“Für die wenigen, die noch fühlen…” – Markus Zahradnicek, Sänger und Gitarrist der Wiener Band Francis International Airport, über den Rückzug aufs Land, die inspirierenden 80er Jahre und Eifersucht als Leitthema. Das Interview führte Markus Deisenberger.
Soeben ist euer Debut auf Siluh erschienen, einem kleinen feinen Label. Wie kam es dazu?
Bernhard von Siluh Records kennen wir schon länger, einfach weil er auch aus St. Pölten Umgebung kommt. Da saß man schon öfter beisammen. Eine Kooperation stand daher schon länger im Raum. Dass es dann wirklich klappte, lag zunächst einmal an der New Idea Society, für die wir Vorgruppe spielten. Gleich darauf durften wir für Bishop Allen im rhiz eröffnen. Und das war dann, wenn ich mich recht erinnere, der Abend, an dem Bernhard meinte, wir sollten doch gemeinsam etwas auf die Beine stellen und uns einmal treffen, um näheres zu besprechen.
Was gibt die St. Pöltner Szene her? Gab oder gibt es dort Gleichgesinnte? Gibt es Möglichkeiten oder führt der Weg zu Bekanntheit nur über Wien?
Schwierig. St Pölten ist eine kleine Stadt und hat nicht wirklich eine eigene Szene. Wir wohnen auch alle schon lange in Wien und fühlen uns sehr wohl hier. Und wenn wir aufs Land fahren, dann fahren wir eher ganz heim. Wir kommen ja nicht direkt aus St Pölten, sonder aus dem Traisental, aus der Gegend um Hohenberg.
Alle Bandmitglieder?
Also mein Bruder und ich sind aus Hohenberg. Manuela, unsere Keyboarderin, kommt aus dem Nachbarort St Ägid, der Schlagzeuger ist aus Traisen. Für uns war aber von Anfang an klar, dass, weil wir alle hier leben, Wien unser Zentrum ist.
Aber ihr kennt euch alle von dort und habt auch dort angefangen, gemeinsam zu spielen, nehme ich an.
Genau. Wir sind alle in St Pölten gemeinsam zur Schule gegangen. Das war die nächste größere Stadt.
Fühltet ihr euch einer Szene zugehörig?
Vor allem im Indie-Bereich ist es sehr schwierig. Es gehen alle schnell nach Wien, auch studienbedingt.
Trotzdem habt ihr euch zu Hause in Hohenberg ein eigenes Studio eingerichtet, seid also zum Aufnehmen wieder zurückgegangen. Weshalb der Schritt zurück?
So haben wir aus der Not eine Tugend gemacht. Wir suchten einen Ort, an dem wir aufnehmen können. Und wichtig war für uns, einen Ort zu finden, an dem wir uns Zeit lassen können und nicht husch husch im Vorbeigehen, weil es sonst zu teuer ist, ein Album einspielen müssen. Dh eine Woche Zeit haben und dafür ein paar Tausender ablegen – das konnte und wollten wir nicht. Wir wollten das Pflänzlein einfach behutsam wachsen lassen. So haben wir versucht, im Keller meines Elternhauses mit teils geborgtem teils gekauftem Equipment ein eigenes Studio einzurichten.
Wann war das?
Lange, bevor wir mit Siluh ins Reden kamen. Zu dem Zeitpunkt war das Album eigentlich schon so gut wie fertig. Das war sozusagen schon in der Endphase.
Könnte man sagen, ein eigenes Studio zu haben war bei euch auch ein notweniger Schritt in Richtung Bandwerdung?
Auf jeden Fall. Wir haben ja relativ lange aufgenommen. Das war ein Soundfindungs-Prozess, während dem wir enorm viel probiert haben. Im Prinzip fingen wir ja bei null an und mussten auch die ganzen Aufnahmetechniken erst erlernen.
Und wer hat euch das beigebracht?
Wir uns selbst. Ich habe einmal mit einer anderen Band aufgenommen. Die anderen Bandmitglieder brachten auch alle die unterschiedlichsten Erfahrungen mit. Dann fragten wir Freunde, holten Rat bei den unterschiedlichsten Leuten ein. Und so haben wir uns allmählich an die Sache herangetastet.
Wollt ihr es weiterhin so, dh im Do-It-Yourself-Stil, betreiben?
Das kommt ganz drauf an. Es wäre sicher spannend, einmal gemeinsam mit einem Produzenten zu arbeiten. Gleichzeitig denke ich, dass es nicht leicht ist, jemanden zu finden, mit dem wir unkompliziert arbeiten können. Es ist ganz klar auch immer eine Geldfrage. Wir sind alle Studenten und müssen schauen, dass wir uns da durchboxen.
