mica-Interview mit Alexander Hacke

Vom Niedergang der Musikindustrie will Alexander Hacke, Bassist und Texter bei den Einstürzenden Neubauten, nichts wissen. „Hätte es immer Sicherheiten gegeben, gäbe es keinen Blues“. Er kann und will sich nicht beklagen. Mit dem Supporters Project und den Musterhäusern haben die Neubauten ein System fanbeteiligter Veröffentlichung entwickelt, das sich bewährt hat. Zumindest für eine arrivierte Band.

“Das Jammern kommt von beiden Seiten”

Herr Hacke, wie lange geben sie den Major-Labels noch?
Ach, die wird es schon noch eine Weile geben – ganz einfach, weil es einen Mainstream-Markt gibt, die Top-10 und die dazugehörige Hörerschaft, die bedient werden wollen. Für jede Form interessanter Musik aber werden die Majors zusehends uninteressant.

Der Verkauf des legendären Indie-Labels Mute an EMI war doch auch der Grund dafür, dass sich die Einstürzenen Neubauten nach selbständigen Projekten umsahen. Es war zu lesen, die Neubauten wären nach Übernahme einfach vor die Türe gesetzt worden wären.
Das stimmt so nicht. Wir haben mit Mute einen laufenden Vertrag, der aber einvernehmlich auf “Hold” gesetzt ist. Mute hat noch Optionen auf Veröffentlichungen.

Eine oder mehrere Optionen?
Ich glaube eine. Aber sie haben uns gestattet, die letzte Platte selber in die Läden zu bringen. Noch hat Labelgründer Daniel Miller ein Mitspracherecht. Noch sind dort Sachen möglich. Aber das ist mit Sicherheit auch bald vorbei.

Das heißt, noch ist Mute so etwas wie eine Enklave?
Mute war die letzten Jahre über das letzte Independent-Label schlechthin. Uns verbindet auch eine alte Freundschaft. Insofern ist das schon etwas anderes.

Blixa Bargeld meinte in einem Interview, es gäbe ein schon fix eingespieltes Album, das noch auf Mute veröffentlicht werden soll.
In den letzten zwei Jahren haben wir zehn Alben aufgenommen. Alle drei Wochen haben wir uns für zweiwöchige Arbeitsphasen getroffen. In dieser Zeit haben wir acht Musterhäuser hergestellt, das reguläre Album “Alles wieder offen” und ein Album mit dem Arbeitstitel “Jewels”, das sind 15 Stücke, die wir Monat für Monat aufnahmen und ins Netz stellten und die also nur den Supporters zur Verfügung standen und das wir noch veröffentlichen. Möglicherweise zur Tour im Frühjahr.

Ein Grund, weshalb es das Supporters Project gibt, ist Unabhängigkeit. Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es darum, dass Fans ein exklusives Album finanzieren und via Internet bei Bandproben dabei sein können.
Richtig.

Ist das ein Modell der Zukunft?
Für etablierte Band wie uns, die schon einen Hörerstamm haben, schon. Für jüngere oder nicht etablierte Bands wäre wohl ein Zusammenschluss notwendig. Das heißt erfolgversprechend wäre ein solches Konzept nur dann, wenn die Bands im Wettbewerb nicht gegen einander sondern mit einander arbeiten, eine gemeinsame Site kreieren. Der kombinierte Hörerstamm könnte dann auch so etwas zu Wege bringen wie das Supporters Project.

Umfasst das auch die Gründung eins eigenen Labels?
Naja, wir reden doch immer von diesem fürchterlichen Abstieg der Musikindustrie. Aber das heißt ja nicht, dass es in Zukunft nicht weiter Menschen geben wird, die gute Ideen haben und kreativ sind. Sie können einfach nicht mehr mit den Kanälen arbeiten wie vor zehn Jahren, sondern müssen sich selber etwas überlegen.

Einerseits bedingt das Ende der klassischen Strukturen, wie wir sie aus den 80er Jahren kennen, dass Leute auf innovative Ideen kommen, andererseits erzeugt es einen Druck, sich als Künstler Wege mit der New Economy zu arrangieren und in Managemenetstrukturen zu denken. Musiker werden zu Managern. Segen oder Gefahr?
Ach da werden sich auch Leute drauf spezialisieren. Das hat ja doch alles mit Musik nichts zu tun. Man hat zwei Möglichkeiten: man setzt sich hin und jammert oder man lässt sich was einfallen. Die New Economy ist doch auch schon wieder eine althergebrachte Struktur. Radiohead haben gerade den Vogel abgeschlossen und von ihrem neuen Album nach dem Prinzip “Zahl, was Du für richtig hältst” 1,5 Mio Einheiten verkauft.

