MELANIE MAAR und CHRISTIAN SCHROEDER leben in New York bzw. Wien und arbeiten seit fast einem Jahrzehnt zusammen. Obwohl der eine Teil des Duos in der Regel mit Klang und der andere mit körperlicher Bewegung arbeitet, hält sich keiner von ihnen an eine Kategorisierung, an ein Festhalten in der eigenen Spur oder an konventionelle Rollen und Grenzen in den Bereichen Musik, Performance und Kunst.
Beide sind Performer*innen und beide sind Musiker*innen. Beide sind Komponist*innen und beide sind Choreograf*innen. Und beide sind durch das, was sie gemeinsam geschaffen haben, noch mehr vom anderen geworden.
Maar und Schroeder treffen sich im Raum des Nicht-Offensichtlichen, des Unbequemen, des Austauschbaren und des Unbestimmten. Obwohl normalerweise ein Ozean zwischen ihnen steht, ist das so ziemlich alles, was sie trennt, wenn es um den organischen Fluss ihrer kreativen Arbeit in Tanz, Klang, Komposition, Choreografie, Musik und Ausdruck geht. Ihre gegenseitige Vorliebe für Wiederholungen, Subtilität, die Kunst des Zuhörens, das Drama im Nicht-Narrativen und der Moment der Befreiung nach Zuständen des Unbehagens sind Aspekte, die sie miteinander verbinden und dies auch weiterhin tun, wenn ihr gemeinsamer kreativer Austausch weitergeht
Im Rahmen unserer Reihe CROSSWAYS IN CONTEMPORARY MUSIC hat sich Arianna Fleur Alfreds mit Melanie Maar und Christian Schroeder zusammengesetzt, um herauszufinden, wo genau Körper und Klang, Choreografie und Komposition aufeinandertreffen und was aus dem Aufbrechen der Grenzen zwischen ihnen erwachsen kann.
Lasst uns mit den Grundlagen beginnen: Was macht ihr eigentlich? Mit welcher Terminologie könnt ihr euch identifizieren? Zeitgenössische Musik? Klangkunst? Zeitgenössische Kunstmusik? Zeitgenössischer Tanz? Bewegung? Ist davon irgendetwas passend?
Christian Schroeder: Nun, ich denke, dass nicht einmal eine dieser Kategorien in der Art und Weise Sinn macht, wie wir zuerst zusammenkamen. Es war eher eine Art Praxis, Ideen auszutauschen, ohne etwas zu kategorisieren.
Und du selbst, als individueller Künstler, wie würdest du deine Arbeit beschreiben?
Christian Schroeder: Das kommt immer auf den Anlass an. Wenn ich mit Musikerinnen und Musikern arbeite, nenne ich mich Komponist. Wenn ich selbst spiele, nenne ich mich Musiker. Wenn ich ein Objekt mache, nenne ich es wahrscheinlich ‚Klangkunst‘ (‚sound art‘).
Es ist also fließend.
Christian Schroeder: Ja, aber es hat immer irgendwie mit Klang zu tun.
Melanie, was ist mit dir? Bist du eigentlich eine ‚Tänzerin‘?
Melanie Maar: [lacht] Ich bin auf jeden Fall eine Tänzerin, und ich bin eine Choreografin. Und ich bin eine Musikerin. Und ich bin auch eine Bewegungskünstlerin.
Und ich bezeichne mich gerne als Bühnenbildnerin. Und ich bezeichne mich gerne als Kunst-Lebens-Begleiter. Wenn mich also jemand Choreografin nennt, bin ich nicht böse. Wenn mich jemand Tänzerin nennt, bin ich nicht böse.
Eigentlich bin ich heimlich Musikerin, und ich liebe es, als „Musikerin“ bezeichnet zu werden. Und ich liebe es, Christian auftreten zu sehen, denn er ist nicht nur ein Musiker, sondern ein Performer. Ich denke, ich fühle mich zu den Formen hingezogen, die nicht so offensichtlich sind.
