Der Saxophonist Felician Honsig-Erlenburg hat sich trotz seiner jungen Jahre bereits ein beeindruckendes Maß an Eigenständigkeit erarbeitet. Die Inspiration für seine Musik holt er sich weniger aus dem Jazz als aus dem Schaffen von zeitgenössichen Komponisten wie Morton Feldman und den alpinen Reizen seiner Kärntner Heimat. Nach drei Jahren in Berkeley und einem Jahr in Paris sieht es so aus, als ob die Wiener Szene bald um eine außergewöhnliche, ehrliche und originelle Stimme bereichert wird.Das Interview führte Martin Gansinger.
MG: “Kannst du kurz über deinen Zugang zum Saxophon und zur Musik im Allgemeinen berichten?”
FH-E: “Saxophon spiele ich nur aus einem Zufall heraus, das Akkordeon hat mich eigentlich viel mehr interessiert. Aber ein Bekannter meiner Mutter hat mir ein Saxophon angeboten, wenn ich ihm verspreche, dass ich in der KELAG-Blaskapelle mitspiele. Nach zwei Jahren konnte ich dann halbwegs Noten lesen, hab’ mich aber vehement geweigert, war nur bei einer Probe und das ist mir total auf die Nerven gegangen (lacht). Danach hab’ ich klassische Musik gemacht, an der Musikschule in Villach, mit 14 bin ich ans Konservatorium gekommen und hab’ einige Wettbewerbe gespielt – diese Prima La Musica-Dinger, das gehört wohl irgendwie dazu zur musikalischen Ausbildung in Österreich. Das Improvisieren hat mir aber viel mehr Spass gemacht – nicht notwendigerweise Jazz allerdings. Der hat mich nie wirklich sehr interessiert, von der Ästhetik her. Das war mir irgendwie zu durchgeknallt. Aber ich wollte trotzdem improvisieren und hab’ dann über meinen Lehrer damit begonnen, diese typischen Improvisations-Schulen durchzuspielen, was auch nicht wirklich gesund war, glaube ich. Aber was mich wirklich inspiriert hat, waren diese Jazz-Workshops in Viktring, da hat einem niemand gesagt, was du machen sollst. Im Gymnasium hab’ ich damit angefangen, Gigs mit Kärntner Musikern wie Klemens Marktl und Primus Sitter zu spielen. Ich hab’ dann auch ein wenig Klavier und Gitarre gespielt und pseudomäßig komponiert – ohne über wirkliche Fertigkeiten zu verfügen.”
MG: “Die meisten kommen ja durch den Jazz zur Improvisation. Was war für dich ausschlaggebend, dich mit Improvisation zu beschäftigen, womit wurde dein Interesse dafür geweckt?”
FH-E: “Ich bin eher übers Improvisieren zum Jazz gekommen als umgekehrt. Die Musik-Workshops in Viktring waren für mich wie geagt sehr wichtig, das war auch weniger Jazz als World Music und Avantgarde. Vor meiner Matura hab’ich dann in Berklee vorgespielt und auch ein Stipendium bekommen. Da hab’ ich mich dazu entschieden, das einfach auszuprobieren für ein Semester. Am Ende sind dann doch drei Jahre daraus geworden. In Berklee ist dann wirklich vieles aufgegangen, ich habe innerhalb von zwei Jahren so viele Leute kennengelernt, die alle ganz unterschiedliche musikalische Einflüsse mitgebracht haben. Einerseits bin ich dadurch irgendwie in diese Jazz-Tradition hineingeschlittert, weil man durch diese gewisse Art von Konkurrenz, die dort herrscht, einfach so viel wie möglich aufsaugt und erst mit der Zeit für sich entscheidet, was man wirklich will und was man lieber weglässt. Obwohl ich am Konservatorium, in Berklee und jetzt eben in Paris gewesen bin hat mir kein einziger Lehrer irgendetwas beigebracht. Was ich gelernt habe, habe ich einfach durch das Zusammenspiel mit anderen Musikern gelernt. In näherer Zunkunft möchte ich vor allem meine kompositorischen Fähigkeiten erweitern.”
MG: “In dieser Zeit ist dann auch Bim Clatox entstanden, deine Band mit dem spanischen Gitarristen Buenaventura Marco, dem japanischen Bassisten Takashi Sugawa und dem argentinischen Drummer Facundo Flores. Ihr habt mit Wassermusik auch eine eindrucksvolle CD veröffentlicht, die sehr gut aufgenommen wurde – auch und vielleicht gerade weil man sich eine derart eigenständige Platte von einem Berklee-Absolventen nicht unbedingt erwarten würde…”
FH-E: “Irgendwann sind wir dort als Studenten an einem Punkt angelangt, an dem uns dieser ganze Jazz schon so auf die Nerven gegangen ist. 200 Saxophonisten und 1200 Gitarristen eben, die alle nur dasselbe machen wollen. Das ist uns irgendwann einfach zu eng geworden. Es gibt so viele Musikrichtungen mittlerweile, so viele andere Kunstrichtungen – es gibt überhaupt so viele normale Menschen (lacht). Das ist eben eine sehr künstliche Szene in Berklee, du beschäftigst dich einfach rund um die Uhr mit Musik. Da ist es für uns zum Ritual geworden, uns jede Woche zu einer Improvisationsorgie zu treffen, das Licht abzudrehen und vier Stunden durch zu spielen. Im Nachhinein tut es mir fast leid, dass wir diese CD veröffentlicht haben, weil dieser Tonträger einfach niemals in der Lage ist, das gesamte Spektrum, das sich während dieser Zeit entwickelt hat, zu dokumentieren.”
