„Meine Musik ist mein Leben“- Der Pianist, Improvisator und Komponist David Helbock im Porträt

David Helbock fasziniert als Pianist die Zuhörenden durch eine große musikalische Aussagekraft und seine authentische Spielart. Die Kompositionen repräsentieren seine Sicht der Dinge in einer bewundernswert großen stilistischen Bandbreite. Dass er eine große internationale Karriere macht, steht für viele außer Frage. Gerade von einer Indonesientournee zurückgekehrt, reist David Helbock mit seinen HDV-Triopartnern, Marc Vogel und Lucas Dietrich in den nächsten Wochen nach Tschechien und Griechenland. Ende April veröffentlicht David Helbock ein „Personal Realbook“, eine Art musikalisches Tagebuch, das er an den dreihundertfünfundsechzig Tagen des Jahres 2009 verfasst hat. Dieses Werk bildet ein vorläufiges Kompendium der musikalischen Denkwelten des Pianisten. Im Gespräch mit Silvia Thurner spricht er über seinen Lehrer Peter Madsen, seine Karriere und Ensembles und das „Realbook“.

Du bist 26 Jahre alt und hast schon eine bemerkenswerte Karriere gestartet. Was waren bisher die wichtigsten Stationen?
Karrieretechnisch hat vieles mit dem Sieg beim Wettbewerb 2006 „New Generation“ in Straubing mit dem HDV Trio angefangen. Dort saß der Chef des Kölner Labels „Doublemoon Records“ in der Jury. Er hat gleich eine CD mit uns gemacht, in Zusammenarbeit mit der größten deutschen Jazzzeitschrift „Jazzthing“. Zwei Jahre später haben wir dann auf demselben Label unsere zweite CD „All In“ veröffentlicht, diese wurde von der Presse noch besser aufgenommen. Wichtige Stationen bisher waren sicher auch meine Solo-Piano Aktivitäten. Der bisher sicher größte Erfolg war der Preis beim weltweit größten Jazzpianosolowettbewerb in Montreux.

Peter Madsen – ein Mentor

Peter Madsen hat deinen musikalischen Ausdruck maßgeblich geprägt. Was ist die Quintessenz dessen, was er dir beigebracht hat?
Peter Madsen hat mir die Augen für vieles geöffnet. Ich denke, er ist ein idealer Lehrer und es gibt weltweit nicht viele so erfahrene Musiker wie ihn. So hat er mir musikalisch sehr verschiedene Welten aufgezeigt, und das ist ja genau das, was auch heute meine Musik ausmacht, dass sie eben eine Mischung aus vielen verschiedenen Stilen ist. Er hat mich immer ermutigt, meinen eigenen Weg zu gehen.

In deinem Klavierspiel ist eine große lyrische Aussagekraft spürbar. Inwiefern ist das Klavierspiel auch eine Art sprachlicher Ausdruck deiner Lebenswelt?
Ich glaube das geht Hand in Hand. Meine Musik ist mein Leben. So einfach ist das. Ich bin eher ein stiller, manchmal sogar schüchterner Typ und man muss mich sehr gut kennen, um viel von mir zu erfahren. In der Musik und auf der Bühne ist das anders, da rede ich nur so drauf los und erzähle mit meiner Musik aus meinem Leben. Musik ist meine Sprache und das Klavier meine Stimme.

In welcher Form kommt dir deine klassische Ausbildung als Pianist nun zugute?

Meine klassische Ausbildung kommt mir sehr zu Gute. Vor allem natürlich die Technik am Klavier. Das war für mich auch ein großer Pluspunkt beim Wettbewerb in Montreux, dass ich im Vergleich zu „reinen“ Jazzern einfach mehr Möglichkeiten in der Anschlagskultur habe.

