mica-Interview mit Andy Manndorff

Seit bald 30 Jahren erregt Gitarrist Andy Manndorff Aufmerksamkeit in der Welt der improvisierten Musik- die Suche nach neuen Klängen führte den einstigen Schüler von Harry Pepl u.a. zum Vienna Art Orchestra, nach Amsterdam und nach New York. Mit “You Break It – You Own It”, dem neuen Album seines aktuellen Trios mit Achim Tang (bass) und Reinhardt Winkler(drums), gibt Manndorff seiner lyrischen, melodischen Ader mehr Raum als je zuvor. Michael Huber sprach mit dem Gitarristen über seine jüngste Entwicklung. “Ich habe beschlossen, ein sanfterer Mensch zu werden”

MH: Die neue CD klingt sehr rund und balanciert. Wie kommt man zu so einer Aufnahme?
AM: Ich war immer auf der Suche nach neuen Wegen, und die Musik war eher spröde, sperrig, hat die auf der Hand liegenden Möglichkeiten fast immer gemieden. Die Entwicklung, von der die CD nun das erste Hördokument ist, hat vor zwei Jahren begonnen. Ich habe nach Beruhigung gesucht, nach Schönheit, auch nach Stille. Das ist sicher erst der Anfang einer hoffentlich sehr fruchtvollen Phase. Was mich besonders an diesem Trio erfreut, ist, dass wir als eine der wenigen Bands, die ästhetische Musik machen, innerhalb der Stücke komplett frei spielen. Das Ganze funktioniert wie eine Freejazz-Band, aber wenn wir über die Stücke spielen, versuchen wir natürlich, die Stücke und die Stimmung nicht zu zerstören. Wir haben keine Changes, keine vorgefassten Strukturen, fast jedes Stück wird, mit einer Ausnahme, komplett frei improvisiert. Das macht das Ganze sehr speziell und einzigartig.

Wie gibst du den Rahmen vor?
Ich gebe nur die Themen vor, der Achim macht sich seine eigene Basslinie dazu, der Reinhardt entwirft das Pattern fürs Thema. Und dann geht’s los, es wird frei gespielt, und es klingt jedes Mal anders.

Du hattest nun schon mehrere Trios – was ist die spezielle Geschichte der Formation, mit der du jetzt spielst?
Zwischen uns dreien gibt es einfach eine glückliche Fügung, eine Seelenverwandtschaft. Als wir angefangen haben, sind wir zusammen auf ein Festival in Polen gefahren, haben uns auf die Bühne gestellt und dort frei improvisiert. Das hat am Anfang sehr zornig geklungen, sehr energetisch und sehr wild, und dann haben wir uns langsam in diese andere Richtung bewegt. Ich wollte diesen Aspekt einmal wirklich ausleuchten, auf die Schönheit, auf die Leute zuzugehen – so dass man auf der Bühne nicht zu den Leuten spricht, sondern auch mit ihnen. Ich habe irgendwann den Entschluss gefasst, ein sanfterer Mensch zu werden. Ich habe ein bisschen den Ruf, nicht ganz einfach im Handling zu sein, manchmal konfrontativ und so, und das hat alles miteinander zu tun, das ist eine menschliche Entwicklung, die Auswirkungen auf die Musik hat, oder eine musikalische, die Auswirkungen aufs Menschliche hat – das kann man nicht mehr genau unterscheiden.

Gab es eine Initialzündung für diese Entwicklung?
Kann ich nicht sagen. Das war auf einmal da. Vielleicht habe ich mich nach ein bisschen mehr Ruhe gesehnt. Und auch der Stress, immer wieder das Rad neu erfinden zu müssen – das ist ein Blödsinn, schöne Musik, die eine persönliche Handschrift trägt, ist immer modern und zeitlos.