Christian Schroeder: Es ist auch schön, etwas dazwischen zu haben. Auch wenn klar ist, dass Melanie tanzt und ich Sound produziere, gibt es in der Performance immer eine Rückkopplungsschleife, die zwischen uns stattfindet.
„Eigentlich bin ich heimlich Musikerin, und ich liebe es, als ‚Musikerin‘ bezeichnet zu werden“
Rollen und Genres sind also obsolet?
Christian Schroeder: Ja, ich würde sagen, es geht weniger um das Genre als vielmehr um die Person, mit der man arbeitet und wächst. Ich glaube, alle meine Kollaborationen dauern in der Regel sehr lange, und man entwickelt in der Regel eine Art Liebe für die Person. Das ist auch gut so, denn dann kann es zwischendurch auch zu Streitigkeiten kommen. Es kann zu großen Dramen kommen – was auch schön ist! Man kann mit einer Person wirklich verrückt werden. Aber dann findet man wieder zueinander, weil man sich in der Arbeit trifft.
Melanie Maar: Ja, das stimmt. In unserem Fall und der Art und Weise, wie ich normalerweise mit Komponistinnen und Komponisten arbeite, ist es eine enge, sich entwickelnde Beziehung. Manchmal ist nur das Reden der Anfang eines Stücks. Man muss mit jemandem auskommen – aber nicht nur auskommen, sondern sich auch dafür interessieren, wie er oder sie die Dinge wahrnimmt.
Was trennt euch und/oder was verbindet euch? Was ist der Raum ‚dazwischen‘, wenn ihr zusammenarbeitet?
Christian Schroeder: Ich denke, der Raum zwischen uns verändert sich mit der Zeit, manchmal ist er kleiner, manchmal größer. Wahrscheinlich ist er etwas, das wir versuchen, loszuwerden – dieser Zwischenraum.
Melanie Maar: Es gibt etwas an dem Raum dazwischen, das ich nicht als eine Trennung betrachte, sondern als einen Ort, an dem wir uns treffen. Es ist die Arbeit, die aus unserer gemeinsamen Arbeit erwächst. Wenn wir zusammenarbeiten, denke ich an diesen Raum, in dem das Auditive, das Sinnliche, das Spirituelle, die Anziehungskraft der dunklen Seite und des Unbehagens herrscht – das alles sind Elemente, die uns verbinden, zu denen wir uns beide hingezogen fühlen und die auf eine bestimmte Weise zusammenkommen, wenn wir zusammenarbeiten.
„Das ist etwas, was wir versuchen loszuwerden – diesen Raum dazwischen.“
Als wir zum Beispiel das erste Mal ein Stück gemacht haben…
Christian Schroeder: …war es eine Serviette!
Wie bitte?
Melanie Maar: Ja, es war eine Serviette! Wir haben es auf einer Serviette gemacht! [lacht]
Christian Schroeder: Ja, wir waren in einer Bar und Melanie hat die Partitur auf eine Serviette geschrieben.
Melanie Maar: Ja, du hast an diesen Sinuswellen gearbeitet und ich an der Wiederholung und dem unsichtbaren Klang, der mit der körperlichen Wiederholung einhergeht. Wir unterhielten uns, und sofort war etwas gezeichnet, eine Art Partitur oder Choreografie, auf einer Serviette. Und ein paar Tage später haben wir es dann aufgeführt. Und ich glaube, es war irgendwie diese gemeinsame Besessenheit von der Wiederholung, die uns leicht ins Gespräch brachte.
„Wir sind beide auf eine Art Wiederholungsfreaks.“
Und es gibt etwas an zeitgenössischer Komposition und Choreografie, bei dem die Wiederholung ein großes Element ist. Man kann sie in jeder Form finden, egal in welcher Nische. Und wir sind beide auf eine Art Wiederholungsfreaks. [lacht]
Christian Schroeder: Und ich glaube, es ist auch eine Liebe zum Unbehagen, auf eine radikale Art und Weise. Ich weiß noch, als wir das zum ersten Mal geprobt haben, war Melanie danach ganz schwindelig, und trotzdem hat sie gesagt: „Das war toll“.