Da gäbe es zum Beispiel Ben Martin, selbst St Pöltener, Musiker und nebenbei ein ausgezeichneter Produzent, der auch Genre-technisch gut zu euch passen würde.
Kenne ich, wäre eine gute Wahl, kostet aber auch Geld. Dass wir uns einbunkern und dort so lange wir auch wollen an etwas arbeiten können, hat schon auch etwas für sich. Wir mögen das auch. Derzeit spekuliere ich schon, dass wir das beim zweiten Album wieder ähnlich machen werden.
Ist das zweite Album schon in Planung?
In meinem Kopf schon.
Das Album, so steht es im Infotext, den Robert Stadlober geschrieben hat, zu lesen, sei im Rückzug entstanden. Einerseits hat man also den Weg Richtung Großstadt eingeschlagen, dort auch sein Coming Out gehabt, sich dann aber wieder in der Provinz vergraben, um aufzunehmen. Das klingt ein wenig gegensätzlich und sozialromantisch. Wie war es wirklich?
Ganz ehrlich: Es hat sich so ergeben. Das Arbeiten am Land hatte seine Vorzüge. Wenn man in Wien arbeitet, ist man versucht, nachher fortzugehen. In Hohenberg sitzt man schlichtweg fest. Da gibt es nicht anderes. Will man konzentriert arbeiten, hat das durchaus etwas für sich.
Obwohl bis zum Album-Release ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, ward ihr der deutschen Musikzeitschrift Intro auf Anhieb eine Review wert, die äußerst wohlwollend war. An gleicher Stelle ist von einer in Deutschland generell gesteigerten Aufmerksamkeit österreichischen Bands gegenüber die Rede. Nach Gustav, Clara Lucia und Ja, Panik (mir fielen da noch einige andere ein…) wärt ihr das nächste Ding, das alle Aufmerksamkeit wert sei. Ist das so und schlägt sich die angeblich hohe Aufmerksamkeit auch in Live-Optionen nieder?
Da denke ich derzeit viel darüber nach. Zunächst einmal ist es eine interessante Erfahrung, wenn Leute Reviews über dich schreiben. Damit beschäftigt man sich natürlich auch. Aber was die Live-Optionen anbelangt: Wir haben das Album erst kurz vor dem Sommer raus gebracht und sind jetzt leider ziemlich ins Sommerloch gefallen. Im Herbst wird es Touren geben. Da werde ich dann besser beurteilen können, ob sich die mediale Aufmerksamkeit in gesteigerten Konzertbesuchen niedergeschlagen hat. Derzeit, im Sommerloch, ist das sehr schwer zu beurteilen. Das nächste Konzert wird Ende August am Gürtelnightwalk sein.
Aber dass ihr einen eigenen Booking-Agent habt, ist doch schon einmal ein Zeichen in die richtige Richtung, denn genau daran mangelt es den meisten österreichischen Bands.
Stimmt und darüber sind wir auch sehr, sehr froh.
Aber gehen wir zum Album: Die meisten Songs haben eine sehr dichte Atmosphäre. Gitarren und Keyboards verweben sich da meist zu einem intensiven Stimmungsbild. Würdest Du das als Ausfluss dieses organischen Aufnahme-Verfahrens sehen?
Das kann leicht sein. Im Prinzip haben wir uns sehr viel mit Atmosphären beschäftigt, viel mit Synths und Gitarren herumgetüftelt. Dadurch, dass wir so viel Zeit hatten, sitzt man dann schon eine Nacht und überlegt, wie man eine einzelne Passage am besten rüberbringt. Natürlich kann man darüber streiten, ob man im Einzelnen den Punkt überschritten hat, an dem es noch Sinn macht, dh überzogen hat. Ob man nicht vorher schon aufhören hätte sollen… Aber so ist es eben, wenn man keinen Produzenten hat. Da muss man dann selbst so stark sein, um Stopp zu sagen. Sonst verliert man sich in sinnlosem Geschwurbel.
Und hast Du persönlich den Eindruck, ihr habt euch verloren?
Nun, es hätte vielleicht an manchen Stellen konkreter sein können. Aber das ist nichts, was mich wirklich stört, weil es auf Album-Länge wieder Sinn macht. Im Album-Kontext finde ich es gelungen.
In Zusammenhang mit eurem Album habe ich über die berühmte Kategorie “Klingt wie…” schmunzeln müssen.
Weil nichts stimmt?
Ja, die wurde von den Medien nämlich hauptsächlich mit Death Cab For Cutie und Band Of Horses gefüllt. Ich habe – wie übrigens der Intro-Rezensent auch – eher Gitarrenpop der 80er Jahre assoziiert. Diese gepflegte Düsternis, die sich durch das ganze Album zieht, war etwas, das man in den 80ern doch um einiges glaubwürdiger beherrschte als heute.
