mica-Interview mit Cherry Sunkist

Mit ihrer aktuellen CD “Projection Screens” (comfortzone) generiert Cherry Sunkist aka Karin Fisslthaler eine sonische Wunderkammer zwischen radikal bearbeitete Noise-Gitarren, böse Drones, elektronische Stolperbeats, harschen Brüchen und faszinierend unheimlichen (Geister)Gesängen. In Kategorien lässt sich die Musik der queer-feministischen Künstlerin sowieso nicht stecken. Die in Wien und Linz lebende Salzburgerin stellt viel eher Fragen nach der Konstruiertheit von Kategorien. Egal ob es sich hierbei um Musik, Körper oder Geschlechtszuschreibungen handelt. das mag kompliziert und komplex klingen (und ist es auch), jedoch stellt “Projection Screens” auch eine diskursive Dekonstruktion dessen dar, was gemeinhin unter “Pop” verstanden wird. Herausgekommen sind dabei faszinierend-geheimnisvolle Tracks zwischen avancierter Electronica, wildem Gitarren-Lärm und gespenstisch schönen Popmomenten. Motto: “I’m not here to entertain you!” Für mica unterhielt sich Didi Neidhart mit Cherry Sunkist.

Ein Grundkonzept deiner Arbeit scheinen Fragen nach der Konstruiertheit und Normiertheit von Körpern zu sein (etwa bei Tracks wie “Body” oder “Old Parts”).  Schlägt sich das auch in deinen musikalischen Herangehensweisen nieder? Also quasi “doing gender” als Körper machen als Musik machen?
Cherry Sunkist: Ich glaube nicht, dass es so etwas wie z.B. eine “weibliche” Soundästhetik gibt, da ich solche Kategorisierungen ablehne. Ich bin mir auch meines Körpers im Stadium des Produzierens und – so komisch das auch klingen mag – bei den Livekonzerten, nicht immer bewusst. Der Körper an sich und seine Repräsentation interessiert mich, da gesellschaftliches, politisches und soziales an ihm ablesbar und eingeschrieben ist. Das Wissen, dass der Körper etwas instabiles und sich ständig veränderndes ist und, – so jung wir zwar jetzt dasitzen- , er nicht so bleiben wird, ist ein ständiges Beschäftigungsfeld für mich.

Gibt es für dich Zusammenhänge zwischen elektronisch/digital produzierter Musik und queer-feministischen Theorien, die den Körper und das Geschlecht als etwas Gemachtes thematisieren?
Cherry Sunkist: Ich denke mit dem Einsatz des Laptops in der Produktion und auf der Bühne hat sich vieles verändert und demokratisiert. Die Produktion ist nicht mehr mit dem Geldaufwand eines Studios verknüpft, der Laptop kann die Band auf der Bühne ablösen. Die Utopie, dass Techno Körper- und Geschlechtergrenzen und Hegemonien auflöst hat sich ja leider nicht erfüllt. Man muss nur eine aktuelle elektronische Musikzeitschrift aufschlagen…

Wie wichtig sind Sounds für dich und wie entstehen sie?

Cherry Sunkist: Oft steht einfach ein Musikinstrument am Anfang oder eine Idee, z.B. die des Verzerrens oder des Echos. Ich habe mich im Zuge der Albumproduktion mit verschiedenen Distortions, analogen wie digitalen, beschäftigt. Deshalb beginnt auch der erste Track des Albums mit einer verzerrten Gitarre, auf die ich mit der Faust einschlage. Krach als Statement an den Anfang zu stellen war eine bewusste Entscheidung.Ein weiteres Ausgangsinstrument ist das alte analoge Space-Echo von Roland. So ziemlich jeder einzelne Sound und viele Stimmen wurden immer wieder durch dieses Gerät gejagt. Auch kann man damit wunderbare Feedbacks erzeugen. Es gibt gewisse Ideen, die ich in Sounds und Dynamiken umzusetzen versuche. Ein Beispiel ist die Gitarre in “Old Parts”, die sich immer mehr beschleunigt und zu einer Art Zeitmaschine wird, da es in dem Song um den alternden Körper geht. Der ambivalente Song “Dog/Doll” besteht nur aus Gitarren-Feedbacks wobei die ätherische Stimme im Gegensatz zum brutalen Sound steht. Der Text ist genauso von dieser Ambivalenz geprägt: “You can treat me like a dog, you can treat me like a doll”… Die Transformation des einen in das andere war ein Thema, aber auch das Prinzip von Gegensätzlichkeiten als Verweis auf “das Dazwischen”.

