mica-Interview Lokai

Seit einigen Jahren nun bereits erschaffen Florian Kmet und Stefan Nemeth gemeinsam unter dem Namen Lokai Musik, die ihre Hörerschaft dazu verleitet, die Party-Hütchen ausnahmsweise mal im Schrank zu lassen und sich stattdessen lieber dem Kopfkino hinzugeben. Im Interview mit Michael Masen stellt Florian Kmet die Band vor und spricht über ihr kürzlich erschienenes Album, das bereits allerorts mit jeder Menge Kritikerlob überhäuft wurde.

Vor kurzem ist euer neues Album “Transition” erschienen. Wie lange habt ihr daran gearbeitet?

Die letzte Platte ist 2005 rausgekommen und danach haben wir sicher ein- bis eineinhalb Jahre lang das Programm der “7 Million”-Platte gespielt. Danach haben wir, relativ gemütlich, wieder angefangen, an neuen Sachen zu arbeiten. Dabei hat sich auch immer wieder die Frage gestellt, wie viel Zeit wir uns dafür nehmen wollen bzw. können. Es gab auch immer wieder irgendwelche Ansätze, etwa das Festlegen von Deadlines, aber irgendwann sind wir schließlich dazu übergegangen, zu akzeptieren, dass es so lange dauert, wie es eben dauert und wenn es fertig ist, ist es fertig.

Die Arbeiten haben sich letztendlich über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren erstreckt, wobei wir aber auch nicht jede Woche etwas gemacht haben, sondern uns immer nur zum Schreiben und Aufnehmen getroffen haben, wenn wirklich neue Ideen da waren bzw. der Impuls, etwas zu tun.

Habt ihr euch für diese Platte irgendwelche Vorgaben gesetzt, beispielsweise unbedingt eine Weiterentwicklung zum Vorgänger, eine bewusste Abgrenzung davon, schaffen zu wollen?

So etwas wie den klaren Masterplan, konkrete Vorstellungen, wie die Platte am Ende klingen sollte, gab es bei uns nicht, vielmehr hat sich alles im Zuge der Arbeiten entwickelt. Für uns ist aber diese Platte jetzt die erste wirkliche Lokai-Platte, wo wir das Gefühl haben, unseren eigenen Klang oder unsere eigene Struktur geschaffen zu haben. Wir haben jetzt einen Arbeitsmodus gefunden, der für uns einfach gut funktioniert und bei dem sich quasi alles von selber ergeben hat. Eine neue und wichtige Komponente für das Album war es, dass wir alles in meinem Studio aufgenommen haben, wo doch Einiges an Instrumenten zur Verfügung steht. Das ist zum Beispiel ein Unterschied zum ersten Album, wo wir noch im Proberaum aufgenommen und uns jedes Mal quasi auf neutralem Terrain getroffen haben. Dort hatten wir zudem ein beträchtlich kleineres Instrumentarium in Verwendung.

Damals war der Anteil an Elektronik bei uns noch viel höher. Beim aktuellen Album hingegen ist sehr viel auf akustischen Instrumenten, wie etwa Fender Rhodes oder akustischen Perkussion-Sachen, entstanden. Es wurde sogar eine Geige verwendet.

Es hat sich dann im Laufe der Stücke so ein Arbeitsmodus etabliert, der für uns einfach gut funktioniert hat. Und natürlich haben sich eben die Aufnahmemöglichkeiten und -Fähigkeiten im Vergleich zum ersten Album verbessert, weshalb auch das Ausgangsmaterial von höherer Qualität war.

Bei euch ist es also eher so, dass die jeweiligen Stücke erst während dem Arbeitsprozess Gestalt annehmen und ihr nicht bereits zu Beginn wisst, was am Ende heraus kommen soll?

