Am 23. Mai wurde sein „Doppel für Kontrabass und Klavier mit Ensemble“ in Wien uraufgeführt, am 12. Juli hatte seine Kirchenoper „Sara und ihre Männer“ im „Carinthischen Sommer“ in Ossiach Premiere. Der Kärntner Komponist und Organisator Bruno Strobl lebt seit einiger Zeit in Wien. Als Präsident der IGNM hat er viel zu tun, ist die IGNM Österreich doch zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Slowakei intensiv damit beschäftigt, die ISCM-Weltmusiktage 2013 vorzubereiten, die in Bratislava und Wien stattfinden werden. Doch trotz aller organisatorischer Arbeit (auch das von ihm gegründete Festival Expan wird in diesem November wieder in Spittal an der Drau stattfinden) steht für Bruno Strobl das Komponieren im Zentrum seines Interesses. Nina Polaschegg hat mit ihm über aktuelle Projekte gesprochen.
NP: Du lebst jetzt seit nunmehr eineinhalb Jahren in Wien, bist nicht nur regelmäßig einige Tage im Monat hier. Und Du gehst mit offenen Ohren durch die Stadt, hörst viele Konzerte, nicht nur im Bereich traditioneller komponierter Musik, sondern auch improvisierte, experimentelle und elektronische Musik. Hat diese Entwicklung Einflüsse auf Dein musikalisches und kompositorisches Denken?
BST: Ja, ich lebe jetzt tatsächlich schon fast 1 ½ Jahre in Wien und habe dadurch natürlich viel mehr Möglichkeiten als früher, Konzerte zu hören. Wenn ich früher nach Wien gekommen bin, hat es hauptsächlich Arbeit gegeben im Rahmen der IGNM. Das ist jetzt anders und ich kann viele verschiedene Konzerte wahrnehmen, Musik aus unterschiedlichen Genres hören. Und das ist schon einmal grundsätzlich interessant. Als Komponist interessiert mich das insofern, als dass ich meine eigene Arbeit immer wieder reflektiere und natürlich auch auf diesem Hintergrund der erweiterten Hörerfahrung. Meinen Weg zu komponieren habe ich nicht vor, ganz zu verlassen, aber ich überlege mir schon dauernd etwas Neues. Das war früher auch so, z.B. verschiedene Einflüsse und Anregungen von Musikern oder bestimmten Konzerten, aber nun hat sich der Reflexionsrahmen beträchtlich erweitern können. Ja, wenn ich jetzt die Gelegenheit habe, vermehrt unterschiedlichste Konzerte zu hören, hat es natürlich Einflüsse auf mein Denken und fordert meine Denken als Komponist heraus.
NP: Gibt es spezielle Fragestellungen, die Du Dir als Komponist stellst oder an denen Du gerade denkst und arbeitest?
BST: Ja natürlich. Ich stelle dabei meinen kompositorischen Weg nicht völlig in Frage, aber ich be-frage ihn: Wie kann ich einzelne Aspekte ändern, erweitern, erneuern? Ob sich mein Komponieren im Laufe der Zeit dann durch stete Veränderung doch ganz anders darstellt, wer weiß. Dafür bin ich offen und ich bin selbst gespannt, wie sich meine Musik entwickeln wird.
Mein Weg, wie ich ihn jetzt schon lange verfolge, hat eigentlich so begonnen, dass ich gesehen habe, dass sich im Laufe der Zeit immer wieder verschiedene Dinge haben integrieren lassen. Das war für mich ein Zeichen dafür, dass ich diesen Weg ganz gut weiter gehen kann, weil immer wieder neue Möglichkeiten entstehen. Aber jetzt bin ich tatsächlich an einem Punkt, an dem ich mich schon sehr herausgefordert sehe, Dinge wieder grundlegender neu zu überdenken. Wie gesagt, es gibt lange Konstanten in meiner Arbeit, wie etwa das Komponieren mit den Strukturen der Teiltonreihe oder die Form der Welle; sie beschäftigen mich seit Jahren immer wieder. Sie lassen sich in verschiedenster Weise verwenden und damit werde ich sicher auch noch eine Weile experimentieren. Mit diesen Materialien, Formen, Strukturbildungen kann ich im Prinzip weiter arbeiten, aber ich überlege zur Zeit verstärkt, wie ich mit Klängen und differenzierter Klanglichkeit in diesen Kontexten umgehen kann und auch, wie ich die formale Gestaltung weiter entwickeln kann. Das sind Gedanken, die für mich im Moment im Fluss sind. Aber dieses ständige Reflektieren ist ja gerade das Interessante und ich würde das Komponieren ja sein lassen, wenn nicht immer wieder neue Herausforderungen und Gedanken entstehen würden.
