Mit der fünften Austragung von sound:frame bildete Wien einmal mehr den stark wahrgenommenen Schauplatz für die Visualisierung von Musik. Dabei setzt vor allem departure, die Kreativagentur der Stadt Wien, auf den jungen Kreativzweig mit Zukunftspotential und internationaler Reputation. sound:frame Macherin Eva Fischer und departure Chef Christoph Thun-Hohenstein im Gespräch mit Johannes Luxner über das Gesamtkunstwerk Visuals, den Faktor Musik und Wien als Standort.
„Es ist eine neue Form angewandter Kunst“
departure und sound:frame sind in den vergangenen Jahren sehr stark zusammengewachsen. Warum herrscht hier solche Harmonie?
Christoph Thun-Hohenstein: Wir passen wunderbar zueinander, weil sowohl departure als auch sound:frame an Innovationen interessiert sind. sound:frame ist mit Sicherheit eines der innovativsten Festivals in Wien und ist auch weit über die Grenzen Österreichs bekannt.
Wie äußert sich diese Wahrnehmung außerhalb Österreichs im konkreten?
Eva Fischer: Wir haben mit sound:frame viel mit den Botschaften zu tun. Aber auch mit diversen Kulturforen, wie jenem in New York, wo ich bereits 2009 mit einer Ausstellung vertreten war. Oder im letzten Jahr bei der Expo in Shanghai – da sind wir im Österreich Pavillon aufgetreten. Und eben war ich auf Einladung der WKO in Mailand. Bereits nächstes Wochenende geht’s nach Melbourne – eine Einladung des dortigen Symphonie Orchesters. Hier ist vor allem Wien Tourismus involviert. Und nach Melbourne geht’s dann mit Visualisten und Musikern weiter nach Moskau. Dort bespielen wir die Eröffnungsfeierlichkeiten einer Ausstellung die gemeinsam mit dem MAK kuratiert wurde.
Stichwort Wien Tourismus: Bei den vielen Gastspielen im Ausland geht es auch um die Stärkung des Standorts Wien. Welche Botschaft wird nach außen getragen?
ChThH: In meiner Wahrnehmung ist die Visualisierung von Musik und anderen künstlerischen Errungenschaften, wie etwa Literatur, eine neue Möglichkeit, Kunst zu machen. Man kann sogar sagen, es ist eine neue Form angewandter Kunst. Denn die Visualisierung steht nicht für sich allein, sie ist mit einem gewissen Zweck verbunden. So wie sound:frame funktioniert, ist es die Verbindung mit Musik. Es geht darum, diese Möglichkeiten zu nutzen. Vor allem in einer Stadt – und jetzt nehme ich ein gefährliches Wort in den Mund – die sich immer wieder mit dem Thema Gesamtkunstwerk auseinandergesetzt hat: Wien um 1900. Sich mit diesen Möglichkeiten zu befassen steht dieser Stadt gut an. Natürlich solange man das Gefühl hat, dass die Qualität vorhanden ist – Qualität in dem Sinn, dass sich immer mehr tut und davon auch immer mehr spannende Leute angezogen werden. Und dieses Qualitäts-Gefühl ist angesichts der Entwicklungen der vergangenen Jahre zu Recht präsent. Ich vergleiche es auch gern mit einem Kreativlabor, das immer breitere Kreise zieht. Kurze Antwort auf die Frage: Hier gibt es ein gewaltiges Potenzial und wenn die Qualität stimmt, kann man viel Interessantes daraus machen.
Das internationale Wien-Bild zehrt immer noch von kreativen Großtaten der vergangenen Jahrhunderte. Ist dieses museale Klischee-Bild ein Vor- oder ein Nachteil, wenn es für etwas Zeitgeistiges wie sound:frame um Aufmerksamkeit im Ausland geht? Erfahrungsgemäß scheinen bestimmte Dinge in den Köpfen sehr zementiert zu sein.
EF: Natürlich ist in Wien vieles zementiert – doch es gibt genauso sehr viele weiße Flecken.
