MIRA LU KOVACS präsentiert Ende März ihr erstes Solo-Album „What Else Can Break“. Die gebürtige Burgenländerin hat nach drei Trio-Alben als SCHMIEDS PULS nun erstmals in Bedroom-Recording-Sessions im Alleingang ihre Vocals und ihre Gitarrenspuren aufgenommen. Eigentlich wäre sie als Kind ja gerne Schlagzeugerin geworden, von ihren Eltern bekam sie allerdings eine Gitarre geschenkt. Und die Gitarre führte zu einem Gitarrenlehrer, der sie zum Singen ermunterte. Und ihre selbstkomponierten Songs führten sie mittlerweile schon um die halbe Welt. Auch in kosmopolitischen Kollektiven wie MY UGLY CLEMENTINE oder 5K HD weiß sie ihre Stimme und ihr Melodie- und Melancholie-Gespür gezielt einzusetzen. Wie schlagkräftig introspektive Töne sein können, das beweist sie nun auch wieder mit der aktuellen Veröffentlichung „What Else Can Break“, auf der sich auch ein fast zwanzig Jahre altes Stück wiederfindet. Im Interview mit Michael Franz Woels erklärt die akribische Selbstbeobachterin MIRA LU KOVACS konzeptionelle Überlegungen für Telefonschleifen, entdeckt die Befürworterin von postpatriarchaler Radical Softness vermeintliche Widersprüche, die jede und jeder in sich trägt und erläutert die selbsterklärte Party Pooperin Konsequenzen einer schon seit Teeny-Tagen erlebten Überforderung am Nüchternsein.
Du hast 2019 gemeinsam mit Yasmin Hafedh aka Yasmo das Popfest Wien kuratiert. Wie sieht dein Resümee des Popfestes 2019 aus? Was waren dabei wichtige Erfahrungen für dich?
Mira Lu Kovacs: Wow, das ist schon wieder so lange her! Das war der letzte Festivalsommer, nicht wahr? Wenn ich an Yasmo’s und meine gemeinsame Arbeit fürs Popfest zurückdenke, fallen mir eigentlich nur schöne Erinnerungen ein. Yasmin (Hafedh, Anm.) und ich haben wahnsinnig gut zusammengearbeitet, wir haben oft verschiedene Rollen eingenommen, wenn etwas verhandelt oder kommuniziert werden musste und haben uns darin fast magisch ergänzt, finde ich.
Wir haben nur Lieblingsacts gebucht, oder Bands, die wir unbedingt supporten wollten. Die Auswahl wurde zum Teil als Statement interpretiert. Dabei haben wir einfach kompromisslos gute, relevante Musik gebucht, die wir damals zu wenig auf den Wiener Bühnen gesehen haben. Good times! Wenn ich nur eine Sache anders machen könnte im Nachhinein, dann wäre es, dass ich Ebow einen besseren Slot gegeben hätte. Sie ist damals, am ersten Tag, um ich glaube 17 Uhr auf der Seebühne aufgetreten. Was hab ich mir dabei gedacht? Sie hat damals mit BadnBoujee eines der coolsten Sets des Festivals gespielt, das hätte Prime Time sein müssen!
„MUSIKALISCH IRGENDWO ZWISCHEN DARBO-FRUCHTJOGHURT-WERBUNG UND PAUL SIMON.“
Für die Wiener Belvedere Museen hast du, gemeinsam mit Manu Mayr, ein Corporate Sound-Design komponiert. Wie kam es dazu? Welche Überlegungen standen bei der Konzeption des Sound-Packages für so unterschiedliche Verwendungsformate wie Telefonschleifen, Sound-Logos für Videos, Hintergrundmusik für Veranstaltungen oder den täglichen Museumsbetrieb im Vordergrund?
Mira Lu Kovacs: Im Mittelpunkt stand die Stimmung in der der/die* Hörer*in sein könnte, wenn die verschiedenen Stücke gehört werden. Das kommt auch stark auf Raum und Abhöre an. Das Thema Museum bedeutet immer auch Platz. Und man braucht auch Platz im Kopf um Neues aufnehmen zu können. Daher war klar, dass wir nichts allzu Dichtes produzieren würden. Das Thema Träumen, gedankliches Abschweifen, Zeitlosigkeit, vermeintliche technoide Kühle und dann wieder das sehr menschliche, nostalgische Schwelgen, waren die emotionalen Anknüpfungspunkte.
