mica-Interview mit Bernd Richard Deutsch

Gerade einmal 34 war er als er im Vorjahr mit dem Niederösterreichischen Würdigungspreis eine Auszeichnung erhielt, die in der Regel erst für ein Jahrzehnte umfassendes Lebenswerk zuerkannt wird. Für den auch nach rund zwanzig Schaffensjahren durchaus noch als „jung“ zu bezeichnenden Komponisten Bernd Richard Deutsch vielleicht von noch größerer Bedeutung: Der 2. Preis beim Toru Takemitsu Award 2011, stellt doch das sich Durchsetzen gegenüber einer internationalen Konkurrenz sicherlich die beste Bestätigung der eigenen Arbeit dar. Mit einer Uraufführung bei den kommenden Bregenzer Festspielen sowie der Premiere des 2. Streichquartetts beim Festival Wien Modern beginnt ein an Aktuellem nicht minder ereignisreiches zweites Halbjahr 2012. Das Gespräch führte Christian Heindl

Der Würdigungspreises des Landes Niederösterreich, der zweite Preis beim Toru Takemitsu Composition Award 2011 – das sieht nach einem „guten Lauf“ aus. Überwiegt für dich dabei ein Gefühl der Zufriedenheit oder doch auch etwas Skepsis, dass mancher Erfolg nur punktuell sein könnte?

Ich sehe absolut positiv in die Zukunft und konzentriere mich auf eine Reihe von Projekten bzw. Aufträgen, die ich in den kommenden Jahren komponieren muss.

Mit Mitte 30 den Preis für ein „Lebenswerk“ zu erhalten, wie dies dem Würdigungspreis entspricht, wirkt geradezu eigentümlich. Musikhistorisch gäbe es zwar Beispiele, bei denen in diesem Alter das Œuvre abgeschlossen war, doch wollen wir dieses weder erwarten, noch als Intention der Jury sehen. Demnach scheint es sich eher um eine Momentaufnahme nach rund zwei Jahrzehnten kontinuierlichen Schaffens zu handeln. Wie wirkt so eine Auszeichnung auf einen selbst? Ist das ein geeigneter Augenblick zum Innehalten und Bilanzieren?

Also ich hoffe nicht, dass mein Lebenswerk schon abgeschlossen ist, ich habe noch sehr viel vor, mein Kopf ist voll mit Diversem, das auf Realisierung wartet. Der Würdigungspreis hat mich natürlich außerordentlich gefreut, ich habe mir aber nicht den Kopf darüber zerbrochen ob das nun für ein Lebenswerk war oder nicht. Ich denke, die Jury hat ihn mir in erster Linie aufgrund der Qualität meiner bisherigen Arbeiten und ihrer Wirkung über die Landesgrenzen hinaus zugesprochen.

Als jemandem, der dein bisheriges Schaffen verfolgt hat, zeigt sich mir in kurzer Zeit ein breiter Bogen der Entwicklung – von überaus gelungener Stilkopie noch während der Schulzeit über teils kompliziert strukturierte, aber transparent nachvollziehbare Arbeiten in den Studien-, Sturm- und Drangjahren zu einer Art „neuer Fasslichkeit“, einer leichteren Eingängigkeit in jüngeren Werken wie z. B. dem  Oboenkonzert von 2009. Würdest du diese Sicht so gelten lassen oder hast du diesbezüglich eine andere Einschätzung?

Fasslichkeit hat mit der Auffassungsgabe des Zuhörers zu tun. Da der einzige Hörer, an den ich beim Komponieren denke, ich selbst bin, ist Fasslichkeit nicht unbedingt ein vorrangiges Ziel für mich.
Es stimmt aber, dass in einer mittlerweile abgeschlossenen Phase, etwa in den Jahren 2003–09, also nach dem Oratorium „Martyrium oder Die Dinge sind“, die Texturen etwas einfacher geworden sind als in den Jahren davor. Die Werke aus den letzten drei Jahren weisen wieder eine Tendenz zu komplexeren Texturen auf. Wichtig ist mir aber sicherlich eine nachvollziehbare Form, bei der der Hörer (also ich) das Gefühl bekommt, das Ganze könne gar nicht anders ablaufen. Die formalen Aspekte werden heute von vielen Komponisten – aus welchen Gründen auch immer – gerne vernachlässigt und manchmal simplifiziert. Auch ich habe dem in meiner Jugend wenig Aufmerksamkeit gewidmet, ich weiß also genau wovon ich spreche.