ChThH: Ich hätte das so jetzt gar nicht miteinander in Verbindung gebracht. In der Kunst stellt sich immer die Frage: Welche Möglichkeiten gibt es? Das ist stark an neue Technologien geknüpft. Und es ist auch das Bedürfnis da, sich in diesen neuen Möglichkeiten auszudrücken. Der ganze historische „Ballast“ spielt hier keine so große Rolle. Aber es ist vielleicht ein Element der internationalen Wahrnehmung. Es ist für mich keine Klischeefrage, sondern die Frage, wie mit Komplexität umgegangen wird. Das meiste hat sich in Wien ab 1897 und vor allem nach der damaligen Jahrhundertwende abgespielt. Da geht es um grundlegende Fragen, die bis heute große Auswirkungen haben – sowohl bezogen auf die theoretische Auseinandersetzung als auch in der künstlerischen Gestaltung und Verarbeitung. Zugleich ist es völlig legitim, mit neuen Möglichkeiten Neues zustande zu bringen. Man könnte auch sagen – um das Wort Gesamtkunstwerk zu vermeiden – es handelt sich um hybride neue Kunstmöglichkeiten. Ohne, dass das Wort hybrid etwas abwerten soll.
EF: Derzeit ist in Wien wieder unglaublich viel in der Musik los, was die Visualisierung ungemein spannend macht. Die Dinge fließen ineinander und gehören mittlerweile einfach zusammen. Gesamtkunstwerk ist sicher nicht das richtige Wort für das, was im Moment passiert.
ChThH: Weil das eher provokant klingt.
EF: Die jetzige Situation in Wien macht einfach unglaubliche Freude. Vor allem konkrete Kooperationen mit Labels wie Affine Records oder auch dem RUN VIE Festival. Das Interesse kommt ja nicht nur von Seite der Visualistinnen und Visualisten, sondern auch von den Musikerinnen und Musikern. Es ergeben sich unglaubliche spannende Kooperationen, wo die eine Seite die andere beeinflusst aber durchaus auch beeindruckt.
Wie sehr sind Visuals für sound:frame an elektronische Musik gekoppelt? Im Augenblick tut sich in Wien auf musikalischer Ebene nicht nur in der Elektronik wahnsinnig viel …
EF: … auch immer mehr im Indiebereich oder in anderen Musikrichtungen. Ich würde das auf keinen Fall dogmatisiert sehen. Auf der anderen Seite machen Visuals in Kombination mit elektronischer Musik sehr viel Sinn. Wenn man tiefer in die Strukturen reinschaut, zeigt sich, dass elektronische Musik diesen Loop-Charakter hat. Die Wiederholung an sich ist auch im Videomixing zentral. Das ist eine sinnvolle Verbindung. Aber es gibt auch immer mehr unterschiedliche Arten der Visualisierung. Denn, dass sich das Videomixing oder VJing, wie man es von Coldcut kennt, stark entwickelt hat, liegt auf der Hand. Es geht zum einen in die technologisch digitale Richtung – wo viele Leute mit generativen Medien bzw. Software arbeiten – andererseits gibt es eine ganz junge Generation, die in Richtung YouTube und Musikvideos arbeitet – was wiederum eine ganz andere Idee ist. Dogmatisiert ist nichts, aber es macht einfach viel Sinn.
Wien gilt nicht nur seit sound:frame als ein gutes Pflaster für Visuals. Namen wie Pepi Öttl oder Fritz Fitzke sind im Klubzusammenhang seit über 20 Jahren geläufig. Woran liegts?
EF: Ich stelle mir diese Frage auch oft. Es gab in Wien immer schon viele Leute, die sich mit Visuals beschäftigt habe: Georg Eisnecker, El Geko … Doch mit Leuten wie Valie Export ist in Österreich bereits in den Sechzigern und Siebzigern viel geschehen. Oder man muss nur an den Experimentalfilm denken: Kurt Kren oder Peter Kubelka. Da hat es offensichtliche Vorreiter gegeben – wenn auch in anderen Bereichen. Pepi Öttl hat zum Beispiel relativ früh große Installationen gemacht – auch an Orten wie der Secession und auf der Bildenden. Es ging um andere Kontexte. Es wurde sehr früh ein gewisser Nährboden geschaffen. Und es gab auch immer Leute, die nachgezogen sind.