Hast du eine Definition von Schönheit?
Nein, Schönheit ist etwas sehr Subjektives. Es mag vielleicht auf den ersten Eindruck etwas esoterisch klingen, aber Schönheit hat etwas mit Energie zu tun. Wenn du dir etwas anhörst – wie hoch schwingt das? Oder, wenn du dir spröde Musik anhörst, wo ist da der Energiebereich, was macht der mit dir, wo fährt der in den Körper rein, fährt er überhaupt rein, oder geht er an dir vorbei? Der energetische Faktor bei Musik hat auch eine gewisse Form von Objektivität – Musik, die Menschen erreicht, hat einen gewissen energetischen Level.

Wie kam es dann zu den zornigen Aufnahmen?
Das liegt an meiner Geschichte, das hat sich aus dem zornigen Binkel entwickelt, der immer rebelliert hat gegen alles, natürlich auch mit einem politischen Hintergrund. Es waren die ausklingenden 70er Jahre, die 80er Jahre, Amsterdam war damals das Zentrum der politischen Provokationskultur. Ich war auch nie ein guter Schüler, der einzige Lehrer, der mir etwas beibringen konnte, war der Harry Pepl. Und der hat mir einen Spirit mitgegeben, wir waren uns da auch nicht unähnlich – der Harry war von seiner inneren Haltung ein ähnlicher Typ, und auch er hat ja irgendwann irrsinnig schöne Musik gemacht. Es spielte nicht nur die Solos mit 13 Millionen Tönen in der Minute, die irrsinnig laut waren, sondern es gab auch irrsinnig schöne Melodien. Der Harry hat diesen Spirit in mir gefördert, der es ermöglicht hat, immer zu suchen, nie stehen zu bleiben. Ich respektiere Musiker, die seit 40 Jahren die selben Lines spielen – der Miles Davis hat ja auch nichts anderes gemacht, der hat nur immer den Unterbau geändert, sein Spiel war immer ähnlich. Aber ich bin da anders, ich kann meine Linien nach einem Jahr nicht mehr anhören, wenn sie dieselben sind.

Inwiefern ist Schönheit und Ruhe, so wie du sie definierst, etwas Unpolitisches? Und kommt der Spirit der Veränderung auch zur Ruhe?
Nein, wenn du dir John Cage oder Morton Feldman anhörst, dann waren das ungeheuer politische Menschen. Das hat sich nicht verändert. Jazz ist ja ein dummes Wort, für mich persönlich ist Jazz keine Musik, sondern eine Haltung, und das hat durchaus politische Dimensionen. Wenn du eine improvisierende Band auf der Bühne betrachtest und schaust, wie die agieren, dann ist das im guten Fall eine perfekt funktionierende Welt, in der es ein Höchstmaß an Freiheit und Verantwortung für den Augenblick des Anderen ermöglicht, Menschen miteinander agieren zu sehen, oder dass sie irgendjemand zu irgendetwas zwingt. In dem Sinn hätte es fast etwas Therapeutisches. Und das hört man bei uns auch, dass wir uns einfach so gut verstehen. Achim und Reinhardt sind zwei unglaublich sensible, unglaublich tolle Musiker und Menschen, und es würde mir nie einfallen, mich mit einem Solo, den Verzerrer auf 10 geschaltet, da drüberzulegen.

 

 

Wie kam eure Verbindung zu Stande, brauchtet ihr lang, um euch kennen zu lernen?
Nein, ich habe mit dem Reinhardt vor zehn Jahren zum ersten Mal gespielt, da war er noch ein Newcomer, und den Achim kenne ich schon lange, wir sind gleich alt. Beziehungen zwischen Menschen sind eben sehr oft chemisch, da gibt es eine gewisse Basis, und wenn sich die ideologischen Welten jetzt nicht diametral gegenüberstehen, dann funktioniert das schon. Ich bin sogar draufgekommen – auch das ist eine Neuerung in meinem Leben – dass ich mich mit Leuten, die komplett anders denken als ich- wenn sie keine Faschisten sind – unterhalten kann. Dass ich ihre Qualitäten, ihre Denkweise in einem Gespräch entblättern und mich auf diese Person konzentrieren kann, ohne mich mit ihr verbrüdern zu müssen. Ich muss jemanden nicht von vornherein, weil er ideologisch anders ausgerichtet ist, ignorieren.

