mica-Interview mit Electric Indigo

“Nur leise geht nicht!” – Die Wiener DJane, Label-Betreiberin und Aktivistin Electric Indigo aka Susanne Kirchmayr über das ewige Lautstärkenproblem, das Finden von Peergroups und die zentralasiatische Provinz. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Bei der parlamentarischen Enquete geht es um Zukunftsperspektiven der Musik und Musikwirtschaft. Wo kann man Deiner Ansicht nach ansetzen?
In jedem Fall könnte man die Gewichtung umschichten von klassischer Komposition und der Förderung, die es dafür gibt, hin zu einer größeren Wertschätzung für alternative Arten des Musikmachens und der diesbezüglichen Strukturen. Dazu zählen für mich vor allem die Freiräume, in denen neue Entwicklungen passieren können, was natürlich schwer planbar und auch nicht vermittelbar ist. Aber auch wenn man das schlecht lenken kann, denke ich, dass es schon Möglichkeiten gäbe, die Rahmenbedingungen so günstig zu gestalten, dass neue wilde Sachen passieren können. Da gilt es zuallererst ein Konglomerat von Probe- und Partyräumen zu schaffen. Für mich hängt Innovation immer stark mit Parties zusammen, weil dort einfach viel ausprobiert wird. In Wien oder generell in Österreich gibt es aber immer ein starkes Lärmproblem. Das ist die größte Hürde. Die Frage ist, inwiefern man es politisch steuern kann, dass die Nachbarn entspannter sind und sich nicht bei jeder Regung gleich aufregen.

Ist das auch eine Mentalitätsfrage? In anderen Ländern scheint es ja besser zu funktionieren…
Vielleicht. Es hat aber sicher auch mit der Entwicklung und der Geschichte eines Landes zu tun.

Ist nicht schon fraglich, ob überhaupt ein breiter Konsens darüber besteht, dass man diesen “Lärm” will oder ob das nur Leute wie Dich und mich interessiert?
Ich denke, dass es einfach notwendig ist, diese Freiräume zu haben, um sich zu entwickeln. Dass es jetzt nach ein paar Jahrzehnten ein paar erfolgreiche Frauen im Musikbusiness gibt, ist ja eh erfreulich, aber vergleich das mal mit der kanadischen Szene, wo die Bevölkerung ähnlich dünn gesät ist wie bei uns und dennoch so unglaublich viel Talent raus kommt. Das kann nur mit einer anderen, ungleich tieferen Verwurzelung von Musik in der Bevölkerung und einer traditionell starken Live-Szene zusammen hängen. Und spielen kannst Du nur, wenn du auch Sound machst. Leise geht das nicht. Ich glaube auch nicht, dass die breite Masse wirklich nur wohldosierte Musik in geschlossenen Konzertsälen haben will. Ich denke mir, dass hier einiges an Imagearbeit zu leisten ist, Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden müssen etc. Was es schon gibt, was aber noch ausbaufähig ist – das fände ich als Anregung sehr wichtig – wären auch Arbeitsstipendien für MusikerInnen, die nicht die herkömmlichen Kompositionskriterien erfüllen, sprich: keine Partituren schreiben, sondern alternative elektronische Methoden einsetzten. Die diesbezügliche Förderung ist stark ausbaufähig.

Das hat doch auch mit Bewusstseinsbildung zu tun…
Ganz sicher. Es gibt schon Tendenzen, die in diese Richtung gehen. Wir sind diesbezüglich nicht total isoliert. Vielleicht sind andere Länder auch voraus, aber die Forderung ist alles andere als abwegig.

Du bist sehr viel unterwegs. Wo würdest Du im internationalen Vergleich Österreich verorten, was die musikwirtschaftlichen Strukturen anbelangt: Weit hinten, weit vorne, im Mittelfeld?
Schwierige Frage, da ich die Gegebenheiten der Länder, in denen ich mich aufhalte, meist nicht im Detail kenne. Was ich aber weiß ist, dass es hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern relativ einfach ist, eine Förderung für ein bestimmtes Projekt zu bekommen. Da haben es etwa die Deutschen viel, viel schwerer. Ich habe aber keine Ahnung, wie das in Spanien, Italien und Frankreich so ist. Wo wir sicher nicht gut positioniert sind, ist bei Clubs, die guten, lauten, fetten Sound haben. Wie gesagt: Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Da gibt es immer den einen Nachbarn, der sich aufregt und dann auch die Handhabe hat, alles zu unterbinden. Es braucht sich nur ein einziger Mensch in der näheren Umgebung gestört fühlen und das ganze Ding wird abgesägt. Aber ohne solche Plätze, an denen Leute Musik und im Bedarf auch gute und laute Musik hören können, entwickelt sich eine Szene sicher nicht weiter.

