mica-Interview mit Alp Bora

Alp Bora präsentiert neue CD “Amber”

Alp Bora, bisher als Solist und als Leader der World Music Band Nim Sofyan bekannt, eröffnet eine dritte künstlerische Schiene. Mit Julia Pichler und Lukas Lauermann gelingt es ihm, orientalischen Volksballaden “streichend” neue Auditorien zu erschließen. Die frische CD “Amber” verbandelt Türkisches mit Griechischem – wofür heute freilich weniger Mut als vor 20 Jahren erforderlich ist. Ein Gespräch mit Alp Bora über die Wienerische Orient-Okzident-Melange, über differente Zugänge zur Volksmusik und über türkische Frauen, für die das Kopftuchtragen ein Großmutterbrauch ist.

Zwischen Drama und Naschmarkt

Auf das beigefügte CD-Heft darf man sich nicht unbedingt verlassen. Ich weiß nicht, an wen ich die Kritik richten soll. Jedenfalls ist nur von anatolischen Liedern die Rede. Die Lieder auf der neuen CD seien “Bewahrer und Botschafter der anatolischen Kultur.” Sagst du. Aber unter den zehn Tracks ist ein Volkslied aus Istanbul zu finden, von einem Herrn Ismail komponiert und allein schon wegen dieses Umstandes anders als die anatolischen Lieder, die nicht auf einen bestimmten Autor oder Komponisten zurückzuführen sind, sondern einfach durch Überlieferung aus der Landschaft nicht mehr wegzudenken sind wie der Olivenbaum oder fast wie der Ararat. Die CD enthält aber auch vier griechische Lieder. Mir drängt sich da die Frage auf, ob “Türke singt griechisch oder umgekehrt” überhaupt noch ein Thema ist, ob es nach wie vor Irritationen auslöst, oder ob es sich um absolut banale Phänomene der Normalisierung handelt, um ein selbstverständlich gewordenes Abrücken von Hurrah-Patriotismus? Und dazu noch eine Frage: Im “Augustin” behauptest du, wer Lieder des ehemaligen “Feindes” singe, der könne unmöglich die althergebrachten Ressentiments beibehalten. Dazu fällt mir das Bild vom SSler ein, der sich privat ganz gern mit Musik der “Zigeuner” entspannte, die er ohne mit der Wimper zu zucken wie die Juden ins Gas trieb.

Alp Bora: Du willst wissen, ob es noch Mut erfordert, wenn man als türkischer Sänger ein griechisches Lied vorträgt. In Istanbul erfordert es keinen Mut. Aber in den Provinzstädten? Nim Sofyan (Alp Boras Welt-Musik-Ensemble, wurde 2004 mit dem Österreichischen World Music Award ausgezeichnet, die Red.) wird Ende Mai nächsten Jahres eine Türkei-Tournee antreten. In deren Rahmen wird es ein Konzert in einer kleinen Stadt an der Schwarzmeer-Küste geben, organisiert von einer Bekannten, die von dort stammt. Ich habe sie gefragt, ob es eh kein Problem ist, wenn ich dort auch mein armenisches Lied zum Besten gebe. Sie antwortete: “Ich würde dir raten, ein wenig aufzupassen.” Sicher werde der Polizeichef im Publikum sitzen. Meine Bekannte rechnet aber damit, dass ich mich nicht selbst zensuriere. Wenn der Polizeichef nachher zu mir komme und mich en passant frage, in welcher Sprache ich da im speziellen gesungen habe, könne ich antworten: Aber Exzellenz, können sie nicht Englisch? Insgesamt ist auch in der Türkei ein Liberalisierungsprozess bemerkbar. Vor 20 Jahren war es noch nicht üblich und auch nicht ratsam für türkische Sängerinnen und Sänger, wie selbstverständlich auf armenisches, griechisches, kurdisches Liedgut zurückzugreifen. Und zu deiner zweiten Frage. Der Nazi hat sich mit “Zigeunermusik” berieseln lassen, und vielleicht ist er auch auf Klezmer und auf jiddische Lieder gestanden. Aber der entscheidende Unterschied ist: Ich  s i n g e  die Lieder “des Feindes”. In diesen Momenten bin ich ganz nah an dessen Seele, ich werde er. Übrigens ist Griechenland auch ein weiteres Mal auf der CD vertreten, und zwar im türkischen Lied  “drama köprüsü”. Drama ist eine Stadt im heutigen Griechenland. Mein Opa hat hier gelebt, er war Fleischhauer. Das Lied ist eine Hommage an meinen Großvater, der leider zu früh starb – bevor ich auf die Welt kam.

