mica-Interview mit Eva Jantschitsch

Ein Liederabend zum Thema Faust? Klänge nach einem schlechten Scherz, würde nicht Eva Jantschitsch alias „Gustav“ ihn bestreiten. „Auf eigene Faust“ heißt er und eine Suche nach Erkenntnis soll es werden. Ein Gespräch über Momente des Entsetzens, menschliche Tragik und warum sich der Markt ins Fäustchen lacht. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Die Zeiten sind absurd

Gustav nimmt sich den Faust vor. „Unterhaltungsmusik zur Suche nach Erkenntnis“ heißt ein Abend im Auftrag der Freunde der Salzburger Festspiele am 10. August, 20.00 Uhr (republic), für den sie neue Songs komponierte. Das mica fragte nach.

Ich gehe davon aus, dass der Titel „Unterhaltungsmusik zur Suche nach Erkenntnis“ von Dir stammt. Oder ist er unfreiwillig komisch?
(lacht) Nein, der ist von mir.

Hast Du vor diesem Kompositionsauftrag schon Berührungspunkte mit Faust gehabt – jetzt einmal abgesehen von Erlebnissen in der Mittelschule?
Eigentlich nicht. Ich ging sogar in eine so schlechte Mittelschule, dass wir Faust selbst dort nicht durchgenommen haben. Insofern war das jetzt tatsächlich meine erste Berührung mit dem Faust-Material an sich.

Und wie war´s?
Erfrischend. Überraschend zugänglich, auch sprachlich, wenn wir vom ersten Teil sprechen. Der zweite ist ja ohne wirklich gute humanistische Ausbildung nur sehr schwer verständlich und wirkt auf mich eher wie eine Art Drogenrausch im Kopf. Aber vom ersten Teil kann man sich viel mitnehmen.

Der Mensch, der in seiner Lebensmitte merkt, dass er unfähig ist, das Leben zu genießen, ist doch etwas, das in unserer Zeit und Generation omnipräsent ist, oder?
Durchaus. Das kann man so sagen.

Oder war es mehr das ungehemmte Streben nach Macht, das einen in den Abgrund reißt, das Dich daran fesselte?
Nein, mich hat gar nicht so die politische Dimension des Stückes interessiert, sondern primär dieser Moment des Entsetzens. Dieser Moment, in dem man sich fragt: Wo stehe ich, was will ich vom Leben? Was mache ich jetzt? Wie kann ich den letzten Rest noch retten? Dieser Moment, in dem man dem nicht gelebten Leben ins Antlitz schaut und darüber verzweifelt.

Wie schaffst Du es, dieses Gefühl des inneren Zerbrechens und des Entsetzens darüber zu vermitteln?
Das Gute ist ja, dass ich textlich und musikalisch arbeiten kann. Wenn der Text diese Fragen aufwirft, versucht die Musik diese Fragen zu tragen, genau dort einzusteigen. Die knappste Antwort auf Deine Frage wäre aber: Poetisch.

Wie kann man sich den Liederabend, den Du geben wirst, vorstellen? Wirst Du durchwegs neues Material singen oder auch vorhandenes Liedgut von Deinen beiden Alben neu interpretieren?
Es wird kein bestehendes Gustav-Material zu hören geben, so weit ich das jetzt, nachdem circa 70% des Abends fertig sind, sagen kann. Es sind ganz neue Nummern dabei, ich habe aber auch zwei, drei bestehende Skizzen adaptiert. In der Form, wie es im August über die Bühne gehen wird, hat man das live noch nie gehört.

Patti Smith hat unlängst, als man sie darauf ansprach, ob es denn nicht merkwürdig sei, dass eine alte Punkerin wie sie im Burgtheater auftrete, gemeint, solch einen Ort zu erobern, sei Punk schlechthin. Du bist jemand, der politischen Pop macht und stets die Konfrontation sucht. Wie würdest Du Dein Verhältnis zu den Salzburger Festspielen beschreiben? Ist das Punk, dass Du dort auftrittst?