Wie die E-Gitarren, so manipulierst du auch deine Stimme mit vielfältigen Tools und Effekten. Hat das rein ästhetische Gründe, oder steckt da auch noch etwas anderes dahinter? Diese Effekte zersplittern ja auch das singende Subjekt in lauter kleine Soundscherben, die dann gleichsam ohne fixe Identitäten durch die Tracks geistern.
Cherry Sunkist: Im Gegensatz zu “OK Universe”, wo ich kaum Stimmeffekte verwenden wollte, ist bei “Projection Screens” die Stimme unter anderem als Instrument gedacht. Und ja: diese “Aufsplitterung” kann man auch live bei mir beobachten, da ich ja drei Mikrophone auf der Bühne verwende.

Arbeitest du dabei  mit softwaregenerierten Sounds?
Cherry Sunkist: Bei “Projection Screens” habe ich hauptsächlich analog gearbeitet. Sehr wenig ist granuliert bzw. digital geschreddert oder gesampelt. Das Downsampling hat mich am meisten interessiert. Ich wollte einen analogen Albumsound erzielen, der möglichst energetisch und voll ist.

Du sprichst davon “nicht poptaugliche” Musik machen zu wollen. Andererseits formulieren deine Nummern schon auch ein gewisses Popwissen (ein heimliches, ignoriertes, verstecktes, feministisch kodiertes/gelesenes). Was verstehst du unter “poptauglich” und wie sieht dein Verhältnis zu Popmusik aus?
Cherry Sunkist: Bei der Produktion des neuen Albums habe ich mich mit der Auflösung von herkömmlichen Popstrukturen auseinandergesetzt. Ich habe also bewusst versucht das Strophe-Bridge-Refrain-Schema aufzubrechen und dem entgegenzuarbeiten. Ich bin mit Popmusik sozialisiert worden, deshalb war die Überwindung dieser vorgefertigten Muster mitunter das schwierigste für mich.

Auch wenn du “keine poptauglichen” Songs machen möchtest, haben sie dennoch einen Popappeal, nur schaffen es die Songs scheinbar nicht mehr eine eindeutige Identität aufrecht zu erhalten. Vermeintliche Zentren (Refrains) lösen sich auf, Strukturen brechen teilweise mitten drinnen auseinander, ein Songteil bricht weg, ein anderer übernimmt, ein ganz anderer Song crasht rein, am Schluß ist nichts mehr von Anfang übrig. Ist für dich ein “Popsong” nur noch als Art Patchwork möglich, aber nicht mehr als ein Ganzes?
Cherry Sunkist: Wenn es eine Songidee erfordert einer konventionellen Struktur zu folgen, mache ich das auch. Ich betreibe keine Brechung nur um der Brechung Willens. Für mich war dieses Album wichtig, um eine festgefahrene Matrix zu hinterfragen und gewisse Absichten voranzutreiben. Mich interessiert, wo die Grenze zwischen Pop und Experiment liegt, sowohl was Sound, Strukturen oder Inhalte betrifft. Wo diese Grenze ist, ist vielleicht sehr subjektiv und Kontext-abhängig.

Woher kommt die mitunter doch sehr düsteren und unheimlichen Stimmungen deiner Tracks? Sind das Referenzen an Horrofilme, wo ja auch das Monströse im Sinne eines nicht der Norm entsprechenden “Wesens” immer Thema ist?
Cherry Sunkist: Wenn Du Filmsounds ansprichst liegt mir David Lynch schon sehr nahe oder die Musik von Portishead. Die Dramatik und die düsteren Stimmungen des Albums liegen vielleicht an dem Thema, das sich durchzieht:  die Aggregats-Zustände des Körpers. Dass ich das nicht in flotte Elektropunk-Nummern verpacken kann, war für mich klar.  Das Album ist auch hauptsächlich in der Nacht und alleine entstanden, und das über eine ziemlich lange Zeit. Obwohl ich die Sonne meide, bin ich aber keine düstere Person, sondern meistens gut drauf.