Und so den Majors den Todesstoß versetzt, weil das doch einige abermals arrivierte Bands, wenn auch mehr aus finanziellen als ideologischen Gründen, nachmachen werden.
Und das ist auch gut so. Die ganzen Copyright-Strukturen müssen neu überdacht werden. Bei einer Harvard-Studie kam ganz klar heraus, dass die ganze Download-Geschichte doch in erster Linie den Top Ten-Bands schadet. Wenn die Neubauten oder wer auch immer seine Musik im Internet anbietet, ob nun gratis oder als minimal bezahlter Download, dann spart doch der Konsument erst einmal viel Zeit. Denn natürlich kann er unsere Musik auch in Tauschbörsen umsonst bekommen, aber da verbringt man ja Stunden. Sucht man etwa das Stück „Seele brennt“ auf Limewire, dann bekommt man 30, 40 Einträge. Nur ein kleiner Teil dessen ist aber tatsächlich das Stück und ein noch kleinerer Teil ist das Stück in einer Qualität, die man sich auch anhören will.

Unglaublich mühsam.
Eben. Insofern kann man ja nur propagieren, den direkten Informationsfluss anzubieten, damit der Musikfan das bekommt, was er will. Andererseits sind wir natürlich auch froh, dass sich die Leute mit uns beschäftigen. Die Chance, dass jemand unser tatsächliches Produkt kauft und nicht über eine Tauschbörse geht, ist umso größer, wenn er sich erst mal stundenlang damit beschäftigt hat, unser Zeug zu bekommen.

Bei Supporters Project geht es nun aber abgesehen von der Finanzierung irgendwelcher Alben auch um die Herstellung oder Wiederherstellung einer engen Beziehung zwischen Künstler und Fan.
Natürlich. Bislang hat man mit Repäsentanten der Plattenfirmen enorm viel Zeit damit verbracht darüber zu spekulieren, was die Leute wollen. Nun hat man das direkte Feedback. Wenn wir im Studio spielen und uns via Internet hundert Leute dabei zuschauen und -hören, dann merken wir sehr schnell, ob das, was wir machen gefällt oder nicht. Und zwar gar nicht so sehr über Kommentare, sondern indem die Leute abdriften, dh anfangen, sich im Chat über andere Dinge zu unterhalten und nicht mehr bei der Sache sind. Dann wissen wir, dass wir was ändern müssen.

Aber wie bringt man jemanden dazu, 35 Euro für ein Album zu überweisen, nachdem das Medium CD über Jahre doch absichtlich und dramatisch entwertet wurde.
Einmal gibt es dieses haptische Element immer noch. Menschen möchten Dinge immer noch gerne anfassen, lieb haben und in ihre Tasche stecken. Das wird auch nie ganz verloren gehen. Im Endeffekt kann es darauf hinauslaufen, dass wir im Endeffekt eher Bücher oder Booklets, auf denen dann uU Download-Links drauf sind, verkaufen werden als CDs.

Das heißt Zusatzinfos aller Art.
Man schaut sich gerne was an, liest die Texte, Liner Notes. Das wird es mit Sicherheit weiter geben. Aber da gibt es wiederum diese ganzen Normen, die einen am Verkauf hindern. Alleine wie CDs verpackt werden müssen, damit sie in die Ständer der Händler passen und derlei Sachen. Der nachte Wahnsinn. Das sollte man möglichst bald ändern.

Zehn Alben in zwei Jahren ist in enormer Output. Leidet die Qualität nicht darunter, wenn man in so kurzer Zeit so viele Projekte realisiert?
Man muss sich schon am Riemen reißen und sehr konzentriert und effektiv arbeiten. Andererseits sind Deadlines auch förderlich, weil man nicht endlos an Dingen herum schraubt. Um diese Stücke zu komponieren, haben wir ein neues System namens “Dave” angewandt. “Dave” ist ein Karton mit ca. 600 Karteikarten. Auf diese 600 Kärtchen hat Blixa in einer wochenlangen Session, in der er sich den gesamten Neubauten-Backkatalog anhörte, zu jedem Stück notiert, was es aus seiner Sicht signifikant macht. Eine Karte sagt: G-Moll. Die nächste: ein organischer Gegenstand. Stichworte. Diesen Kartekasten benutzen wir als Orakel, eine Art Navigationssystem. Zuerst haben wir das nur bei den Zugaben gemacht. Jedes Bandmitglied zieht ein, zwei Karten, assoziiert etwas damit, nimmt sie als Wegweiser, sagt aber den anderen nichts. Das bedeutet meistens, dass der Musiker nicht auf seinem angestammten Instrument spielen wird. In den seltensten Fällen steht auf den Karten, die ich ziehe, “Bass” drauf. Außer ich übertrage das, was da drauf steht, auf eine Bass. “Dave” ist somit ein Kompositionsprinzip, das sich gegen die übliche logische Herangehensweise richtet. Und genau so haben wir die besagten fünfzehn Stücke aufgenommen. Unter ganz anderen Voraussetzungen also, wie wir normalerweise Musik schreiben. Es sabotiert sozusagen unsere normale Herangehensweise. Das allererste Mal, dass wir das machten, stand auf Blixas Karte “Ein Traum”. Und glücklicherweise verfügt er ausführliche Aufzeichnungen über die meisten seiner Träume. Und dieses Prinzip hat er beibehalten. Das heißt jedes der fünfzehn Stücke reflektiert einen Traum Blixas. Insofern ist das ein ganz anderes Album.

