“Das Schöne vermitteln – Neue Musik zwischen Ästhetikdiskussion und Öffentlichkeit“ war das Thema, dem sich am 22. Juni unter der Moderation von Christian Heindl vier Diskutanten auf dem Podium stellten: Die Komponistin, Instrumentalistin und Musikvermittlerin Cordula Boesze, der Komponist, Dirigent und Leiter des ensemble reconsil Roland Freisitzer, der Leiter des Klangforum Wien Sven Hartberger sowie der Musikjournalist (u. a. in Der Standard und NZZ, ÖMZ) und Publizist Daniel Ender, der auch Lehraufträge an den Universitäten Wien und Klagenfurt inne hat. Hier ein Protokoll.
Die Diskussion zu dem wichtigen, spannenden, aber schwierig zu fassenden Thema war – wiewohl eher schlecht besucht – durchaus hochkarätig, wir versuchen sie hier teils nur in Stichworten festzuhalten.
„Neue Musik gehört zu den befremdlichsten kulturellen Erscheinungen des 20. Jahrhunderts. Während Musik für den Liebhaber immer noch die ‚klassische’ ist und der Massenkonsument alle möglichen Arten der Popmusik als einzig richtige Form des gegenwärtigen Musizierens betrachten dürfte, spielt die Kunstmusik am Ende des zweiten Jahrtausends eine Sonderrolle, die kaum mit einer anderen Kunstsparte verglichen werden kann. Ab und an hört man von ihr – im Feuilleton oder im Gespräch mit solchen, die an der ‚Szene’ teilhaben, doch meist kann sich selbst derjenige, der sich offen um das ihm Unverständliche bemüht, nur wenig darunter vorstellen.“ (Claus-Steffen Mahnkopf: Kritik der neuen Musik. Entwurf einer Musik des 21. Jahrhunderts)
Der Begriff des „Schönen“
Christian Heindl stellte als erstes die Frage, was darunter denn eigentlich zu verstehen sei und verwies auf den Ästhetikbegriff, der bis ins 19. Jahrhundert allgemein schlechthin als das Schöne galt, im 20. Jahrhundert eher als Wahrnehmungsbegriff und bat um Einleitungs-Statements. Cordula Boesze (CB): „Schöne Künste“ – die Ästhetikdiskussion meinte in der europäischen Musik früher auch das „Harmonische“, teils auch noch in der Neuen Musik, die interessante Frage aber ist: Wie gehen wir an das Hören heran? Daniel Ender (DE): Das „Schöne/Wahre/Gute“ wurde philosophisch als Einheit gesehen. Seit der Frankfurter Schule betrachtet man die Aufgabe Missstände aufzuzeigen als eine Aufgabe der Kunst. Was machen wir damit? – Wir sind auf die eigene Wahrnehmung zurückgeworfen, auch auf einen eigenen Begriff von Schönheit, der damit zu tun hat, was wir schon gehört haben: Schönheit ist heute auch die Verweigerung des Gewohnten. Roland Freisitzer (RF): Schönheit ist sehr individuell. Jedenfalls gibt es in der Musik „schlecht Gemachtes“, etwa wenn etwas nicht gut instrumentiert ist. Ist „schön“ überhaupt das richtige Wort? Sven Hartberger (SH) findet nichts Anrüchiges am Begriff „schön“: Heute gibt es bei vielen auch wieder einen Hang zur Romantik, auch das störe ihn nicht. Es bleibt die Auseinandersetzung mit der Welt durch Kunst, um Schönheit als Waffe der Kunst in der Auseinandersetzung mit der Welt. Verweis auf Platons Politeia. Bewusst nur das Schockierende einzusetzen, das tut kaum ein Künstler.
Das Publikum der Neuen Musik und die Musikvermittlung
Wie können wir als Musikvermittler der Neuen Musik an das Publikum herantreten?