Andererseits hat der politisch verordnete Klub aber doch auch noch nie funktioniert. Oder anders gefragt: Würde es funktionieren, wenn die Politik einen Ort, an dem das Anrainerproblem vorher abgeklärt wurde, vorschlägt?
Das kann ich nicht sagen. Die Kooperation mit der Politik aber ist generell unerlässlich. Das Flex ist der einzige Club, in dem das dauerhaft gut funktioniert und das Flex hat sehr wohl einen guten Draht zur Politik. Das würde ohne ein gewisses Wohlwollen seitens der Stadtverwaltung gar nicht gehen. Kontakte sind gefragt. Nur squatten und darauf hoffen, dass die Politik wegschaut, funktioniert nicht. Selbst in der Arena gab es Unterstützung. Ohne Unterstützung geht es gar nicht, Freiräume zu schaffen. Natürlich kann der Staat nicht – da geb´ ich Dir schon Recht – von oben zwanzig Clubs verordnen. Es ist jedenfalls nicht so, dass es keine Leute gäbe, die so etwas auf die Beine stellen. Nur haben es diese Leute hierzulande enorm schwer.

Als Musikschaffender steht einem in Österreich nur ein sehr kleiner Markt als Spielwiese zur Verfügung, von dem alleine man in den seltensten Fällen leben kann. Wie kommt man zu den anderen Märkten und welche Möglichkeiten der Vernetzung gibt es?
Das gilt nicht nur für ÖsterreicherInnen: Gerade wenn man den Underground bedient, kann man von Tonträgerverbreitung, -verkauf kaum leben. Was es dann eher ausmacht, sind die Auftrittsmöglichkeiten und da wären wir dann schon wieder beim Thema. Man braucht eben auch Orte, an denen die eigene Musik aufgeführt werden kann. Vernetzungen ergeben sich: Da gibt es einerseits Web 2.0, MySpace und dergleichen mehr, aber es gibt auch noch die traditionellen Formen der Festivals und Parties, wo sich Künstlerinnen kennen lernen, gemeinsam spielen und sich uU auch Kooperationen entwickeln. Etwa das Sonar Festival.

Aber um gerade dort zu spielen, brauche ich eine gewisse Bekanntheit. Da müssen doch vorher schon einige Dinge ineinander gegriffen haben.
Ich muss ja nicht unbedingt gleich als Künstler dorthin geladen sein. Es geht ja auch als normaler Besucher.

Mich interessiert, wie man an die Spielstätten außerhalb Österreich herankommt, da es hierzulande nicht allzu viele davon gibt. Da benötige ich doch Medien, Promotion, Label- und/oder Verlagsarbeit oder im besten Fall alles zusammen. Machst Du das alles selbst?
Ich mach nicht alles selbst, ich habe eine Booking-Agentur in Berlin. Meine Erfahrung ist aber, dass wenn man nicht die Möglichkeit hat, über die Medien fett inszeniert zu werden Werbeplakate und -jingles zu bezahlen, was wohl auf die Mehrheit von uns Muskschaffenden zutrifft, dann läuft das tatsächlich nur über persönliche Kontakte und Treffen, wie ich mir einen Auftritt checke. Präsenz an den richtigen Stellen und Gelegenheiten ist der Schlüssel zu vielen Dingen. Seine Peergroup zu kennen und zu finden.

 

 

Du hast Dein eigenes Label, betreibst mit female pressure eine Plattform, organisierst Dich weitgehend  – einmal abgesehen vom Booking – selbst. Woher beziehst Du Dein Wissen, um Deine Musik bestmöglich zu transportieren?
Wie du deine Musik am besten transportierst, die Kontakte herstellst, ist mir ganz gut vorexerziert worden. Ob und wenn ja inwiefern man das jetzt auf die heutige Situation übertragen kann, ist wieder die andere Frage. Aber das Plattengeschäft in Berlin, wo ich lange gearbeitet habe, Hardwax, war ein zentraler Knotenpunkt, von wo aus viel Information verbreitet wurde. Diese zentralen Knotenpunkte wird es wahrscheinlich immer und überall geben, weil sich die Leute, die ein bestimmtes Interesse teilen, immer irgendwie über den Weg laufen.

Was hat sich aus der Sicht Musikschaffenden verändert? Ist es für Frauen leichter geworden?
Naja, DJanes werden in unseren Breitengraden nicht mehr als Exotinnen betrachtet. Das ist relativ normal geworden. Das heißt, den Leute fällt jetzt  nicht mehr automatisch die Kinnlade runter, weil ein Mädchen hinter den Turntables steht. Das ist aber auch schon das einzige, was sich zum Positiven verändert hätte. Ja, und vielleicht, dass die Aufmerksamkeit seitens Politik und Industrie größer geworden ist. Dort hat man entdeckt, dass es ein gutes Image gibt, wenn man unterstützt, dass sich Frauen organisieren. Aber nach wie vor treten auf großen Festivals kaum Frauen auf. Dieses Verhältnis hat sich nicht gebessert.

Im Bandkontext ist das doch sicher noch einmal schwieriger als bei DJs…
Kann sein. Da kenn ich mich nicht aus. Was ich aber ohne Bedenken in den Raum stellen kann ist, dass es viel mehr aktive Frauen gibt als man gemeinhin annimmt.