MG: “Wobei schon ersichtlich wird, wie ihr an die Dinge herangeht – und wodurch sich diese Musik auch von vielem unterscheidet, was einem sonst unterkommt…”
FH-E: “Ja, das denke ich auch, aber das ist ja in Wien zum Beispiel auch sehr verbreitet, einfach drauflos zu improvisieren, meine ich. Obwohl das hier vom äthetischen her irgendwie anders ist, weniger organisch vielleicht. Wir hatten mit Bim Clatox immer irgenwie Eindrücke aus der Natur unserer jeweiligen Heimat vor Augen, das war schon fast irgendwie folkloristisch könnte man sagen. In Wien ist natürlich alles irgendwie hektischer. Es gibt hier zwar sehr viel Energie, aber die wird oft auch zuwenig gebündelt und nur einfach so in den Raum geschmissen. Dadurch dass es so viele Auftrittsmöglichkeiten gibt, verliert sich vielleicht auch das Bewusstsein, dass es ein totales Privileg ist, Musik machen zu dürfen. Überhaupt bei Musik, die fernab jeder Stilistik und einfach ehrlich und neu ist.”
MG: “Du studierst ja augenblicklich in Paris, welche Erfahrungen hast du mit der dortigen Szene gemacht?”
FH-E: “Immer wenn du eine Geschichte hast, eine lange Tradition, ist dir diese irgendwann im Weg. Und diese Tradition ist dem Jazz in Paris im Weg, oder der improvisierten Musik. Es gibt eben eine so starke Jazz-Tradition dort, das ist einfach akademisiert. In Paris können die Musiker bestimmt mehr Standards spielen als in Wien, aber sind gleichzeitig auch weniger kreativ. Und da ich mich ja nicht in erster Linie als Jazz-Musiker sehe, ist mir die Szene in Wien schon sympathischer. Hier verschwinden die Grenzen zwischen Klassik, Neuer Musik und Jazz einfach viel mehr.”
MG: “Du arbeitest derzeit auch an einem Projekt mit Matija Schellander und Nick Hummer, kannst du da kurz etwas darüber erzählen?”
FH-E: “Dafür interessiere ich mich im Moment eigentlich am meisten, weil das mit Jazz eigentlich nichts zu tun hat. Es handelt sich um ein elektro-akustisches Projekt, mit dem wir einfach Klangräume bauen. Ich war einfach auf der Suche nach einem Ensemble, mit dem ich alle Parameter – Melodie, Rhythmus, Harmonie – völlig uber Bord werfen und Klang und Form als das einzig Wichtige sehen kann. Das was Musik letztendlich ausmacht, ist ja Spannung und Entspannung. Und das muss man ja nicht unbedingt in Harmonie oder Rhythmus finden, sondern eben auch einfach nur im Klang, in Übergängen und Strukturen. Wir versuchen, sowohl musikalische als auch technische Aspekte zu berücksichtigen, also den gesamten Raum zu nutzen oder akustische und elektronische möglichst zum Verschmelzen zu bringen. Wobei es eher so ist, dass Matija und ich musikalisch agieren und Nick uns bearbeitet. Grundsätzlich geht es aber darum, dass die Musik aus einem demokratischen Prozess heraus entsteht. Deswegen mag ich auch die Idee von einem Projekt zum Beispiel überhaupt nicht. Jeder Jazz-Musiker hat Projekte, was aber im Endeffekt nur heißt, das er keine Leute findet, mit denen er zusammenpasst und deshalb versucht, künstliche Projekte entstehen zu lassen, für eine Tour oder eine CD-Aufnahme.”
MG: “Du hattest aber selbst bereits relativ viele Projkete wenn man sich deine Stationen so ansieht, von Bim Clatox bis hin zu der Band Kleinod mit Martin Eberle, Matthias Pichler und Lukas König, mit der du augenblicklich am Proben bist…”
FH-E: “Ja, das stimmt, und das bereue ich auch irgendwie. Manchmal muss man eben Erfahrungen machen, bevor man auf etwas draufkommt. Ich hab” aber beschlossen, nie wieder kurzfristig zu denken in der Musik. Ich werde zum Beispiel nie wieder eine Band zusammenstellen für eine Tour, die eine Woche lang dauert oder Kompromisse eingehen, nur um die Tour nicht absagen zu müssen.Es ist natürlich sehr schwierig, den Spagat zu schaffen, zwischen der Freude am Musikmachen einerseits und diese Tätigkeit auch beruflich auszuüben andererseits, also zwischen Kreativität und Funktion eben. Ich werden vielleicht nie so viele Gigs spielen wie andere, aber diese dafür mit umso mehr Begeisterung.”
