Ein Gespräch zu seiner Wien Modern-Personale, absolviert von Heinz Rögl am Rande des Grazer musikprotokolls (wo sein neues Gitarrenquartett uraufgeführt wurde und beim Festkonzert sein 1998 entstandenes Violinkonzert): Über “Personalstil”, über Vierteltöne und Mikrotonalität, die Intensität eines “rein” gestimmten Obertonakkords, über die bei Wien Modern und anderswo aufgeführten Stücke, seine Oper Melancholia und warum sich die (pessimistische) Wiederentdeckung der Reprise in seinem Werk “in vain” Wolfgang Schüssel verdankt.
HR: Du hast deinen “Ton”, deinen unverkennbaren Stil gefunden. Wie leicht fällt das einem Komponisten?
GFH: Das nehme ich, auch wenn es so nicht gemeint ist, ja fast als Vorwurf. Die erste Antwort wäre, dass ich hoffe, dass in einer meiner nächsten Kompositionen wieder etwas dabei ist, wo man nicht sagt, das ist wieder “typisch Haas”. Sich hinzusetzen und seinen “Personalstil” zu konstruieren funktioniert so sicher nicht und das ist auch anderen Komponisten nie gelungen.
HR: Zum Wiedererkennungswert und zum unterstellten Personalstil: Deine Musik erwuchs – rein technisch betrachtet – unter anderem sowohl aus dem Interesse am Oberton-Farbspektrum der Musik, als auch aus der akribischen Beschäftigung mit der Mikrotonalität, wie sie von den Komponisten Iwan Wyschnegradsky oder Alois Hába erstmals angewandt wurde. Du hast letztere in selbständiger Anverwandlung weiterentwickelt.
[REMIX, UA: 12.11. 2007 Wien Modern]
GFH: Das möchte ich am besten beantworten, indem ich ganz konkret über ein neues Stück von mir spreche, nämlich über REMIX. Ich habe mir vorgenommen nichts explizit Neues zu machen, sondern die von mir entwickelten musikalischen Techniken im Wortsinn von “Remix” neu zu mischen. Da ist aber dann ein Stück entstanden, in dem es so gut wie gar keine Mikrotonalität gibt, in dem es auch sehr wenig an tonal greifbaren Zitaten gibt. Eigentlich ist es doch etwas Neues, dass ich abgesehen vom Mittelteil meiner noch nicht aufgeführten Oper Melancholia noch nicht gemacht habe. Es ist, in überwiegend schnellem Tempo, ein in den meisten Instrumenten sehr virtuoses Stück geworden, das in starker Intensität durchgeht. Der Remix-Charakter, also die Wiederholung ergibt sich eigentlich dadurch, dass ich in diesem Fall halbtönige Akkordstrukturen, mit denen ich gute Erfahrungen machen konnte, immer wieder verwende.
Um das, was die Mikrotonalität betrifft, ein wenig auf den Boden der Realität zu stellen: Sicherlich spielt die Beschäftigung damit in meiner kompositorischen Arbeit eine große Rolle, aber ich glaube nicht, dass sie eine signifikant größere Rolle spielt als bei den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen. Ich habe etwa Enno Poppe kürzlich in Warschau bei einer Podiumsdiskussion gesagt, dass er, gäbe es eine Olympiade für Mikrotonalität, da einige Positionen vor mir wäre. Die Harmonik von Iwan Wyschnegradsky, der einer der Pioniere der Vierteltonmusik war, spielt sicher in meiner Musik eine zentrale Rolle, aber nicht in der Vierteltönigkeit, sondern in der halbtönigen Annäherung, die Wyschnegradsky auch verwendet hat. Wenn ich ihn zitiere, dann eher in der Nicht-Vierteltönigkeit des Vierteltonkomponisten. Das relativiert die Sache schon wieder. Ich habe zur Vierteltönigkeit auch eher ein gespaltenes Verhältnis. Ich hatte mich mit dieser beschäftigt, indem ich zu Hause zwei voneinander im Vierteltonabstand gestimmte Klaviere hatte, und es war natürlich sehr aufschlussreich damit gemeinsam mit einem Partner experimentieren zu können. Aber die Vierteltönigkeit ist schon etwas sehr Abstraktes und auch etwas, das mit dem Gehör nur schwer zu erfassen ist. Ich habe hervorragende Orchester erlebt, auch solche, die viel Neue Musik spielen, wo sich die Musiker mit ziemlicher Unschärfe in dieser Vierteltönigkeit bewegten, die weit entfernt ist von der Präzision, mit der sie sich sehr versiert im Halbtonsystem bewegen.