Erreicht man mit Fan-finanzierten Projekten die Breite oder ist es doch eher ein Tool für die eingeschworene Runde?
Wir erreichen mit einer normal aufgelegten, im Laden erhältlichen CD natürlich mehr Leute. Mit unserem aktuellen Album haben wir schon jetzt mehr Leute erreicht als wir mit dem Supporters Project je erreicht hätten. Das ist klar. Einmal, weil das Internet in sich noch nicht für die Masse erschlossen ist: manche sind noch skeptisch, inwiefern sie dort mit ihren Informationen hantieren möchten. Viele haben auch keine Kreditkarte oder verstehen das Paypal-System nicht. Das sind Hinderungsgründe. Aber im Laufe der Zeit, in der wir das machen, hat sich das extrem verbessert. Damals war Paypal bei weitem noch nicht so akzeptiert.
Die Supporters sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Ich hatte genug Gelegenheit zu beobachten, wie sie untereinander kommunizieren. Gar nicht die typischen Rock-Fan, sehr viele interessante Leute, erstaunlich viele Psychotherapeuten und Leute, die online arbeiten und ihre Arbeitszeit dazu nützen, um auf unserer Site herumzusurfen. Da gab es im Forum immer wieder die Ansage: “Jetzt muss ich Schluss machen. Mein Chef kommt.” De Unterhaltungen auf diesem Message-Board waren, wenn man das mit anderen musikbezogenen Foren vergleicht, auf recht hohem Niveau, was ich erst mal so nicht erwartet hätte.

Würden Sie sagen, Supporters Project und die einzelnen Musterhäuser waren erfolgreich?
Ja. Absolut. Einmal als Motivation für uns, denn als wir 2000 unsere 25-jährige Jubiläumstour machten, waren wir an einem Punkt angelangt, wo wir alle dachten: Wir haben mit dieser Band, mir diesem Konzept  eigentlich alles erreicht, was wir erreichen wollten. Das reicht, wir kümmern uns wiederum unsere eigenen Sachen.
Unsere Zukunft als Band war mehr als ungewiss. Und dann überlegten wir uns dieses Projekt, das ja erst mal als Experiment gedacht war. Wir  wussten ja gar nicht, ob wir unter diesen Bedingungen überhaupt musizieren können, ob uns etwas Gutes einfällt und wir wussten auch nicht, ob wir die Produktion auf diesem Weg finanzieren können, was mittlerweile schon zum dritten Mal geklappt hat. Insofern war das Supporters Project auf alle Fälle erfolgreich: Aber auch, das, was wir in diesem Projekt produziert haben, ist gelungen. Es ist kein Lückenfüller dabei. Im Gegenteil: Weil man jedem einzelnen de Supporter verspricht, eine weitere großartige Platte aufzunehmen, hat man eine ganz andere Verantwortung als wenn man für eine Firma arbeitet, die einem einen minimalen Vorschuss gibt, um eine Platte zu machen. Da ist man schneller geneigt zu sagen: Jetzt ist es aber gut so. Wir können jetzt einfach nicht mehr Zeit dazu zu verwenden.

Das heißt, die Beziehung ist persönlicher, direkter und verantwortungsvoller.
Ja, absolut.