Wie ist es, wenn du das Energie- und Konzentrationslevel dieses Projekts mit deinen eher rüttelnden, energetischen Werken vergleichst? Wo gibt es mehr Aufwand, wo musst du stärker aus deinen natürlichen Bahnen hinaustreten?
Mit (dem Vionlinisten, Anm.) Andy Schreiber habe ich ein Duo, mit dem wir sehr wild, frei und energetisch spielen. Da bin ich nach einem Konzert eigentlich genauso geschlaucht wie mit dem Trio – vom energetischen Aufwand her gibt es eigentlich keinen Unterschied. Ich merke nur, dass das eine Seite von mir ist, die ich sehr gut pflegen will und mit der ich sehr liebevoll umgehen will. Die ruhige Seite hat sehr viel mit meiner Seele zu tun.

Wie wurde dir diese Verbindung zwischen ruhiger Musik und deiner Seele bewusst?
Ich glaube, dass mir irgendetwas abgegangen ist. Dieses ständige Experiment, dieser leicht missionarisch angehauchte Zugang – “Ihr müsst das verstehen” – ist mir irgendwann ein bisschen auf die Nerven gegangen.

Warst du jemand, der das Publikum missionieren wollte?
Ja, schon.

Wenn du das Ruhige und, sagen wir mal, “Gefällige”, suchst.
Ich kann dieses Wort für die Trio-Aufnahme nicht zulassen – das ist überhaupt nicht gefällig. Gefälligkeit hat etwas mit Beliebigkeit zu tun. Wir drücken etwas aus, was uns aus der Seele spricht. Und das ist eine Schönheit, die etwas mit einem energetischen Schwingen zu tun hat. Das ist etwas Anderes. “Gefällig” – das könnte ich nicht akzeptieren. Das wäre so, wie wenn du mit mir sprichst, und ich sage Sachen, von denen ich weiß, dass du sie gern hörst und schmeichle dir. Dann findest du mich aufgrund dessen vielleicht sympathisch – oder ich kann einfach ich selbst sein, offen sein und mit dir sprechen, so dass du dich in deiner Würde nicht enttäuscht fühlst. Dann findest du mich auch sympathisch, ohne dass ich etwas getan habe, um dir zu gefallen. Das ist der Unterschied.

Danke für die Präzisierung. Ich wollte wissen, ob in deiner “missionarischen”, fordernden Phase das Schöne und Ruhige einen anderen Stellenwert hatte als heute, und welchen.
Das Schöne und Ruhige ist schon auch immer wieder durchgekommen, es gibt auch auf “Up To Scratch” einen Song, der ruhig und elegisch beginnt, dann wird wieder gefetzt – es hat immer Momente gegeben, in denen das aufgeblitzt ist. Das ist eine Frage des Zulassens, und ich musste das immer wieder abbrechen, um die kontroversielle Note des Lebens und aller Zustände auszudrücken.

 

 

Inwiefern geht nun deine aktuelle Musik mit einem gewissen Gefühl des Angekommenseins einher?
Schon, das ist ein guter Begriff. Das sagt ja auch der Sloterdijk, dass der Mensch immer wieder geboren wird, er wird ursprünglich in eine Welt hineingeboren, die nicht für Menschen gemacht ist. Das ist ein Prozess der Erneuerung, in dem viele seelische Befindlichkeiten auf einmal am richtigen Platz zur Geltung kommen.

Hast du das Gefühl, dass man die “Stimme”, die man als Musiker entwickelt, einmal findet und dann behält? Oder ist die Stimme immer neuen Geburten unterworfen?
Die Stimme nicht – ich habe mir in der letzten Zeit auch eine Menge alter Aufnahmen angehört, und es ändert sich der Zugang und der Umgang mit dem Raum. Aber der Klang der Stimme, das ist auch wieder so etwas – es werden ja irrsinnig viele junge Menschen auf Schulen gedrillt, etwas Bestimmtes auf eine bestimmte Art zu machen. Diese armen Würstchen kommen dann mit einem Diplom aus der Schule und haben überhaupt keinen eigenen Klang, keine eigene Stimme, oft nicht einmal eine eigene Meinung. Das ist ein kontraproduktiver Ansatz, man muss die Menschen in ihrem natürlichen Bestreben, eine eigene Stimme zu finden, fördern.

