mica-Interview mit Georg Hartwig

Georg Hartwig setzt sich als Musiker, Produzent und Labelbetreiber seit vielen Jahren mit dem Musikbusiness dieses Landes auseinandner. Im mica-Interview erklärt er mit einfachen Worten, wie man es vermeidet, nur in der eigenen Suppe zu kochen und warum das Betrachten der Musikgeschichte die Akzeptanz für die heutige Situation schärft.

Am Ende des vergangenen Jahres ist dein Soloalbum “Rub It In” erschienen. Bist du zufrieden mit dem Resultat deiner Arbeit? Wirst du mit dem Programm touren?

Georg Hartwig: Ich würde schon sagen, dass ich mit der Arbeit zufrieden bin. Allerdings ist es bei jedem kreativen Prozess so, dass man sich im Nachhinein darüber Gedanken macht, was man besser oder anders machen hätte können. Vermutlich hat sich das sogar Radiohead bei “Ok Computer” gedacht und für mich ist es ein großartiges Album. Wenn jemand glaubt, dass er das perfekte Album oder einfach den perfekten kreativen Output abgeliefert hat und das auch noch nach ein oder zwei Jahren vertritt, dann ist irgendetwas in dessen Wahrnehmung problematisch. Es muss so sein, dass man seine Arbeiten immer wieder hinterfragt, weil sonst macht man ständig das Gleiche und endet womöglich beim Musikantenstadel oder in der Postkartenabteilung.
Ich bin zufrieden und ich weiß, was es ist, aber ich weiß auch, dass ich es jetzt schon wieder anders machen würde. Was das Touren anbelangt, war ich mit Philipp Pluhar schon unterwegs, aber 2014 will es natürlich noch intensivieren. Mir macht es großen Spaß und ich hoffe, Philipp und Rina Kacinari (wenn sie dabei ist) geht es auch so. Der Vorteil ist natürlich, dass wir zu zweit kaum Aufwand haben. Bei größeren Formationen muss man immer schauen, ob es sich logistisch und finanziell überhaupt ausgeht. Das kann man sich heutzutage, wo der finanzielle Raum zwischen denen, die wirklich verdienen und dem “Unterbau” sehr groß ist, kaum leisten. Deswegen gibt es ja im Moment so viele Soloformationen. Zur Not könnte ich, wenn Philipp keine Zeit hat, auch alleine auftreten.



Wann und aus welchem Antrieb ist “The Quiet Now!” entstanden?

Georg Hartwig: Den Gedanken, mich mehr um meine eigenen Sachen zu kümmern, gibt es schon lange. Der war eigentlich immer da, aber man setzt ihn eben auch nach hinten, wenn man fremdproduziert, so wie etwa mit Sawoff Shotgun. Der eigentliche Auslöser, mich meiner Sache zu widmen, war der Tod meines Vaters vor drei Jahren. Damals habe ich mir gedacht: “Wenn, dann jetzt.” In solchen Momenten wird man mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert und dann ist es selbstverständlich, dass man schaut, worauf man sich fokussieren will. Ich habe Songs gemacht, die ich machen wollte und Nummern zusammengesammelt, die ich schon so herumliegen hatte. Das dauert dann natürlich immer viel länger, als man glaubt. In diesem Fall hat es zwei Jahre gedauert bis das Album fertig war.

Wie unterscheidet sich das Arbeiten an einer gemeinsamen Sache, wie etwa bei Monk, von der an einem Soloprojekt? Wo empfindest du Vor- und Nachteile?

Georg Hartwig: Banal und pragmatisch gesprochen, betrifft das zunächst Dinge wie Tonlagen. Wenn man einen Song in einer anderen Tonlage spielt, weil etwa die Sängerin in dieser Lage zu Hause ist, ergeben sich andere Dinge. Durch das gemeinsame “Fehler machen” bei Proben etwa. Das ist es, was mir beim alleine arbeiten oft abgeht. Man kocht eher in seiner eigenen Suppe und muss schon kritisch sein, um sich nicht allzu schnell mit den Ergebnissen zufrieden zu geben. Natürlich ist es im Unterschied dazu super, wenn man mit einem Schlagzeuger arbeitet und der etwa die Melodie, einfach vom Takt her, anders hört. Die Feedbackschleifen nach dem Aufnehmen sind innerhalb einer Band auch anders. Es geht zwar tendentiell vieles schneller, wenn man es alleine macht, aber Checks und Balances sind eben auch nicht unwichtig und in einer Band eher möglich. Alleine verrennt man sich leichter.
In der Verwertung, sprich nach dem kreativen Schaffensprozess, ist es natürlich auch etwas anders ob drei Leute Werbung machen oder ob das nur einer ist. Jeder hat sein Netzwerk und dieses Netzwerk wächst mit der Anzahl der Mitglieder.