Anders als viele deiner Musikerfreunde aus Österreich, die – falls sie sich auf das traditionelle Wienerlied oder die alpenländische Volksmusik beziehen – eine ironische Haltung dazu einnehmen, scheinst du die Lieder aus der Türkei absolut ernst zu nehmen. Du übernimmst sie ungebrochen. Dir fehlt der Humor, der beim Anknüpfen an das traditionelle Lied unerlässlich ist, das könnte dir seitens der Volkslieder in Volxlieder entfremdenden Österreicher vorgeworfen werden.

Alp Bora: Auch ich kopiere nicht das authentische, durch Überlieferung lebendig gebliebene Liedgut des türkischen Volkes. Ich wollte wissen, wie sich meine vertrauten Lieder – als Kind bekam ich sie fast täglich von Mutter und Großmutter zu hören – verändern, wenn sie nicht mit der Saz, sondern von westlichen Streichern begleitet werden. Die Geige ist ja zumindest im ägäischen Raum der Türkei in der Volksmusik nicht unbekannt; das Cello aber ist überhaupt nicht üblich. Das Publikum wird entscheiden, wie stimmig die ungewohnte Instrumentalisierung ist. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass eine Bäuerin aus dem Inneren Anatoliens die Lieder trotz meiner Arrangements nicht als etwas Fremdes empfindet. Trotz der “fremden” Streicher, die bisher mit der Volksmusik der Türkei nichts am Hut hatten. Mit meiner Band Nim Sofyan hätte ich die Lieder der neuen CD nicht erarbeiten können. Die meisten Lieder sind Balladen – Nim Sofyan ist aber eine Tanzmusikband. Ich brauchte also neue Partner. Die Julia Pichler habe ich über den Nim Sofyan-Violinisten Paul Dangl kennen gelernt, sie stammen aus demselben Waldviertler Ort. Als Paul ein Jahr lang im Ausland war, ist Julia für ihn eingesprungen. Für die neue CD-Produktion bat ich Julia, mir einen Cellisten zu nennen. Sie schweifte nicht in die Ferne, sondern drängte mir ihren Studienkollegen Lukas Lauermann auf – eine optimale Wahl, wie sich herausstellte. Ein orientalisches Trio mit zwei Österreichern, die beide aus der Klassik kommen, und in Lukas´ Fall nebenbei aus dem Independent Rock (A Life, A Song, A Cigarette, die Red.). Tatsächlich scheint es kaum Versuche österreichischer Musiker zu geben, für österreichische Volkslieder zeitgenössische Arrangements zu finden, aber dem Text gegenüber respektvoll zu bleiben. Aber warum sollte ich mich über ein Lied, in dem es um Liebe und Sehnsucht geht, lustig machen?

Übrigens fehlt das Thema Liebe weitgehend in den heute noch gesungenen Wienerliedern.  Dem CD-Heft entnehme ich, dass du die Stadt Wien dennoch liebst. Sie sei für einen Türken so faszinierend vertraut, weil “nirgendwo sonst in Europa Orient und Okzident in so kultivierter Dichte” zu genießen sei. Aber trifft das nicht eher auf eine Weltstadt wie Istanbul zu? Und vermiesen dir Türkenhasser wie H.C. Strache nicht dein Aufgehobensein in Wien? Wie geht es einem Türken in einer Stadt, wo das türkische Kopftuch eine Paranoia auslöst?

Alp Bora: Im Gegensatz zu vielen Wiener Multikulti-Menschen bin ich kein Istanbul-Fan. Vielleicht weil ich die Stadt ein bisschen besser kenne. Sie ist mir um eine Dimension zu groß und sie ist chaotisch. Das schönste an Istanbul ist, dass es den Vals kennt. Vals ist des türkische Wort für Walzer. Der Track Nr. 7 auf  “Amber”, von dem in deiner ersten Frage die Rede war, ist ein Istanbuler Walzer. Ich wohne in Naschmarktnähe. Für den Naschmarkt trifft zu, was du von mir zitierst. Der Orient im Okzident. Strache ist kein Argument gegen Wien. Straches gibt´s überall. Wien ist für mich der Augustin, der Naschmarkt, der Kreis meiner Freunde. In Wien habe ich meine Freundin, meine Gitarre, meine Katzen und meinen Computer. Aus dem Kopftuchstreit versuch ich mich rauszuhalten. Das Kopftuch geht mich nichts an. Das Kopftuch ist nicht mit der türkischen Frau zu identifizieren. Meine Mutter, meine Schwester, meine Freundin würden nie Kopftuch tragen. Es ist mir egal, wenn andere türkische Frauen es tragen. Es ist mir nicht egal, welches Frauenklischee die österreichischen Medien verbreiten, wenn es um die Türkei geht. Meine Schwester, meine Freundin sind Akademikerinnen. Sie zeigen ihr Haar und werden uninteressant für die Medien, die – wenn die türkische Minderheit in Wien das Thema ist – ein Foto verwenden, das eine Kopftuchfrau zeigt.

Mit Alp Bora sprach Robert Sommer.