Das Witzige ist, dass alles und gar nichts stimmt. Es kommt so viel an Vergleichen…
Zum Beispiel?
The Cure etwa kommt genauso oft oder sogar noch öfter als Death Cab for Cutie. Du musst wissen: Ich bin ein großer Fan von The Cure und Echo & The Bunnymen. Aber ich höre so viel Musik, dass es nachträglich enorm schwer zu beurteilen ist, wovon man letztlich beeinflusst wurde.
Aber die 80er spielen eine Rolle?
Definitiv. Dass wir solch ein breit gefächertes Feedback bekommen, wonach wir nicht alles klingen sollen, werte ich aber auch als Zeichen dafür, dass wir nicht explizit nach irgendjemandem klingen. Dieses Epigonenhafte schätze ich nämlich gar nicht. Eine Band von früher 1:1 in die Jetztzeit zu transferieren ist schwierig, wird ohnedies gerade von britischen Bands über die Maßen vorexerziert und macht letztlich wenig Sinn.
Wie entstehen eure Nummern?
Das ungefähre Muster sieht so aus, dass ich ungefähre Songskizzen anfertige…
An der Gitarre?
Gitarre und Stimme. Und je nachdem, wer als erster dazu kommt, mit dem arbeite ich dann weiter am Song. Oft ist es mein Bruder, weil ich mit ihm zusammen wohne. Beim Album lief es so, dass ich mit einer Idee ins Studio kam und wir dann einfach an diesem Layout herumprobierten. Die Band spielt einfach, die Ideen werden entweder direkt übernommen oder völlig über den Haufen geworfen.
Was passiert häufiger? Direkte Übernahme oder völlige Verwerfung?
Hmm. Es hält sich wohl ziemlich die Waage.
Gehen wir noch mal zum Pressetext von Robert Stadlober. Wenn dort vom Wissen, dass das Sinn macht, obwohl alles um uns einstürzt, die Rede ist, klingt das erst mal…
Romantisch?
Ja, und sehr idealistisch. Zugleich, heißt es weiter, sei in diesem Bestreben auch einiges an Rückschlägen zu verbuchen gewesen. Ist das euer Text, ist das Siluh-Text?
Erst einmal ist das Roberts Text.
Aber er wird sich dabei ja auch zu euch etwas gedacht haben.
Klar. Das trifft auf Siluh ebenso wie auf Siluh-Bands zu. Gerade in Österreich ist es ja nicht so, dass man ein Album aufnimmt und dann einfach da ist. Man muss sich das aufbauen.
Dass euer Album – ich zitiere – für diese wenigen, die das noch fühlen können, was ein Song auszulösen vermag, auf Vinyl gepresst wurde, klingt aber auch unfassbar resignativ, so als sei die Musikarbeit ein eigentlich sinnloses Aufbäumen, weil es aus innerem Antrieb heraus nun einmal nicht anders geht. Letztlich aber, so hat man den Eindruck, komme das Veröffentlichen qualitätvoller Alben aber einem Anrennen gegen Windmühlen gleich, was zugleich impliziert, dass man irgendwann auch einmal genug davon haben wird und in der Versicherung anfängt.
Ein Label wie Siluh lebt vom Idealismus. Bernhard ist einer der größten Idealisten, die ich kenne.
Aber die Frage ist doch, ob man als Band idealistisch ist oder sein will.
Irgendwo muss man Idealist sein. Sonst würde man es sich zehn Mal überlegen, ob man so viel Zeit und Geld in die Musik steckt. Wir sind Studenten, stecken aber 80% unserer Zeit in die Musik. Das ist das, was mich ausfüllt und was ich machen möchte.
Und empfindet ihr es selbst so, wie es Robert Stadlober formuliert, den Platten-Release als Schutzschild gegen den Stumpfsinn?
Das klingt mir ein wenig zu viel nach Weltverbesserung. Aber über so etwas mache ich mir auch wenig Gedanken. Ich schreibe Songs. Der logische Schluss ist, dass man irgendwann ein Album daraus macht, weil es einen Wert hat ein Album zu machen. Was mit dem Album dann passiert, liegt dann in anderen Händen.
Welche Art von Wert hat ein Album für Dich?
Einen ideologischen. Etwas in sich Schlüssiges abzuliefern. Jedes Album ist eine Momentaufnahme. In unserem Fall ist diese Betrachtungsweise vielleicht ein wenig grenzwertig, weil sich die Aufnahmen so lange hingestreckt haben, aber es ist ein Festhalten, wo man sich gerade bewegt. Für mich heißt das aber nicht, dass diese Momentaufnahme Francis International definiert, sondern ich glaube schon, dass man hört, dass wir an allen Ecken und Enden der Musikgeschichte unterwegs sind.