HR: Das bei weitem wichtigere Konstituens in deiner Musik ist der Bezug auf das Spektrum der Obertöne?
GFH: Das spielt für mich eine ganz große Rolle. Mich interessiert diese unglaublich intensive Klangqualität der “rein” intonierten Intervalle. Ein rein gestimmter Obertonakkord .
[Quartett für 4 Gitarren, UA: musikprotokoll Graz 2007]
HR: . wie gestern die umgestimmten leeren Saiten in dem neuen Gitarrenquartett .
GFH: . klingt einfach unglaublich stark. Das gibt eine große Schönheit des Klangs. Jetzt habe ich zwei Möglichkeiten. Entweder ich verwende einen einzigen solchen Obertonakkord, in dem neuen Orchesterstück Bruchstück habe ich dieses Verfahren angewandt: Da bleibt der Akkord über fünfzehn Minuten stehen, so dass man sich auf ihn einhören kann (aber keine Sorge, das ist kein statischer Klang, sondern da ist enorm viel an innerer Bewegung). In dem Augenblick, wo ich einen zweiten Akkord hernehme, bekomme ich unweigerlich ganz enge Intervallkombinationen, also Schwebungen. Das heißt, allgemein verständlich ausgedrückt, ich bekomme das, was sich etwa zwischen den drei Saiten eines schlecht gestimmten Klaviers abspielt. Aber diese Unsauberkeit des Klanges bekomme ich als Konsequenz der Sauberkeit der Intonation. Und dieser scheinbare Widerspruch, dass die Konsequenz der Sauberkeit die Unsauberkeit ist, ist ja etwas, das ich als allgemeine menschliche Erkenntnis zu formulieren durchaus bereit bin. Das ist etwas, das mich musikalisch enorm fasziniert. Um beim Gitarrenquartett zu bleiben – es hat zwar jedes Instrument in sich diese reine Obertonstimmung, die das enorme Klangvolumen bewirkt, aber die vier Instrumente sind im Zwölfteltonabstand voneinander gestimmt. Diese Kombination von Identität und Verschmelzung auf der einen Seite und der Reibung, die man als Preis für die Verschmelzung zahlen muss oder aber auch als Gewinn dieser Verschmelzung bekommt – Reibung ist ja auch etwas sehr Schönes -, ist in der Tat etwas, das in meiner Musik viel ausmacht. Und vielleicht ist das auch etwas Individuelles. Da vor allem in der Vergangenheit viele Komponistinnen und Komponisten, die sich mit Obertonmusik beschäftigt haben, hier doch von einem Ideal der Reinheit ausgegangen sind. Und ich halte dieses Ideal der Reinheit nicht für anstrebenswert.
[in vain, UA: Köln 2000]
HR: Damit kommen wir schon zur expressiven Komponente in deiner Musik, die ja auch – und jetzt gelangen wir in das gefährliche Fahrwasser der verbalen und damit ideologischen Interpretation und Sinnerklärung – Botschaften vermitteln will. In einem Spektrum, das von Verzweiflung und Trauer bis hin zu Schönheit, Leidenschaft, Trunkenheit, Ekstase reicht. Unmöglich, von einer Musik wie etwa “in vain” nicht existenziell berührt zu sein.
GFH: Das freut mich natürlich, wenn das so wahrgenommen wird, reden kann ich da nicht oder nur sehr schwer darüber. Meine Entscheidung als 17-jähriger, nicht Schriftsteller, sondern Komponist werden zu wollen, hatte vielleicht damit zutun, dass ich gemerkt hab’, ich kann mich verbal nicht so präzise ausdrücken wie klanglich. Du hast recht, in meiner Musik ist Trauer, das ist Angst, da ist das Gefühl des Getriebenseins, einer Unerbittlichkeit, irgendwohin geführt zu werden, egal ob man das will oder nicht. Aber: Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist es keinesfalls so, dass ich mich hinsetze, um ein ästhetisches Programm oder eine Geschichte zu vertonen. Es gibt manchmal Stimmungen, die am Anfang stehen. Bei in vain war das die Betroffenheit über die schwarz-blaue Regierungsbildung im Jahr 2000, wo ich eine Musik gemacht habe, die formal so abläuft, dass das als überwunden Geglaubte am Ende wieder zurückkommt. Überspitzt formuliert könnte man sagen, ich verdanke dem Herrn Schüssel die Wiederentdeckung der Reprise. Wobei ich die Reprise nicht in der Brucknerschen Tradition als Euphorie wahrgenommen habe, sondern in der Schüsselschen als Katastrophe.