MG: “Viele beschweren sich ja immer wieder darüber, dass bei zuviel verschiedenen Aktivitaten irgendwann keine Energie mehr zur Umsetzung der eigenen Ideen übrig bleibt, was meinst du dazu?”
FH-E: “Das stimmt natürlich schon, aber andererseits gibt es viele, die meinen, dass es naiv ist, so zu denken. Die Musik wirklich ernst zu nehmen, davon hast du auch nichts. In Wirklichkeit wird sich kein Mensch für deine Musik interessieren, wenn du einmal tot bist, weil es eben Tausende andere gibt, die auch Musik machen. Ich versuche eben Musik zu machen, die in mir ein bestimmtes Gefühl hervorruft. Und wenn ich dabei einen Kompromiss eingehen muss, dann funktioniert das nicht. Da schaffe ich es auch nicht, die erforderliche Energie dafür aufzubringen. Deshalb war ich auch noch nie ein Sideman für irgendetwas. Womit ich manchmal ein Problem habe, ist dass ich eben so viele Sachen gleichzeitig mache, auch bei den Instrumenten. Ich habe eine Zeit lang Gitarre gespielt, ein wenig Klavier auch, zwischendurch Bassklarinette und Klarinette, im Moment arbeite ich mit einem Synthesizer und experimentiere mit elektronischer Musik. Ich würde auch gerne Tenorsaxophon spielen, weil mir das tiefe Register oftmals abgeht.
Musik ist ja eigentlich etwas Abstraktes, deshalb ist es auch nicht mein Ziel, mich am Saxophon zur Perfektion zu steigern. Ich versuche vielmehr, die Musik wirklich in meinen Kopf zu bekommen und dann egal mit welchem Instrument zu reproduzieren. Dafür sind natürlich bestimmte Fertigkeiten notwendig, aber die kann man sein ganzes Leben lang erlernen, das ist reine Übungssache. Beim kreativen Aspekt der Arbeit muss handelt es sich eher um einen intellektuellen Prozess, da muss man sich schon irgendetwas überlegen.”
MG: “Handelt es sich deiner Meinung nach nicht auch um einen organischen Prozess, der scheint ja bei der Herangehensweise von Bim Clatox beispielsweise im Mittelpunkt gestanden zu sein?”
FH-E: “Ja und Nein. Intellektuell wird es ja bereits dann, wenn du beginst, über Formen nachzudenken. Die Frage, warum eine Melodie logisch klingt zum Beispiel. Weil sie sich irgendwie aus einem A- und einem B-Teil zusammensetzt vielleicht. Aber der organische Aspekt ist sicher auch immer vertreten, weil man mit einer bestimmten Melodie wieder eine bestimmte From assoziiert, oder eine Farbe, ein Gefühl. Das Problem besteht darin, dass viele erst von der Technik zur Musik kommen. Oder eigentlich ist es in unserem Bildungssystem ja so, dass sie von der Musik, die sie vielleicht in ihrem Kopf hören, zuerst zur Technik kommen und von dort zu einer ganz anderen Musik, als der abstrakten Idee davon , die sie ursprünglich im Kopf hatten. Viele kommen ja mit einer bestimmten Vorstellung von Musik in die Musikschule und hören dann vom Lehrer, dass sie sich zuallererst einmal mit dem Fingersatz beschäftigen müssen. Danach kommt dann die Etüde und irgendwann vergisst der Schüler ganz einfach, was er ursprünglich wollte. Nur dann ist es meistens schon zu spät. Oft auch deshalb, weil der Frust so groß ist, das die dann aufhören.”
MG: “Sprichst du da aus eigener Erfahrung?”
FH-E: “Diese Erfahrungen habe ich schon auch gemacht. Ich habe sehr viel technisch und mechanisch erlernt. Irgendwann war bei mir der Punkt erreicht, an dem ich den Entschluss gefasst habe, mich bei meiner Musik nicht von meinem Instrument abhängig zu machen, weil einem das im Denken auch sehr einschränkt. Man merkt ja zum Beislpiel auch an Kompositionen oft, ob das jetzt von einem Pianisten oder Saxophonisten stammt, weil die entweder sehr viel mit Harmonien oder komplizierten Melodien arbeiten. Davon muss man sich halt irgendwie wegentwickeln, finde ich, weil Musik, für mich zumindest einfach als etwas Abstraktes existiert – unabhängig von den Instrumenten.”