Kammermusikalische Vielfalt

Dein neuestes Ensemble nennt sich „Random/Control“. Dort spielen Johannes Bär, Blechblasinstrumente und Andreas Broger, Holzblasinstrumente. Dieses Ensemble ist mehr klangfarbenorientiert als beispielsweise das HDV Trio, wenn man so sagen darf. Was sind die Markenzeichen dieses Trios?

Beide Jungs sind extrem vielfältig und jeder spielt mindestens fünf, sechs Instrumente oder auch mehr. Wie du richtig sagst, ermöglicht das für mich als Komponisten extrem viele verschiedene Klangkombinationen, was unglaublich Spaß macht. Wir werden Anfang April für ein Berliner Label (Traumton) aufnehmen und ich bin jetzt schon kräftig am arbeiten um eine CD-Releasetour für Herbst auf die Beine zu stellen.

Hermeto Pascoal als Vorbild

Ende April erscheint dein „Personal Realbook“, das im Untertitel als „Tagebuch eines kreativen Geistes“ bezeichnet wird. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Peter Madsen hat mich auf Hermeto Pascoal, einen genialen Multiinstrumentalisten aus Brasilien, aufmerksam gemacht, der für mich fast eine Art Vorbild wurde. Hermeto hat ebenfalls einen „Kalender der Sounds“ geschrieben, bei dem er ein Jahr lang jeden Tag ein Stück komponiert hat. Diese Idee und vor allem diese Hingabe haben mich so fasziniert, dass ich das unbedingt auch ausprobieren wollte. Ich bin doch etwas stolz, dass ich es wirklich ein Jahr lang durchgezogen habe.

Ich stelle es mir auch als Zwang vor, jeden Tag kreativ sein zu müssen und dies in Form einer Notation zu Papier zu bringen. Wie waren deine Erfahrungen?
Am Anfang war es sehr mühelos. Ich dachte, ich hätte leicht genügend Ideen für tausende Kompositionen. Da habe ich mich aber getäuscht. Ich habe recht schnell bemerkt, dass ich mich doch, für mich erstaunlich oft, wiederhole und ja, dann war auch manchmal eine Art Zwang da. Dieser Zwang war aber durchaus positiv, da er mich eben an Tagen, wo ich nicht wirklich gute eigene Ideen hatte, gezwungen hat, nach neuen Ideen, nach neuen Konzepten zu suchen. Gegen Ende des Projektes habe ich aber auch gemerkt, dass das Komponieren ein Teil von mir geworden ist und es mir immer leichter gefallen ist, mein Leben in ein neues Stück mit einfließen zu lassen.

Stilistische Vielfalt

Allein das Durchblättern des „Personal Realbooks“ ist spannend, denn es ist ein Sammelsurium an Stücken in unterschiedlichen Rhythmen und Stilen, angefangen vom sogenannten „ECM Style“ über seltene und weithin bekannte afroamerikanische Rhythmen und Musikstile bis hin zu klassischen Formen. Hast du während der Entstehungszeit oft auf bereits Vorhandenes zurück geblättert, nachträgliche Zusätze gemacht oder Blätter umsortiert?
Nein. Nur ganz am Schluss habe ich alle Stücke nochmals durchgespielt und dann alles selber in Buchform gebracht. Mir war und ist aber wichtig, dass jedes Stück meine Stimmung an diesem Tag widerspiegelt. Deshalb habe ich die Stücke auch wirklich so gelassen, wie sie an dem Tag entstanden sind, auch wenn ich heute manche Sachen anders machen würde.

Deine Musik verbinde ich auch mit einer theosophischen Weltsicht. Welche Gedanken leiten dich hinsichtlich darauf bei deinen Kompositionen?

Ich habe mich durchaus mit verschiedenen Religionen beschäftigt und versucht, wie ich das mit allem mache, bewusst oder auch unbewusst, in meiner Musik zu verarbeiten. So kann es natürlich sein, dass mich zum Beispiel eine Zen-Geschichte inspiriert eine Komposition zu schreiben.