HR: Da muss ich aber einhaken. in vain ist im Abstand der Jahre – etwa beim durch Weintrinken begleiteten “Symposion” des Klangforums auf bequemen Pölstern und Matratzen liegend genossen – zum Kultstück geworden, das vor allem durch seine berückende klangliche Schönheit frappiert.
GFH: Vielleicht hören andere Menschen das anders, aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass jemand diese Wiederkehr des Anfangs anders als beklemmend wahrnehmen wird. Das reicht schon. Mehr braucht es nicht. Und den konkreten politischen Anlass, den dürfen wir heute ja gottseidank vergessen. Momentan bin ich darüber glücklich, dass dieses Stück länger gelebt hat als diese Regierung. Das kann man immerhin schon sagen.
HR: Nach deinem “Durchbruch” als international anerkannter Komponist in den späten achtziger Jahren, dem ab, sagen wir, 1988/89 auch eine noch größere Zahl imponierender Stücke als je zuvor folgten: Siehst du selbst dich in deinem Schaffen in einer ständigen, gar linearen Weiterentwicklung begriffen? Relativieren sich für dich persönlich ältere Werke?
[Duo für Bratsche und präpariertes Klavier, UA: MHS Graz 1985]
GFH: Das älteste Stück von mir, das bei Wien Modern gespielt wurde, ist das Duo für Bratsche und präpariertes Klavier, es stammt aus dem Jahr 1984 und ich halte es auch noch heute für eines meiner stärksten. Und diese c-Moll-Melodie am Ende, die die Bratsche, deren Saiten bei jeder Wiederholung umgestimmt werden, immer wieder repetiert, sodass eine Art Wegschmelzen der Tonalität eintritt, ist schon etwas, an dem man “Personalstil” sehen kann. Obwohl es ganz anders klingt als andere Stücke von mir und man ziemlich lange brauchen würde um auf die Idee zu kommen, dass das von mir sein könnte. Und ich hoffe, dass ich auch in Zukunft wieder ganz andere Stücke schreiben kann. Was vor zehn Jahren geschrieben wurde, ist ja noch nicht unbedingt alt, alt ist, was vor 1989 entstand und da gibt es durchaus ein paar Stücke, die ich nicht mehr hören möchte. Ich habe Berno Polzer diesbezüglich eine Negativ-Wunschliste geschickt.
[Klavierkonzert, UA: Wien Modern 7.11. 2007 – Cellokonzert, UA: München 2004 – Violinkonzert, UA: Wien 1998 – Saxophonkonzert, im Entstehen; Hyperion für Lichtstimme und großes Orchester, UA: Donaueschingen 2006]
HR: Sprechen wir über die Wien Modern-Aufführungen: Klavierkonzert, Cellokonzert . die “Konzertform”, etwas, das dich als Sujet fasziniert?
GFH: Das nächste Konzert ist im Entstehen – ein Saxophonkonzert für Marcus Weiss.
HR: Was ist an der Konstellation Solist-Tutti, wenn man die Form Konzert so im weitesten Sinn fasst, und die möglicherweise damit verbundene Dramatisierung eines Ablaufs für dich spannend?