Melanie Maar: Ja, und wir haben auch dieses Stück zusammen gemacht, „Speaking Numbers“ wo wir in Wiederholungen gesprochen haben und im Kreis gelaufen sind, während wir immer schneller wurden. Es war also sehr anstrengend für den Mund und für den Verstand, das richtige Tempo zu finden. Dafür arbeitete ich auch mit einem hyperventilierenden Atem. Wir haben uns also beide in den Rollen, die wir gespielt haben, körperlich sehr unwohl gefühlt, aber wenn man an dem Unbehagen festhält, gibt es normalerweise einen Moment der Befreiung. Und an diesem Moment bin ich sehr interessiert.
Christian Schroeder: Ja, absolut.
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„Wenn man an dem Unbehagen festhält, gibt es normalerweise einen Moment der Befreiung. Und an diesem Moment bin ich sehr interessiert.“
Melanie Maar: Man kann diesen Moment als kompositorisches, emotionales oder ästhetisches Werkzeug nutzen – wenn man nur lange genug dabei bleibt und es lange genug anschaut und hört, durchläuft man die Phasen von Neugier, Aufregung, Langeweile, Hass, Akzeptanz, Erotik, Befreiung, Freude. Hinterher waren wir meistens ziemlich high von dem Gefühl, es geschafft zu haben.
Durch das Unbehagen landet ihr in einer Art Glückszustand?
Christian Schroeder: Ja. Und ich denke, dieser Aspekt der „Langeweile“ ist etwas, das mich auch interessiert. Wie beim Zählen von Zahlen ist es eine sehr „langweilige“ Aufgabe. Aber ich denke, dass bei diesem Prozess etwas Interessantes herauskommt – oder zumindest hofft man das. Natürlich kann man nicht bis unendlich weitermachen, also muss man irgendwann aufhören. Das ist auch ein wichtiger Aspekt in der Musik: der Moment, wenn die Musik aufhört. Das ist ein wirklich schöner Moment, dem man Aufmerksamkeit schenken sollte.
Die Ankunft der Stille.
Christian Schroeder: Ja, Stille. Aber auch, plötzlich wieder die Klänge der Realität zu hören – zu merken, dass die Performance eigentlich etwas Willkürliches und Konstruiertes ist. Und die Realität ist etwas ganz anderes.
Ihr hättet jeden bzw. jede für die Zusammenarbeit wählen können. Warum habt ihr euch für einander entschieden?
Christian Schroeder: Nein, das ist nicht etwas, was man sich wirklich aussucht. Es wird von einer höheren Macht gewählt. Ich meine, dass man dann weiter zusammenarbeitet, ist eine Wahl. Aber der Punkt, etwas anzufangen, wurde von uns nicht „gewählt“, würde ich sagen.
Melanie Maar: Was glaubst du denn, was uns dazu gebracht hat, weiter zusammenzuarbeiten?
Christian Schroeder: Ich glaube, es war dieses Gefühl, etwas Neues zu schaffen. Und etwas zu schaffen, das ein bisschen außer Kontrolle ist, aber mit Mitteln, die natürlich kontrolliert werden. Aber gleichzeitig etwas Drittes zu schaffen – das „Dazwischen“.
Melanie Maar: Für mich hatte es etwas damit zu tun, dass ich von deinem Verständnis von Performativität und Ästhetik so begeistert war. Und, dass es nicht nur um Sound ging. Es gibt ein Element in deiner Arbeit, das ich als sehr bewusst wahrnehme – über die gesamte Erfahrung. Ich habe das Gefühl, dass du in unserer gemeinsamen Arbeit als Komponist auch ein aktiver, performativer Teilnehmer an deinen Kompositionen warst, im Gegensatz zu der Position „hier ist mein Sound, und ich habe keinen Anteil am Rest“.
