mica-Interview mit Christian Wirlitsch

Der Singer-Songwriter Christian Wirlitsch singt auf seiner letzten CD “Rosen für die Arbeitslosen” Arbeitslieder der anderen Art. Dabei hat seine musikalische Karriere sehr beschaulich begonnen: Als Josef bei den weihnachtlichen Krippenspielen. Bandstationen wie The Passengers und Lassiter sollten folgen. Im mica-Interview erzählt er buchstäblich von Gott und der Welt: Von Arbeitslosen, Indien und Mariendarstellungen. Das Interview führte Jürgen Plank.

Ich weiß, dass du ein Faible für Mariendarstellungen hast. Hängt das vielleicht mit diesen frühen Anfängen in den Krippenspielen zusammen?
Ich hab’ mich schon oft gefragt, warum ich diesen Vogel hab’, du bringst mich da auf ganz neue Ideen. (lacht) Es könnte sein, dass damals die erste Prägung stattgefunden hat.

Ist deine Musik jemals durch Christentum geprägt worden?
Das mit der Religion ist in Österreich eine ganz eigenartige Sache. In anderen Ländern, etwa in Bombay, wo ich eben für zwei Wochen war, da hat man den Elefantengott Ganesh, der immer lustig ist, immer lächelt und mit Schellenkleidern tanzt. Dort hat man einen ganz anderen Zugang zu Göttern wie bei uns. Dort ist der Zugang viel lockerer, viel fröhlicher und Ganesh ist z.B. auch der Gott, der Hindernisse beseitigt und ist auch oft als Schreiber dargestellt.

… und der Gott des Glücks.
Genau. Glück und Fröhlichkeit. Bei uns ist der Zugang zu Religion ganz anders und in diesem Christentum durch Leid und Schmerz geprägt. Überall hängt dieser Gekreuzigte in den Zimmern. Für jemanden, der aus einer anderen Kultur zu uns kommt, ist das seltsam, wenn wir da den Gekreuzigten im Zimmer hängen haben, nackt.

Wie wirkt sich all das auf deine Musik aus?
Meine Musik und meine Text sind immer geprägt von der Schönheit des Leidens. Diese Schönheit des Leidens ist im Christentum auch immer überstilisiert, mit diesem meist sehr schönen Mann, der am Kreuz hängt. Der hat eine gute Figur und ist ein schöner Jüngling. Da ist die Schönheit mit dem Leiden extrem eng gepaart und das ist in meiner Musik auch immer so gewesen.

Du warst voriges Jahr in Indien und hast dort in einem Studio aufgenommen. Wie war das?
Ich habe da ein internationales Projekt am Laufen, geplant sind Aufnahmen in drei Großstädten, in drei Megacities. Zuerst war ich in Bangkok, in Thailand, die zweite Stadt war eben Bombay und die dritte Stadt wird nächsten Winter Mexiko City sein. Der Themenschwerpunkt liegt einerseits am Wahnsinn dieser Megacities; das Leben in den Slums, die große Armut dort, aber auch das Rotlichtmilieu in diesen drei Städten.

Nimmst du vor Ort auch mit lokalen MusikerInnen auf?
Das Projekt hat einige Schwerpunkte, einer lautet: Die Abenteuer und Irrfahrten eines Musikers. Ich organisiere die Studios vor Ort, dadurch hat man einen anderen Bezug zu den Menschen, weil man mit ihnen arbeitet. Ich schreibe den Song in der ersten Woche und nehme ihn in der zweiten Woche auf. Drittens versuche ich mit lokalen Musikern zusammen zu spielen. In Bombay war das ein ehrwürdiger Sitarspieler, Mr. Shuklar, der während ich mit ihm gespielt hab’, sicher einen halben Meter über dem Boden geschwebt ist. (lacht)

 

 

Wie recherchierst du vor Ort?
Ich suche mir eine Bar, die nicht zu arg ist, in der Regel ist das eine Bierbar, und lerne die Leute an ein paar Abenden kennen. In Bombay war ich im Saphir und dort war es dann so, dass mich die Musiker in ihre Shows miteinbezogen haben. Ich bin dort mit den Musikern auch aufgetreten. Dann habe ich mich ein paar Tage eingesperrt und hab’ einen Song über die Rituale in der Bar Saphir geschrieben.

Zwei dieser drei Städte, nämlich Bombay und Mexico City, sind Teil des Glawogger-Films “Megacities”. War der Film ein Input für dich?
Der Film hat mir sehr gut gefallen, aber das hab’ ich nicht gewusst. Diese Großstädte haben eine eigene Faszination, denn man fährt etwa in Bombay durch riesige Slums. Wenn man aber jemanden fragt: Wie kommst du mit dieser Armut zurecht? Dann kann die Antwort auch lauten: Sag’ nicht, dass wir arm sind! Man muss einfach lernen, nicht zu vergleichen und nicht zu werten. Man fragt sich also selbst: Warum kommen all diese Menschen in die Städte, wo nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigt werden und sie in Wellblechhütten leben müssen? Ich glaube, dass ihnen die Werbe- und Filmwelt ein gutes Leben in den Städten vorgaukelt. Die glauben, dass sie in der Stadt genauso leben werden wie die Stars der Bollywood-Filme.