GFH: Zwischen einem Klavierkonzert und einem Violinkonzert liegt der große Unterschied darin, dass in einem Orchester von Haus aus sagen wir dreißig Violinen sitzen und dann kommt eine einunddreißigste hinzu. Das ist etwas ganz anderes als beim Klavierkonzert, wo ein Instrument, das normalerweise nicht zum Orchester gehört, dagegengestellt wird. Es geht mir hier weniger um die Frage Einzelner und Kollektiv, was vor allem im Violin- oder im Cellokonzert thematisiert wird, als um die Frage völlig unterschiedlicher Klangproduktion. Denn das Klavier unterscheidet sich von fast allen anderen Instrumenten dadurch, dass es den Ton einmal erzeugt und der Ton so wie er ist abläuft, er kann nicht mehr verändert werden, man kann nicht mehr atmen, man kann nichts mehr tun. Das zweite ist, dass das Klavier auch in der Stimmung völlig unflexibel ist – übrigens auch das einzige Instrument, das nicht vom Spieler selbst gestimmt wird. Ich habe viel Klavier gespielt und ich bin nicht zuletzt auch deswegen Komponist geworden, weil mir am Klavier so viele Dinge abgegangen sind. Beim Klavierkonzert hat es mich gereizt, dem Orchester das zu geben, was eben meine diesbezüglichen, auch mikrotonalen klanglichen Vorstellungen ausmacht, und dass das Klavier da quasi hineinschneidet.
Einen großen Teil des Klavierkonzerts macht aus, dass vom Klavier Klänge angespielt werden, die dann vom Orchester zum Leben erweckt werden. Und es wird Momente geben, wo man im Saal nicht weiß, ist das noch der Klavierklang oder schon der der Violinen. Eins noch: Ich habe sehr viel mit umgestimmten Klavieren gearbeitet und auch kurz überlegt, ob ich das Klavier auch hier umstimmen lassen soll, bin dann davon aus einem praktischen Grund abgekommen. Das Klavier hat logischerweise in jeder Oktavlage genau gleich viele Tasten, nämlich zwölf. Wenn man die Obertonreihe anschaut, dann ist es so, dass das Klavier in jeder Oktavlage doppelt so viele Töne hat wie in der tieferen. Um theoretisch eine Obertonstimmung machen zu können, müsste ich ein Instrument haben, dass in der Tiefe nur einen Ton pro Oktave hat, dann zwei, dann vier, acht, sechzehn, zweiunddreißig. Man kann unmöglich die Saiten so viel und so stark verstimmen, da könnte man gleich ein neues Instrument bauen. Und dann hätte man wieder Resonanzprobleme. Ein Sechzehnteltonklavier etwa klingt wie ein Cymbalon aus einem schlechten Lautsprecher, weil einfach die ganzen Bassresonanzen fehlen. Oder man arbeitet mit nur einem einzigen Grundton, aber das wollte ich für ein Solokonzert nicht.
Wenn, dann müsste man ein Tripelkonzert mit drei unterschiedlich gestimmten Klavieren machen. Vielleicht mache ich das auch einmal. Bei Hyperion habe ich mit zwei unterschiedlich gestimmten Klavieren gearbeitet, das ist dann schon sehr aufregend – aber doch eher Bestandteil des Orchesters. Das Schöne bei diesem Konzert für konventionell gestimmtes Klavier mit mikrotonalem Orchesterapparat ist, dass das das Klavier das einzige Instrument ist, das nicht mikrotonal ist und dadurch zu einer Sonderstellung gelangt. Man wird an einigen Stellen den Eindruck haben, das Klavier spielt “falsch”.
[Bruchstück, UA: München 2007]
GFH: Das ist eine große Herausforderung für die Musiker, es führt zu enormen psychologischen und physischen Belastungen, ein Stück, wo ein Akkord eine Viertelstunde lang dasteht und jeder Musiker einen einzigen Ton zu spielen hat, das ist allein schon physisch sehr anstrengend, zumal etwa für Streicher in einer hohen Lage, da wird es sogar schmerzhaft und man muss die Finger wechseln. Alles machbar, schwierig ist nur die Bereitschaft des Musikers, der auch wissen muss, welchen Teilton er da spielt und welche Bedeutung dieser im Gesamtklang hat. Bei der Uraufführung in München hat das, wie ich gestehe, nicht völlig funktioniert, da waren alle überfordert. Bruchstück wird jetzt auch bei Wien Modern nicht gespielt werden, stattdessen wird mein Stück Poème auf das Programm gesetzt.
HR: Wie siehst du der Aufführung des Cellokonzerts durch die Wiener Philharmoniker entgegen?
GFH: Es ist das erste Mal, dass die Philharmoniker etwas von mir spielen und dass Jonathan Nott etwas von mir dirigiert. Ich bin da eigentlich sehr optimistisch. Das Cellokonzert ist ein Stück, das für traditionelles Orchester geeignet ist.
