Gerald Resch zählt bereits zu den etablierten jungen Komponisten Österreichs. Er studierte Komposition bei Michael Jarrell, Beat Furrer und York Höller. Seine Werke setzen sich sehr oft mit unterschiedlichsten Einflüssen aus nicht-musikalischen Bereichen wie Architektur, Geologie, Sprachwissenschaft, Textilkunst usw., auseinander. Bei WIEN MODERN 2011 erhielt der gebürtige Linzer den Erste Bank-Kompositionsauftrag. Gerald Resch im Gespräch mit Doris Weberberger.
Gerade haben wir vom Arabisch-Lernen gesprochen. Um zu deiner Musik überzuleiten: Du greifst in deinen Werken auf die europäische Tradition bis in die Renaissance zurück. Außereuropäische Elemente spielen aber meines Wissens keine Rolle, oder?
Ich versuche, meine Musik für Einflüsse offen zu lassen, die mich erreichen. Ich schreibe im Augenblick gerade ein Cello-Stück, in dem arabische Rudimente vorkommen – zumindest für meine Ohren. Ich bin natürlich Outsider dieser Kultur. Dennoch ist es für mich eine Möglichkeit, Elemente in meine Musik einzuspeisen, die bisher noch nicht da waren. Da ich viel Zeit damit verbringe, meine Musik zu homogenisieren bzw. harmonische Konstruktionen zu entwickeln, so dass diese Elemente in gewisser Weise miteinander verschmelzen, kann ich mir auf der anderen Seite die Freiheit gestatten, recht entlegene Einflüsse in meine Musik aufzunehmen. Das ist manchmal alte Musik, wie eine Gamben-Fantasie von Purcell in „Grounds“, das sind manchmal auch Naturbeobachtungen, wie in meinem Violinkonzert „Schlieren“. Trotzdem glaube und hoffe ich, dass es immer nach mir klingt, weil auf der anderen Seite dieses rationale Kalkül meiner Musik doch auch wirksam ist und bindet.
Ich habe den Eindruck, deine Musik entwickelt sich zwar überraschend, harte Kontraste setzt du aber kaum ein; meist sind es Entwicklungen, die in gewissem Sinne nachvollziehbar sind.
Das ist mir sehr wichtig. Dadurch, dass ich lange bei Michael Jarrell studiert habe, ist mir die französische Entwicklungslinie verhältnismäßig nahe, Stichwort Musique spectrale. Es war sehr inspirierend für mich, die Musik von Gérard Grisey kennen zu lernen, wo es mitunter sogar um sehr träge Verläufe geht, die dennoch reich bleiben, weil intern viel passiert. Ich glaube, dass der Kontrast die Ausnahme bleiben soll, damit er als Kontrast auch tatsächlich wirksam bleibt.
Insofern verwendest du aber auch die arabischen Elemente nicht als Kontrast, oder?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich fand es interessant, ein Solostück zu schreiben, das nicht an eine durchlaufende Pulsation gebunden ist; eine Musik zu finden, die im Begriff ist, sich selber erst zu entdecken. In vielen arabischen Gesängen wird zuerst sehr behutsam Tonmaterial ausgebreitet. Erst, wenn das etabliert ist, beginnt der Hauptteil des Stückes mit einer rhythmischen Fixierung usw. In „Al fresco“ für Cello ist das auch der Fall, aber natürlich spielt alles, was in diesem Einleitungsteil etabliert wird, eine Rolle für alles weitere, weil es die ganzen Möglichkeiten des Tonmaterials definiert. Ich mag es, wenn alles, was man kompositorisch tut, Konsequenzen hat für das, was danach passieren, aber natürlich auch nicht mehr passieren kann. Es ist sozusagen ein verantwortungsvolles Tun. Darauf gründet vielleicht auch meine Skepsis vor dem Kontrast, weil der Kontrast auch die leichteste Möglichkeit ist, abzuweichen und vor den Kopf zu stoßen. Da sind Irritationen, die sich aus der Sache selbst logisch ergeben, für meinen Geschmack überzeugender und irritierender als das Hereinbrechen etwas Äußerlichen.