„Es ist ein sehr intuitiver Prozess, zu wissen, was man braucht.“
Und so fühle ich mich auch bei meiner Arbeit – ich bin eine aktiver Teilnehmerin an der Hörerfahrung, genauso wie ich auf der Bühne in meinem Körper bin. Als wir das erste Mal im Studio darüber sprachen, war ich so aufgeregt, dass ich in keiner Weise eine Trennung gespürt habe. Handwerklich sind wir zwar getrennt, aber ich hatte das Gefühl, dass unser Interesse an der Art und Weise, wie wir das Publikum einbeziehen, sehr kompatibel war, und wenn nicht ähnlich, so doch zumindest sehr komplementär zu dem, was wir beide brauchten. Es ist ein sehr intuitiver Prozess zu wissen, was man braucht.
Christian Schroeder: Vorher war ich mir nicht so bewusst, dass ich ein ‘Performer’ bin. Erst mit dir, Melanie, habe ich angefangen, aktiv auf der Bühne zu stehen. Und dann habe ich mich selbst in dieser Rolle entdeckt.
Das heißt, durch die Zusammenarbeit wurde ein Teil deines künstlerischen Schaffens stärker betont und präsenter?
Christian Schroeder: Ja, viel präsenter. Durch die Arbeit mit Melanie habe ich auch herausgefunden, dass Tanz der Arbeit mit Klang sehr ähnlich sein kann. Normalerweise, wenn ich mit Tänzerinnen und Tänzern gearbeitet habe, hatte das immer eine sehr starke dramaturgische Linie, und selbst wenn die Stücke nicht narrativ sein wollten, gab es immer einige Umrisse. Mit Melanie war das ganz anders. Bei ihr war es so: Okay, die einzigen Vorgaben sind, dass es beginnen und enden muss, und alles dazwischen – nun, es ist wie eine Drohne oder wie eine Uhr – die Dinge können intensiviert oder entspannt werden, beschleunigt oder verlangsamt, aber das ist alles.
„Die einzigen Vorgaben sind, dass es anfangen und enden muss.“
Melanie Maar: Das ist interessant, denn dadurch wird mir klar, dass – nachdem ich mir der auditiven Erfahrung in meiner Arbeit immer bewusst war, dass ich Musik oder Sound mit meinem Körper mache – dies durch unsere Arbeit plötzlich ein legitimes Element war. Wir sprachen über Klang und Choreografie gleichermaßen und konnten uns gegenseitig anleiten. Es war fast wie eine Anerkennung der Dinge, die ich bereits getan hatte, und durch die gemeinsame Arbeit wurde mir klar: „Oh, das ist es, was ich tue“. Aber ich brauchte auch jemanden, der eine andere Perspektive darauf hat und mir hilft, es zu entwickeln.
Der Aspekt der “Nicht-Erzählung” wurde bereits angesprochen. Wie ist eure Haltung dazu?
Melanie Maar: Ich glaube, wir teilen eine gewisse Abneigung gegen das „Erzählen“. Mir geht es ausschließlich um emotionale Erfahrungen. Mein nicht-narratives Interesse bedeutet also nicht, dass ich nicht an Affekten, Empfindungen und Emotionen interessiert bin. Es ist einfach nicht-narrativ. Und ich denke, das ist ein wichtiger Teil unserer gemeinsamen Arbeit. Wenn du (Anm.: Christian) zum Beispiel die Musik so richtig aufdrehst und bis zum Äußersten treibst, dann bekommt man alle möglichen Gefühle, und dann ist es vorbei und es herrscht eine Art Tod und totale Stille. Für mich ist das eine völlig körperliche Erfahrung, die ich von meinen Auftritten mit meinem Körper kenne. Es gibt also eine Menge Drama, nur ohne Erzählung.
Christian Schroeder: Vielleicht gibt es sogar eine Erzählung im Kopf, wenn man es sieht oder hört. Aber es sind deine eigenen Gedanken – nicht etwas Theatralisches, das dich leiten soll. Wir haben nie auf diese Weise gearbeitet. Wir hatten zum Beispiel nie eine Probe, in der wir wirklich skizziert haben, was passieren würde. Ja, vielleicht strukturell, natürlich, weil jemand Dinge ein- oder ausschalten muss. Aber abgesehen davon ist es nicht auf Stichworten aufgebaut.
„Es gibt viel Drama, nur ohne Erzählung.“
Probt ihr überhaupt?