Haben bestimmte Musik-Szenen dein musikalisches Schaffen beeinflusst?
Ich bin ein extremer Einzelgänger – nicht im sozialen Bereich, aber was die musikalische Zugehörigkeit zu Gruppierungen betrifft. Ich finde es natürlich auch ein bisschen schade, denn man ist zusammen stärker. Der Wermutstropfen, wenn sich Gruppierungen bilden, ist, dass immer eine Art von Lobbying entsteht, eine Art von Nepotismus – es ist immer zuviel Politik im Spiel, in dem Sinne, wie man sich zueinander verhält und die Außenwelt als Widerpart wahrnimmt. Was sehr leiwand ist, sind Sachen wie die Jazzwerkstatt, die aber auch schauen müssen, dass sie sich immer wieder erneuern, damit die Sache frisch bleibt. Aber es sind gute Typen.

Was hat das Einzelgängertum für eine Geschichte, seit wann würdest du dich als Einzelgänger bezeichnen?
Ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern, dass das jemals anders war. Als ich zum Art Orchester gekommen bin, stand über mich in den Zeitungen: Der Wundergitarrist aus Holland – weil keiner wusste, dass ich Österreicher bin. Ich war aber auch in Amsterdam nie so, dass man sagte, das ist der Typ aus Österreich. (Diese Identifizierung gab es) vielleicht am ehesten in New York mit der Knitting-Factory-Szene.

Inwiefern hängt die Tatsache, dass du nun in Wien lebst, mit dem Gefühl des Angekommenseins zusammen?
Wien ist, was die Lebensqualität betrifft, natürlich eine Oase. Es gibt nirgends auf der Welt so ein gutes Wasser, es gibt viel Grün, es gibt von der Infrastruktur her alles, was man sich erträumt. Das ist der Grund, warum ich hier lebe, das ist alles.

Aber hast du das Gefühl, dass es eine wienerische Identität in deiner Musik gibt? Das war ja bei deinem Album “Hakoah” schon ein Thema.
Das glaube ich schon. Während ich Hakoah gemacht habe, bin ich draufgekommen, dass ich zu dieser typischen Wiener Melodik, die, wie wir mittlerweile doch alle wissen, sehr jüdisch ist, eine große Affinität habe, dass ich viele dieser Dinge selbst spiele. Das ist sicher deshalb so, weil ich sehr viel von dieser Musik in meiner früheren Zeit gehört habe, und es sehr viele Melodien gab, die mir gefallen und die zu mir gepasst haben. Ich erkenne da eine große Affinität, das ist eine tief empfundene, seelenvolle Musik.

Wie würdest du von dieser Musik eine Linie zum aktuellen Projekt legen?
Die Melodik und die Stimmung vieler Stücke hat auch eine leichte Melancholie. Es gibt das kurze Aufblitzen von Aggression und abrupten Ausbrüchen, aber die Grundstimmung ist eher bedacht, kreisend, anschmiegsam – und ich hoffe auch lustvoll. Zumindest haben wir’s so empfunden.

In welche Richtung könnte sich das Projekt – aus heutiger Perspektive – weiter entwickeln?
Jeden Schritt, der mich in eine gute Stimmung bringt, der mit Liebe, Kraft und Kommunikation mit dem Publikum zu tun hat, den werde ich gehen. Es kann alles passieren. Was mein Blut in positiver Weise in Wallung bringt, dem werde ich mich nicht widersetzen. Ärgern möchte ich mich nicht. Wenn Ärger kurz als Illustration in der Musik auftritt, dann ist das okay. Aber ich lehne es ab, es mir schlecht gehen zu lassen.

 

 

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