Um ein bisschen über Technisches zu sprechen: Vielleicht gerade weil meine Musik verhältnismäßig homogene Verläufe aufweist, verwende ich gegen Ende eines Stückes gerne die Strategie, anstelle einer Coda etwas Neues, Unerwartetes zu bringen; gewissermaßen eine Tür zu öffnen, die einen Raum zeigt, der dann tatsächlich meist gar nicht mehr begangen wird – aber er wäre noch da. Das kommt mir als dramaturgische Geste überzeugend vor. Ich mag es, wenn man bei der Sache bleibt und versucht, Reichtum aus dem Gegebenen, Abgesteckten zu schöpfen. Die Tatsache, dass in meinen Stücken fast immer Konstellationen, die bereits erklungen sind, in veränderter Weise an einer anderen Stelle wieder auftauchen, und dadurch auch eine andere dramaturgische Funktion im Verlauf des Stückes einnehmen, hängt auch mit dem Bedürfnis zusammen, bei der Sache oder auch bei mir zu bleiben.
Obwohl auch deine früheren Stücke meist nachvollziehbar sind, habe ich den Eindruck, dass deine letzten Stücke noch eingängiger geworden sind.
Das mag schon sein. Ich hatte in den letzten Jahren die Gelegenheit, etliche Orchesterstücke zu schreiben. Im Zuge des Composer-in-residence-Projekts des Wiener Concertvereins sind drei Kammerorchesterstücke entstanden, die im Musikverein uraufgeführt wurden, dann habe ich ein Stück für das Brucknerorchester in Linz komponiert, und letztes Jahr „Cantus firmus“ für das Tonkünstlerorchester. Ich finde, dass durch die Produktionsbedingungen eines Orchesterstücks mit sehr knapper Probenzeit bedingt ist, dass der Notentext aus praktischen Gründen sehr klar zu sein hat, wenn ich trotz der kurzen Einstudierungszeit ein Ergebnis erreichen will, das dem entspricht, was ich ausdrücken möchte. Da kam es mir nicht nur legitim, sondern tatsächlich auch notwendig vor, mit den Begebenheiten dieses Apparats Orchester umzugehen und so etwas wie Klarheit und Fasslichkeit stärker zu betreiben als in Kammermusikkompositionen, bei denen man weiß, es wird über einen viel längeren Zeitraum hinweg die Möglichkeit geben, mit den Musikern daran zu arbeiten, zu feilen, wieder zu verwerfen, zu sagen: Ich habe gestern einen neuen Anfang komponiert, spielt das jetzt bitte so. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, in den letzten Jahren diese großen Aufträge realisieren zu können, aber es wäre nicht richtig, daraus abzuleiten, dass meine Musik generell einen bestimmten Zug angenommen hat. Ich würde mich freuen, im nächsten oder übernächsten Stück wieder etwas ganz anderes zu machen. Es ist mir wichtig, im Fluss zu bleiben.
Gibt es in deinem neuen Stück, das du als Erste Bank-Preisträger komponiert hast, etwas, das du anders gemacht hast als in früheren Stücken?