ChThH: Um die Frage nach der Elektronik noch einmal aufzugreifen: Diese Szene hat schon auch etwas dazu beigetragen, weil Wien in den Neunzigern einen ganz anderen Musikstellenwert abseits der klassischen Musik bekommen hat. Wir haben zudem in Österreich seit Jahrzehnten eine große Kunst- und Neue-Medien-Szene, die auch dank der Ars Electronica sehr stark präsent war. Viele Leute und Szenen haben sich damals schon verbunden. Aber man muss auch die schwierigen Seiten sehen. Es gibt sound:frame seit fünf Jahren und es war nicht immer leicht, diese Akzeptanz, wie sie jetzt herrscht, zu finden. Ich würde, um ein wenig provokant zu sein, sagen, dass sogar die besten Musikerinnen und Musiker zunächst geschaut haben, was da in Richtung Visualisierung passiert. Bevor die Kooperationen dichter und häufiger wurden, haben sich, meiner Wahrnehmung nach, viele Leute erst angesehen, wie gut das wirklich ist. Ähnlich sieht es mit der bildenden Kunst aus, die sich erst an die Visuals gewöhnen muss. Mit diesem neuen Phänomen muss man sich erst einmal auseinandersetzen. Und das sind sehr spannende Prozesse. sound:frame kann hier einiges bewirken – hat aber auch mit Vorurteilen zu kämpfen, weil diese Einordnung nicht immer leicht sind. Und wenn der Aspekt der angewandten Kunst dazu kommt, wird es auch nicht leichter, sich Akzeptanz zu erkämpfen. Diese Akzeptanz stelle ich nun bei renommierten Musikerinnenn und Musikern fest. Es beschäftigen sich auch bekannte Labels damit. Früher war das nicht so. Auch in der bildenden Kunst sind wir am richtigen Weg der Auseinandersetzung mit Visualisierungen und im Experimentalfilm ebenso. Wir haben auch versucht, die entsprechenden Kontakte zu forcieren, etwa zu Alexander Horvath vom Filmmuseum. Besonders schön war, dass beim letzten Festival ein Abend in Kooperation mit dem Filmmuseum stattgefunden hat. Es ist ein Erkämpfen von Akzeptanz und gleichzeitig eine Weiterentwicklung.
Für Visualistinnen und Visualisten gestaltet sich eine ökonomische Basis im Klubkontext schwierig. Geld mit Visuals ist vermehrt in wirtschaftsgetriebenen Sektoren zu verdienen. Wie geht man als Künstlerin damit um?
EF: Das kennen natürlich viele Künstlerinnen und Künstler. Man muss damit umgehen lernen. Wobei wir ja in beide Richtungen kämpfen. Auf der einen Seite ist es mir immer noch ein unglaubliches Anliegen, dass sich das sound:frame Festival finanzieren kann. Oder zumindest dorthin kommt, wo es möglich wird das Programm so umzusetzen, um auch das Team entsprechend bezahlen zu können. Das Team arbeitet aus einer unglaublichen Motivation heraus, zum größten Teil unbezahlt. Und wir haben viele Kooperationspartnerinnen und -partner dabei, was dann doch wieder in den wirtschaftlichen Bereich reingeht. Damit wird Kunst erst ermöglicht. Es ist etwa wichtig einen Technikpartner dabei zu haben. Man gewöhnt sich ans Kämpfen. Das Herzblut bleibt. Der Vordergrund ist, dass man von den künstlerischen Projekten leben kann. Doch es ist wichtig wirtschaftlich zu denken. Grenzen gibt es vor allem dann, wenn Dinge inhaltlich besonders uninteressant oder unvertretbar sind..
ChThH: Das ist ein wichtiger Punkt. Im Klubkontext laufen die Dinge von selbst. Aber all das, was produziert wird, bedarf auch einer Erklärung gegenüber einem breiten Publikum. Was ist das? Warum soll man sich online oder auf DVD etwas wie Visuals beschaffen? Was wird einem dabei geboten? Der Live-Kontext ist selbstredend – das klassische Musikvideo ist auch bekannt. Deshalb ist es eine neue Thematik. Die nächste Komponente besteht darin, die Rezeption zu reflektieren. Das betrifft Kritikerinnen und Kritiker. Wer schreibt in Zeitungen darüber? Das fehlt total. Weil es immer nur ein bis zwei Komponenten gibt, über die sich Leute drüber trauen.
Was macht nun ein Visual zu einem guten Visual?