Du hast ja in Linz Kunst studiert. Wie stellt sich für dich das Verhältnis zwischen Kunst und Musik, Kunst und Pop dar?
Cherry Sunkist: Ich habe ja sozusagen zwei Identitäten: eine Künstlerinnenidentität und eine Musikerinnenidentität. Das zu trennen oder auch vollkommen zu vereinen ist für mich schwierig, da mich vieles interessiert und ich für meine Ideen immer das passende Medium suche. Ich komme aus einem Kunststudium, wo ein Konzept am Anfang steht und für die Umsetzung die ideale Erscheinungsform im Experiment gesucht wird, die aber bei mir nicht immer gezwungenermassen Musik sein muss.
Wenn ich Musik mache, dann deshalb, weil es für mich die direkteste und intuitivste Form ist, zu kommunizieren, da ich dabei als Person bzw. Konstruktion im Vordergrund stehe. Das macht den grossen Unterschied aus zu meinen bildenden Kunstarbeiten aus, wo ich meist mit bestehenden Bildern (z.B. aus Hollywood-Filmen) arbeite und diese umcodiere, verdichte etc. Der grösste gemeinsame Nenner besteht  vielleicht ddarin, dass ich mich für Menschen, Kommunikationsformen und Körperlichkeiten interessiere, für Themen wie das “Eigene” und das “Fremde” und Identitätskonstruktionen. Ob das nun ein Song, eine Videoarbeit oder eine Collage wird, hängt davon ab, inwieweit ich dafür direkt auf mich als Person zurückgreifen muss. Bei Cherry Sunkist geht es schon viel mehr um eine Subjektivität, die auch sehr widersprüchlich sein darf. Ich möchte, überspitzt formuliert, niemand sein, der eine Gender-Theorie vertont.

Das Cover zur CD hat erneut der Linzer Künstler und Experimentalfilmer Dietmar Brehm gemacht. Wie kam es dazu? Bei “Projection Screens” singst du ja auch von “Murder Mysteries”, was gleichzeitig der Titel eines Brehm-Films wie eines Velvet Underground-Songs ist.
Cherry Sunkist: Ich verfolge die Film- und Malereiarbeit von Dietmar Brehm seit Jahren und war immer begeistert und inspiriert davon. Ich habe es also drauf ankommen lassen und ihn gefragt, ob er ein Cover machen möchte. Dass ihm auch meine Musik gefällt ist pures Glück gewesen! Ich finde es spannend einen mir äusserst wichtigen visuellen Teil abzugeben und zu sehen was passiert. Dietmar Brehm ist nicht nur ein Musikkenner, sondern auch jemand, der einen gern zu einer gewissen Kompromisslosigkeit und Perfektion anstachelt. Und ja, wir mögen beide gerne Velvet Underground und Iggy Pop & the Stooges !

Im Moment scheint es einen regelrechten Boom an Ösi-Musik zu geben. Siehst du das auch so?
Cherry Sunkist: Ja, den “Boom” nehme ich medial war, ich weiss aber nicht wie ich ihn bewerten soll.

Du bist als Musikerin und Künstlerin in feministischen Netzwerken aktiv. Wie sehr braucht es diese Netze, um wahrgenommen zu werden, um öffentlich auftreten zu können, um sichtbar zu werden?
Cherry Sunkist: Queer-feministische Netzwerke und subkulturelle Veranstaltungsorte waren und sind für mich immer wichtig. Da geht es gar nicht um irgendwelche Ökonomien, sondern darum, ein Umfeld zu haben, wo man verstanden und im besten Fall geschätzt wird. Wiederrum brauche ich ein Musiker_innen Umfeld, mit dem ich mich identifizieren kann. Ohne die Einladung zum “Ladyfest” vor Jahren und die darrauffolgenden Anfragen aus dem lesbisch/queeren Umfeld wäre ich in Wien vermutlich nie wahrgenommen worden. Dass ich jetzt ein breiteres Publikum bespiele und teilweise davon Leben kann, verdanke ich diesen Netzwerken und den Frauen die ihre Ohren offen halten. Dass es in Wien das Label comfortzone gibt, ist ein wichtiger Grund für mich, überhaupt hier zu sein. Christina Nemec,  die Co-Betreiberin des Labels, ist ein Mensch, der mich vom ersten Album an bestärkt und mit einer Selbstverständlichkeit integriert hat. Vom Ösi-Hype hab ich persönlich nix. Ich weiss, dass ich und meine Musik diese Geschmäcker nicht bedienen.