Woran liegt das? Daran, dass der First Step so schwierig ist?
Nicht nur. Es ist offenbar auch der Last Step schwierig. Die weiblichen DJs halten sich auch nicht so lange wie ihre männlichen Kollegen. Da gibt es vielleicht die Miss Kititin. In den USA eine Frau namens Rap, die dort funktoniert, hier aber nicht, Ellen Alien – und das war´s dann auch schon. Natürlich ist das mehr als vor fünfzehn Jahren, aber doch wohl trotzdem nicht viel. So bombenfest wie ein Sven Väth, der seit Jahrzehnten immer as Gleiche abzieht und immer gleich funktioniert, sitzt keine Frau im Sattel. Da kann man nicht sagen, dass nur der erste Schritt schwierig wäre, sondern offensichtlich geht es auch nicht ganz einfach weiter, wenn man durchschlagenden und nachhaltigen Erfolg haben möchte.

Bei Jungs funktioniert es doch ganz anders: Da feiert man eine Woche Party und klopft sich gegenseitig auf die Schulter, bestärkt und bekräftigt sich. Das ist etwas, was ich wahnsinnig oft wahrgenommen habe. Das ist ein System, das es mit Frauen ansatzweise auch gibt, insgesamt aber anders funktioniert. Den meisten Frauen kommt das zu unseriös vor, die nächststärkste rauszusuchen, ihr auf die Schulter zu klopfen, und damit eigentlich nichts anderes zu tun als die eigene Position zu festigen. Das ist ein Mechanismus,  der unter Männern, nicht aber unter Frauen stark verbreitet ist.

Und wahrscheinlich schwer zu unterbinden ist.
Ich will das ja auch gar nicht unterbinden, es ist mir aber einfach zu blöd. Ich kann da nicht stumpfsinnig mitmachen.

Zu etwas ganz Anderem: Du reist sehr viel und hast eine Vorliebe für Sibirien?
Ja, aber eigentlich für Zentralasien im Allgemeinen.

Wie sieht dort die musikwirtschaftliche Struktur aus?
Da gibt es Clubs und alles.

Eine funktionierende Szene?
Ja, klar. So gut funktionierend wie ein Camera-Club in Wien auch. Natürlich gibt es da Unterschiede. In Irkutsk gibt es eine sehr aktive Szene, woanders vielleicht weniger. Junge Leute, die gerne ausgehen, gibt es überall. An Infrastruktur fehlt freilich einiges, aber das Internet hat viel wettgemacht. Eine Hand voll Leute, die elektronische Musik macht und kein großes Geheimnis daraus macht, gibt es auch.
Der Austausch funktioniert.

Wenn man in eine so fremde Welt eintaucht, verändert das die Sichtweise auf die hiesigen Gegebenheiten, indem es relativiert oder einen gewisse Dinge differenzierter betrachten lässt?
Auf jeden Fall. Was ich mich oft frage ist, warum selbst in Kutaissi in Georgien die Anlage hundert Mal besser als in einem durchschnittlichen Club für elektronische Musik in Wien ist. Es ist keineswegs so, dass ich da das Gefühl habe, wir wären besonders weit voraus. Vielleicht in Berlin und in München, weil ein Clubleben dort lange kultiviert wurde. Aber Wien kann in manchen Belangen nicht einmal mit einer Provinzstadt in Georgien oder anderen weit entfernten zentralasiatischen Teilrepubliken mithalten.

Woran liegt das?
Das liegt einerseits sicher daran, dass es nicht oberste Prorität hat, in den Sound zu investieren. En hervorragendes Beispiel bietet die Passage: Die wurde mit der alten Anlage aus der Meierei aufgemacht, während in den Design-Umbau Millionen investiert wurden. Das bedeutet doch, dass weder den Betreibern noch dem Publikum – sonst wäre die Location ja leer – etwas daran liegt, guten Sound zu liefern. Ein anderes Beispiel ist das Elektro Gönner, deren Betreiber ich gut kenne. Denen sind sie wegen der Lautstärke so aufs Dach gestiegen, dass es widersinnig wäre, in eine neue Anlage zu investieren. Da wurde behördlich auf Zimmerlautstärke runterplombiert. Womit wir wieder beim Thema wären: Dort ist es wie meist nur ein Nachbar, der sich regelmäßig aufregt. Da wird dann ein ums andere Mal behördlich nachgemessen, um jedes Mal festzustellen, dass sich eh alles im erlaubten Rahmen bewegt. In Wahrheit ist es auch eine Frage, ob man sich eine zusätzliche Arbeitskraft leistet, die sich um die Wartung einer wirklich guten Anlage kümmert. Aber vielleicht sind in Georgien ja auch einfach die Arbeitskräfte billiger….

Vielen Dank für das Gespräch.

Fotos Electric Indigo: Bernd Preiml

 

 

 

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