Christian Schroeder: Ehrlich gesagt, nicht viel. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht und gearbeitet. Aber nie geprobt. Manchmal probieren wir Dinge aus – ja. Und nehmen vielleicht Anpassungen vor, um zu sehen, ob sie passen – manchmal, ja. Aber trotzdem war es ganz anders als bei anderen Kollaborationen, bei denen es immer eine Art Masterplan gibt. Das hatten wir nie.
Melanie Maar: Ich denke, das ist etwas, was ich auch von Musikerinnen und Musikern kenne. Ich kenne eine Menge Musikerinnen und Musiker, die zusammen spielen und nicht so viel proben. Aber jede Probe, die ich mache, ist eine Aufführung. Ich betrachte die Proben nicht als „bits and pieces“. Wenn wir uns etwas überlegt haben, haben wir es so gemacht, als ob die Götter zusehen würden. Und wir haben aus der performativen Probe gelernt. Jedes „Herausfinden“ ist selbst eine Aufführung. Wir haben jede Probe zu einem Erlebnis gemacht, das die Komposition und Choreografie leitete.
„Wir haben es so gemacht, als ob die Götter zusehen würden.“
Christian Schroeder: Außerdem waren die Sachen, die wir gemacht haben, meist sehr anspruchsvoll, so dass man sie nicht zu oft proben kann. Ich erinnere mich, dass wir uns für das Atemstück, das wir gemacht haben, in Mexiko getroffen haben…
Melanie Maar: [lacht]
Christian Schroeder: … Und wir sagten: „Okay, lass uns etwas zusammen machen.“ Und ich habe gesagt: „Ich mache diese Sache, bei der ich im Kreis laufe und zähle. Ich kann das jetzt nicht, es ist zu schwer.“ Und Melanie sagte: „Ok, ich habe diese Sache, bei der ich so atme, dass ich fast hyperventiliere, etwa so (laute Atemzüge), aber ich kann das jetzt nicht zu lange machen, weil es zu schwer ist.“
Also doch dramatische Mittel…
Melanie Maar: Ja, ich interessiere mich total für Ästhetik und Drama – nur nicht für das erzählerische Drama. Weißt du, in manchen Aufführungen trage ich Perücken oder wir beide tragen Kostüme.
Christian Schroeder: Es ist narrativ, weil es ein Bild und eine Emotion erzeugt.
Aber es ist nicht offensichtlich. Das bringt uns zu dem Element der Subtilität. Ist das ein weiterer Anknüpfungspunkt zwischen euren Ansätzen?
Christian Schroeder: Ja. Aber Subtilität in dem Sinne, dass ich versuche, die Sache nicht zu verderben und sie zu versauen. [lacht]
Wie kann man es vermasseln? Ich bin neugierig.
Melanie Maar: Ich auch. [lacht]
Christian Schroeder: Wenn ich eine feste Vorstellung im Kopf habe, wie die Show sein soll, und dann fahre ich einfach über die Performance drüber – und nehme mir zu viel Raum. Und ich meine nicht, dass ich die Lautstärke nicht aufdrehen sollte. Ich meine mehr mit dem Bild, das gezeichnet wird.
„Zuhören geht nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Körper.“
Melanie Maar: Das ist eine gute Art, es zu formulieren – „das Bild, das gezeichnet wird“. Denn die einzigen Momente, in denen ich mit Komponistinnen und Komponisten und Musikerinnen und Musikern gearbeitet habe, in denen ich es… nennen wir es „unbefriedigend“ fand, waren die, in denen es kein Zuhören gab. Subtilität hat so viel mit Zuhören zu tun. Selbst wenn der Sound so laut ist, selbst wenn ich erschöpft bin, kann ich immer noch diesen Raum der Subtilität haben, in dem wir uns durch die Subtilität des Zuhörens finden können.
Und das Zuhören geschieht nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit unserem Körper. Der Raum dazwischen. Einstimmung auf diesen dritten Raum. Einstimmung auf das Publikum. Ich denke also, dass Subtilität in der Zusammenarbeit sehr wichtig ist – als Ort der Begegnung.