HR: Also anders als in vielen vergangenen Ensemblestücken etwa für das Klangforum Wien, das wirkliche Höchstleistungen vollbringen musste um etwa Einklang freier Wesen oder in vain adäquat zu realisieren. Heißt das, dass du je nach Auftrag jeweils für verschiedene Gruppen, Ensembles oder Orchester anders komponierst?
[Poème, UA: Cleveland 2006 – Natures mortes, UA: Donaueschingen 2003 – Einklang freier Wesen, UA: Graz 1996 – noch einmal: in vain]
GFH: Ja. Ich versuche immer, für die jeweilige Aufführungssituation zu komponieren. Ich kann das auch an konkreten Beispielen verdeutlichen. Poème war ein Auftrag für das Cleveland-Orchester und ich wusste, dass es fast keine Proben gibt, da diese in den USA extrem teuer kommen, wusste aber auch, dass im Gegensatz zu Europa die Interpreten bestens vorbereitet zu den Proben kommen. Da ist ein soziologischer Unterschied: Wenn ein amerikanischer Musiker unvorbereitet zur Probe kommt, verliert er seinen Job, wenn ein europäischer sich vorbereitet zeigt, schauen ihn die anderen bös an. Das ist einfach so und man muss das zur Kenntnis nehmen. Das Gegenstück war Natures mortes für Donaueschingen, wo man in atypischer Weise viele Proben hat. Und ich wusste, dass Sylvain Cambreling dirigiert, der meine Musik kennt wie kaum ein anderer. Dort konnte ich mir den Luxus erlauben, für großes Orchester fünf verschiedene Obertonreihen zu schreiben. Die brauchten dazu sechs Proben plus Realisation. Bruchstück hat einen einzigen Obertonakkord, in vain hat zwölf – weil es das Klangforum ist.
HR: Es wurde dann aber auch von anderen gespielt?
GFH: Ja, sehr schön in Basel vom Ensemble Phönix – mit ein Grund, dass ich jetzt in Basel unterrichte, auch sehr gut vom OENM in Salzburg. Auch noch einmal in Dresden, und es wurde sogar auch in Kanada gespielt.
HR: Das heißt, man kann das machen, wenn man sich damit auseinandersetzt.
[Zweites Streichquartett, UA: Wien 1998]
GFH: Die Psychologie von 24 Leuten ist so grundverschieden von der eines Orchesters mit 85 oder 100 Mitwirkenden, dass die Dinge die mit 24 gehen mit 100 noch nicht zu realisieren sind. Meine Musik ist immer noch utopisch, immer noch nicht immer ganz zu realisieren, aber nach fünf, zehn Jahren geht es dann doch, dann hat sich das irgendwie herumgesprochen und eingeschliffen. Da kann ich auch noch etwas anderes erzählen: Das Zweite Streichquartett, das 1998 im Wiener Konzerthaus uraufgeführt wurde, habe ich für das Hagen Quartett geschrieben, das der Moderne gegenüber sehr aufgeschlossen ist, aber dessen Schwerpunkt doch eher in der Vergangenheit liegt. Clemens Hagen, der auch der erste Solist meines Cellokonzerts war, hat mir später erzählt, sie verwenden den Ausdruck “Haas-Intonation”, wenn sie romantische oder klassische Musik in reiner Intonation spielen.
Es wurde ihnen also durch die Auseinandersetzung mit meinem Stück auch die Problematik bewusst gemacht, mit der sie in der anderen Musik auch zu tun haben. Meine große Hoffnung ist, dass das auch in den Orchestern verstanden wird, obwohl das dort durch die Gruppengrößen noch viel schwerer zu erreichen ist. Dass denen auch klar wird, dass ich genau mit dem arbeite, womit sie sich bei Schubert und Bruckner herumschlagen. Die Aufführungsqualität würde davon sehr profitieren. Streicher oder Bläser müssen (und mussten) ja auch bei tonaler Musik mikrotonal intonieren, um ausdrucksstark spielen zu können. Das ist ja das Interessante, dass die Komponisten das immer den Interpreten überlassen haben, das mag damit zu tun haben, dass man dafür eine eigene Notenschrift hätte erfinden müssen. Aber das sind Bereiche, die den Instrumentalisten aus der tonalen Musizierpraxis beim Ausstimmen von Akkorden durchaus vertraut sind. Und wo kompositorisch noch sehr viel zu finden ist.