Um nochmals kurz auf diese Phase der leichteren Fasslichkeit einzugehen. Was waren damals für dich die Grundlage bzw. die Motive, dich in diese Richtung zu entwickeln? Gab es da ein unbewusst-natürliches Fortschreiten der Entwicklung oder handelte es sich um ein bewusstes Hervorheben des Parameters „Melodie“?

In der vorhin beschriebenen Phase spielte die Melodik eine etwas gehobenere Rolle, danach stand der Rhythmus mehr im Vordergrund, etwa in „Mad Dog“ oder im 2. Streichquartett, das ich gerade vollendet habe.
Grundsätzlich möchte ich keinen der Parameter Harmonik, Rhythmus, Melodie, Klangfarbe etc. überstrapazieren und zu Ungunsten der anderen besonders hervorheben. Ideal wäre es für mich, alle Parameter tendenziell gleichwertig zu berücksichtigen, wobei das Pendel mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlagen kann. Mit anderen Worten, ein musikalisches Kunstwerk sollte in erster Linie reichhaltig sein.

Komponisten neigen dazu, primär ihr aktuellstes Schaffen hoch zu schätzen und ältere Werke demgegenüber nur als – teils wichtige – Entwicklungsschritte zu sehen. Wie ist dein Verhältnis zu deinen älteren Werken? Bildet dein Schaffen für dich insgesamt einen monolithischen Block oder haben einzelne Werke hervorgehobene Bedeutung, andere keine oder nur untergeordnete?

Natürlich schätze ich einzelne Werke höher ein als andere, und die aktuelleren stehen mir momentan einfach näher. Von meinen frühen Werken hat für mich etwa das Gitarrenquartett „Fixe Ideen“ besondere Bedeutung, das Oratorium „Martyrium oder die Dinge sind“, das vielleicht den Abschluss meiner ersten Phase darstellt, ist sicherlich als eines meiner Hauptwerke anzusehen. Von den späteren liegen mir z. B. die Variationen für Klarinette, Akkordeon, Violine, Viola und Kontrabass besonders am Herzen sowie „subliminal“ für Orchester und „Mad Dog“ für Ensemble. Ein Werk das für mich keine Bedeutung mehr hat, gibt es sicher nicht, sonst hätte ich es schon aus meinem Katalog entfernt.

Wie weit sollte ein vorhandenes Werk ein vom Komponisten unabhängiges Eigenleben entwickeln? Wie weit sind Revisionen bereits früher abgeschlossener Werke im Sinn des jeweils eigenen Entwicklungsstands zulässig? Gibt es in deinem Schaffen Beispiele solcher Revisionen?

Meine Kompositionen entstehen normalerweise sehr langsam, und ich arbeite so lange an ihnen bis ich das Gefühl habe nichts mehr ändern oder hinzufügen zu können. Das hat zur Folge, dass ich im Nachhinein nicht mehr gerne daran herumkorrigiere. Nach der Uraufführung verbessere ich höchstens dynamische Angaben, so gut wie nie die Instrumentation und nie die Tonhöhen oder den Rhythmus. Es widerstrebt mir zutiefst mich noch einmal mit einem schon abgeschlossenen Stück zu befassen. Einzige Ausnahmen in meinem Werkkatalog bildeten da die Kammeroper „Die Verwandlung“ aus dem Jahr 1998, die ich 2004 grundlegend revidierte, und die „Musik zu einem imaginären Drama“, in diesem Stück habe ich nach der Uraufführung einige Takte neu komponiert und die Instrumentation an der einen oder anderen Stelle verbessert.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass ich Details über den Kompositionsprozess nach Abschluss der Arbeit sehr schnell vergesse, und daher tatsächlich das Gefühl habe dass die Stücke ihr Eigenleben führen. Nach einer längeren Zeitspanne höre ich sie dann fast so wie Stücke von anderen Komponisten.

Du warst als junger Komponist zwar kein Außenseiter, aber auch nie wirklich einer Kollegengruppierung zugehörig. War dies ein bewusst gewähltes Einzelgängertum oder eine Folge dessen, dass du dich mit  deinen Vorstellungen zu keiner Gruppe passend gesehen hast?

