mica-Interview Estrela Records

Mit dem 2006 ins Leben gerufenen Dance/Techno-Label Estrela Records befindet sich in Salzburg eine der versiertesten österreichischen Adressen moderner elektronischer Tanzmusik. Hier erschien nicht nur der FM4-Überhit “Miezekatze” von Ogris Debris, sondern wird auch Wert auf das gute alte und wieder im Kommen begriffene Vinyl gelegt. Im mica-Interview mit Didi Neidhart gewährt Labelchef Paul Estrela (daneben auch eine Hälfte des Electronic-Projekts Sacco Vanzetti Duo) Einblicke in die Labelarbeit und erklärt die Reize von Vinyl-Only-Veröffentlichungen.

Welche Idee, welches Konzept steckt hinter Estrela Records?
Es werden österreichische Artists, mit speziellem Augenmerk auf Salzburg gefeatured. Die Musikrichtung ist eindeutig DANCE. Eigentlich wurscht wie, Hauptsache gut!

Gibt es eine Labelphilosophie und wenn ja, welche?
Immer offen bleiben für Neues, keinen Trend verschlafen, jedoch auch auf keinen Fall bei jedem Hype dabei sein zu müssen.

Spezialisiert ihr euch auf bestimmte Styles, oder ginge im Prinzip alles? So nach dem Motto “Es gibt nur gute und schlechte Musik”.
Am ehesten geht es um gute und schlechte Musik. Vor allem aber um Musik aus unserem direkten Umfeld. Da gibt es auch immer viel Interaktion. Die meisten Artists bei uns sind sich gegenseitig zumindest bekannt bzw. in den meisten Fällen sogar befreundet. Aus dieser Dynamik heraus entsteht dauernd etwas Spannendes.

Ein Label zu gründen, noch dazu eines, das ausschließlich Vinyl vertreibt, ist heutzutage zwar für viele immer noch ein Wunsch, aber doch auch ein wirtschaftliches Risiko. Was gilt es dabei zu bedenken?
Die Zeiten, in denen man mit Tonträgern ein Plus erwirtschaften konnte sind endgültig vorbei. Mit den Tonträgern der alten Schule, also dem Vinyl ist es jedoch noch lange nicht vorbei. Das ist so wie mit Schnürschuhen. Sicher gibt es da mittlerweile bessere und praktischere Ansätze. Aber zur Gänze auf den Klettverschluss umsatteln wird die Schuhindustrie deswegen nie. Das ist eine Frage des Stils. Wir vertreiben ja auch MP3s von unseren Vinyls. Doch das ist meiner Meinung nach nur die halbe Sache.

Eure Veröffentlichungen können ja via Internet downgeloadet werden (sogar auch in guter WAV-Qualität). Ist das ein zweites, heutzutage unumgängliches Standbein um wirtschaftlich als Label überleben zu können?
Reine Datenreleases via Internet sind schon ganz praktisch, aber völlig unsexy. Ohne diese Releaseart würde es aber nicht gehen.

Wäre Vinyl-Only ein zu grosses Wagnis bzw. eine reine Nerd-Sache, die am Sinn und Zweck des Labels (wie auch der Artists) vorbeigehen würde?
Vinyl Only kommt! Es gibt da ja schon einige, die das Wagnis auf sich nehmen. Allerdings grenzt man so auch viele Leute von den Releases aus. Wo kann man den heutzutage noch auf eine vernünftige Selection von aktuellen Vinyl-Releases zurükgreifen? In den meisten Grossstädten – Szene-Meccas wie Berlin, London oder New York  mal ausgenommen – gibt es gerade noch maximal ein, zwei Plattenläden. Der neue Vertriebsweg für Vinyl heisst daher auch: Online! Dass eine Vinylproduktion aber nur in Natura wirklich begutachtet werden kann ist jedoch Factum. Im Netz Vinyl zu kaufen, ohne dabei den eigentlichen Tonträger Probe zu hören ergibt für mich keinen Sinn. Denn es hängt vom Mastering ab und dann vom Cut der Lackmutter, aus welchem die Matrize zur Serienfertigung eines Vinyls hergestellt wird. Vinyl ist nicht gleich Vinyl. Den Unterschied kann ich im Stream eines Online Stores aber kaum feststellen. Diese feinen Klangunterschiede und Nuancen würden viele jedoch auch in den Bereich der Esoterik abschieben. Jedoch steht fest, das jeder, der genau hinhört, diese Unterschiede aber auch wahrnimmt. Qualitativ hochwertiges Vinyl wurde schon von der CD nicht zerstört, sondern nur aus dem Alltag verdrängt.