Und wie unabhängig kann man damit wirklich sein?
Das kommt wieder auf den Bekanntheitsgrad an. Das was Plattenfirmen vorher ermöglicht haben und jetzt nicht mehr tun, muss man ersetzen. Für Bands unserer Größenordnung oder kleinere Bands gibt es ja gar kein Promotion-Budget mehr. Es werden keine Anzeigen mehr geschaltet und erst recht keine Plakate mehr ausgehängt. Da muss man sich selber drum kümmern und das kostet. Früher gab es Tour-Support, da Tourneen ja vorrangig darauf angelegt waren, den Verkauf der Tonträger zu bewerben. Wenn man dabei Geld verloren hat, hat einem die Platten Firma den Rücken frei gehalten, damit der Strom auch noch geht, wenn man nach Hause kommt; damit man die Miete bezahlen kann, nachdem man Monate lang auf Tour war. Auch das gibt es nicht mehr oder nur in den seltensten Fällen. Da muss man selber schauen, dass man nicht zu sehr in die roten Zahlen kommt. Wobei sich das Prinzip ja umgedreht hat: Heute verdient man ja nur noch durch Konzerte, auf Tourneen. Die CD ist mehr zum Werbeträger geworden.

Das Modell der Neubauten sorgt für ein direkteres Verhältnis zwischen Fan uns Musiker, schafft dadurch Qualität, entbehrt aber des Auffangnetzes, das es früher gab. Dienten die errichteten Musterhäuser nicht auch ein wenig dazu, sich das experimentelle Feld aufzumachen?
Ja, sicher. Das Musterhaus war als Gegenspielstätte geplant. Betrachtet man unser neues Album „Alles wieder offen“ als Hauptbühne, dann waren die Musterhäuser die Kammerspiele, wo wir jene Sachen vertiefen und ausprobieren konnten, die den Rahmen eines normalen Albums immer wieder gesprengt hätten. Natürlich haben diese Experimente großen Einfluss auf die Hauptwerke genommen und gleichzeitig wurde das von uns auch gewünscht. Im Austausch mit den Supporters kam immer wieder die Anregungen, davon würden wir gerne noch mehr hören und so weiter. So kamen wir auf die Idee, diese zusätzliche Serie einzuführen.

Klingt nach Institutionalisierung des Experiments. Für eine Band, die der Legende nach sehr zufällig entstand, eher ungewöhnlich, oder?
Eigentlich ist es ein Widerspruch in sich, dass die Einstürzenden Neubauten eine experimentelle CD-Reihe herausbringen – das stimmt schon – aber da wir die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, was wir machen – eine Plattenfirma, egal welche, hätte das ja niemals zugelassen, was wir hier machen – und da wir genau rechnen konnten, wie viele CDs wir herstellen müssen, wie viele das Abo in Anspruch genommen haben, konnten wir uns viel freier bewegen, als es bei irgendeiner Firma jemals möglich gewesen wäre. Das ist alles Teil des Experiments.
Aber wenn man über Sicherheiten redet: In welchem Gewerbe gibt es denn noch Sicherheiten? Und vor allem: Inwiefern sind Sicherheiten jemals für die eigene Musik förderlich gewesen? Hätte es immer Sicherheiten gegeben, gäbe es keinen Blues.

Gibt es denn überhaupt noch Freiräume für das tatsächliche Experiment?
Na klar. Umso mehr. Es gibt doch auch unglaublich viel gute Musik, nach der man vielleicht forschen muss, aber es gibt sie: die gute Musik. Gerade im experimentellen Bereich. Das ist ja alles ein interessantes Thema, aber mit Musik hat das, worüber wir reden, letztlich nicht viel zu tun. Musik entsteht aus der Kommunikation von Musikern miteinander und aus Kommunikation von Musikern mit ihrem Publikum, aus dem spielerischen Umgang mit den Materialien, sei es einem Text, einer Komposition und wie das dann an den Mann gebracht wird. Labels, Downloads und das Ganze hat mit Musik nichts zu tun.

Eine interessante Sichtweise. Glauben Sie, dass die Medien zuviel auf diesen Niedergang der Musikindustrie fokussieren und sich zu wenig mit der Musik im eigentlichen Sinne beschäftigen?
Ja, finde ich. Das ist letztlich ein Mechanismus, der sich selbst bedient. Der Musikjournalismus wird doch von der Musikindustrie finanziert. Insofern ist das voreingestellte Berichterstattung. Und da wird derzeit ungewöhnlich viel beklagt. Das Jammern kommt von beiden Seiten: von den Musikern, die sich darüber beschweren, dass sie keine Platten mehr verkaufen und keine Auftritte bekommen;
Und von den Firmen, die beklagen, dass es angeblich keine Talente mehr gäbe und sie sehr viel Geld verlören, weil Musik aus dem Internet gratis  downgeloadet wird. Auf beiden Seiten kann man aber etwas tun. Aber das wirklich Gute daran ist, dass so eine Situation immer gut für den Untergrund ist, weil der seit jeher unter diesem Bedingungen arbeitet und nie davon abhängig war, große Features in großen Zeitungen zu bekommen.