Das ist von Stück zu Stück verschieden. Bei uns entsteht nicht immer alles auf gleichem Weg. Aber manchmal ist es schon so, dass sich von einer kleinen Anfangsstruktur alles weiter entwickelt, wie etwa bei “Rhodes”, dem ersten Stück der neuen Platte. Da gab es zuerst diesen rumpelnden Eingangsrhythmus, ein Teil eines präparierten Fender Rhodes, von dem aus sich alles andere ergeben hat. Wir haben dann immer überlegt, in welche Richtung es weiter gehen soll, wo man etwas öffnen kann, oder wie man das alles hinsichtlich des rhythmischen Teils, in den es dann übergehen soll, konkretisieren kann. Während der Probe bzw. während der Aufnahme kann sich also alles, von einer Grundstruktur ausgehend, in verschiedenste Richtungen entwickeln. Es hat auch Proben gegeben, bei denen wir beide mit jeweils einer Gitarre live experimentiert und von da dann Teile entnommen und geordnet haben.

Ein Konzept, das ihr euch schon vorher überlegt habt, eine Art “Roter Faden”, gibt es also nicht?

Ich glaube, ein Roter Faden ist, dass ganz viele Sounds auf der Gitarre basieren. Das war auch bereits beim ersten Album so, wobei man es gerade da vielleicht nicht so oft gemerkt hat. Aber auch die Sachen, die elektronisch und zum Teil noisig waren, basieren sehr oft auf der Gitarre. Das gilt außerdem auch für die rhythmischen Elemente. Wenn wir dann versucht haben, rhythmische oder perkussivere Elemente von Nicht-Gitarren-Klangquellen zu nehmen, so hat das beim ersten Album oftmals auch gar nicht funktioniert.

Einen subtilen soundmäßigen Zusammenhang gab es bereits bei unserer ersten Platte und ich glaube, durch die verwendeten Klangkörper ist der auch bei der aktuellen Veröffentlichung zu finden. Je weiter das Album dann fortgeschritten ist, haben wir uns schon auch immer wieder überlegen müssen, welche Klänge wir wo noch benötigen und wie man die Balance zwischen den Stücken gewährleisten kann.

Eine Gesamtheit des Albums ist uns also schon sehr wichtig. Es gibt auch von dem Stück “Rhodes”, mit dem das Album anfängt, später noch eine “Rhodes Reprise”. Für dieses Genre ist das schon ein eher unüblicher Aufbau, wo man halt am Ende des Albums, in einer weiterentwickelten Form, wieder zum Ausgangspunkt, wo alles angefangen hat, zurück kehrt.

Es gab also zwar zu Beginn der Aufnahmen nicht dieses ganz große Gesamtbild, aber im Laufe der Arbeiten hat sich das ganze Klang- und Erscheinungsbild immer mehr geschärft, ist klarer und dichter geworden, so dass jetzt am Ende schon alles irgendwie zusammen hängt. Uns ist es schon sehr viel um die Balance und Ausgewogenheit gegangen und um die Frage, wo und in welche Richtung man alles noch verbessern kann.

Du hast gerade “dieses Genre”, in dem ihr euch bewegt, angesprochen. Könnt ihr euch mit eurer Musik irgendwo einordnen, habt ihr da für euch eine konkrete Definition finden können?

Für mich hat die Musik von Lokai schon auch immer etwas Filmmusikalisches. Wie wenn man beispielsweise auf einem erhöhten Punkt steht, sich ein Panorama anschaut, quasi einen Rundblick macht und dann immer wieder in so kleine Details hinein zoomt. Das ist etwa ein Bild, das uns einmal zu unserer Musik eingefallen ist. Es hat eine Weite, es fließt und es gibt immer wieder Verdichtungen, wo man quasi in die Struktur oder in einen Klang hinein gehen kann.

Ein konkretes Genre zu nennen, ist da schon schwieriger. Dadurch, dass unsere erste Platte noch mehr im elektronischen Bereich angesiedelt war, werden wir nach wie vor immer wieder mit der Elektronik-Ecke assoziiert. Mittlerweile hat die Elektronik bei uns aber eine ganz andere Funktion, nämlich dahingehend, dass wir sie mehr wie ein gespieltes Instrument einsetzen.