Dass Salzburg eine konservative Stadt, ist, weiß man. Der Schock, wenn ich dort hinkomme, wird also ausbleiben. Und dass die Salzburger noch um einiges verdrehter sind als das Publikum andernorts ist mir auch bewusst. Diese Konfrontationen mit überdrehten, überspitzten Zuständen finde ich aber sehr interessant. Noch vor weinigen Jahren hätte ich das nicht gemacht, weil es mir zu heftig gewesen wäre. Heute ist spannend der Begriff, der das, was ich dabei empfinde, am besten beschreibt.

Ist diese Konfrontation herauszufordern die eigentliche Herausforderung?
Ich werde nicht als Revoluzzerin auftreten und das System stürzen wollen, aber vielleicht wird eine schöne Reibung entstehen. Ich finde es einfach spannend, im Rahmen solch einer Veranstaltung aufzutreten und ein anderes Publikum zu erreichen. Ich habe überhaupt keine Grabenängste.

Man braucht sich aber auch keine Sorgen zu machen, dass Du fortan nur noch in den geweihten Hallen der ernsten Kunst auftreten wirst und dem Pop-Publikum abhanden kommst?
(lacht) Nein, dazu gibt es zu wenig Geld.

Du hast einmal davon gesprochen, ein Ambient-Album machen zu wollen, um dem ständigen Texten zu entgehen, weil man sich, so sagtest Du damals, mit dem Texten letztlich auch oft selbst im Wege stehe. Gibt Dir die Theaterarbeit die Möglichkeit, zu Entspannung von diesem Textzwang?
Im Prinzip ist es das, obwohl die Entspannung dann doch nicht eintritt, weil auch diese Arbeit ungemein anstrengend ist. Aber angenehm ist es deshalb, weil eben schon Textvorlagen da sind, wobei ich meistens, wenn ich für Theaterkomposition gebucht werde, auch als Songschreiberin fungieren soll, meine textlichen Fähigkeiten also auch gern gesehen sind, sodass ich bis jetzt immer auch ein par Lieder dazu geschrieben habe. In meiner Sprache freilich. Was mich aber nicht daran hindert, aus den vorhandenen Texten Fragmente zu nehmen und sie textlich zu nutzen, den vorhandenen Text sozusagen als Steinbruch zu verwenden.

Schorsch Kamerun hat das Theater einmal als den einzigen Raum bezeichnet, in dem man als Künstler noch frei von den Vereinnahmung durch die Verwertungsmaschinerie agieren könne. Siehst Du das auch so?
Ja. Durchaus. Als Regisseur oder Musiker ist man nicht verpflichtet, die Hallen zu füllen. Und man ist nicht dafür verantwortlich, dass dem ganzen Team seine Arbeit bezahlt wird. Meine Arbeit muss sich aus meiner Sicht also nicht tragen, ich bin aus dem Werk heraus niemandem verpflichtet. Das ist eine geradezu unglaubliche Freiheit, die ich mir selbst als Gustav nur teilweise erlauben kann. Sobald andere Leute mit dran hängen wird es schwierig. Insofern kann ich das, was Schorsch sagte, nur unterschreiben.

Ist es nicht auch ein wenig absurd, dass man sich als Punk-, Rock- oder Popmusiker in den vom Staat geschützten Bereich begeben muss, weil die autonomen Zonen von einst schlichtweg abhanden gekommen ist?
Vielleicht, aber die Zeiten sind absurd. Ich bin mit dem Ideal aufgewachsen, dass Künstler ein selbständiges autonomes Leben führen. Aber als ich die Ich-AG dann lebte, habe ich schnell gemerkt, dass man auf diese Weise genau das liefert, was der freie Markt von dir verlangt: Absolute Eigenständigkeit, absolute Unabhängigkeit, aber wenn du fällst, dann fällst du wirklich. Dann bist du nicht abgesichert, und kein soziales Netz fängt dich auf. Und der neoliberale Markt lacht sich ins Fäustchen, weil mittlerweile alles durchdrungen ist von diesem System. Und da erkennt man als Künstler, dass diese altehrwürdigen Bastionen nicht so schlecht sind. Insofern ist diese Erkenntnis weniger absurd als vielmehr aus logischer Analyse der Situation gewonnen.