Vorher haben wir über die St. Pöltner Szene gesprochen. Wenn wir nach Wien blicken: Gibt es dort Unterstützung? Ich habe zum Beispiel gesehen, dass Robert Rotifer ein myspace-Freund von euch ist. Hat er euer Album denn schon in seiner Sendung gespielt?
Ich glaube nicht, weiß es aber auch nicht. Ich bin auch nicht unbedingt der Szene-Gänger, fühle mich nicht als Teil der Ausgehgesellschaft. Connections knüpfen und mit jedem saufen gehen, ist nicht mein Ding.
Den meisten, die es so handhaben, geht ja auch früher oder später die Zeit aus, die man braucht, um gute Musik zu machen. Aber ihr habt ja auch eine Studio 2-Session gespielt. Wie kam es dazu?
Gute Frage. Das war noch vor Fertigstellung des Albums. Clemens Fantur von fm4 hat uns kontaktiert und angefragt, ob wir nicht gemeinsam mit Clara Lucia eine Studio 2-Livesession spielen möchten. Daraufhin haben wir – damals gerade mitten in den Aufnahmen steckend – einen Kriegsrat abgehalten, ob wir zu diesem Zeitpunkt schon weit genug seien, solch einen Live-Set zu spielen: Ergebnis war, dass wir´s einfach probierten. Ich finde, es ist hübsch geworden.
Gab das einen Schub?
Klar. Es ist immer gut, wenn man ein bisschen an die Öffentlichkeit kommt, wenn Leute das hören, was du machst. Das war damals ein wichtiger erster Schritt für uns.
Das Video zu Dancing Ships hat mir sehr gefallen. Es wirkt ein wenig selbst gestrickt, aber durchaus sympathisch.
Es gibt schon zwei Videos, die beide von Freunden low budget für uns zusammengeschustert wurden.
Wie geht’s weiter?
Im Herbst wollen wir viel live spielen. Dann werden wir auch sehen, wie Restösterreich auf uns reagiert, denn bis jetzt haben wir ja nur in Wien, St. Pölten und einmal in Salzburg gespielt. Und mit Jahreswechsel würde ich gerne beginnen, wieder aufzunehmen.
Wird die Tour auch ins Ausland führen?
Schwer, weil dazu Geld erforderlich wäre und Geld haben weder Siluh noch wir zur Verfügung.
Gibt’s schon neue Songs?
Ich schreibe derzeit wie wahnsinnig. Die Veröffentlichung des Albums war ein ziemlicher Brocken, auch weil die Zeit zwischen fertiger Produktion und Release so kurz bemessen war. Als es dann fertig war, gab das ein tiefes Durchatmen und einen neuen kreativen Schub.
GoTV, Austrian Indie-Charts, fm4, Intro… Gab es sonst Reaktionen? Im Standard etwa?
Im Standard nicht. Aber im Gap und in der Süddeutschen gab es Artikel. Und unzählige Online-Magazine schrieben über uns. Es war schon einiges und auch durchwegs OK und interessantes Feedback.
Auch Negatives, das zu denken gab?
Eigentlich nichts, was mich jetzt wirklich ärgerte. Natürlich gibt es Dinge, die dem einen gefallen und dem anderen nicht. Meine Stimme zum Beispiel hat durchaus polarisiert. Die war manchen zu theatralisch, andere wieder mochten gerade sie. Aber das ist wirklich sehr subjektiv.
“We are jealous, we are glass” kommt als Textzeile in den Songs gleich mehrfach vor, was die Vermutung nahe legt, dass es sich um eine zentrale Botschaft handelt. Was hat es damit auf sich? Was genau bedeutet die Zeile?
Wenn ich etwas Derartiges schreibe, ist es anfangs erst einmal kryptisch. Für andere Leute, wenn sie es lesen, wohl auch. Ich lasse das dann oft liegen. Ich mag es sehr, wenn Texte oder einzelne Zeilen mit der Zeit anfangen Sinn zu ergeben, wenn sie wachsen, sich immer mehr Bilder wie von selbst ergeben und ich mir plötzlich mehr darunter vorstellen kann. Ich bin niemand, der Storytelling betreibt. Wenn ich eine Nummer schreibe, neige ich zum Visuellen. Songideen rufen Bilder hervor. Ich versuche Stimmungen mit Texten zu unterstützen.
Und welche Stimmung war das, in der Du den Satz gefunden hast?
Eifersucht ist ein schwieriges Gefühl. Die meisten Leute haben es, es ist einfach da und schwer abzustellen. Wenn man eifersüchtig ist und jemand aus dem Umfeld bemerkt das, fühlt man sich immer ertappt. Aber nicht nur die Situation, sondern das Gefühl an sich ist schon unangenehm, weil es ja meist zu Unrecht kommt. Ein Gros der Texte nimmt sich dieser zwischenmenschlichen Bereiche ein.
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