Das macht sich auch live bemerkbar, wo wir schon länger nicht mehr mit Laptop auftreten, sondern mit einem Sampler, der sozusagen wie ein Instrument bedient wird. Dadurch können wir auch viel interaktiver agieren als früher. Natürlich gibt es teilweise noch Strukturen, die bei Live-Konzerten vom Playback kommen, aber das hat sich total reduziert, so dass es heute viel mehr ein gemeinsames Spielen ist.

Insofern war es jetzt auch ein spannender Prozess, die neue Platte live zu erarbeiten. Da man natürlich nicht alles eins zu eins umsetzen kann, mussten wir überlegen, welche Sachen vom Sound her gleich oder ähnlich bleiben sollten und was man irgendwie, mit den Möglichkeiten, die einem als Duo zur Verfügung stehen, ersetzen kann.

Ist es auch schon mal zur Diskussion gestanden, das Duo für Live-Auftritte um weitere Musiker zu erweitern, schon auch um mehr Möglichkeiten bei der Umsetzung der Stücke zu haben?

Die Erweiterung um ein Schlagzeug gab es schon einige Male. Einmal bei Wien Modern, ich glaube im Jahr 2008 und bei der CD-Präsentation im Rhiz ist ebenfalls Bernhard Breuer am Schlagzeug mit dabei. Das ist auch immer ganz wunderbar, wie sich alles ausweitet, wenn man den Klangkörper so wie er bedienen kann. Wann immer es eigentlich möglich ist, laden wir Bernhard ein, mit uns zu spielen. Eine zusätzliche Erweiterung dieses Trios wäre dann vielleicht für einzelne Projekte denkbar, aber für normale Live-Auftritte wollen wir es derzeit ganz kompakt im Duo, oder eben halt um ein Schlagzeug erweitert, belassen.

Wie funktionieren eure Stücke, die auf Platte ja doch recht ruhig und atmosphärisch sind, im Live-Kontext? Oftmals hat man es ja nicht ausschließlich mit einem interessierten Publikum zu tun, das geschlossen ruhig ist und nur der Musik lauscht.

Ja, die klassische Partyband sind wir auf jeden Fall nicht. Es funktioniert meistens am besten, wenn es ein wirklich aufmerksames Publikum ist und rundherum von der Konzertsituation ebenfalls alles passt. Also, dass vom Klang her alles, was wir da produzieren, hörbar ist. Es gibt aber auch Konzerte wie etwa im Rhiz, wo ja auch immer irgendjemand am Plaudern ist, wo unsere Musik, so denke ich, dennoch funktioniert.

Vor allem, wenn das Schlagzeug dabei ist und der Lautstärkenlevel schon grundsätzlich ein bisschen höher ist. Das funktioniert dann alles ganz gut. Natürlich gibt es teilweise sehr ruhige Passagen bei uns, aber auch einige sehr belebte. Und bei der neuen Live-Umsetzung wird es im Vergleich zum Album schon auch einige Überraschungen geben, bei denen es egal ist, ob im Publikum gesprochen wird oder nicht.

Gibt es eurerseits irgendwelche Vorstellungen, in welchem Kontext eure Platten gehört werden? Eher so alleine und konzentriert zu Hause oder doch auch schon mal als “Klangtapete” im Hintergrund?

Wir haben immer wieder probiert, wie es für uns wirkt und da hat es sich ergeben, dass es eigentlich in beiden Situationen funktioniert. Aber selbst ist man da natürlich nicht immer der objektivste Hörer. Aber auch von den Rückmeldungen, die wir schon von verschiedenen Seiten bekommen haben, wissen wir, dass man beim mehrmaligen Hören immer wieder neue Sachen entdecken kann. Die Sache ist also nicht nach dem ersten Hördurchgang gegessen. Andererseits funktioniert es glaube ich auch ganz gut als Musik, die man einfach so hören kann, wo es aber zwischendurch immer mal so kleine Irritationen gibt, so Stellen, wo man dann schon mal mehr aufhorcht.