Dieses Stück war eine wirkliche Herausforderung für mich, weil das Klangforum Wien und Sven Hartberger recht konkrete Wünsche hatten. Das Stück sollte im Zuge des Projekts „Oskar Serti geht ins Konzert. Warum?“ seine Uraufführung erfahren, und dieses Projekt sollte wiederum durch mehrere europäische Städte touren können – in einer halbszenischen Konstellation mit Vitrinen, aus denen heraus die Musiker weit im Raum verteilt ohne Dirigent spielen. Die Herausforderung für mich war, mir ein Stück für 14 Instrumente auszudenken, das so klar ist, dass es keinen Dirigenten braucht, und die Musiker dennoch wissen, was passiert. Die Maximalentfernung zwischen den äußersten Musikern, die bei der Aufführung bei Wien Modern im Foyer des Konzerthauses positioniert sein werden, wird etwa 30 Meter betragen. Da gehen aus rein praktischen Gründen bestimmte Dinge nicht. Aber es ist reizvoll für mich, eine Einschränkung als Möglichkeit zu nutzen, etwas zu machen, worauf man unter normalen Voraussetzungen nicht gekommen wäre. Und so war es auch ein bisschen bei „Collection Oskar Serti“. Ich habe beispielsweise das Prinzip der Unschärfe, das sich aus akustischen Gründen einstellen muss, zumal das Publikum ja ebenfalls im Raum verteilt stehen wird, zwangsweise einstellt, auch bewusst miteinkomponiert. Durch die Einschränkungen, das Werk ohne Dirigent und räumlich verteilt realisieren zu müssen, war auch klar, dass ich bestimmte virtuose Floskeln von Vornherein nicht verwenden kann, weil sie in diesem Kontext nicht funktionieren. Das ist vielleicht auch eine schöne Möglichkeit, dem zu entkommen, was man sonst macht, wenn man die Möglichkeit hat, mit einem Spitzenensemble für Neue Musik zusammenzuarbeiten. Es gibt einen bestimmten Modus von Virtuosität in heutiger Musik, der vielfach bedient wird, weil die Musiker das auch können. Ich fand es aber ganz inspirierend, das nicht ausnutzen zu können. Ich denke, man könnte sonst ehrfürchtig davor sein, was das Ensemble alles kann, und versuchen, möglichst alles unterzubringen. Mir war klar, die Situation eignet sich nicht für ein fulminantes Stück – eigentlich gar nicht schlecht.
Die szenischen Aspekte sind etwas, das sich in deinem Werk sonst nicht findet.
Das hat sich bisher noch nicht ergeben, es würde mich sehr wohl interessieren, wenngleich es eben auch eine Frage der Produktionsbedingungen ist: Wo beginnt man da? Beginnt man mit Bewegungsabläufen, die man sich vorstellt und anschließend den Musikern zuteilt? Oder beginnt man mit dem konkreten Aufführungsort und entwickelt davon ausgehend eine szenische Konstellation? Da wäre natürlich unglaublich Spannendes möglich.
Im Rahmen von Wien Modern arbeitest du mit einer Schulklasse anhand von deiner Komposition „Knoten“. Wie läuft das ab?
Gemeinsam mit Thade Buchborn, der Spezialist für die Vermittlung von Neuer Musik im Bläserklassenunterricht ist, arbeite ich mit einer Bläserklasse. Bläserklassen sind eine Initiative in Wiener Gymnasien, wo Schüler ein Musikinstrument in der Gruppe lernen. Der instrumentale Fortschritt mag zwar geringer sein als im Einzelunterricht, dafür sind diese Kinder sehr darauf gepolt, sozial zu interagieren. Das ist perfekt für das Projekt, das wir vorhaben, bei dem die etwa Zwölfjährigen angeleitet werden, aufeinander reagierend zu improvisieren, sich gegenseitig Stücke auszudenken, in einen permanenten Wechsel einzutreten und sich gegenseitig kreativ zu lenken. Es macht großen Spaß zu sehen, dass sie keine Schwierigkeiten damit haben, dass zehn Minuten einer der Dirigent ist und nach einem fliegenden Wechsel ein anderer weiterdirigiert und der, der gerade Dirigent war, zurück ins Kollektiv tritt und wieder spielt. So kann man sehr schön arbeiten.
