Der studierte Musiker und Trompeter Christoph Thoma ist Kulturamtsleiter in Bludenz. Im mica-Interview mit Heinz Rögl erläutert er mit viel Emphase, wie man in der Musik- und Kulturvermittlung neue Wege gehen kann. Als Geschäftsführer und Programmgestalter des Kulturzentrums Remise Bludenz richtet Thoma kommendes Wochenende die erste Ö1-Jazznacht aus Vorarlberg aus und sorgt auch sonst mit innovativen Projekten (wie der Abo-Reihe „Fremde Nähe“, Familienkonzerten, Lehrlingsprojekten) für frischen Wind in der Kulturarbeit.
Musikvermittlung im engeren und Kulturvermittlung im weiteren Sinn: In einer Region weit weg von Wien, aber in einer Weltgegend, in der sich sehr viel tut und es interessante Strukturen gibt. Du bist seit einem Jahr Leiter der Kulturabteilung und gleichzeitig Chef der Remise Bludenz, wie bist du das geworden?
Christoph Thoma: Ich bin gebürtiger Lauteracher, der 10 Jahre lang in Dornbirn war, habe Musik studiert, Trompete und Schwerpunkt Dirigieren, habe Jugend- und Amateurorchester geleitet. 2002 ging ich zur Jeunesse nach Wien und war viereinhalb Jahre Leiter des Bereichs Musikvermittlung, sprich der Kinder- und Jugendprojekte in ganz Österreich. So habe ich Erfahrungen und Zugänge zur Kunstvermittlung gewonnen, wobei ich gelernt habe zwischen Kunstvermittlung für Kinder und jener für Erwachsene zu unterscheiden. In Bludenz bin ich – da es eine vergleichsweise kleine Gemeinde ist – zum Teil auch mit Bildung befasst und kraft meiner Funktion als Leiter der Kulturabteilung auch Geschäftsführer der Remise. Das ist eine gewachsene Verbindung, das war schon immer so. Die Remise ist ein Verein, der das Haus verwaltet, bespielt wird sie vom Kulturamt und vom “Verein aller Art”, dessen Quasi-Geschäftsführer ich auch bin, das läuft schon seit 15 Jahren so.
Das ist noch so ein bisschen das alte Kulturinitiativen-Konzept.
Christoph Thoma: Genau, und das sind wir nun im Begriff zu hinterfragen. Dieses alte “basisorientierte” Konzept hatte vor zwanzig Jahren eine wichtige Funktion, als es galt, die Beschränkung auf “Hochkultur” zu hinterfragen. Wir sind jetzt dabei, die Strukturen in eine GmbH umzuwandeln, unter der sämtliche Kulturaktivitäten unter ein Dach gebracht werden sollen – Remise, Stadtmuseum, Stadtarchiv und Stadtsaal. Die Sachen sollen so transparenter werden, denn bisher gab ich mir selbst meine Subventionen. Das ist nicht mehr zeitgemäß und die Stadt Bludenz hat das erkannt.
Das ist aber auch nicht ein “Ausgliederungskonzept” neoliberalen Zuschnitts?
Christoph Thoma: Es ist eine Professionalisierung, denn in einer GmbH muss man bei dem, was man macht, sicher ökonomischer denken. Wiewohl ich kein Freund von “Quoten” bin. Aber man muss versuchen, Gelder einzuspielen und auch Sponsorgelder auftreiben. Denn eine Sponsoringkultur fehlt und diese aufzubauen ist mit der GmbH wesentlich einfacher als mit einer Vereinsstruktur, wo die persönliche Haftung da ist, geschweige denn mit einer städtischen Struktur, denn da bekommt man nur sehr schwer Partner als Sponsoren. Dann ist es auch so, dass wir als Gebietskörperschaft für die Remise bislang keine Subventionen von Bund oder Land bekommen konnten, was auch zu hinterfragen ist. Denn wir haben dieselbe überregionale Bedeutung wie ein Spielboden oder ein Saumarkt, die alle gefördert sind. In den letzten zehn Jahren ist der Stadt auf diese Weise einiges an Geld verloren gegangen. Das habe ich schon bei meiner Bewerbung beinhart hinterfragt. Abgesehen davon, dass ich kein Freund der Vereinsmeierei bin, wo Vorstände so etwas wie operative Geschäftsführung machen wollen, trotz angestellter Geschäftsführer. Damit kämpfe ich natürlich momentan.