RF: Auch das Publikum entscheidet letztlich, welche was zu sagen haben. Es gibt auch – wenige – Scharlatane. Emotional und / oder intellektuell – kann man was „mitnehmen“. Für meine vierjährige, dann dreizehnjährige Tochter bedeutete Musik jeweils etwas Verschiedenes (manches ist mit 13 Jahren „uncool“). Eine gewisse Offenheit fehlt heutzutage. SH: „Vermittlung“: Denken wir an Schönberg und seine musikalischen Privataufführungen; die komponierte Musik hat sich eine Zeit lang auf sich selbst zurückgezogen. Mach es das „Reden“ über Musik leichter und welchen Stellenwert hat das? CB: Einen hohen. Es ist eine Hilfe, um die Rezeption zu begleiten. Wenn wir an die Museumspädagogik denken, das ist in der Neuen Musik auch wichtig. Das frühere „Sandwich“-Konzert [also das ‚Einschmuggeln eines moderneren Stücks oder gar einer Uraufführung Neuer Musik zwischen zwei Klassisch-populären Werken] – das brachte dem Publikum nichts. Ich selbst mit 13 war unbehelligt von der Neuen Musik, auch noch im Flötenstudium! Oft können auch heute Ausführende mit Neuer Musik nix anfangen.
Christian Heindl: Cordula, wie offen sind Kinder? Ist das bei Kindern leichter als bei Erwachsenen? CB: Es ist wichtig, dass Kinder selbst was machen, was damit tun. Es ging auch mit Lehrlingen, etwa bei dem Projekt „Klangnetze“, das es jetzt schon 10 Jahre nicht mehr gibt (!). Bei der Vermittlung ist das Wichtigste das „Machen“, nicht nur das Rezipieren. In der Musikschule bekomme ich oft die Frage „Darf ich es auch so machen?“ gestellt – da herrschen oft vom Genietum befrachtete Ansichten über Komposition. Dabei muss man nur grundlegende Sachen in der Musik auch lernen!
Heindl: Roland, wie war das bei dir? – RF: Ich kam von Kapstadt nach Russland, über Schnittke nach Moskau. Ich wollte nicht „cool“ sein, das kam halt irgendwie. Als Interpret möchte ich sagen: Ein voller Saal macht natürlich mehr Spaß (und im Schönberg-Center-Zyklus sind wir meist sehr gut besucht oder voll), aber ich programmiere dort nicht extra meine Kompositionen. Ein technisches Rüstzeug ist schon immens wichtig, auch für Instrumentalisten und Ensembleleiter, schlecht gemachte Partituren gibt es viele. Das merkt das Publikum witzigerweise aber auch. Artikel und Rezensionen in der (gedruckten) Presse gibt es über uns wenig! Tragen Musikjournalisten beruflich nicht eine Verantwortung dafür, Vermittlung zu leisten?
DE: Die Rolle der Medien war noch nie so prekär wie heute. Medien sollen auch Menschen „verführen“, „motivieren“ sich da wo hineinzusetzen, wo Neue Musik gespielt wird. Medien sollten diesbezüglich auch „Werbung“ machen. Und die Frage der „Objektivität“ bei der Beurteilung von Kunst? – Kunst ist immer eine persönliche Einschätzung.
SH: „Einführungen“ und ihre Bedeutung: Wir machen das sehr selten. Ich hab ein Problem damit, es soll nicht „Schulung“ und lehrhaft sein. Das Hören von Musik ist nicht in erster Linie ein intellektuelles Vergnügen, aber in erster Linie ein sinnliches Vergnügen. Ich lass mir kein Abendessen erzählen, ich will es selber probieren. Musik als Gemeinschaftserlebnis: Ein Konzert von 19.30 bis 21.30 hat auch Nachteile. Oft ist das Konzert vorbei, bevor der Hörer zur Ruhe gekommen ist. CB: macht ein Plädoyer für eine tolle Ligeti-Einführung des Pierre Laurent Aimard (auch am Klavier). Alle: Ja eh. SH und RF: Es ist immer gut, die Konzertsituation irgendwie aufzuweichen. Heindl: Noch einmal die Frage nach der Rolle der Medien. SH: Die wird auch überschätzt. Die Künstler sind auf sich selbst gestellt. Dass das Klangforum jetzt ein treues und wachsendes Publikum hat, lag und liegt an der Qualität seiner der Künstlerinnen und Künstler. CB: Die Kritiken mutieren zu Staatsopernkritiken, mutieren oft auch zu Kritiken über nix.
Die Diskussion wurde noch eine Weile auch von und mit den Anwesenden auf dem Podium und im Publikum (darunter etwa dem Doyen der Musikvermittlung Lothar Knessl oder einem Anhänger der Rock- und improvisierten Musik, die sich durchaus der Neuen Musik öffnet) fortgeführt. Auch vom Protokollanten Heinz Rögl.
Die Diskussions- und Vortragsreihe micafocus /Kunstmusik und Öffentlichkeit wird unterstützt durch die Abt. für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.