Dadurch ist es doch auch schon riskanter geworden, ein Album auf einem den Mainstream bedienenden Major-Label zu veröffentlichen als im Untergrund.
Ja, natürlich weil deren System so läuft, so schnell wie möglich so viele Einheiten wie möglich zu verkaufen. Da geht es immer nur um den Hype. Man kann einer neuen Band, die wirklich gut ist, nur wünschen, dass sie nicht von einem Major unter Vertrag genommen wird, weil sie da letztlich verheizt wird. Da kriegst du binnen kürzester Zeit so viel Um die Ohren gehauen, dass es dich schnell nicht mehr interessiert. Solchen Bands wird nicht die Möglichkeit gegeben, ihre Arbeit zu vertiefen, sondern es geht um die erste Platte und die erste Single. Und während sich die Band darüber Gedanken macht, wie sie das Gute vertiefen kann, ist die Industrie schon wieder bei der nächsten große Sache. So siehts aus.

Sie haben vorher von guter Musik und der Forschung nach ihr gesprochen. War “Crossing The Bridge” – ein Film, den sie gemeinsam mit Fatih Akin über die Musikszene in Istanbul gedreht haben – so eine geglückte Suche?
Ja. Das kam so zustande, dass ich von Fatih Akin schon für “Gegen die Wand” eingeladen wurde, um die Roma-Band, die zwischen den Akten am Bosporus spielt, zu produzieren . Ich flog also dorthin und habe feststellen müssen, wie gut ich mit allen kommunizieren konnte, ohne dass wir die selbe Sprache sprechen. Und es wurden dann wirklich tolle Aufnahmen. Fatih hat das lange beobachtet. Er wollte den Film über die Istanbuler Musikszene ja schon zehn lang Jahre machen. Nur hat sich nie jemand dafür interessiert. Als er dann den in dieser Größe nie erwarteten Erfolg mit “Gegen die Wand” hatte, waren plötzlich alle Scheinwerfer auf ihn gerichtet, und er nutzte diese Popularität, um das Projekt endlich zu realisieren. Und da er gesehen hatte, wie gut ich mit den Musikern dort konnte, nahm er von der ursprünglichen Idee, selbst durch de Film zu führen, Abstand und ließ mich machen.

Wir verbrachten dann zwei Monate in Istanbul, um zu recherchieren. Wir haben Leute getroffen und uns weiter empfehlen lassen. Und das war zum Beispiel einer der interessantsten Aspekte: Dort herrscht nämlich eine unglaubliche Solidarität unter den Musikern, die eine Label übergreifende ist. Wir haben zum Beispiel viel mit dem Double Moon Label gearbeitet, was dazu führte, dass uns die dort bei weitem nicht nur ihre eigenen, sondern auch ganz andere Künstler vorschlugen: darunter kurdische Musik, Hardrock und so weiter. Die stellten in einer Art und Weise Verbindungen her, wie ich es hier noch nicht kannte. Das war mit das Interessanteste an dieser Arbeit.

 

 

 

Und die Empfehlungen waren nicht nur Label-, sondern auch Genre übergreifend?
Absolut. Und auch soziale Schichten übergreifend. Etablierte Grunge-Bands empfahlen uns Straßenmusiker. Es gab den totalen Crossover in jede Richtung.
Genauso konnte man feststellen, dass vom Harcore-Rapper bis zur Gitarrenkrachband alle Sezen Aksu verehrten, die große türkische Pop-Diva.

Wie hat ihnen Fatih Akins neuer Film “Auf der andere Seite” gefallen?
Ich fand ihn sehr schön. Er hat mich emotional richtig mitgenommen. Nachher war ich nicht einmal mehr in Stimmung für die Premierenparty. Ich fand ihn sehr poetisch und sehr tiefgreifend, war traurig, erschüttert und sehr berührt.

Danke für das Gespräch.

Das Interview führte Markus Deissenberger

Die Einstürzenden Neubauten sind heute, mehr als 30 Jahre nach ihrer Gründung” umtriebig wie nie zuvor: Im Rahmen des Supporters-Projects haben sie in zwei Jahren zehn (!) Alben aufgenommen. Ihr neues reguläres Album “Alles wieder offen” steht in den Läden. Kommendes Jahr wird es zwei weitere auf Mute erscheinende Veröffentlichungen geben: Das “Jewels”-Album und die “Strategien gegen Architektur Nr. 4.”, das traditionell aus einem Drittel unveröffentlichtem Material, einem Drittel Live-Aufnahmen und einem Drittel Best Of-Programm besteht.

Credits: corazon/intervista

 

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