Bewusst gewählt war mein Einzelgängertum sicherlich nicht, es entspringt vielmehr meiner Natur und scheint mir ganz selbstverständlich zu sein. Gehören Künstler einer Gruppe oder Tendenz an – und das sogar aus eigenem Antrieb – verwundert mich das eher.

Wie gehst du mit der „historischen Last“ um, Jahrhunderten des Musikschaffens, die ein heutiger Komponist ja nicht ausblenden kann?

Die historische Last sind für mich nicht unbedingt die Komponisten der Vergangenheit selbst, von denen ich einige unablässig studiere. Ihre Musik wird vom heutigen musealen Konzertbetrieb allerdings zu einer Last gemacht. Jede Dvořák-Symphonie, die gespielt wird, bedeutet eine Aufführungsmöglichkeit für einen zeitgenössischen Komponisten weniger … Dieses immerwährende bequeme Widerholen des schon hundertmal Gehörten stellt unserer Zeit nicht unbedingt ein gutes Zeugnis aus. Was die zeitgenössische Musik betrifft, so versuche ich so viel wie möglich aus unterschiedlichen Richtungen zu hören.

Als primär freischaffender Komponist vertrittst du einen Typus, von dem allgemein vielfach angenommen wird, es könne ihn schon allein aus materiellen Gründen heutzutage gar nicht geben. Ist so eine Lebensform langfristig realistisch?

Was die Zukunft bringen wird, weiß ich nicht. Es gibt sicherlich bedrohliche Anzeichen, wenn man bedenkt, dass überall gespart wird, selbst an Orten, an denen man das nicht für möglich gehalten hätte. Diese Tendenz wird sich ohne Zweifel noch fortsetzen. Bis jetzt habe ich es geschafft, als freischaffender Komponist zu leben, und für die unmittelbare Zukunft besteht kein Grund für Ängste. Aber wir müssen auf der Hut sein. Die Politiker sind sich hoffentlich ihrer großen Verantwortung bewusst: Was definiert ein Land, wenn nicht Kultur und Kunst?

Am 22. Juli 2012 kommt „…aus Wasser Seele“ bei den Bregenzer Festspielen zur Uraufführung. Was war die Idee hierbei, was erwartet das Publikum?

Das Stück wurde im Rahmen des Bregenzer Kompositionswettbewerbs 2011 für die acht Cellisten der Wiener Symphoniker zum Thema „Wasser“ gemeinsam mit zwei Stücken der beiden deutschen Komponisten Steffen Wick und Martin Sadowski prämiert und soll als Tanztheater realisiert werden. Was dabei auf der Bühne zu sehen sein wird, weiß ich noch nicht, da lasse ich mich überraschen.

Du hast eingangs eine Reihe von Projekten für die kommenden Jahre angesprochen. Wie weit darf man da schon etwas verraten?

Wie gesagt, soeben habe ich mein 2. Streichquartett vollendet, ein Auftragswerk des Festivals Wien Modern, die Uraufführung durch das Arditti String Quartet wird am 2. November im Konzerthaus stattfinden. Jetzt soll ich ein ca. zehnminütiges Stück für das „exploring the world“-Projekt des Ensembles reconsil schreiben. Danach wird ein großangelegtes Werk für ein renommiertes Ensemble folgen, genaueres darf ich aber noch nicht verraten. Des Weiteren plane ich ein neues Orchesterwerk, für das es schon einige Ideen gibt. Auch dazu kann ich aber im Moment noch nicht mehr sagen.

Deine Kammeroper nach Franz Kafka „Die Verwandlung“ (1998/rev. 2004) bewies, dass du ein tiefes Gespür für Musikdramatik hast. Ist auch wieder eine Oper zu erwarten?

Eine abendfüllende Oper zu schreiben ist ein lang gehegter Wunsch von mir. Diverse Projekte diesbezüglich haben sich in der Vergangenheit zerschlagen. Ich bin für die Zukunft aber zuversichtlich einen Ansatz zu finden der mich inspiriert.

Gibt es Aufträge für eine spezielle Gattung oder eines speziellen Inhalts, die du gerne erhalten würdest?

Mein hauptsächliches Interesse gilt der Komposition für Orchester bzw. großes Ensemble. Und wie gesagt, auch das Musiktheater ist mir ein spezielles Anliegen.

Foto: Stefania Amisano

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