Der ursprünglich aus der Ukraine stammende Musiker, Produzent und Labelbetreiber (Valeot Records) Alexandr Vatagin ist ein ruhiger, netter Typ, dem hysterische Betriebshuberei fremd ist. Aber er verfolgt doch hartnäckig sein Ziel, mit der Musik, die er und Bands aus seinem Umfeld produzieren, von Österreich aus weltweit möglichst viele Freaks zu erreichen. Und er wird als Musiker immer umtriebiger. Jüngstes Produkt ist sein kürzlich erschienenes Soloalbum „Serza“, ein intensives Werk zwischen Ambient und Postrock. Im Interview mit Sebastian Fasthuber verrät Vatagin, dass er am liebsten auf seinen Instinkt vertraut – und Gemütlichkeit schätzt.
Du hast dir für dein drittes Soloalbum „Serza“ sehr lang Zeit gelassen. Woran lag das?
Ja, fast sechs Jahre sind wohl tatsächlich eine lange Zeit, vor allem wenn man bedenkt, dass ich erst vor knapp elf Jahren begonnen habe, überhaupt Musik zu machen. Aber es gibt keine konkreten Gründe, außer vielleicht Gemütlichkeit. Ich habe jedes Jahr etwa zwei oder drei Stücke entworfen, so ganz ohne Konzept. Und irgendwann vor circa zwei Jahren hab ich mir gedacht, ich versuche daraus ein Album zu machen, was natürlich am Anfang relativ heterogen geklungen hat. Erst durch intensives Arbeiten an den Stücken – also Mischen und neue Sachen dazu Aufnehmen – hat es angefangen, Form anzunehmen.
Mit 30 Minuten Spieldauer ist „Serza“ sehr kurz, aber auch extrem dicht und vielschichtig in seiner Vermischung von Instrumenten und digitalen Klängen. Wie hat sich das Album in diese Richtung entwickelt?
Für mich ist es sehr natürlich, digitale Klänge mit echten Instrumenten zu vermischen, und ich glaube, das ist mir auf diesem Album so gut wie noch nie gelungen. Generell ist mir wichtig, dass echte Instrumente – sei es Cello, Schlagzeug, Vibraphon oder Gitarre – natürlich klingen. Ich bin kein großer Freund von Prozessierung, wie es relativ üblich in elektronischen Gefilden ist. Es soll einfach natürlich klingen. Deswegen, glaube ich, ist „Serza“ auch etwas anders als andere Ambient-Alben.
Dein Hauptinteresse scheint darin zu bestehen, eben eine Balance zwischen analog und digital zu finden, zwischen Stilen wie Post-Rock und Ambient. Schwierig?
Nein, eigentlich sehr einfach für mich! (Lacht) Ich bin generell kein großer Konzeptmusiker, es kommt einfach so. Bisher habe ich mir da zumindest nicht sehr viele Gedanken gemacht.
Was bedeutet „Serza“ eigentlich?
Das bedeutet auf Russisch „Herz“, wobei es eigentlich mit „o“ und nicht mit „a“ geschrieben wird, aber es klingt und schaut so besser aus.
Auf dem Album gibt es zahlreiche Gäste wie Martin Siewert, Peter Holy oder Fabian Pollack. Hättest du das Album so alleine nicht machen können?
Wahrscheinlich nicht, jedenfalls ist die etwas größere Anzahl der Gäste nicht aus einem Zwang entstanden, möglichst viele Kollaborationen zu bekommen, sondern war ein relativ natürlicher Vorgang. Wenn ich mal nicht weiter gewusst habe, ist mir meistens jemand eingefallen, der sicher was Schönes und Passendes zu einem Stück machen könnte. Trotz der vielen Gäste ist das Album wohl das persönlichste Werk für mich und definitiv ein Vatagin-Album.
Auf der Dankesliste der neuen CD stehen deine „geduldigen Nachbarn“. Produzierst du in deiner eigenen Wohnung?