Eure Arbeit ist nicht wirklich „präsentativ“, mit einer klaren Trennung von Darstellerinnen und Darstellern und Publikum. Die Grenzen scheinen viel mehr zu verschwimmen. Vor allem, weil die Arbeit auf einer sehr sinnlichen Ebene erfahrbar ist, wie bei den Holzperlen und der Vortexing-Performance, die du und Christian gemeinsam konzipiert habt.
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Melanie Maar: Ich denke, der Aspekt, sich selbst als Zuschauerin oder Zuschauer in der Performance zu spüren, ist ein großer Anknüpfungspunkt. Das Stück mit dem Klang oder dem Zählen von Zahlen oder wenn ich die Perlen umherwerfe, die sehr auditiv sind – es ist die Bewegung – manchmal schaue ich ins Publikum und sehe, wie die Leute sich genauso hin und her wiegen wie ich.
Ganz genau. Man kann sich einfach nicht zurückhalten.
Christian Schroeder: Es ist auch mit der Atmung. Man fällt in die Atmung, in der Melanie ist. Das ist ganz natürlich.
Du nennst dich selbst eine „heimliche Musikerin“, Melanie. Christian, würdest du dich als „heimlichen Choreografen/Tänzer“ bezeichnen?
Christian Schroeder: Vielleicht. [lacht]
Melanie Maar: Das erinnert mich an einen Artikel in der New York Times. Ich habe ein Stück mit einer Musikerin, Anaïs Maviel, gemacht. Wir haben etwas auf der Straße gemacht, um einen Raum zu ehren, der in New York geschlossen wurde – die Chocolate Factory. Ein Fotograf der Zeitung machte ein Foto von uns, und dieses Bild schaffte es in den Artikel, und darunter stand „Melanie Maar, Musician“! Man könnte also sagen, dass sie mich falsch zitiert haben. Und zuerst war ich enttäuscht. Aber dann habe ich gesagt: „Ja!” [lacht] Weißt du, es war einfach eine Art Symbolik – wie ich mich fühlte, so genannt zu werden.
Eigentlich haben wir beide zu Beginn des Interviews gesagt, dass die Namensgebung nichts ist, worauf wir beide großen Wert legen oder woran wir uns hängen. Doch als ich diesen Namen erhielt, war ich trotzdem begeistert davon.
„Es war eine Befreiung, Musik in mir selbst zu finden – dass ich Musik bin.“
Betrachtet ihr euch als Co-Komponist*innen und Co-Choreograf*innen?
Christian Schroeder: Im besten Fall, ja. Ich erinnere mich, dass wir manchmal ein Ungleichgewicht hatten. Zum Beispiel habe ich für ein Stück in der Judson Church ein Soundfile aus Wien an Melanie in New York geschickt, und ich erinnere mich, dass ich unbedingt Black Metal darin haben wollte. Aber wenn ich jetzt darauf zurückblicke, wenn ich die Aufführung auf Video sehe, fühlt es sich ein bisschen gezwungen an, von meiner Seite aus.
Melanie Maar: Ist das nicht interessant? Das war das einzige Mal, dass du etwas komponiert hast, bei dem du nicht physisch anwesend warst. Übrigens, ich liebe diesen Moment des Heavy Metal. Und du hast den Anstoß dazu gegeben.
Aber eigentlich sagst du ja, dass der Aspekt der Live-Performance und der Zusammenarbeit sehr wichtig ist. In diesem Sinne hast du, Melanie, gesagt, dass du nicht mehr mit aufgenommener Musik arbeiten willst, sondern nur noch mit Live-Kollaboration; und dass du in einer perfekten Welt ausschließlich auf diese Art arbeiten würdest.
Melanie Maar: Es ist eine perfekte Welt! Im Moment ist das meine Realität. Ich spüre mehr und mehr einen Widerstand in mir – den ich schon lange habe -, mit aufgenommener Musik zu arbeiten. So empfand ich es als eine große Befreiung, die Musik in mir selbst zu finden – dass ich Musik bin, wenn ich arbeite. Und dann mit anderen Künstlerinnen und Künstlern zu arbeiten, mit denen ich auch auf dieser Ebene verbunden bin.