Wie siehst du die Zukunft von Tonträgern? Die vielfach totgesagte Schallplatte hat unlängst ja auch auf dem Klassik-Sektor ein kleines Revival erlebt, gleichzeitig seid ihr nicht das einzige Label, bei dem CDs sozusagen umgangen werden. Stirbt die CD aus?
Die CD ist tot. Und auch WAV und MP3 werden fein gemasterte und fein geschnittene Maxi-Singles nicht aus den Ohren der echten Audio-Connaisseure pusten. Da bin ich mir ganz sicher. CDs sind reiner Trash. Die Preise, die der Endkunde dafür berappen muss, sind und waren nie gerechtfertigt. Das verstehen die Konsumenten heutzutage auch. Jetzt müssen die Konzerne eben auf die 800 Prozent Gewinnspanne beim Tonträgerverkauf verzichten und das ist auch gut so.

Wie viele Veröffentlichungen gibt es mittlerweile bei euch?

So um die 23 sind es. Die bekanntesten sind “Bobohemian Phatsody” (inkl. des FM4-Hits “Miezekatze”) von Ogris Debris, “Welcome to the Streets” von Shroomtune, “Growers!” von Smacs & Patrick Kong, “Acid Mechanics” von Montéz a.k.a. Spyro a.k.a. Sacco (Sacco Vanzetti Duo) sowie die “Bartellow Thrill”-EP von Bartellow & Ogris Bebris.

Wie sucht ihr die Acts aus? Kommen die zu euch (etwa indem sie Tracks schicken) oder findet ihr die bei Parties oder anderen Events? Gibt es einen Focus auf Artists aus Österreich?
Wir schalten Anzeigen in diversen Regionalzeitungen. Wir haben sogar auch eine Zeit lang mit Wochen- und Bauernmärkten zusammengearbeitet. Da war dann im Sackerl mit den Radieschen ein kleiner Zettel mit dabei: “Machst du gute House-Tunes? Willst du viel Geld von zu Hause aus verdienen? Dann ruf uns an!”

Wie hoch ist die jeweilige Auflage und wohin schickt ihr das meiste davon?
Unsere größten Absatzmärkte sind Deutschland, England, Spanien, Japan, Ozeanien, USA, Russland und die Ukraine.

Spielt Österreich in diesem Zusammenhang eigentlich eine Rolle? Gibt es hier überhaupt Vertriebe für eure Art von Musik?
Es mag verrückt klingen, aber es ist gar nicht so einfach Vinyls von uns in Österreich zu kaufen. Unsere Artists beliefern den Vinyl-Händler ihres Vertrauens zum Teil selbst.

Auf eurem Label-Raster gibt es mit Acts wie Crazy Sonic, Christopher Just, Orgis Debirs, Precious K Namen, die auch ausserhalb des Genres “elektronische Tanzmusik” nicht unbekannt sein dürften. Daneben aber auch junge, noch unbekannte Acts. Wie stellt sich diese Kombination im Labelalltag dar. Viele der schon bekannteren Acts tauchen ja immer wieder als Remixer noch weniger bekannten Artists auf.
Ich würde sagen, das pusht sich alles gegenseitig.

Elektronische Dancemusic ist ein beinahe unüberschaubares Feld mit zig Nischen, Verästelungen, Abspaltungen. Wie kann man sich da als Label positionieren?
Wir machen uns nicht so viele Gedanken über eine “Positionierung” des Labels. Leute, die öfter bei Estrela Records reinhören, sollen das Gefühl haben, dass es sich immer lohnt und dass man auf Neuigkeiten aus dieser Ecke immer und zu Recht gespannt sein darf.

In den 1990er Jahren wurde mit dem “Sound Of Vienna” Musik aus Österreich erstmals wirklich flächendeckend international wahrgenommen und wurde Teil eines globalen Electronic/Dance-Sounds. Ist es heute noch wichtig woher man kommt, wenn man diese Art von Musik macht?
Den “Sound Of Vienna” haben am ehesten die Leute aus Wien als solchen wahrgenommen. Diese “Brand” war außerhalb von Österreich nicht so bekannt wie das damals in Österreich als Hype verkauft wurde. Downbeat gab es genauso auch und schon vorher in anderen Städten: Nightmares on Wax, Kid Loco etc. etc. Vielmehr handelte es sich um eine Clique von befreundeten Musikern, die eine gemeinsame Entwicklung durchgemacht haben, welche zu einem zeitgemäßen und international konkurrenzfähigen musikalischen Ergebnis geführt hat. Ob das nun Kruder & Dorfmeister waren, Stereotyp, dZihan & Kamien oder andere, die ich in diese Zeit und Ecke einordnen würde – das war einfach “cutting edge”, was die gemacht haben. Und es wurde gut vermarktet. Weder damals, noch heute spielt es eine so große Rolle woher man kommt. Dass es doch so sei, behauptet die Marketingmaschine immer gerne, nachdem ein paar befreundete Musiker sich gegenseitig beeinflusst und so auf ganz natürlichem Wege eine Musikströmung entwickelt haben. “Sound of Vienna” hört sich einfach schnittig an. Andererseits ist es ja auch logisch, dass wenn ich guten Sound mache und mein Nachbar der beste Promotor der Welt ist, sich das gegenseitig auch ganz gut ergänzen kann.