Musikalisch hat mich sehr interessiert, Ideen, die ich bei der Komposition meines eigenen Fagottkonzerts „Knoten“ hatte, in abstrahierter, vereinfachter Form als Materialpool anzubieten und dann daraus Verläufe entstehen zu lassen. Es gibt beispielsweise bestimmte Motive, die allesamt aus der Form, wie ein Seil zu einem Knoten geformt werden kann, abgeleitet werden können. So spielen wir mit unterschiedlichen Knoten-Gesten und Thade und ich helfen den Kindern, aus ganz kurzen Verläufen längere Stücke zu entwickeln – was muss man bedenken, wenn ein Stück drei Minuten dauern soll? Wie kann man verhindern, dass es fad wird? Wie kann man verhindern, dass der Hörer durch zu viel Kontrast die Orientierung verliert? Das heißt, es werden sehr grundsätzliche Punkte des musikalischen Gestaltens durch ganz spielerische und fast intuitive Art und Weise vermittelt.
Die Stücke entstehen im Kollektiv?
Genau. Es gibt vier Kleingruppen zu jeweils fünf Kindern, die gemeinsam ein Stück konzipieren und dieses Stück dann im Tutti einstudieren.
Und die werden dann öffentlich aufgeführt.
Die Aufführung dieser Ergebnisse wird am 21.11. stattfinden, worauf ich mich sehr freue. Ich glaube, es ist ein schönes Signal, dass Wien Modern diese Musikvermittlungsarbeit so wichtig nimmt, dass die Ergebnisse in einem öffentlichen Konzert präsentiert werden. Es ist auch für die Kinder sehr ermutigend, dass die Arbeiten, die sie über einen mehrwöchigen Zeitraum hinweg erarbeitet haben, Gehör finden. Im Anschluss daran gehen wir gemeinsam in den Musikverein, wo dann mein Knoten-Stück gespielt wird – sozusagen als Beispiel, wie man mit demselben Material etwas ganz Anderes machen könnte.
Sie kennen dein Stück noch gar nicht?
Nein, das ist auch gar nicht wichtig. Die Idee ist, auf der Ebene der Materialdisposition, die mehr oder weniger identisch ist, ganz unterschiedliche Ergebnisse abzuleiten. Ich könnte mir auch gut vorstellen, mit dieser Idee der unterschiedlichen Knoten- und Schleifenbildung eine Choreographie zu machen. Es ginge genauso, die formale Matrix, die meinem Stück zugrunde liegt, auch in einer anderen Kunstform zu verwirklichen.
Welche Bedeutung schreibst du der Musikvermittlung und dem Musizieren für Kinder zu?
In meiner Jugend war das Musizieren sehr wichtig für mich, es hat mir gut durch meine Pubertät geholfen. [lacht] Deswegen bin ich der Meinung, dass es auch bei anderen Kindern so bereichernd sein kann, ein Ventil zu haben, bei dem es kein richtig und falsch gibt, sondern einfach schön oder noch nicht so schön. Ich glaube, dass die musische Bildung einen immensen Vorsprung für den individuellen Menschen bedeutet. Meiner Erfahrung nach lernt man beim Musizieren Tugenden wie: nicht immer laut sein, aber auch die Initiative ergreifen, wenn es nötig ist; einen Einsatz wirklich meinen und nicht damit hinter dem Berg zu halten, und gleichzeitig die Schwachen mitzunehmen – das sind alles soziale Skills. Ich arbeite auch gerne mit Musikern zusammen, weil sie eben genau diese Tugenden als Selbstverständlichkeiten erlernt haben. Deswegen sollten Kinder die Möglichkeit bekommen, mit Formen des Musizierens in Berührung zu treten. Ich glaube auch, dass die zeitgenössische Musik für junge Leute inspirierend sein kann, weil manches, was sie noch nie so probiert haben, trotzdem möglich ist. Persönlich beschäftige ich mich gerne mit Vermittlungsideen zur zeitgenössischen Musik, weil die Neue Musik an bestimmten Stellen ein Problem hat, sich mitteilen zu können, sich in einem weiteren Kontext zu verorten. Es ist aber eine Notwendigkeit jeder Kunst, ihre Relevanz unter Beweis zu stellen.
Fotos: www.georglembergh.com