR: Du machst außerdem Einführungsvorträge für die Jeunesse, schreibst über Musik.
GR: Da mache ich nicht mehr so viel.

SR: Also geht der Schwerpunkt jetzt hin zum Komponieren?
GR: Ja schon. Ich schreibe jetzt eben aktuell neben diesem Stück für Patricia an einem großen Stück für das Ensemble die reihe, für Juni 2009 zum 50 Jahr-Jubiläum, und an einem Kammermusikstück für Philadelphia; In Nomine. Ich denke, meine Zukunft wird einerseits die Lehre schon beinhalten, weil ich das gerne mache und auch wichtig finde.

SR: Du hast noch ein Stück in Vorbereitung, In nomine. Wird das etwas Religiöses?
GR: Nein. Ich habe mich auf der Uni in Linz mit englischer Musikgeschichte befasst, und habe ein Faible für englische Renaissancemusik. Da gab es – sehr sehr britisch – eine Tradition, aus einer Messe von John Taverner einen kurzen Ausschnitt zu nehmen, den der Tenor singt, In nomine domini usw. Diese Melodiefolge, die aus knapp vierzig Tönen besteht, wurde in England zu so etwas wie einer Fingerübung für Komponisten – wie man über den Cantus firmus dieser Taverner In nomine-Töne etwas so komponieren kann, sodass man nicht mehr merkt, dass da Taverner zugrunde liegt. Es gibt sehr schöne Phantasien, zum Beispiel von Henry Purcell, der noch in dieser Tradition stand. Das würde ich – ganz abstrahiert von der englischen Tradition – gern aufgreifen, ähnlich wie das, was ich jetzt in Land gemacht habe: dass es eine musikalische Grundschicht gibt, auf der das musikalische Geschehen basiert, die dem Hörer aber nicht bewusst wird.

SR: Du schreibst eigentlich fast keine elektroakustische Musik, interessiert dich das nicht?
GR: Oh, ja, aber als ich begonnen habe, Elektroakustik zu studieren, kam meine erste Tochter auf die Welt. Da habe ich das unterbrochen und seitdem nicht wieder aufgenommen. Eigentlich würde mich das sehr interessieren, und ich halte es auch für ein ganz wichtiges Medium im zeitgenössischen Musikschaffen. Wolfgang Suppan beispielsweise verwendet die Live-Elektronik ganz selbstverständlich als ein weiteres Instrument. Wenn er ein Stück für fünf Instrumente schreibt, dann sind das vier Instrumente und Live-Elektronik. Was zeigt, wie angekommen diese Technik auch ist. Ich bin da ganz seiner Meinung, ich halte es für essentiell wichtig und ein ganz reiches Feld. Es hat sich bisher zu meinem Bedauern noch nicht so wirklich ergeben. Ich habe allerdings schon einen ästhetischen Vorbehalt und das ist der der Nachvollziehbarkeit. Bei manchen Laptop-Improvisationskonzerten kann man erleben, dass man eigentlich nicht kapiert, was jetzt passiert – was entsteht jetzt, und was sind in Wirklichkeit vorgefertigte Dinge. Das irritiert mich ein bisschen, das entspricht nicht so ganz meiner Auffassung. Ich mag es persönlich gerne, wenn man bei einem Hörerlebnis mitkriegt, was da jetzt passiert und wie.

SR: Also der strukturelle Aspekt.
GR: Vielleicht ist es eher so etwas.Ich sehe die Möglichkeit bei der elektroakustischen Musik, dass man den Hörer auch ein bisschen bedackelt. Sachen klingen recht schnell recht eindrucksvoll, und sind aber nicht so persönlich, wie ich gerne hätte, dass sie wären. Aber ich denke, wenn sich die Sache ergeben würde.Es gibt da noch so ein ungelegtes Ei, ein Gambenstück für Eva Reiter, die gerne etwas von mir hätte. Wenn ich gerade für sie, die wirklich ganz hervorragend in diesem Spannungsfeld zwischen Komponieren, Elektronik und eigenem Spielen tätig ist, würde ich schon gerne auch diese Elektronik bedenken, um sie sozusagen charakteristisch zu porträtieren.

SR: Es gibt, ausgelöst durch die Parlamentarische Enquete, derzeit eine ORF-Debatte. Vom ORF wird verlangt, dass mehr österreichische Musik gespielt wird, und eben auch österreichische Neue Musik. Würdest du dich dem anschließen?
GR: Ich sehe es schon so, dass die Medien, gerade eben der ORF als Staats-Rundfunk, den Auftrag hat, das widerzuspiegeln, was in diesem Land geschieht. In Frankreich ist es selbstverständlich, dass es Quoten dafür gibt, wie viel französische Musik gespielt werden muss, es ist ja auch französisches Geld, das der französische Rundfunk bekommt. Ganz ähnlich, denke ich, ist es schon auch hier. Musik kann nur dann Hörer finden, wenn sie gespielt wird. Ich finde schon, dass Zeitton in seiner Regelmäßigkeit und Vielschichtigkeit eine tolle Errungenschaft ist. Aber es wäre natürlich schön, wenn es nicht nur zu dieser etwas entlegenen Stunde, sondern auch einmal im Pasticcio etwas geben dürfte, das zeigt, dass diese Szene sehr lebendig ist, denn das ist sie glaube ich schon.

 

SR: In den letzten zehn, zwanzig Jahren hat sich in Österreich ja wirklich einiges entwickelt und meine letzte Frage wäre, ob du glaubst, dass von öffentlicher Seite angesichts dieser Entwicklung adäquat reagiert wird?
GR: Ich bin der Meinung, es ist selbstverständlich, dass die öffentlichen Stellen die Verpflichtung haben, Entwicklungen zu verfolgen und zu unterstützen, wo sie ihnen unterstützenswert erscheinen. Ich hoffe halt, dass die entsprechenden Gremien, beispielsweise im Bundeskanzleramt, gute Argumente haben, nach denen sie entscheiden, was sie als förderungswürdig erachten und was nicht. Sehr oft sind mir persönlich die Argumente nicht verständlich, nach denen da Entscheidungen getroffen werden. Es gibt einfach auch Fehlentscheidungen, die Musiker massiv in Bedrängnis bringen und zurück an den Start werfen, die Nicht-mehr-Förderung des Janus-Ensemble beispielsweise. Ich sehe auch, wenn ich ab und zu im Ausland bin, dass die österreichische Musik international einen sehr guten Ruf hat, beim Name-Dropping fallen den ausländischen Kollegen doch wirklich viele Österreicher ein. Das ist etwas worauf man durchaus stolz sein kann, denke ich, und es wäre schön, wenn auch die Politik das wäre.

SR: Danke für das Interview!

Fotos Gerald Resch: Musikverlag Doblinger, Renate Pulig

 

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