Graphische Notationen

Auch die grafische Notation ist ein wichtiger Bestandteil des „Realbooks“. Wer prägt deine Überlegungen zur informellen Musik, die weitgehend auf grafischen Notationen beruht?
Auch grafische Notationen habe ich mit Peter Madsen studiert. Aus eigenem Interesse habe ich mich sehr viel mit John Cage auseinander gesetzt. Ich war immer schon sehr von freier Improvisation fasziniert und viele meiner grafischen Notationen sollen zur freien Improvisation inspirieren.

Welche Beziehung hast du zur Malerei und in welcher Form setzt du sie in Beziehung zu deiner Musik? Ich denke vor allem an surrealistische Einflüsse.
Ich bin ein großer Fan von Frida Kahlo oder Salvador Dali und habe diesen Malern auch schon Stücke von mir gewidmet. Auch wäre es sicher interessant, viele meiner grafischen Notationen mit einem professionellen Grafiker umzusetzen.

Pädagogische Aspekte


Nicht wenige Blätter aus dem „Realbook“ haben einen pädagogischen Charakter, vermitteln Grundwissen über verschiedenste Parameter der Improvisation. An wen möchtest du dich damit wenden?

Zuerst mal an mich selber. Viele meiner Stücke sind Etüden für mich selber. So finde ich Sachen, die ich auf dem Klavier nicht umsetzen kann, oder die ich harmonisch oder rhythmisch noch nicht kenne und dann denke ich mir, ich schreibe darüber oder damit ein paar Stücke, damit ich sie kennen lerne.

Hast du Privatschüler und inwieweit reizt dich das Unterrichten?

Ich habe ein paar wenige Privatschüler und letztes Jahr auch ein Semester an der Jazzschule St. Gallen unterrichtet. Ich finde es durchaus spannend mit Schülern zu arbeiten, da man so seine Konzepte und Gedanken ordnen muss, um sie dem Schüler verständlich zu machen, man lernt also selber sehr viel.

Musiker und Komponist

Welchen Stellenwert nimmt deiner Meinung nach in Zukunft die Elektronik in der Musik bzw. die elektronische Musik ein? Ich denke beispielsweise an die Soundcollage in „Jeux Deux“ wo Musik, Samples und Liveelektronik miteinander vermischt sind.
Solange echte, menschliche Gefühle noch Platz haben und der Computer, die Elektronik, nur als Hilfsmittel dienen, eben diese Gefühle auszudrücken, so lange denke ich, dass das auch eine Zukunft hat. Ich persönlich beschäftige mich seit zirka vier Jahren intensiv mit Elektronik, Effekten und Keyboardsounds, als ich begonnen habe, in Peter Madsens CIA zu spielen, wo Peter ja selber Klavier spielt und ich mehr für elektronische Sounds zuständig bin.

Inwieweit verlagert sich dein Hauptbetätigungsfeld als Musiker in die eines Komponisten. Siehst du die Grenzen fließend oder wie unterscheiden sich diese Arbeitsfelder bei dir?
Ich sehe die Grenzen absolut fließend und bis jetzt war es auch immer ein Ziel von mir, meine Kompositionen selbst zu spielen. In der letzten Zeit bekomme ich aber immer mehr Auftragskompositionen, wo ich dann wirklich nur Komponist bin, was auch sehr spannend ist.

Danke für das Gespräch.

Das Interview wurde in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, April 3/2010, erstmals publiziert.

Factbox:
Mittwoch, 28. April, Buchpräsentation, „My Personal Realbook“, Theater Kosmos, 20 Uhr.
David Helbock musiziert im Ensembles mit Simon Frick, Doris Franz, Yin Yang Trio, dHb Trio, HDV Trio, Random/Control, Peter Madsen, Hermeto Band, Theresia Natter Combo.

Das Realbook und CDs sind über die Website: www.davidhelbock.com oder auf Amazon erhältlich. Dort findet sich auch der Tourneeplan von David Helbock.

http://www.davidhelbock.com/