Womit wir wieder beim Erkenntnisgewinn angelangt wären, um den es in Fausts Leben ganz zentral geht und dem er alles unterordnet. Wie sieht das privat bei Dir aus? Was ordnest Du der künstlerischen Erkenntnis unter? Ertappst Du Dich manchmal dabei, Dinge für den Erfolg über Bord zu werfen?
Klar, die Prioritäten ändern sich. Man bleibt ja auch nicht derselbe Mensch. Ich fälle heute künstlerische Entscheidungen, die ich vor fünf Jahren noch anders getroffen hätte – auch aus wirtschaftlichem Druck.

Wird man so angreifbarer?
Nein, pragmatischer. Aber ich empfinde das auch gar nicht als negative Entwicklung, sondern einfach als Erweiterung meines Spektrums. Ich habe zum Beispiel früh mit Theaterarbeit begonnen und empfinde es heute als eine so große Bereicherung, dass ich sie nicht mehr wegdenken will. Ich wachse an diesen Herausforderungen. Wenn man sich diesen Herausforderungen entzieht, wird es einem bald einmal langweilig.

„Abgesang“, die erste Nummer deines letzten Albums „Verlass die Stadt“, ist ein Lied über Denkflucht, das auf die damalige blau-schwarze Regierung gemünzt war. Georg Friedrich Haas´ Stück „In Vain“, das heuer bei den Festspielen aufgeführt wird, handelt vom beklemmenden Gefühl der politischen Wiederkehr. Sein Ausgangspunkt dafür war ebenfalls die blau-schwarze Regierungsbildung. Zwei Künstler, die politische Betroffenheit als Ausgangspunkt wählten als Protagonisten eines eigentlich sehr unpolitischen Festivals – ist das nicht merkwürdig?
Ich kenne seine Arbeit nicht, aber so überraschend finde ich es nicht. Dieser Moment hat viele politisch sozialisiert. Für mich und meine Generation war die Wende damals ungemein bildend. Da kam dann auch noch 9/11 dazu und die daraus resultierende international elektrifizierende Stimmung. Klar, dass das Leute befruchtet und Künstler beschäftigt hat, vor allem, weil es Entwicklungen waren, deren Auswirkungen gesellschaftspolitisch erst jetzt zu spüren sind. Insofern finde ich diese Parallele überhaupt nicht überraschend.

Sind die Feindbilder denn die gleichen geblieben?
Es sind die selben wie vor zehn Jahren, nur gehen sie heute offensiver vor. Vielleicht ist die Bösartigkeit durch die Dreistheit, mit der sie operieren, nicht mehr in der Schärfe erkennbar, aber die Bösen sind schon die Bösen geblieben.

Fordert einen das als Künstler heraus, selbst direkter und vielleicht sogar dreist zu werden?

Ich habe keine Ahnung, was das bewirkt. Vielleicht wird man auch milder, müder und nachgiebiger, weil man die menschliche Tragik dahinter besser erkennt.

Gustavs Auftritt bei den Salzburger Festspielen wird für den Film „Oh Yeah, She performs“ mitgeschnitten, eine Doku von Mirjam Unger (Kamera: Eva Testor) über eine neue Generation von Performerinnen, die in Zeiten des Wandels selbstbewusst auftritt, mit eigener Musik und kritischen Texten. Fertigstellung: voraussichtlich Frühjahr 2012.

 

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http://www.salzburgerfestspiele.at