Zum Teil immer noch, wobei ich seit genau einem Jahr ein Studio im 9. Bezirk habe, wo ich auch mein Album zum großen Teil abgemischt habe. Was ich ausschließlich nur zu Hause mache, ist Cello aufnehmen. Zum einem mag ich den Klang meines Wohnzimmers, aber vor allem ist mir die Intimität meines eigenen Zuhauses wichtig. Das klingt jetzt vielleicht esoterischer, als es ist, aber beim Cello brauche ich einfach ein gewisses Maß an Gemütlichkeit. Generell gilt bei mir: Lieber dauert es etwas länger, als dass es nicht gut wird.
Inwiefern unterscheidet sich dein Solo-Output von den Sachen, die du in Bands spielst? Kannst du dich da kompromissloser ausleben?
Nein, es sind einfach komplett andere Sachen. Abgesehen davon, dass ich mich bei den anderen Projekten immer auf ein bis maximal zwei Instrumente begrenze, ist es auch musikalisch was Anderes. Wobei mich die anderen Projekte auf jeden Fall bei meinem Soloprojekt beeinflussen, vor allem Tupolev und Port-Royal hatten diesmal definitiv einen sehr wichtigen Einfluss.
Um bei deinen vielen Aktivitäten den Überblick zu behalten: In welche Bands und Projekte bist du aktuell involviert?
Das ist jetzt nicht ganz einfach. Tupolev gibt‘s noch immer, aber wir sind de facto auf unbestimmter Zeit auf Hiatus. Mit Port-Royal nehmen wir gerade ein neues Album auf. Slon hat nach über drei Jahren Pause wieder ein Konzert gespielt, da wird sich sicher wieder was tun. Beim Werner Kitzmüller Trio gibt es das immer noch nicht ganz fertige Album, Konzerte gab’s da schon länger nicht mehr, die machen wir wohl erst, wenn das Album endlich fertig ist. Sonst gibt es noch ein namenloses Quartett mit Fabian Pollack, David Schweighart und dem Prager Saxofonisten George Bagdasarov, mit dem ich ab und zu auch als Duo spiele. Dann ist da noch mein Quarz-Projekt. Und ganz neu ist, dass ich Bass bei der Liger-Nachfolgeband Swan Fangs spiele, zumindest mal für ein Konzert.
Jetzt ein paar Fragen zu deinem Werdegang: Du bist als Kind von der Ukraine nach Österreich gekommen. Welche Erinnerungen hast du noch an die Ukraine und an die Musik dort?
Ich habe erst mit 18 angefangen, Musik zu hören, bin aber schon mit acht nach Österreich gekommen. Also von der Musik dort hab ich nichts bewusst mitbekommen, wobei mir meine Mutter letztens erzählt hat, ich hätte immer sehr gerne die sowjetische Version von „Wurlitzer“ angeschaut und mitgesungen, aber daran kann ich mich leider eben nicht erinnern. An Land und Leben hab ich leider auch nur sehr bruchstückhafte Erinnerungen.
Wenn du Musik erst so spät bewusst wahrgenommen hast, gibt es vermutlich auch kaum musikalische Erinnerungen an die Zeit, als du nach Österreich gekommen bist?
Kaum, weil’s mich nicht wirklich interessiert hat. Sachen wie z.B. EAV, Falco und Jazz Gitti hab ich nebenbei wahrgenommen, aber eigentlich war‘s mir komplett wurscht. Ich wollte lieber Tennis spielen und Bücher lesen.
Hast du eine Idee, warum du so ein Spätzünder warst?
Ehrlich gesagt nicht. Meine erste CD hab ich mit 18 gekauft. Dabei hatte ich eigentlich ganz gute Voraussetzungen, da mein Vater rockigeres Zeug wie Led Zeppelin, Pink Floyd, etc. gehört hat. Dafür ging’s dann relativ schnell. Nach zwei Jahren Musikhören hab ich meinen Jugendfreund Peter Holy überredet, uns eine Gitarre und einen Bass zu kaufen. So wurde Tupolev gegründet. Zwei Jahre später gab es die erste EP und noch ein Jahr später mein erstes Soloalbum.