EF: Das lässt sich schwer konkretisieren. Aber der Kontext an sich ist ausschlaggebend. Literatur benötigt einen anderen Zugang als etwa im Klub live zu experimentieren oder wenn man sich klassischer Musik widmet. Man muss auch wissen ob ein Publikum sitzen oder stehen wird. Das sind Merkmale, die freilich schwer zu fassen sind. Beim Sitzpublikum ist es möglich mehr narrativ zu arbeiten – eine Geschichte zu erzählen und über einen Zeitraum von ein bis zwei Stunden mit dem Inhalt zu spielen. Im Klub ist es nicht wichtig bzw. unmöglich zwei Stunden Narration durchzuziehen, weil das Publikum sich nicht gebannt wie etwa im Kino auf eine Leinwand konzentriert. Das haben Klubs und Festivals nun mal an sich. Desiree Förster von der Heinrich-Heine-Universität in Köln hat das „digitale Narration“ genannt. Es geht um das Wechseln, das Springen. Das ist ein anderer Ansatz, der aber genauso spannend ist. Für mich ist ein Visual dann gut wenn es das Publikum ohne lineare Narration dennoch fesselt. Konkrete Qualitätsmerkmale zu nennen ist aber sehr schwierig. Im Endeffekt hat es ja nicht nur Nachteile, wenn eine Kunstsparte noch nicht zig Regeln gehorchen oder gegen diese ankämpfen muss.
Liegt es womöglich daran, dass sich Medien in der Berichterstattung mit Visuals noch schwer tun?
ChThH: Sicher, man muss das zuerst einordnen können. Wenn ich mit einem anspruchsvollen Musikvideo konfrontiert bin, dann wäre mein Zugang jener, einerseits zu fragen, was das auf der Bildebene für sich genommen leistet, und anderseits die Visuals zu ihrem Kontext in Beziehung zu setzen. Beides muss erfüllt sein. Wenn jemand als Visualist filmerisch arbeitet, dann habe ich Filmgeschichten im Kopf und mache mir einen Reim daraus. Mit diesem Zugang versuche ich Qualität zu entdecken. Es muss der Konnex zum anderen stimmen. Die Live-Atmosphäre ist da ganz was anderes. Das macht es viel komplexer. Besonders spannend wird es wenn neue Musik geschrieben wird, für die von Anfang an die Visualisierung auch mitgestaltet wird. Das wird vor allem in der Literatur stark versucht.
EF: Ein gutes Beispiel ist die Kooperation von luma.launisch und Ken Hayakawa. Das war vom Bühnenbild bis zu den Visuals überwältigend, das hat wahnsinnig gut zusammengepasst. Dafür wurden sogar eigene Kostüme genäht.
Signifikant ist der hohe Frauenanteil im Zusammenhang mit Visuals. Gibt es eine Erklärung dafür?
EF: Sehr gute Frage. Ich hab in Österreich das Gefühl, dass die Zugpferde wichtig sind. Etwa Julia Starsky oder Eyecon, weiters Eva Bischof und Gery Herlbauer, die sich auch eingesetzt haben, Mädchenworkshops zu machen. Ich habe schon das Gefühl, dass in der Musik der Kampf ein härterer ist. Ich weiß aber nicht genau woran das liegt.
ChThH: Ich glaube, es gibt eine einfache Erklärung. In der Musik dominieren die gewachsenen Strukturen. Die Männerdominanz bei der Midem hat mich immer bestürzt. Das aufzubrechen ist eine Frage der Zeit. So etwas kann auch nicht erzwungen werden. Aber durch etwas Neues wie Visuals beginnt in der Gesellschaft ein ganz anderes Verständnis. Es kann sich alles neu entwickeln, man ist nicht darauf angewiesen, mit gewachsenen Strukturen zu arbeiten. Und vielleicht gibt es hier auch einen gewissen Kompensationseffekt. Es ist das Schöne, dass das ganze so neu ist, dass die Strukturen kein Thema sind. Hier muss nichts überwunden werden. Das konnte sich von Grund auf bilden.
EF: Es ist aber schon so, dass man auch komisch darauf angesprochen wird. Warum wir ein Frauenteam sind und ob das feministische Hintergründe hat?
ChThH: Wirklich?
EF: Diese Frage habe ich schon oft gehört. Offensichtlich ist das immer noch ein Thema. Mir ist durchaus bewusst, dass wir da eher eine Ausnahme darstellen, doch für mich ist es ganz natürlich so gewachsen. Und wir haben ja genauso viele Männer im Team.
Foto Christoph Thun-Hohenstein © Martin Stöbich
Foto Eva Fischer © 2011 soundframe.at/ Vanessa Zheng
Wirtschaftsagentur Wien