Die Remise hat ja eine ruhmreiche Geschichte, was ist ihre Philosophie?
Christoph Thoma: Die Remise gibt es seit 1998, sie ist ein kleines Kulturzentrum mit 220 flexibel bestuhlbaren Sitzplätzen und hervorragender Technik, es gehört auch eine hochqualitative Galerie dazu, die hervorragend kuratiert wurde und wird. Es geht aber schon darum, ein gewisses Profil aufzubauen, weiter weg von einem Sammelsuriums-Angebot, das alle möglichen Tourneetheatergruppen-Events anbietet. Es bedarf klarer Linien, was man machen will und was lieber nicht. Was wir nicht sein wollen, ist einer von vielen in Vorarlberg zu sein. Ich versuche das Haus zu einem spartenübergreifenden Musikzentrum zu machen, der Saal verfügt zum einen über eine phantastische Akustik, zum anderen glaube ich, dass man Musik über eine jeweils zweite Ebene besser vermitteln kann – zum Beispiel Musik und Film, Musik und Literatur. Das kann in alle mögliche Richtungen gehen, Tanz usw. Es gibt programmatisch jetzt eine “Weltmusik”-Schiene mit der Reihe “Fremde Nähe”, es gibt die “Bludenzer Lektionen”, wo wir versuchen Diskurse mit Migranten anzuleiern, da gab es einen Türkeischwerpunkt, jetzt kommt ein “Balkan-Schwerpunkt”. Wir werden die neue Kulturministerin zu einem Auftritt einladen . Da soll es auch um die Rolle der Länder gehen, die in vielem unterdotiert sind gegenüber Wien.
Deine Programme sind doch auch sehr zielgruppenspezifisch und prozesshaft angelegt – Kinder, Lehrlinge, Migranten – sind das nicht im Grunde Ideen, die auch die Kulturinitiativen der siebziger und achtziger Jahre verfolgten?
Christoph Thoma: Diese Ideen verfolge ich in der Tat ja auch, nur versuche ich sie strukturell auf eine andere Ebene zu stellen. Denn dieses Denken – ich habe kein Geld und mache trotzdem etwas und gehe dann wieder zum staatlichen Subventionsgeber, der alles auffangen soll, – das ist vorbei. Aber im Grunde genommen denke ich nicht in Kategorien von Event-Kultur. Wobei es Events ja geben darf, wichtig ist die Breitenwirkung. Für die Ö1/WDR-Jazznacht habe ich schon im Vorfeld Features in Radio und Fernsehen, abgesehen davon, dass die ganze Nacht dann auch im Radio übertragen wird. Und ich versuche bei den Musikern eine Mischung international/regional zusammenzubringen, oder mit Lorenz Raab einen überregional relevanten Musiker zu verpflichten. Die Bludenzer Tage für zeitgemäße Musik hatten – und haben auch unter einem neuen Kurator – einen total internationalen Anspruch.
À propos, Wolfram Schurig ist von der Leitung der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik zurückgetreten, warum?
Christoph Thoma: Die Stadt hat – auch aus meiner Sicht – das Budget unwesentlich gekürzt (von 84.000 auf 64.000 Euro), wobei klar war, dass sowohl die Tage zeitgemäßer Musik als auch die Galerie immer ausreichend Geld von der Stadt bekamen und auch mit diesem Geld ihr Auslangen finden. Das weiß man dann irgendwann auch. Das war ein Kommunikationsproblem, und dann halt auch ein Politikum und führte zum Rücktritt meines Vorgängers und Schurig ist mit ihm auch zurückgetreten.
Schurig machte sehr feine, anspruchsvolle Programme. Ändert sich da jetzt unter dem neuen Kurator Alexander Moosbrugger etwas?
