Meisterschaft in Multifunktionalität: HELMUT SCHMIDINGER im mica-Porträt

Dass in der zeitgenössischen Musik längst auch Gesetze des Marketings und modernen Managements gelten, hat sich noch nicht flächendeckend herumgesprochen. HELMUT SCHMIDINGER beherrscht die aktuellen Regeln des Marktes perfekt. Christian Heindl porträtiert den Welser Komponisten.

Würde man Helmut Schmidinger nach seinem Hauptberuf fragen, so käme mit Bestimmtheit die Antwort „Komponist“ – und sie wäre im doppelten Sinn überraschend. Zum einen ermöglicht die allgemeine Situation der zeitgenössischen Musik kaum einem außerhalb der Populärschiene schöpferisch Kreativen, ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Zum anderen würde man in Anbetracht seiner zahlreichen sonstigen Tätigkeiten bei ihm auf die Schnelle wohl eher den Beruf eines geschickten Managers vermuten. Nun, das eine schließt das andere durchaus nicht aus, wobei er eine Meisterschaft darin entwickelt hat, alle seine Aufgaben geschickt nebeneinander zu stellen und ihnen mit gleichmäßiger Sorgfalt nachzugehen.

Den eigenen Wurzeln treu

1969 im oberösterreichischen Wels geboren, begann Helmut Schmidinger seine professionelle Ausbildung 1982 an der Landesmusikschule seiner Heimatstadt (Klavier bei Gertrud Jetschgo), ehe er 1987 bis 94 ein Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Mozarteum in Salzburg absolvierte (Klavier bei Heinz Walter, Oboe bei Arthur Jensen, Komposition bei Gerhard Wimberger, Hans-Jürgen von Bose und Gerd Kühr). Stets neugierig, über den regulären Unterricht hinaus, Neues in sich aufzunehmen und weitere Impulse zu erhalten, besuchte er zudem Workshops und Kurse für Komposition bei Friedrich Cerha, Ernst Helmuth Flammer sowie Dexter Morill (Computermusik).
Noch während seiner Ausbildung interessierte sich der junge Musiker auch für organisatorische Belange und suchte nach Möglichkeiten, sich für aktuelles Musikschaffen einzusetzen. 1993 gründete er mit Walther Derschmidt die Welser Konzertreihe „Musica ex tempore“, 1996 mit dem Klarinettisten Werner Mayrhuber das Ensemble Spektren, das sich primär dem Repertoire der Klassiker des 20. Jahrhunderts sowie zeitgenössischer österreichischer Musik widmet. Er war Mitorganisator der Reihe „Treffpunkt Neue Musik“ im ORF-Landesstudio Oberösterreich, 2002 wurde er Bundesländerreferent Oberösterreich des Österreichischen Komponistenbundes. Den eigenen Wurzeln treu, engagierte er sich auch weiter ganz besonders in seiner Heimatstadt, 2003 wurde er Intendant der Welser Abonnementkonzerte und 2005 Leiter der Jeunesse Geschäftsstelle Wels.

Die Erfahrungen weitergeben

Mit großer Leidenschaft arbeitet Schmidinger mit Kindern und Jugendlichen. Für insgesamt ein Vierteljahrhundert arbeitete er ab 1987 an der Landesmusikschule Thalheim, wo er Lehrer für Komposition, Musiktheorie, Klavier und im Bereich Elementare Musikpädagogik war. Daneben gestaltete er auch verschiedene Klangprojekte mit Kindern. 2012/13 wurde er Senior Lecturer für Tonsatz und Gehörbildung an der Kunstuniversität Graz, seit 1. Oktober 2014 ist er dort Gastprofessor für Kompositions- und Musiktheoriepädagogik, wo er nun seine an der Musikschule erworbenen Erfahrungen aus dem Aufbau und der Betreuung einer Kompositionsklasse an zukünftige Kompositionslehrer weitergeben kann.
Auch editorische und publizistische Projekte fesseln Schmidingers Aufmerksamkeit, etwa als Lektor und Notengraphiker für die Neue Mozart-Ausgabe (Bärenreiter-Verlag) und die Wiener Universal Edition, für die er seit einiger Zeit mit Constanze Wimmer die Buchreihe „Listening Lab“ herausgibt. Diese wurde in diesem Herbst mit einer „Empfehlung“ des VDS-Medienpreises ausgezeichnet und ist in England für den „Best Print Resource Award at the 2015 Music Teacher Awards for Excellence“ nominiert.