NP: Schlägt sich da der eine oder andere Gedanken dieses Wiener Jahres schon in dem einen oder anderen Werk nieder, das in nächster Zeit uraufgeführt wird? Ich denke da an Dein Duo für Kontrabass, Klavier und Ensemble, das das Ensemble Reconsil in Auftrag gegeben hat und am 23. Mai erstmals spielen wird, oder an Deine Kirchenoper „Sara und ihre Männer“, die am 12.Juli 2012 in Ossiach Premiere haben wird?
BST: In der Kirchenoper zum Teil. Und ziemlich sicher in diesem Duo, ich nenne es „Doppel für Kontrabass und Klavier mit Ensemble“. Vor allem was das Klangliche betrifft. Es soll ja ein Quasi-Doppelkonzert sein und da es eine Länge von ca. elf Minuten hat, war für mich der Anspruch, das Stück Konzert zu nennen, zu groß und der Begriff auch zu sehr mit traditionellen Vorstellungen behaftet. Deshalb habe ich es „Doppel für Kontrabass und Klavier mit Ensemble“ genannt.
Die Wellenform, die manchmal nur teilweise, manchmal in abgerissener Form vorhanden ist, kommt auch hier wieder als formale Basis vor. Das Aufschaukeln durch Wiederholungen, die manchmal wirkliche Wiederholungen sind, manchmal geringfügig veränderte quasi-Wiederholungen sind, weil Tonmaterial aus anderen Schichten dazu genommen wird. Klanglich ist es so, dass vor allem die beiden Soloinstrumente in gewisser Weise herausgefordert sind, weil sie viel mit manipulierten Klängen arbeiten müssen. Genau genommen ist es nicht ganz neu in meiner Arbeit, aber ist eher wieder einkehrt. Zum Teil übertrage ich diese Klanglichkeit auch auf das Ensemble, aber aus pragmatischen Gründen nicht so stark wie bei den Soloinstrumenten. Denn das Ensemble hat leider nur wenig Zeit zum Proben. Solch pragmatische Überlegungen spielen beim Komponieren manchmal leider auch eine Rolle oder müssen eine Rolle spielen. Auch wenn es eigentlich nicht sein sollte.
NP: Warum hast Du für dieses Doppel ausgerechnet die – aus traditioneller, klassischer Perspektive – schwierigste und in der klassisch-romantischen Kontrabassliteratur eigentlich fast nie befriedigend ausbalancierten Instrumentenkombination gewählt?
BST: Als ich dieses Angebot bekam, ein Doppel für MusikerInnen des Reconsil zu komponieren, habe ich überlegt und dann extra Instrumente gewählt, die für mich eine Herausforderung darstellten. Ich finde aber, dass diese Instrumente, wenn man sie nicht traditionell behandelt, sehr gut zueinander finden können. Und genau das habe ich diesem Stück versucht. Das geschieht zum Teil durch Präparierungen im Klavier, aber auch beim Bass, durch unterschiedliche Bogentechnik etc. So nähern sich die Instrumente klanglich an, entfernen sich wieder voneinander…
NP: D.h. aktuelle Fragestellungen betreffen bei Dir zur Zeit primär das klangliche Material, nicht so sehr Form und Struktur oder Prozesse eines Werkes?