Das stimmt aber nur für ganz Wenige.
Richtig. Für nicht einmal ein Promille der Menschen. Es ist also die Werbewelt, die Industrie und die Wirtschaftswelt, die diesen Wahnsinn und dieses Elend erzeugen.

Da klingt Gesellschaftskritik durch. Würdest du dich als sozialkritischen Liedermacher bzw. Singer-Songwriter bezeichnen?
Mich hat das nie interessiert. Für mich waren Liedermacher in den 1970er und 1980er Jahren das Stinkigste auf der Welt. Mittlerweile scheue ich diesen Begriff nicht mehr so sehr. Mittlerweile war es mir wichtig in meinen Songs nicht nur immer Beziehungsthemen poetisch zu verschleiern, sondern auch mal konkrete Aussagen über unser Gesellschaftssystem und über unsere Sozialstrukturen zu machen. Ich habe eben damit begonnen über Arbeitslosigkeit zu schreiben, weil ich mein Leben lang in Musikerkreisen mit Arbeitslosen konfrontiert war und es war ein Problem, das ich auch am eigenen Leib erfahren habe und das ich mir einmal von der Seele schreiben musste. Außerdem war es einmal eine Herausforderung, ein konkretes Thema anzugehen. Fast wissenschaftliches Arbeiten: Literatur lesen, daraus exzerpieren und dann die Lieder schreiben.

 

 

Du bist ja auch Naturwissenschafter, bist du in diesem Beruf zurzeit und wie lässt sich das mit Musikmachen vereinbaren?
Bei mir ist es so, dass der Physiker den Musiker ernährt. Und ich komme immer mehr drauf, wie wichtig es zumindest für mein Leben ist, dass der Broterwerb unabhängig ist von der Musik. Die Musik ist sozusagen die Arbeit in meinem Leben, wo mein Herz und meine Seele dran hängen. Zum Geldverdienen kann ich aber besser Sachen machen, an denen mein Herz und meine Seele nicht hängen. Sachen, die ich einfach gelernt habe. Ich mache meinen Job, damit ich die Möglichkeit habe, in der Subkultur zu leben, das ist eigentlich ein riesiger Reichtum, den wir hier haben und nicht zu schätzen wissen, denn wenn du in Bombay in ein Beisl gehst und dort die einzige Country-Band der Stadt spielt, würde man erwarten, dass die Hütte voll ist. Aber es waren nur zwanzig Leute da, weil die Leute dort andere Probleme haben. Darum ist das ein riesiger Reichtum, den wir hier haben, dass wir unsere Sandkastenspiele in hohem Alter – ich bin mittlerweile 46 – immer noch machen können. Okay, wir verdienen unser Geld halt mit irgendetwas anderem und jammern immer, dass wir nicht von unserer Musik, von unseren Sandkastenspielen, leben können. Aber in Wirklichkeit ist das ein extremer Reichtum und Luxus, dass wir das überhaupt machen können und dass dann überhaupt zwanzig Leute kommen.

Deine aktuelle CD heißt “Rosen für die Arbeitslosen”. Wie stehst dazu, nachdem du in den Megacities Bombay und Bangkok warst?
Nachdem ich in diesen Megacities war und weiß, dass zum Beispiel 55 Prozent der Bevölkerung in Bombay auf der Strasse leben – die haben alle keinen Job -, kommt mir meine letzte CD “Rosen für die Arbeitslosen” fast ein wenig wehleidig vor und ich schäme mich eigentlich fast dafür. Andererseits ist es halt so, dass jeder seine Welt ganz intensiv erlebt und jedes Problem, das man hat, ist das größte Problem der Welt – in dem Moment, in dem man das Problem hat. Da kann man nicht relativieren. Genauso ist es mir gegangen als ich arbeitslos war: Für mich war das eine extrem bedrückende Situation, diese Bußgänge zum Arbeitsamt, um dort niederzuknien und die Leute dort anzubeten. Das war extrem demütigend, wie in dem Song “Heute morgen geht’s mir gut”, den ich live noch niemandem zugemutet habe, weil er tieftraurig und herzerweichend ist. Genauso wie im Song habe ich mich gefühlt, wenn ich dorthin gehen muss. Es war ja nur ein Termin im Monat oder so, aber dieser eine Termin hat sich zu so einem riesigen Ungeheuer und Monster aufgebaut, dass mich der eigentlich das ganze Monat hindurch gelähmt hat.

Wie lange warst du arbeitslos?
Meine Arbeitslosigkeit hat nach der Matura begonnen, weil ich mir zwei Drittel meines Studiums durch irgendwelche Nebenjobs selbst verdienen musste. D.h., ich hatte nie einen regulären 40-Stunden-Job mit fixer Kohle. Und dann habe ich halt Sachen gemacht wie Taxi fahren, Schichtarbeit in der VOEST, Kabeltragen beim ORF, Nachhilfestunden geben, im Berufsförderungsinstitut Österreich unterrichten usw., und am BFI hatte ich Kontakt mit Arbeitslosen, die alle umgeschult wurden: Auf Bautechnischer Zeichner, Elektrotechnik usw.. Ich hab also während meines Studiums Arbeitslose unterrichtet, die hatten etwa am Montagmorgen Sprüche drauf wie “Die Woche zieht sich wieder”. Die sind alle mit dicken Autos vorgefahren und ich mit meinem gelben 10-Gang-Rad, das ich mit 12 Jahren gekriegt hab’. (lacht)

 

 

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