mica-Interview Chili & The Whale Killers

Mit “Banker On The Run” beweist die aus Salzburg stammende österreichisch-isländische Band erneut ihren Ruf als wohl eine der vielseitigsten Popbands des Landes. Für mica traf Didi Neidhart Chili & The Whale Killers zum Interview.

Ihr habt euch ja 2009 gegründet. Wie kam es dazu? Es kommt ja nicht alle Tage vor, dass sich Musikern aus Reykjavik und Salzburg einfach so treffen.
Im Grunde haben wir uns bei einer Geburtstagsparty gegründet. Árni, Hjörtur und Baldur kamen erst spät am Abend und zu diesem Zeitpunkt waren praktisch schon alle hinüber. Im Gang zur Küche war ein weißes Piano, das nach dem Umzug der Wohnungseigentümer noch herumstand. An dem Piano saß Chili und hämmerte vor sich auf die Tasten. Es war Liebe auf den ersten Blick!
Wir verbrachten die ganze Nacht gemeinsam, sangen Songs und gründeten die Band. Dann probierten wir es in verschiedenen Formationen: Wir holten uns einen Organisten (Luka) und einen Drummer (Clemens). Luka ging nach Amerika, Clemens zog nach Wien um zu studieren und Baldur ging nach Island zurück. Dann traten Jesus und David den Whalekillers bei, und in dieser Formation spielen wir jetzt immer noch.

Hattet ihr zuvor schon Erfahrungen in Bands sammeln können?
Ja, zum Teil. Chili hatte schon mal eine Band. Baldur spielte ebenfalls zuvor in einer isländischen Band. Jesus war Frontman von „Maybe the Mighties“ und auch Hjörtur und Àrni spielten in diversen Formationen.

Was hat es mit den “Whale Killers” auf sich? Das steht ja diametral im Gegensatz zu eurer Musik.
Das entstand im Bezug auf Island, als die „Waltöter-Nation #3“, nach Japan und Norwegen. Eigentlich eine sarkastische Stellungname zur umstrittenen isländischen Walfangpolitik. Das wird aber leider oft missverstanden. Außerdem gibt es den klingenden Aspekt: „Chili and the WHALEKILLERS“ liegt einfach gut auf der Zunge.

Wie habt ihr die ersten beiden CDs finanziert?
Total Independent! Wir wussten damals zu wenig über Förderungsstellen, und Labels waren nicht ausreichend interessiert an uns.

Gerade Live fällt eure unglaubliche Souveränität auf. Man will gar nicht glauben, dass ihr bei soviel Locker-vom-Hocker-Entertainer-Qualitäten erst eine Handvoll Live-Gigs hinter euch habt. Woher kommt das?
Wir spielten eigentlich von Anfang an ausschließlich eigene Songs, also Musik mit der wir uns identifizieren und die wir wirklich machen wollten. Das trägt sicher dazu bei. Außerdem ist die Energie zwischen uns Fünf einfach sehr stark. Da passiert etwas, dass auch wir nicht genau festmachen können.
Unser Repertoire ist umfangreich, deswegen können wir während eines Konzerts die Setlist einfach nochmal über den Haufen werfen, wenn wir das Gefühl haben dass das Publikum anders als erwartet reagiert. Somit bleibt ein Konzert eine ständige Interaktion mit dem Publikum.
Darüber hinaus haben wir auch als Straßenmusiker gearbeitet. Alleine und auch als komplette Band. Da sammelt man allerlei Erfahrungen, wenn es auch ganz was anderes ist als auf einer Bühne zu spielen.

Gibt es bei euch eine gewisse Rollenverteilung, was das Songswriting und die Stile (bzw. deren Einflüsse) betrifft?
Ja, im Prozess des Schreibens schon. Chili und Hjörtur schreiben die Musik: Chili erzählt eine Geschichte, Hjörtur bringt den Pop, Àrni festigt es mit gezielten Saxophonlinien, Jesus malt es gekonnt durch sein Pianospiel aus und David treibt den Rhythmus an. Wenn wir die Songs dann ausarbeiten kommt alles zusammen und entwickelt eine Selbstständigkeit.