Du betreibst mit Valeot auch ein eigenes Label. Wie kam es zu der Gründung?
Ganz klassisch: Wir suchten fürs erste Tupolev-Album ein Label, aber ohne Erfolg. So starteten wir ein eigenes. Wir hatten dann recht schnell den Anspruch, es etwas ernsthafter zu betreiben. Und das hat so im Großen und Ganzen auch gut geklappt.
Das Label hat gerade fünften Geburtstag gefeiert. Wie sieht deine Zwischenbilanz aus?
Gut, aber eigentlich müsste man es als zumindest Teilzeitjob betreiben, um wirklich Erfolg zu haben. Abgesehen davon hab ich den Eindruck, dass die Zeiten für den physischen Tonträgerverkauf in den letzten Jahren noch schlechter geworden sind. Wir werden wohl etwas gemütlicher und noch ausgewählter veröffentlichen. Trotzdem hab ich dazu gerade ein Pop-Label zusammen mit der Mimu (Miriam Merz) gegründet. Da erscheint im Herbst ihr Album und danach noch das Debütalbum der Singer/Songwriter-Gruppe Loose Lips, Sink Ships. Es gibt also genug zu tun.
Du bist als Labelbetreiber praktisch dein eigener Chef. Stehen sich Musikmachen und das Label manchmal im Weg?
Vom zeitlichen Faktor definitiv, was mich mittlerweile doch etwas stört. Es macht zwar immer noch Spaß, ein Label zu betreiben, aber irgendwie liegt bei mir zur Zeit der Fokus mehr darauf, selber Musik zu machen. Ansonsten gefällt es mir so: Wenn etwas nicht klappt, bin ich halt selber Schuld und muss mich nur über mich ärgern, nicht über andere Leute.
Ist Wien eine gute Homebase für deine Musik und das Label?
Ich denke schon, vor allem in der musikalischen Ecke, aus der ich komme. Aber ich glaube, man kann es aus jeder Stadt heraus schaffen, wenn man gut genug ist. Klar: Wenn man gute Musik in London oder New York macht, werden die richtigen Leute vielleicht schneller auf einen aufmerksam. Dafür muss man es auch schaffen, dort zu überleben.
Kannst du von der Musik leben?
Vom der eigenen Musik definitiv nicht. Zumindest nicht in der Form, wie ich sie betreibe, also nach Lust und Laune. Da müsste ich viel mehr Konzerte spielen und vor allem auch meine Instrumente regelmäßig üben. Am meisten Spaß macht es mir doch immer noch, wenn ich einfach ins Studio gehe oder mich zu Hause hinsetze und Musik aufnehme, ohne große Konzepte, ohne Druck. Das ist natürlich etwas naiv, wenn man von Musik leben will, aber mir ist es wichtig so. In letzter Zeit ist das Produzieren von anderen Leuten dazugekommen. Das macht mir erstens enorm viel Spaß und die Ergebnisse gefallen auch anscheinend meinen Kunden. Sonst gibt’s noch DJing, Livemischen und einen regelmäßigen kleinen Brotjob.
Was sind deine nächsten Projekte?
Abgesehen von den Sachen, die ich vorher schon erwähnt habe, gibt es ein neues Quarz-Album, das schon relativ weit ist. Diesmal sind Philippe Petit und Steven Hess (Pan America, Locrian) sowie ein paar jetzt noch geheime Gäste dabei. Und dann wird es noch zwei Solo-EPs geben, eine mit Bernhard Breuer (Elektro Guzzi) am Schlagzeug und noch ein ganz intime Singer/Songwriter-EP mit russischem Gesang.
Fotos Alexandr Vatagin: Mimu Merz