In “Weeping over my ideals” heißt es zuerst “I´m not here to entertain you” und später “Weeping over my queer feminist ideals”. Kannst du das genauer erklären?
Cherry Sunkist: 
Ursprünglich stammen Teile des Textes von “Weeping over my ideals” aus einem Song, den ich 2006 verfasst habe, der aber nie veröffentlicht wurde. Textlich kreist der ursprüngliche Song um meine Rolle als Musikproduzentin, um positive Utopien um das Potential von Musik, – im speziellen der Popmusik – , komplexe politische und queer-feministische Inhalte zu vermitteln. Ich wollte den Text mit einem neuen Sound nochmals verwenden, musste ihn aber neu betrachten und überarbeiten. Denn meine Erfahrungen haben den Blick auf meinen eigenen, mit 25 Jahren verfassten Text verändert. “Weeping over my ideals” beginnt mit kämpferischen Ansagen, setzt fort mit Zweifeln, ob die Beats nicht doch stärker wie die Worte sind. Mein vergangenes Ich kämpft sozusagen gegen ein zukünftiges Ich, dass bereits die “queer feminist ideals” beweint. Denn: haben sich meine positiven Utopien erfüllt ? Macht man weiter im Prekariat und glaubt an die Ideale (“It´s no matter of money, it´s no matter of sex”) oder kapituliert man und geht zum Programm Kinderkriegen und Wohlstandsbürgertum über ? Befinde ich mich bereits in einem Dazwischen?
Es ist nicht so einfach einen klaren, eindeutigen Standpunkt einzunehmen, denn meine Prägung, mein soziales Umfeld und gewisse Erwartungshaltungen von aussen spalten mich in zwei Hälften. Das ist der Grund, warum in “Weeping over my ideals” die Songzeile vorkommt: “It splits me up inside”…
Und “I´m not here to entertain you”- ist zynisch gemeint: ich stehe auf der Bühne und unterhalte das Publikum, aber das was ich sage, ist bitterernst gemeint…

Bei “Goodbye” geht es um Marilyn Monroe. Wieso eigentlich sie?
Cherry Sunkist: In dem Song geht es um die letzten Worte von Marilyn Monroe vor ihrem Tod. Ich schlüpfe sozusagen in ihren Körper oder verleihe ihr meine Stimme. Ich beschäftige mich seit Jahren mit ihren Erscheinungsformen in Film, Fotografie und Musik. Für mich hat sie, trotzdem sie festgeschrieben und stereotypisiert wie kaum jemand anderer zu sein scheint, etwas, dass sich nicht fassen lässt. Deshalb reizt es mich, ihre Biografie neu zu betrachten und zu überschreiben, mit dem Wissen, dass sie selbst dadurch auch wieder nur eine Projektion von mir wird. Darüber hinaus habe ich ein Fable für rätselhafte und tragische Biografien.

Der Song erinnert ja auch an eine Art transformierten Vorkriegsblues.

Cherry Sunkist: Der Sound, den du als “transformierten Vorkriegsblues” bezeichnest, ergibt sich vielleicht durch das jenseitige Styling der Stimme. Das spezielle Coppermicrophone macht diesen “Billie Holliday”-Sound.

Würdest du dich selber als feministische Künstlerin bezeichnen?
Cherry Sunkist: Ja. Aber lieber wäre mir der Verzicht auf jegliche Art von Zuschreibung. Für mich ist queer/feministisch zu denken und zu leben eine Selbstverständlichkeit, die ich verinnerlicht habe und auf viele, wenn auch nicht sofort lesbare Weise, artikuliere.

Danke für das Interview.

CD-Release-Parties:
25.05.2011: Roter Krebs/Linz, feat. Cherry Sunkist, chra, DJ Eve Massacre
26.05.2011: rhiz/Wien, feat. Cherry Sunkist, DJ Eve Massacre
27.05.2011: p.m.k./Innsbruck
02.07.2011: Ottensheim Open Air

 

Foto-Credits:
B&W: Copyright by Cherry Sunkist
Farbe: Copyright by Martin Music/Dress by House Of Boing
Cover “Projection Screens”: Artwork Copyright by Dietmar Brehm

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