Wo liegen die emotionalen Unterschiede?

Georg Hartwig: Für mich ist  ein Schaffensprozess immer emotional. Ich kann da kaum zwischen emotional und pragmatisch unterscheiden. Es gibt keinen einzigen Ton, der keine emotionale Qualität besitzt. Deswegen ist der Prozess, innerhalb dessen man Feedback von den Kollegen erfährt, auch immer ein emotionaler. Wenn man allein arbeitet, kann man sich schon mal einbilden, dass alles super klingt und ist.



Würdest du dich selbst als Förderer bezeichnen? Ist deine eigenes Label auch eine Plattform für junge Talente?

Georg Hartwig: Ich bin mit meinem eigenen Label nicht so sehr dahinter, wie ich es sein könnte oder sollte. Das liegt natürlich daran, dass ich eher auf der kreativen Seite zu Hause bin und weniger gerne E-Mails schreibe und Abrechnung mache. Ich habe ein Netzwerk und das funktioniert auch bis zu einem gewissen Grad, aber ich habe mir vor zwei oder drei Jahren auch gesagt, dass ich so ehrlich zu mir selbst sein muss, dem Label nicht die Priorität zuzuschreiben. Eigentlich ist Viech genau in dem Moment zu mir gekommen, als ich den Betrieb runter fahren wollte. Nachdem mir die Musik extrem getaugt hat und ich die Struktur ja besitze, habe ich beschlossen, sie auf mein Label zu nehmen. Ich denke, dass das Vorhandensein dieser Struktur einfach wertvoll ist und es auch faul von mir wäre, sie in solchen Fällen nicht zu nutzen. Natürlich, und das vergesse ich oft gerne, ist so ein Prozess – wie mit Viech – sehr aufwändig. Es einfach nur schnell dem Vertrieb zu schicken und zu denken, dass es nur zwei Wochen arbeite wäre, ist ein Irrglaube. Dazu kommt die Freude an der Arbeit, die mit dem positiven Feedback noch größer wird und am Ende kommt man dann drauf, dass man wieder – wenn auch nicht durchgehend – einige Monate damit beschäftigt war. Unterm Strich muss ich trotzdem sagen, dass ich froh bin, diese Dinge tun zu können und es falsch fände, die Möglichkeit, so einen Release zu machen, vorbei ziehen zu lassen. Wirtschaftlich ist diese Arbeit nicht lukrativ, aber darum geht es auch nicht. Vielmehr ist es der Inhalt, der mich befriedigt. Das ist auch der Grund, warum ich niemals Musik auf meinem Label releasen würde, die mich nicht auch drei Jahre später noch interessiert.

Hast du dich bewusst für Graz als Lebensmittelpunkt entschieden? Hast du das Gefühl dich hier kreativ austauschen zu können? Sehnst du dich nach anderen Orten?