Christoph Thoma: Ich sag jetzt einmal, es wird noch anspruchsvoller meines Erachtens. Alexander Moosbrugger kommt von der Philosophie und denkt und programmiert auch entsprechend. Ich mische mich da aber nicht ein, hätte aber den Wunsch, dass sich die Bludenzer Tage für zeitgemäße Musik bei aller Internationalität wieder stärker auch in der Region verankern und Künstler aus der Region beteiligen – nicht alle, aber die, die im Sektor Neue Musik wirklich sehr gut sind. Man könnte Synergien herstellen, mit den internationalen Gästen vor Ort Projekte entwickeln. Das Budget wäre da. Wir denken nach, aber wir organisieren ja auch als Stadt alles, man wird sehen, wie es in der GmbH-Struktur dann 2008 weitergeht. Ich würde dieses Festival sehr gern noch weiter ausbauen, auch mit Vermittlungsprojekten, einem Symposium – da gäbe es sehr viele Möglichkeiten. Das Lehrlingsprojekt mit Helge Hinteregger etwa [Anm.: Metall. Klänge, ein kreatives Kunstprojekt mit Lehrlingen, kuratiert von Helge Hinteregger] das fortgeführt werden soll, würde hier wunderbar hineinpassen.
In der Musikschiene allgemein, was ist der Anspruch. Liegt der Schwerpunkt auf aktueller, auf „zeitgemäßer“ Musik?
Christoph Thoma: Auf jeden Fall. Ich möchte ein musikalisch lebendiges Haus haben. Ich versuche zum Beispiel auch theatrale Aktionen in die Musik hineinzubringen. Im Herbst 2007 gibt es das Festival Brass Spektakel mit Karl Markovics als “artist-in-residence”, mit ihm einerseits “Le Roi David” von Artur Honegger, andererseits eine Uraufführung von Gerold Amann zum Thema Hexen, auch in Verbindung mit dem Hexenforscher Manfred Tschaikner, der die letzten Hexenprozesse vor 350 Jahren in Vorarlberg dokumentiert hat. Und da gibt es wiederum die Zusammenarbeit mit der Wiener Gruppe “Theater in Arbeit”, die hochprofessionelle Theaterpädagogik betreibt. Mit denen zusammen möchte ich mit Aktionen im öffentlichen Raum einen Konnex Hexen-Musik-Theater herstellen.
Vermittlung ist auch bei allen anderen Bludenzer Projekten großgeschrieben.
Christoph Thoma: Wobei ich wirklich den Begriff “Pädagogik” vermeiden möchte, sprechen wir lieber von einer erlebnishaften Schiene, aber sicher – etwa bei Kinderkonzerten – spielt Musikpädagogik eine wichtige Rolle: Das Kind muss begeistert und aufgeladen mit Energie aus so einem Konzert hinausgehen, ohne zu wissen “ich hab jetzt was gelernt”. Lust an Kunst wecken – das ist es, was ich mit Musikvermittlung will. Und dann funktioniert Musikvermittlung nur über Nachhaltigkeit. Einmal ein Familienkonzert zu machen, ist zu wenig, das muss sechs bis acht Mal im Jahr passieren, man muss dafür Sorge trägem dass sie auch hingehen und schließlich sagen, ah, da passiert was Gutes, da muss ich wieder hin. Oder die Migrantendiskurse – schön und gut, wenn da einmal etwas passiert, aber eigentlich muss das permanent passieren. Das gilt auch für das Lehrlingsprojekt.
Arbeitest du mit Helfern, Dramaturgen, Kuratoren?
Christoph Thoma: In gewissen Bereichen – wie der Galerie oder der Neuen Musik – ja. Leider ist, wie ich erfahren musste, meine Arbeit zu einem hohen Prozentsatz eine administrative. Aber ich halte überhaupt nichts von einer Trennung zwischen künstlerischer und kaufmännischer Geschäftsführung. Wenn ich hier in Wien bin, geht´s mir besonders gut, weil ich den ganzen Tag lang inhaltliche Gespräche führen, Projekte entwickeln kann. Von einem „Kuratorenmodell“ in dem Sinn, dass man sagt, da hast du 30.000 Euro und mach was damit, halte ich eigentlich gar nichts. Das ist auch vorbei, genauso wie das alte „Kulturinitiativen-Denken“. Und was im Kulturbereich auch nicht geht, ist ein gewisses Beamtendenken. Dass am Freitag um 12 Uhr Mittag Schluss ist und man heimgeht. .