Kümmert ihr euch um das Booking für eure Artists, oder läuft das unabhängig von den Veröffentlichungen bei euch?
Da halten wir uns bewusst raus. Das sollen die Profis machen.

Was waren die bisherigen Highlights der Labelgeschichte?
Das ist die Labelgeschichte an sich und die rasanten Entwicklungen, die einige Acts, die wir begleiten durften, mittlerweile gemacht haben.

Was hat sich seit dem Beginn von Estrela Records verändert?
Wir haben sehr viel Zulauf was das Zusenden von Demos betrifft. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass ich es als A&R-Manager kaum noch schaffe, das alles durchzuhören. Dafür kann ich mir jetzt vorstellen, wie viel Material die “großen” Labels so im Durchschnitt bekommen. Ich kann daher jungen Artists nur eines empfehlen: Kontakte und das Vitamin B (wie Beziehungen) pflegen! Insofern könnte es also neben den Veröffentlichungen via Soundcloud doch eine grosse Rolle spielen, wo und vor allem bei wem man sich mit seiner Musik herumtreibt.

Auf eurer myspace-Seite sieht man mitunter sehr aufwendige und professionell gestaltete Videos. Wie könnt ihr euch das leisten bzw. welche Kanäle stehen euch hier zur Verfügung.
Das machen zum Teil die Artists selbst. Es gibt da einen allgemeinen Konsens, was die Rolle des Labels in solchen Angelegenheiten betrifft. Das Label kann bei Produktionen unterstützend einspringen, aber es wird nicht erwartet, dass das Label für alle Promotionaktionen der Artists aufkommt.

Wie siehst du die Situation der elektronischen Musik in Österreich? Gibt es da größere Szenen oder doch eher nur lose Zusammenhänge von Homerecording Artists?
Das entwickelt sich alles prächtig. Bei knapp acht Millionen Einwohnern haben wir eine repräsentable Anzahl international höchst erfolgreicher Artists.

Und in Salzburg?
Salzburg? Warum soll Salzburg so besonders und überhaupt hervorzuheben sein? Weil hier alle immer noch weiße Perücken tragen, sich die Läuse mit spitzen Nadeln aus der Kopfhaut picken, an Krätze leiden und sich gegenseitig schweinische Briefe zuschicken? Es ist und bleibt halt ein Erzbistum! Mal mehr, mal weniger. Ein Lichtblick sind in unserer Stadt und unserem wunderschönen Bundesland aber auf jeden Fall die Jüngsten unter den zeitgenössischen Musikschaffenden. Da gibt es in einigen Genres derzeit wirklich hoffnungsvolle Talente. Ich versuche mich ja auch in der Förderung einiger von ihnen.

Spielen in Salzburg auch eher traditionell ausgerichtete Institutionen wie das Mozarteum eine Rolle?
Egal, ob es sich um das Bruckner Konservatorium oder das Mozarteum handelt – es sind nicht diese Institutionen die eine Rolle bei uns spielen, sondern immer mehr deren Absolventen. Klassisch ausgebildete Musiker von solchen Lehrstätten machen bei uns schon einen großen Teil der Artists aus. Ob das nun Bartellow, oder Matias Monteagudo aka Sacco (Sacco Vanzetti Duo) ist. Diese Leute kristallisieren sich immer mehr als treibende musikalische Kräfte und Kompetenzträger heraus.

Danke für das Interview.

Nächste Termine:
16.07.2011: Bartellow & Ogris Debris (“Wetterleuchten, Festival am Berg”, Seegrube/Innsbruck)
12.08 – 14.08.2011: “Im Garten/ Zwischen Biene und Blume”, Elektronisches Musik-Festival im Mirabellgarten/Salzburg (Kooperation von Estrela Records und Redbull Music Academy)

http://estrelaestrela.com/
http://soundcloud.com/estrela