Georg Hartwig: Die Entscheidung für Graz war, retrospektiv betrachtet, das Gegenteil von bewusst. Als ich damals von London zurück gekommen bin, habe ich mich für Graz entschieden, weil ich hier ein familiäres und wirtschaftliches Umfeld habe, das es mir ermöglicht den Druck raus zu nehmen und ein paar Jahre nicht primär ans Kohle verdienen denken zu müssen.
Ich sehne mich nach anderen Orten. Absolut. Das ist eigentlich schon länger ein Thema und hat auch dazu geführt, dass ich mir für ein Jahr Berlin angeschaut habe. Banal betrachtet geht sich, wenn ich das mit der Musik ernst nehme, Graz wirtschaftlich nicht aus. Es sei denn, ich würde unterrichten, aber das ist, ungeachtet dessen, dass ich gerne etwas weitergebe, keine Option für mich. Ich spiele schon seit einigen Monaten wieder mit dem Gedanken weg zu gehen und überlege wo es Sinn machen würden. Ich will produzieren, schreiben (komponieren) und performen. In London ginge das und da war ich ja auch schon. Dort passieren Dinge in einem sehr spannenden Umfeld. Los Angeles wäre die zweite Option. In Graz gibt es einiges, das super funktioniert, aber von einer wirklichen Struktur zu sprechen, ist kaum möglich. Das Musikbusiness in Österreich ist einfach noch immer kein Business. Nicht einmal die Major Labels signen noch interessante Projekte. Das Einzige, was wirtschaftlich funktioniert, ist für mich musikalisch und inhaltlich abartig. Natürlich gibt es spannende Projekte, aber solange die Indie Labels überlegen müssen, ob sich ein Videodreh um €2000 ausgeht, befinden wir uns in einer mehr als schwierigen Situation. Das Problem “Faktor” ist in Österreich sicher bestimmend. Wenn man in Deutschland als Band ein halbes Promill an Leuten anspricht, dann sind das eben immer noch 40.000 Menschen. Bei uns sind es gleichzeitig 4000 und das geht sich nicht aus. Die Arbeit dorthin zu gelangen ist auf beiden Seiten der Grenze, energetisch betrachtet, nahezu gleich. Ich jammere nicht über Österreich, sondern stelle ein Größenproblem fest. Wenn man in Österreich eine Tour machen will, dann ist sie mit 10-12 Gigs schon wieder vorbei. Wenn man dreimal hintereinander in Graz spielt, dann interessiert es schon keinen mehr. Das alles führt dazu, dass ich mir langsam die Frage stellen muss, ob ich und wenn ja, wo ich, weiter an der Musik arbeiten will.

Wenn du es nicht machst?

Georg Hartwig: Im Grunde geht es bei der Musik ums Geschichten erzählen und darum einen Fluss aufrecht zu erhalten. Natürlich könnte ich es mir vorstellen zu schreiben, an Drehbüchern zu arbeiten. Nicht, dass ich große Ambitionen hätte, aber man muss auch nicht immer den gleichen Karriereweg verfolgen. Musik taugt mir halt einfach total und wenn ich mir die Frage stelle, ob ich Kreativdirektor in der Werbung werden will, dann kann ich das nur mit nein beantworten. Not that I would be any good…

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Was treibt dich nach einigen Jahren künstlerischer Arbeit und Auseinandersetzung mit Musik noch immer an Neues hervorbringen zu wollen? Ist Musik machen deine Mission, deine Aufgabe, wenn man es mit Pathos sagen will?

Georg Hartwig: Das ist gar nicht so pathetisch. Wenn man bei einer bestimmten Beschäftigung einen emotionalen Konnex hat und merkt, dass einem das Herz aufgeht, dann fühlt sich das schon sehr richtig an. Es gibt Menschen, denen geht es mit bildender Kunst so, es gibt Menschen, die das im sozialen Bereich erleben und bei mir ist es die Musik. Wenn ich Musik höre, erlebe ich, obwohl ich schon viel rezipiert habe, immer noch Aha-Erlebnisse. Das löst emotional viel aus. Auch weil ich im Arbeitsprozess sehr viel spüre. Ich gehe gerne ins Museum und ins Theater, aber das läuft immer durch den rationalen Filter. Bei der Musik kann ich das gar nicht immer steuern und das finde ich großartig. Das ist sicher mit ein Grund, warum ich Musik mache. Ich habe die Möglichkeit, mich vom Zufall leiten zu lassen.

Worauf willst du in den kommenden Jahren deinen Schwerpunkt legen?

Georg Hartwig: Also was ich nicht kann ist Curling… (lacht). Im Song schreiben hingegen bin ich gut. Produzieren liegt mir auch und ich kann auch bei den eigenen Sache genug (kritischen) Abstand wahren, um die Musik dramaturgisch interessant zu formen. Fremdproduzieren gestaltet sich schon auf Grund des natürlichen Abstandes zu Werk und Struktur leichter. Auf der Bühne zu stehen, ob ich gut bin oder nicht, weiß ich nicht, macht mir einfach Spaß.

Hauptberuflich im Musikbusiness tätig zu sein, gestaltet sich heute völlig anders als etwa noch in den 90ern. Der Plattenverkauf ist keine lukrative Geldquelle mehr, Musik wird als freies Gut gehandelt. Wie geht es weiter? Wie entwickelt sich dieses Business?