[Melancholia, UA 9.6.2008 in Paris]
HR: Zum nächsten Opernprojekt muss man sich nach Paris begeben. Oder wird Melancholia auch in Österreich aufgeführt werden?
GFH: Die Oper wird sicher im Rahmen des steirischen herbst in Graz aufgeführt werden, wofür ich der Intendantin Veronica Kaup-Hasler auch sehr dankbar bin. Aber ich sage jetzt das, was ich ihr auch sagte: Es ist eine Schande, dass sie im Rahmen des steirischen herbst aufgeführt werden muss. Die Oper wird im Palais Garnier in Paris gespielt, sie wird in Bergen und in Oslo im normalen Opernhaus gespielt. Der steirische herbst sollte eigentlich die Opern der 30-jährigen aufführen und nicht Opern von 56-jährigen. Ich finde es wirklich traurig, dass die großen Opernhäuser so wenig Raum für aktuelles neues Musiktheater bieten. Das Publikum wäre da, vorausgesetzt, man nimmt die Aufgabe wirklich ernst.
HR: In Melancholie, dem Roman von dem Norweger Jon Fosse, von dem auch das Libretto zur neuen Oper stammt, geht es um ein außenseiterisches Genie und um eine Künstlerproblematik. Auf dem ersten Blick Ähnlichkeiten mit früheren Opernsujets von dir?
GFH: Irgendwann mal war ich ein bisschen entsetzt, denn fast alle meiner Opernfiguren, ob Wölfli oder Hölderlin, sind Künstler, die psychische Probleme haben, die einzigen normalen Leute sind der Landarzt und der Gefangene von Edgar Allen Poe – aber denen geht es ja auch nicht besonders gut. Also schon merkwürdig. Aber es war Zufall, es war ein Wunsch von Hans Landesmann, der mir eines Tages sagte, er hätte gerne eine Oper nach einem Text von Fosse von mir. Ich kannte Fosses Roman und bekam dann sein Libretto für die Oper und war zunächst maßlos enttäuscht, weil die Vielschichtigkeit der Romanstruktur auf eine ganz einfache Struktur reduziert ist. Erst im Lauf der Arbeit bin ich draufgekommen, wie genial das gemacht ist. Fosse, der als Librettist völlig anders schreibt als der Dramatiker und wieder anders als der Romanschreiber, lässt im Libretto den Raum frei für musikalische Entwicklungen.
Es geht um eine Künstlerpersönlichkeit und um das Problem der Unmöglichkeit eine Kommunikation zu anderen Menschen zu finden. Was ihn fast zerstört, ist, dass er Bilder von anderen Menschen hat, die mit der Realität nicht übereinstimmen. Dieses halte ich für ein sehr aktuelles Problem. Zentral im Libretto ist ein Dialog mit der Tochter des Wohnungsvermieters, einmal mit der imaginären Helene, einmal mit der realen. Ich habe mir in Oslo übrigens die Bilder des Malers Lars Hertervig angesehen, die mich sehr gepackt haben. Meine erste Assoziation war, er verhält sich zu Caspar David Friedrich so wie Schubert zu Beethoven. Es ist eine spirituelle, lyrische Welt, ein geradezu beängstigender Fotorealismus, aber diese Bilder haben eine Traurigkeit, eine metaphorische Angst und gleichzeitig auch ein Licht, das man nicht konkretisieren kann, das mit einer transzendentalen Hoffnung zu tun hat.
Das habe ich auch versucht musikalisch einzufangen. Seine Biographie ist die des armen Künstlers, van Gogh ging es vergleichsweise noch gut. Er konnte sich die Ölfarben nicht mehr leisten, sein spätes Hauptwerk sind Aquarelle auf Zigaretten- oder Packpapier. Er hat davon gelebt, Bauernkästen zu bemalen – in Stavanger kann man zwei Exponate sehen – mit gigantisch schönen und spirituellen Naturlandschaften. Der Schluss: Er wird von der Polizei abgeführt. Der erste Gedanke war, das musikalisch irgendwie so darzustellen, dass die Realität über ihn hereinbricht, mit Marschrhythmen oder so. Es wurde etwas ganz anderes: Er geht in sein Inneres hinein. Das darf man nicht platt sozialkritisch darstellen, dieses Licht in seinem Werk muss auch eine musikalische Assoziation finden.
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