Töne aus Namen, Musik aus Zitaten

Teilweise im Wechselspiel mit seinen anderen Funktionen, teilweise völlig unabhängig davon entwickelte sich Schmidingers Komponistenlaufbahn. Fasst man ein frühes Schlüsselwerk heraus, so zeigt sich bereits am Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 „Akrostichon“ (1995/96) eine von ihm gerne angewandte Methode zur Materialgewinnung: Der in Töne umgesetzte Name des Geigers und Widmungsträgers Christian Altenburger dient als Ausgangspunkt für das motivische Material, die rhythmische Konzeption und formale Aspekte.

Schon anhand der Titel unübersehbar ist, dass viele Werke Schmidingers auf literarische Elemente zurückgreifen, wobei er nicht programmatisch arbeitet, sondern oft prägnante Zitate als Inspiration für eine musikalische Entwicklung heranzieht. „Korrespondierende Werke“ nennt er diese Stücke, die im Kontext zu bestehender Literatur oder Musik geschaffen werden. So stellt er etwa in „… was uns anrührt, dich und mich…“ sieben Verhältnisse für Violine und Klavier (2004) in Analogie zu Versen von Rainer Maria Rilke in sieben Sätzen verschiedene Beziehungsmöglichkeiten von Violine und Klavier von der historischen Klaviersonate „mit Accompagnement der Geige“ bis zum Virtuosenstück her. Oft verbindet sich das literarische Zitat mit Bezügen zu anderen Komponisten: „Nur ein Hauch! und er ist Zeit.“ Eine phantastische Fortschreibung von Schuberts D 703 für Streichquartett oder Streichorchester (2002) bezieht sich auf ein Zitat aus Schuberts Gedicht „Die Zeit“ und die Traumschilderung von 1822. Eine ähnlich atmosphärisch-dichte Fragmentfortschreibung ist „Attack und Decay“ zum Sonatensatz in g KV 312 (590d) von Wolfgang Amadeus Mozart für Klavier (2005).

Mit Mozart und Don Quijote in die Zukunft

Die Klassiker der Musik- und Literaturgeschichte sind und bleiben für Schmidinger die Heroen, auf denen er auch weiterhin gerne aufbaut. Schon am 27. Jänner 2015 – „ein wunderbares Datum!“ ruft der Komponist in Hinblick auf Mozarts Geburtstag aus – kommt es in Mülheim an der Ruhr zur Uraufführung von „a piacere“, Kammermusik für Klavier und Streichorchester, mit der Philharmonie Baden-Baden, wofür in Hinblick auf die Besetzungsvariabilität als auch das musikalische Material das C-Dur-Klavierkonzert KV 415 den Ausgangspunkt bildet. Wenige Wochen später wird das Werk ebenfalls in Deutschland erstmals in einer Kammermusikvariante erklingen. Die nächste Uraufführung in Wien wird ebenso wie die jüngste vom Cellisten Wolfgang Panhofer bestritten. Brachte dieser erst am 28. November gemeinsam mit Kaoko Amano das Lied „Sinnliches Intermezzo“ auf einen Text des Verfassers dieser Porträtbetrachtung zur Uraufführung, so wird er am 11. März 2015 das Solostück „Danke“ aus der Taufe heben.

Wirft man einen Blick auf Schmidingers Website, beeindruckt die lange Liste der aktuellen Aufführungen bis weit ins nächste Jahr hinein. Das darauffolgende ist darin noch gar nicht verzeichnet: Für Anfang 2016 steht die Uraufführung von „hoc scripserunt“, Sonette an Don Quijote von der Mancha für Violoncello und Orchester (2014/15), mit der Württembergischen Philharmonie in Reutlingen auf dem Programm. Ein weiterer Literaturbezug, eine weitere große Premiere im Ausland – Zeichen eines konsequenten Weges.

„Immer aber zwischen Menschen“

Die jüngst für einen seiner Verlage erstellte Selbstdefinition: Als Komponist versteht sich Helmut Schmidinger als „Brückenbauer zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Literatur und Musik, zwischen der nächsten und der heutigen Generation der Komponistinnen und Komponisten, zwischen ernst und heiter, immer aber zwischen Menschen.“

Christian Heindl