Georg Hartwig: Das ist die Gretchenfrage. Ich habe im Herbst, beim Reeperbahnfestival eine Unterhaltung geführt, in der wir genau dieses Thema angesprochen haben. Leute haben heute kaum mehr das Gefühl, Musik sei etwas wert und es gibt kaum Wertschätzung gegenüber dem Wertschöpfer. In diesem Gespräch habe ich gemeint, dass Musik dem Salz im 8 Jahrhundert gleicht. Damals war es eine Währung, wie man am Lehnwort salary (engl. Gehalt) noch erkennt. Heutzutage schmeisst man es im Winter tonnenweise auf die Straße, ohne darüber nachzudenken. Das ist natürlich eine fatalistische Art die Musik zu betrachten, aber vielleicht ist das wirklich der Weg, den die aufgenommene, die Ware Musik gehen wird. Es zeigt sich hingegen, dass die Leute gewillt sind, für ein emotionales Erlebnis zu zahlen. Ein Live Konzert von Madonna kann 120 Euro kosten und niemand schreckt davor zurück. Vor 15 Jahren hätte keiner 1500 Schilling dafür in die Hand genommen. Ob das ein emotionales Event ist oder ob man sich einfach nur mit einem Foto auf Facebook stellen will, um anzugeben, dass man bei Madonna war, ist wieder eine andere Frage. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass Musik wieder dorthin zurückgeht, wo sie herkommt. Die Tonaufzeichnung ist keine 150 Jahre alt. Das Big Business ist erst durch Singles und Langspielplatten entstanden. Bis zum zweiten Weltkrieg waren Noten und Verlage noch viel interessanter und wichtiger als gespeicherte Musik. Wir sitzen in unserem kurzen Leben da und schauen uns die Welt an, aber wenn man sich die große Geschichte vor Augen führt, dann ist es gar nicht verkehrt und verwunderlich, dass Menschen wieder mehr Lust auf ein Liveerlebnis haben. Derjenige, der die Entwicklung am schnellsten versteht, hat den größten Vorsprung. Download und Stream werden zur Businesskarte, zur Promotion. Die meisten Rezipienten ziehen sich die Musik über Smartphones mit schlechter Klangqualität rein und bilden neben den wenigen Vinyl und HiFi Liebhabern die Mehrheit. Diese Diskussion hat es auch schon bei der Musikkassette und der CD gegeben. Veränderung steht vor der Türe. Das ist nicht schlimm. Problematisch ist, dass der künstlerischen Arbeit kaum mehr Zeit gegeben wird. Ein Band wird sich schwer tun drei, vier Alben zu erarbeiten und sich diesen Freiraum zu schaffen, weil sie finanziell nicht überleben kann. Irgendwann wird die erste Freundin schwanger und das Projekt Musik muss weichen. Das ist vielleicht auch ein Spiegel unserer Zeit. Heute reicht ein Superhit am Album und der Rest kann ruhig zum Speiben sein. Das bricht der Musik das Genick. Das ist, als würde ich ein Restaurant aufmachen und sagen: “Wir haben super Butterbrot. Die Hauptspeisen sind zwar scheiße, aber komm doch vorbei.” Die riesen Küche wird umsonst erhalten und irgendwann überlegt man sich, warum man nicht gleich nur eine Bar macht. Andrerseits verhält es sich in anderen Bereichen auch so. Früher haben Leute noch acht bis zehn Jahre studiert. Sicher hat man sich auch einen Lenz gemacht, aber man hatte Zeit sich zu reflektieren und zu suchen. Heute dauert ein Studium so kurz wie möglich und man steigt so schnell man kann in den Ja-sagenden Arbeitskreis ein. Vielleicht ist das, was wir in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und zu Beginn des Laufenden erlebt haben, ein kleines Erdbeben in der Musikgeschichte gewesen. Und letztlich finde ich es nicht schlecht, dass die Menschen mehr für ein Konzert zahlen, als für eine Platte. Wenn man es dann auch noch schafft, dass die Leute bei einem Konzert Platten kaufen, dann passt das doch auch.

Lucia Laggner

Photocredits: Wolfgang Silveri, Tim Ertl, Max Wegscheidler

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