Wie schreibt ihr eigentlich eure Songs? Die wuseln ja mitunter durch ganz unterschiedliche Genres, ohne dass es dabei nach angestrengt ausgedachten Brüchen oder Stilwechseln klingt. Woher kommt dieses quasi organische, selbstverständliche Zick-Zack-Gewusel?
Ja, es ist eine quasi organische Selbsverständlichkeit. Hjörtur und Chili haben sehr unterschiedliche Zugänge zu Musik. Hjörtur versucht Melodie, Text und Klang in harmonische und einheitliche Songs zu verpacken, die auch eine gewisse Eigenständigkeit haben. Chili erzählt Geschichten und verbindet mehrere Songs zu breiten Konzepten. Durch diesen Gegensatz entsteht das Zick-Zack-Gewusel.

Sowohl “Grandma Martha’s Christmas Cookies” (2010) wie auch „The Tragic Tale of Julie & the Crying Clown“ waren schon Konzeptalben. Liegt euch dieses Genre mehr, als einfach eine CD mit irgendwelchen Songs zu veröffentlichen? Oder braucht ihr wegen all zu viel sprühender Songideen quasi eine Art Korsett, damit sich das nicht zerfranst und auch mal zu einem Ende (also einer CD) kommen kann?
Nein, Konzepte sind für uns nicht unbedingt eine Notwendigkeit. Den kreativen Prozess des Schreibens kann man sehr schwer steuern; es entstehen Konzepte sowie einzelne Songs bis zu dem Punkt, wo wir uns entscheiden müssen in welcher Reihenfolge wir die Sachen rausbringen möchten.

Anders gefragt: Wie schafft man es innerhalb eines Jahres gleich zwei komplette Konzept-Alben zu schrieben, aufzunehmen und dann auch noch Live zu performen?
Es geht.

Wie kam es zur Idee mit “Grandma Martha’s Christmas Cookies” ein komplettes eigenes X-Mass-Programm zu machen?
Ursprünglich waren es nur zwei Christmas-Songs die uns passiert sind. Doch dann haben wir Gefallen an der Sache gefunden und die Ideen haben nur so gesprudelt. Die Songs sind praktisch am Fließband entstanden. Der Rahmen bzw. das Konzept ist einfach Weihnachten; unser persönliches Weihnachten. Wir wollten fröhliche Weihnachtsmusik schreiben, hauptsächlich um sie selbst beim Kekse backen, Geschirrwaschen und Geschenke-Einpacken hören zu Können.

„The Tragic Tale of Julie & the Crying Clown“ ist als Art Revue/Varieté-Show angelegt, was sich auch in der Musik mit ihren Zirkus- und Balkan-Anklängen wieder spiegelt. Was hat es damit auf sich?
Wir haben die passende Musik zu der Liebesgeschichte von Julie und dem weinenden Clown gesucht, also Rhythmen und Klänge die die Stimmung unterstreichen. So haben wir Musikstile zusammengetragen, die uns schlüssig und passend erschienen und mittels russische und französische Zirkusmusik sowie John Steinbeck das alles zu „The Tragic Tale of Julie & the Crying Clown“ zusammengefügt.

“Banker On The Run” ist erneut ein Konzeptalbum. Diesmal geht es grob gesagt um die Wirtschaftskrise. Wieso nun dieses Thema? Es liegt zwar auf der Hand, aber ist deshalb vielleicht auch nicht ganz so leicht zu bearbeiten. Wie seid ihr an das Thema herangegangen?
Uns hat der humorvolle, satirische Aspekt und Zugang zur Wirtschaftskrise gefehlt, und was bleibt einem denn auch noch anderes übrig als die Lächerlichkeit des ganzen zu thematisieren. Keine wütenden Protestsongs, sondern eine humorvolle Stellungnahme, entgegen jeglicher Gewaltbereitschaft und Zorn.

Was hat sich bei euch zwischen „The Tragic Tale of Julie & the Crying Clown“ und “Banker On The Run” stilistisch verändert?

Wir haben einen neuen Sound für ein neues Projekt gesucht: ein Wall of Sound im Sinne von Phil Spector und den Beach Boys. Stilistisch ist es anders, ja. Die Songs haben einen anderen Charakter und verlangten eine andere Produktion. Außerdem haben wir uns musikalisch weiterentwickelt, die Arrangements sind verzweigter, und neue Elemente bewusster gesetzt.