Klang ist Bewegung und Bewegung ist Klang. Und das live zu erforschen, ist etwas anderes. Der aufgenommene Sound hat für mich etwas Totes an sich, das mich in den letzten Jahren einfach nicht interessiert hat. Ich weiß nicht, was in der Zukunft passieren wird. Aber das ist jetzt meine Position.
Christian Schroeder: Ich habe viel über Live-Musik nachgedacht. Und ich habe dieses Projekt, bei dem ich Platten zerstöre. Es ist eine Schallplatte, die nur einmal abgespielt wird. So wird es zu einem einmaligen Live-Musik-Erlebnis. Und wenn man zu einem Konzert von, sagen wir mal, Phil Niblock geht, drückt er auch nur auf ‚Play‘. Aber er drückt es, und so ist es live. Und das kann man spüren.
Melanie Maar: Ja, und ich möchte sehen, wie er auf ‚Play‘ drückt. Natürlich höre ich auch aufgenommene Musik und bin froh, dass es sie gibt.
Aber du hast dich auf den spezifischen Aspekt bezogen, aufgenommene Musik mit körperlichem Tanz und Performance zu verbinden.
Melanie Maar: Ja, und es ist ein großer Unterschied, ob man Teil eines kompositorischen Prozesses ist oder Teil des Nachspiels.
Ich möchte auch auf den Aspekt der Live-Musik eingehen – das ist etwas, das mich am zeitgenössischen Tanz wirklich stört – wenn eine Tänzerin oder ein Tänzer und eine Musikerin oder ein Musiker nebeneinander auf der Bühne stehen, ohne jegliche Beziehung. Die Musikerinnen und Musiker denken manchmal, dass sie unsichtbar sind, weil sie glauben, dass wir nur ihre Instrumente sehen.
Es gibt eine lange Tradition des Gegenteils. Im Flamenco zum Beispiel – etwas, dem ich als Kind sehr viel ausgesetzt war (Anmerkung: Melanie ist im Tanzstudio Maar ihrer Mutter in Wien aufgewachsen) – sind Musikerinnen und Musiker und Tänzerinnen und Tänzer zusammen. Die Musikerin bzw. der Musiker ist dabei, mit ihrem bzw. seinem Körper. Die Musikerin bzw. der Musiker wird wahrscheinlich auch irgendwann einmal aufstehen und tanzen. Und auch die Tänzerin bzw. der Tänzer ist eine Musikerin bzw. ein Musiker. Sie sind beide vollständig in beiden Rollen. Und in vielen traditionellen Formen des afrikanischen Tanzes gibt es auch die Einheit von Tanz und Musik. Aber bei den zeitgenössischen Formen gibt es oft eine starke Trennung. Man stellt uns zusammen auf die Bühne, geht aber nicht weiter als bis dahin.
Wenn ich das sehe – die Verwendung von definierten Rollen auf der Bühne, die nicht wirklich miteinander in Beziehung stehen -, dann stellt sich mir die Frage nach der Beziehung zwischen Tanz und Musik fast noch mehr als bei der Verwendung von Musikaufnahmen. Das ist also eine interessante Frage. Aber ich denke, es ist eine, die wir beide generell untersuchen, da wir die Rollen ständig mit der traditionellen Tanz-/Musikpraxis vertauschen.
Seht ihr in der Welt Beispiele von Künstlerinnen und Künstlern oder Ansätzen, die ähnlich wie ihr arbeiten?
Christian Schroeder: Das ist schwierig. So wie ich es erlebe, ist das meiste, was ich kenne, dass man den Soundtrack komponiert, ihn abschickt und dann zur Premiere kommt. Das war’s dann oft.
Melanie Maar: Ich kenne einige Choreografinnen und Choreografen wie Eszter Salamon und andere, die wirklich intensiv mit Musik gearbeitet haben, auf alle möglichen Arten. Es gibt natürlich viele Künstlerinnen und Künstler, die sich intensiv mit Bewegung und Klang beschäftigen.