BST: Ja es stimmt, dass hier zur Zeit mein Hauptinteresse liegt. Die Frage nach dem werkgenerierenden Prozess stellt sich mir im Prinzip in jedem Stück. Denn ich gehe zwar nach wie vor oft von der losen Form der Welle aus, aber ich verfolge diese Idee nicht streng, nicht schematisch. Brechungen, Variantenbildungen oder „Irrwege“ sind wichtig, um die Musik lebendig gestalten zu können. Je nachdem, wie ich das Stück anlege oder wie einzelne Teile erscheinen, hat es Einfluss darauf, wie der nächste Teil erscheint. Insofern ist das Entwerfen von Form und Struktur bei jedem Stück ein neuer Prozess.
NP: Kommen wir zu Deiner Kirchenoper „Sara und ihre Männer“, die im Juli in Ossiach Premiere haben wird. Was ist das Besondere an einer Kirchenoper? Wie hast Du Dich kompositorisch diesem, dem Alten Testament entlehnten Stoff genähert? Der Librettist Peter Deibler hat ja verschiedene Geschichten des „Alten Testaments“ zusammen gefügt und dabei letztlich auch interpretiert. Sara erscheint als selbstbewusste Frau in der Gesellschaft, aber auch in der (vermeintlichen?) Sicherheit in ihrem Glauben.
BST: Das sind viele Fragen… Vielleicht kann ich ein paar davon beantworten. Nun, die „Kirchenoper“ von Ossiach hat schon Tradition. Ich habe einige davon gesehen, auch in einer mitgewirkt, aber für mich stellte sich die Frage erneut: was ist, was soll eine Kirchenoper? Sicher ist es nicht die große Oper. Wenn man sich die vergangenen Beispiele ansieht, waren das mehr oder weniger inszenierte klein besetzte Musiktheaterproduktionen (je nachdem, wieviel Raum vom Veranstalter zur Verfügung gestellt wurde), die ihre Inhalte aus religiösen Stoffen, z. B. aus alttestamentlichen Geschichten bezogen. Die für mich vom Veranstalter vorgegebene Beschränkung des Raumes (Bühne, Bewegungsmöglichkeit, Anzahl der SängerInnen, Größe des Instrumentalensembles), der Raum selbst und die Thematik waren auch für mich eine Herausforderung zur Beschränkung: im Gebrauch musikalischer Mittel. Ich habe beim Komponieren zum Beispiel sehr darauf geachtet, dass das musikalischen Geschehen nicht zu dicht wird. Unterschiedliche instrumentale Techniken haben für mich eine große Bedeutung. Ich verwende sie aber sehr sparsam, denn so bekommen die dadurch entstehenden Klänge (sowohl tonhöhenbezogene als auch geräuschhafte Klänge) und Klangverläufe eine sehr hohe Präsenz. Ähnlich verhält es sich mit den mikrotonalen Zentren: größere Wirkung durch sparsamen Einsatz.
Wie gehe ich an ein solches Projekt heran? Also, um so ein umfangreiches Projekt in den Angriff zu nehmen, habe ich mir zuerst überlegt, wie die einzelnen Szenen des Librettos musikalisch-dramaturgisch durch gestaltet sein können – wie der musikalisch dramaturgische Verlauf ungefähr aussehen soll. Das waren Überlegungen mit Worten und kleinen Skizzen niedergeschrieben. Da war mir auch schon ungefähr klar, wie lang die einzelnen Szenen dauern sollten, oder durften. Meiner Arbeitsweise entsprechend habe ich mir für die einzelnen Szenen bestimmte Zentraltöne festgelegt, die in fallender Linie aus der Teiltonreihe von C stammen. Von diesen habe ich mir für jeden Teil weitere bestimmte Zentraltöne abgeleitet, um die sich dann meine Strukturen von Reihen und Ausschnitten von Reihen ableiten und aufbauen lassen. Diese Vorgangsweise hat nichts mit der Deutung oder Ausdeutung des Textes zu tun, sondern ist lediglich eine Möglichkeit Ordnung zu schaffen.
Bei der Arbeit an den einzelnen Szenen habe ich entweder den Text – damit den Gesang – in diese vorhin genannten Strukturen integriert, manchmal habe ich mich auch vom Text leiten lassen, Strukturen zu entwickeln, die für das musikalische Geschehen Ausschlag gebend wurden. Das Faszinierende für mich ist dabei immer, wie sich Ordnungssystem und Interpretation, wenn man so will auch Ausdeutung, übereinander bringen lassen und zu überlegen, wo es für mich notwendig ist, eventuell auch gegen eine allzu eindeutige oder allzu klare Ausdeutung zu schreiben, d.h. Einerseits Unsicherheit beim Zuhörer/–seher zu erzeugen, andererseits deren Phantasie nicht einzuengen sondern ihr mehr Raum zu geben.