Woher kommen dabei eigentlich all die Balkan-Sounds (oder sind das eigentlich Island-Sounds, nur klingen die in den meisten Ohren eher nach Osten, denn nach Nordwesten)? Die klingen ja weniger nacht “echtem” Osten, als vielmehr nach in die USA importierten und dort vermischten Klängen, die nun quasi als “amerikanisch bastardisierte” Klänge wieder zurückkommen. Im vorliegenden Fall halt durch einen bunte Zirkustruppe.
Wir haben uns eigentlich nie intensiv mit Balkanmusik beschäftigt. In „The Tragic Tale of Julie & the Crying Clown“ wollten wir eine Zirkus-Atmosphäre schaffen. Balkan Rhythmen waren ein Hilfsmittel um die Geschichte stimmig zu erzählen. Aber es stimmt: Amerikanische Folk Music hat mehr Einfluss auf uns als BalkanMusik.

Mit „The Tragic Tale of Julie & the Crying Clown“ habt ihr erstmals für grosse Aufmerksamkeit und ein sehr positives Presseecho gesorgt. Dennoch erscheint eure aktuelle CD erneut im Eigenvertrieb. Ist es schwer für eine Band wie Chili and The Whalekillers Aufmerksamkeit von Labels, Vertreiben, etc. zu bekommen?
Ja, es ist schwer Aufmerksamkeit von Labels zu bekommen. Wir wurden zwar schon von diversen Labels unterschiedlicher Größen kontaktiert, allerdings hat sich noch nichts Konkretes ergeben.

Wie sind eure Erfahrungen mit dem Music-Biz?
Es ist ein Knochengeschäft!

Euer Musik lässt vielfältige Assoziationen zu (Varieté, Wanderzirkus, Sideshow, etc.) und hat auch immer wieder sehr schöne eklektizistische Pop-Momente, die an ganz viele Acts denken lassen, die sich auch der Kunst des Zitats verschrieben haben (Beach Boys, Roxy Music, Van Dyke Park). Ihr gebt ja selber Leute wie Bob Dylan, Fleet Foxes, Springsteen, Sigur Rós, Joy Division, The Beatles, The Smiths, Clash, Velvet Underground, Belle and Sebastian an, die einerseits nahliegend, weil kanonisiert, dann aber doch in dieser Zusammenstellung etwas aussergwöhnlich sind.
Ui, die Liste haben wir lang nicht mehr aktualisiert. Sie zeigt eher welche Musik wir zur Entstehungszeit der Band gehört haben, als das was wir mitgenommen haben.
Zurzeit liegen neben dem Plattenspieler in unserem „Salon“ “Alice´s Restaurant von” Arlo Guthrie, das neue Girls Album und eine Rolling Stones „Best of-“ Platte.

Habt ihr eine Definition/Vorstellung von Pop, bzw. dessen, was der “perfekte Popsong” ist bzw. sein könnte?
Hmm.. Der perfekte Popsong… Wenn wir die Formel wüssten, würden wir sie ja auch nicht gleich verraten, oder?

Es gab ja auch eine kleine Island-Tour. Wie ist die zustande gekommen und wie war sie?

Wir haben die Möglichkeit gehabt bei einem Festival im Norden von Island zu spielen und haben uns gedacht „Warum nicht?“. Dazu spielten wir noch einen Gig in Reykjavìk und verbrachten drei Tage im Greenhouse Studio, wo wir eine EP aufnahmen. Geschlafen haben wir bei Freunden und Verwandten und gereist sind wir per Anhalter, das war alles ziemlich spannend. Mehr dazu erzählen wir in unseren Memoiren.

Nun gehört ihr jedoch auch zu den vielen hoffnungsvollen Salzburger Bands, die nach Wien gezogen sind. Wieso eigentlich? Was fehlt in Salzburg (Infrastrukturen, Kontakte, Auftrittsmöglichkeiten)? Warum dieser Schritt?
Als wir bemerkt haben dass die Musik recht gut in Salzburg angekommen ist, haben wir uns überlegt wie es weitergehen soll. Wien erschien uns als ein logischer Schritt vorwärts um ein breiteres Publikum zu erreichen. Auch um uns von dieser wundervollen Stadt inspirieren zu lassen. Wir wohnen momentan auch gemeinsam in einer Wohnung, diskutieren und musizieren täglich in unserem „Salon“.
Salzburg bleibt jedoch ein Basis und wir versuchen weiterhin regelmäßig dort zu spielen

Was ist für die Zukunft geplant?
Duschen, schlafen gehen und die Welt erobern.

Danke für das Interview.

Nächste Live-Dates:

Fre, 15.06.2012, 20.00 Uhr
Zentrum für Translationswissenschaft, Hoffest der STRV UFG
Gymnasiumstrasse 50

Fre, 22.06.2012, 00.00 Uhr
Donauinselfest, SJ Bühne
Donauinsel

http://www.chiliandthewhalekillers.com/