Wird man durch solche Rückmeldungen auch schon mal auf komplett neue Aspekte an der eigenen Musik aufmerksam, die man vielleicht so selbst gar nicht wahrgenommen hätte?

In Amerika ist die neue Platte bereits einen Monat früher erschienen als hier in Europa und die Reviews in diversen Zeitschriften waren zum überwiegenden Teil sehr gut bis euphorisch. Und dann gab es später eine Rezension aus England, die die Sichtweise auf die Platte eindeutig erweitert hat, genau so, wie du es eben beschrieben hast. Der betreffende Rezensent hat ein irrsinnig intensives Review geschrieben, in dem er den Lesern, also den potentiellen Käufern, lustigerweise geraten hat, die Platte keinesfalls nachts auf dem iPod in irgendeiner dunklen Straße zu hören, sofern sie in irgendeiner Weise psychisch labil sind, weil dann würde sich die Psychose mit Sicherheit sofort einstellen. Er war der Meinung, dass unsere Musik sehr gut zu einem David Lynch-Film passen würde, alle Sounds empfand er als sehr dunkel und bedrohlich. Das war für mich schon sehr erstaunlich.

Weil es ja von eurer Seite aus gar nicht so ausgelegt war.

Genau, weil wir das eben überhaupt nicht so sehen. Wir haben eher das Gefühl, dass man fast einen Schönklang hätte, wenn wir diese Irritationen und Reibungen in unseren Stücken komplett aussparen würden.

Fühlt man sich bei so einer Interpretation des eigenen Schaffens komplett missverstanden?

Nein, das ist schon gut so. Außerdem hatte gerade dieses Review auch eine solche Kraft, dass ich mir nach dem Lesen sicher sofort gedacht hätte, “diese Platte muss ich hören!”. Das fand ich eigentlich total super.

Wann und wo kann man Lokai demnächst einmal live erleben? Ist vielleicht auch eine größere Tour geplant?

Es sind alle möglichen Sachen in Arbeit und wir haben die Platte jetzt auch mal an einige Festivalveranstalter geschickt. Konkret gibt es jetzt am 10. November ein Konzert in der Linzer Kapu und dann am 18. November eines, gemeinsam mit Bernhard Breuer am Schlagzeug, im Wiener Rhiz. Eine ausgedehnte Tour werden wir nicht machen, sondern immer so drei bis vier Konzerte in einer Reihe. Das sind dann sozusagen kleine Regionaltouren.

Habt ihr auch bereits wieder die Arbeit an neuen Stücken aufgenommen, oder liegt eure ganze Aufmerksamkeit derzeit an der Live-Umsetzung des aktuellen Albums?

Primär sind wir noch mit der Live-Umsetzung beschäftigt, es gibt aber auch schon wieder Ideen, wie es weiter gehen könnte. Es stand immer wieder mal im Raum, eine noch akustischere Platte zu machen und dann gibt es noch viele weitere Ideen. Eine davon ist natürlich, diesen Arbeitsmodus, der jetzt sehr gut funktioniert hat, fortzusetzen, dabei aber auch vermehrt bereits beim Arbeiten im Studio die Möglichkeit der Live-Umsetzung im Auge zu behalten. Im Idealfall sind die Stücke dann gleich auch live so spielbar, wie man sie im Studio für das Album entworfen hat. Diese Herangehensweise zu wählen, ist sicher eine Überlegung wert, wobei sich durch eine derartig veränderte Arbeitsweise natürlich auch inhaltliche Konsequenzen ergeben werden.

Vielen Dank fürs Interview.

 

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