Wie sind die politischen Rahmenbedingungen in Bludenz und im Ländle?
Christoph Thoma: Zum einen: Man braucht – und ich habe – Unterstützung aus der Bevölkerung, ich bin mittlerweile kein Unbekannter mehr und das ist natürlich wichtig. Politisch werde ich hundertprozentig unterstützt, weil die Politiker das Gefühl haben, da ist einer, der hat Konzepte, da gibt es Inhalte. Der Vorarlberger ist gradlinig und es freut ihn, wenn einer weiß, was er will. Wenn ich im Kulturausschuss zeitgerecht ein Projekt präsentiere und dann aber auch sofort einen Beschluss will, kriege ich ihn auch. Und man muss für ein Verständnis von Kultur in der Gesellschaft eintreten: Kultur ist nicht Quote, ist nicht messbar, hat nachhaltige Auswirkungen. Kritik bekam ich von manchen Grünen, die mit meiner GmbH-Konzeption nicht einverstanden waren, diese als Ausgliederung sahen und eine Art Verrat daran, dass Kultur Angelegenheit von Gemeinden, Land und Bund sei. Privatwirtschaftlich darf gar nicht gedacht werden. Das sehe ich nicht so.
Arbeiten die Kulturinstitutionen in Vorarlberg zusammen?
Christoph Thoma: Ich versuche jedenfalls, auch mit den großen Institutionen bis hinauf zu den Bregenzer Festspielen zu kooperieren. Es sollten Netzwerke gebildet werden und man kann immer fragen, was profitiert der eine vom anderen. Es geht auch, aber nicht nur, natürlich auch um Standortfragen. Aus einem guten Kulturangebot können Betriebe, der Tourismus profitieren.
Wie ist der Zuspruch der Bludenzer dem Kulturangebot gegenüber?
Christoph Thoma: Die Remise wurde von vielen Bludenzern nicht besucht. Anfänglich sagte man mir, das sei nicht zu ändern. Ich habe dann ein offensives Marketing gemacht, bis hin zu Info-Ständen auf dem Weihnachtsmarkt, wo wir Flyer verteilt haben und mit den Leuten geredet haben, wo der Kulturstadtrat kam. Jetzt kommen pro Veranstaltung im Schnitt 110 Leute und das ist – gemessen daran, dass so etwas eine Aufbauzeit von drei bis fünf Jahren braucht, schon sehr gut. Man muss permanent mit den Leuten reden, auf sie zugehen, ihnen zuhören, Kritik aufnehmen.
HR: Toitoitoi jedenfalls für die Jazznacht!
Remise Bludenz:
Sa., 28. April 2007, ab 22.00 Uhr
Ö1 JAZZNACHT in Zusammenarbeit mit WDR 3
Jazznacht aus Vorarlberg, 7 Stunden live aus der Remise Bludenz!:
Die Dirty Horns – ausgelassene New-Orleans-Streetband trifft südafrikanische Hochzeitscombo – mutieren zur leidenschaftlichen afrokubanischen Son-Formation mit deutlichen Wurzeln in rasender Balkanblasmusik .
Das HDV-Trio sind drei junge Künstler, die “mit ihrer ersten CD ein sensationell gelungenes Erstlingswerk vorlegen. Piano, Bass und Schlagzeug sind geprägt von einem selten in dieser Perfektion zu erlebenden Zusammenspiel, und die Kompositionen der drei erstaunen immer wieder mit überraschenden Wendungen und einer unglaublichen Virtuosität.” (Alfred Krondraf, Concerto 01/2007).
Line up:
Dirty Horns
HDV-Trio
Moderation:
Bettina Waldner-Barnay und Elke Tschaikner