Melanie, du lebst nun schon seit über zwei Jahrzehnten in New York. Und Christian, du bist in Wien ansässig. Ihr beide habt euch im Allgemeinen international positioniert. Gibt es eurer Erfahrung nach Regionen, die in Bezug auf die fließenden Beziehungen zwischen zeitgenössischer Musik und Tanz weiter sind?
Melanie Maar: In New York gibt es eine lange Tradition in der Welt der experimentellen Performance – es hat nicht mit Cage und Cunningham begonnen, aber sie sind eine Art „Urväter“ der Tradition. Aber ich denke, dass es in einigen Regionen – wie in Mexiko und Japan – eine gewisse Offenheit gibt. Es gibt dort etwas an der Aufführung selbst, das als wichtiger Aspekt des… nun ja, des Lebens anerkannt wird – weil es mit Zeremonien und Ritualen zusammenhängt. Und an beiden Orten spürte ich eine gewisse Offenheit, sich auf die Arbeit einzulassen, ohne nach einer Erzählung oder einem „Verständnis“ zu suchen. Ja, in Mexiko und Japan hatte ich das Gefühl, dass es das schon immer gegeben hat. Als wären wir Teil einer langen Tradition, ohne dass wir uns dessen vorher bewusst waren.
Christian Schroeder: Ja, meine Erfahrungen in Mexiko waren unglaublich, aus so vielen Gründen. Ich glaube, eines der Stücke, die ich dort gesehen habe, bevor Melanie und ich uns kennengelernt haben, war auf einem Festival mit dem Titel „Who’s Afraid of the in Between“, bei dem verschiedene Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichen Kategorien zur Zusammenarbeit eingeladen wurden. Ich erinnere mich sehr gut an einen Auftritt von DD Dorvillier für die Performance „Choreography, a Prologue for the Apocalypse of Understanding, Get Ready“ (2009) und die Musikerin auf der Bühne war Zeena Parkins! Und es war fantastisch!
Melanie Maar: Ja, und ich würde sagen, DD Dorvillier ist auch jemand, der sehr intensiv mit Musik wie mit ihrem Körper gearbeitet hat, und sie hat auch sehr viel mit Zeena zusammengearbeitet, die übrigens auch sehr bewusst mit ihrem performativen Selbst ist. Sie ist keine Musikerin am Rande.
„Es ist wichtig, die Frauen anzuerkennen, die die Konventionen aufrütteln.“
Christian Schroeder: Auf jeden Fall!
Melanie Maar: Und um sie herum gibt es eine lange Tradition. Sie weiß um die Realität der Theatralität, in einem performativen Raum gesehen zu werden. Jeder in diesem Raum bedeutet etwas, strahlt etwas aus und hat eine theatralische Wirkung. Und ich finde es toll, dass sie darin so viel Erfahrung hat. Obwohl sie so sehr als Musikerin bekannt ist, weiß man, wenn man mehr von ihrer Arbeit gesehen hat, dass sie tatsächlich auch eine Performerin ist.
Es ist mir auch wichtig zu erwähnen, dass man auf der Seite der Komponistinnen und Komponisten von der Männlichkeit ausgeht und auf der Seite der Choreografinnen und Choreografen und Tänzerinnen und Tänzer von der Weiblichkeit. Und natürlich stimmt das in einigen Fällen, aber nicht in allen. Es ist wichtig, die Frauen anzuerkennen, die die Konventionen aufrütteln.
Genau, und eure gemeinsame Arbeit ist eine Bestätigung dafür, da ihr beide in eurer Arbeit die Rollen fließend wechselt.
Melanie Maar: Vielleicht ist das auch ein Teil meiner Aufregung – diese Annahmen über Geschlechterrollen aufzubrechen, zusammen mit vielen anderen Annahmen!
Danke für das Interview!
Arianna Fleur Alfreds
Übersetzt aus dem Englischen Original von Itta Francesca Ivellio-Vellin
Weiterführende Links:
Artikelserie Crossways in Contemporary Music: Neue Musik und Tanz & Choreografie –Teil 1 – Teil 2 – Teil 3