Grundsätzlich gehe ich der Stimmung/Atmosphäre in den einzelnen Szenen des Librettos nach, Kernaussagen werden musikalisch interpretiert, erklingen aber nicht zwingend parallel zum gesungenen Text, genau dem Text folgend, sondern können sich über weitere Strecken ziehen und auch an anderen Stellen der Szene auftreten. Der selbstbewussten Sara kommt wohl das größte Augenmerk zu, sowohl von mir aus gesehen, als auch vom Publikum. Es wird noch sehr interessant, was die Regie (Manfred Lukas-Luderer) mit dieser Rolle macht. Bis dorthin ist die Entwicklung dieser Oper noch ein Prozess, der spannend ist und von dem auch nicht zu viel verraten werden soll, damit er auch für eventuelle Besucher spannend bleibt.
NP: Du hast jetzt Einiges zu Deinen aktuellen Projekten und zu Deiner kompositorischen Arbeit erzählt. Und Du hast ja eine für Dich sehr charakteristische Arbeitsweise entwickelt. Wo siehst Du Deine kompositorischen Wurzeln oder wodurch hast Du Dich zu Deiner musikalischen Ästhetik und Kompositionsweise inspirieren lassen?
BST: Inspirationsquellen waren und sind ganz sicher u.a. Bach und Webern. An diesen beiden Komponisten fasziniert mich einerseits ihre Sparsamkeit in der Verwendung der Mittel und andererseits der klangliche und musikalische Reichtum, den sie mit ihren „Konstruktionskünsten“ erreichen. Was mich auch in gewisser Weise angeregt hat, war der Gedanke der Formelmusik von Stockhausen. Anfang der 80er Jahre. Da habe ich damals auch eine Zeit lang versucht, aus einem Motiv heraus die verschiedenen Parameter abzuleiten und das Material und auch die Form daraus zu gewinnen. Als ich dann angefangen habe, die Teiltonreihe mit einzubeziehen, haben sich Ende der 80er Jahre für mich wieder neue Möglichkeiten ergeben. Da habe ich dann zunächst nicht gewusst, ob sich das über längere Zeit ergiebig zeigt oder nicht. Aber es haben sich bislang immer wieder neue Möglichkeiten in diese Art zu Komponieren integrieren lassen.
NP: Vielleicht zum Schluss eine Frage, die Dich eher in frühere Zeiten Deines Komponierens zurückführt. Wie bist du eigentlich auf die Idee mit den Teiltonreihen gekommen, mit der Du ja schon viele Jahr lang arbeitest? Hast Du Dich da mit den Spektralisten auseinander gesetzt, die ja eigentlich damals hierzulande noch eher wenig bekannt waren?
BST: Nein, ich habe die Spektralisten damals tatsächlich nicht gekannt und bin erst in den 90er Jahren hörend auf diese ganze Strömung gestoßen und auf diese Weise Bekanntschaft mit dieser Musik gemacht. Die Möglichkeit, Teiltonreihen zu verwenden, habe ich über meinen ehemaligen Lehrer Dieter Kaufmann schon in den frühen 80ern kennen gelernt. Das hat mich zuerst einmal lange beschäftigt, bis ich dann Ende der 80er Jahre – wie ich vorhin schon sagte – einen ganz anderen Weg gefunden habe als er, mit diesem Material umzugehen.
NP: Und es scheint ein Weg zu sein, von dem immer wieder neue Pfade und Seitenwege wegführen. ..
Nachsatz: Die Premiere von Bruno Strobls Kirchenoper „Sara und ihre Männer“ war bereits ausverkauft. Am 25. Juli und 8.August gibt es aber noch die Möglichkeit, wandern bzw. baden im See zu verbinden mit einem abendlichen Besuch zeitgenössischer Musik.
Foto: Patrick Connor Klopf
Bruno Strobl