Am Lustigsten war eh die Telefonschleife. Da haben wir uns einfach gefragt: „Was müssten wir hören, damit wir nicht auflegen?“ Und da meinte ich: „Ich muss emotional andocken können.“ Die Schleife wurde dann also eine längere, akustische Gitarrenmelodie, die musikalisch irgendwo zwischen Darbo-Fruchtjoghurt-Werbung und Paul Simon liegt.
Du bist mit vielen Kollaborationen erfolgreich, wie in der all-female Grunge-Pop Formation My Ugly Clementine oder auch in der jazzigen Electro-Combo 5K HD. Fällt es dir leicht, dich in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder neu zu verorten und oder macht das gerade den Reiz aus, immer wieder in leicht unterschiedliche Rollen zu schlüpfen?
Mira Lu Kovacs: Eine Korrektur zu Beginn: My Ugly Clementine ist nicht all female. Die Band unterscheidet sich zu meinen anderen Projekten vor allem darin, dass es sehr viel rockiger ist als alles, was ich bisher gemacht habe. Überhaupt war ich noch nie Side Woman. Das ist eine extrem schöne Erfahrung: einmal nicht alleine vorne stehen zu dürfen, sondern sehr gleichberechtigt Band Member zu sein, die auch manchmal Main Vocals singt.
Ich glaube, mir würde sehr viel fehlen, wenn ich eines meiner Projekte nicht hätte. Die Abwechslung im Gestus, in den verschiedenen Gruppen, mit den unterschiedlichen Persönlichkeiten, und letztlich musikalisch, erfüllt mich. Ich bin sehr dankbar, dass ich so viele verschiedene Dinge machen kann. Und dann gibt es neben diesen Bands ja auch noch Kollabs und andere Engagements. Ich fühl mich echt sehr privilegiert und hab das Gefühl, ich kann sehr viel ausleben, was in mir schlummert. Die andere Seite ist, dass mir ab und an mein Hirn und Herz zu zerbersten drohen. (lacht)
Tja, so ist das. Also wenn ich einen Solo-Gig in Vorarlberg spiele, am nächsten Tag mit 5K HD ein Festival in Ljubljana spielen soll und 12 Stunden später mit den Clementines im Flieger nach Hamburg sitze, dann frage ich mich schon: „Why am I doing this?“ Das ist schon sauanstrengend und manchmal vergeht einem auch die Lust, wenn es zu viel wird. Dann brauch ich dringend Pause. Mein Ziel ist, das in der Zukunft besser zu organisieren und mit weniger Wahnsinn glücklicher zu werden.
„What Else Can Break“ ist das erste Album, das explizit unter deinem bürgerlichen Namen Mira Lu Kovacs erscheint. Du bezeichnest das Album als „schonungslos leidend und ehrlich“. Auch bei deinem Trio Schmieds Puls warst du ja als Komponistin allein für „Text und Ton“ der melancholischen Balladen zuständig. Kannst du uns etwas zum Entstehungsprozess deines neuen Albums sagen, und was es von einem Schmieds Puls Album unterscheidet?
Mira Lu Kovacs: Hey, es waren nicht immer “nur” Balladen (lacht). Noch vor dem ersten Lockdown 2020 gab es etwa fünf unfertige Songs. Der Rest ist nach April letzten Jahres geschrieben worden. Was dieses Mal anders war: Ich habe sämtliche Vocals und Gitarrenspuren bei mir zu Hause aufgenommen. So habe ich noch nie gearbeitet. Ich war immer brav im Studio, habe davor mit der Band Wochen oder Monate lang geprobt und dann wurden bis zu 12 Songs in 4 Tagen recorded. Fast ohne irgendwelche Overdubs, weil wir alles so eingespielt haben, wie es am Ende sein würde.
Das war immer sehr stressig. Man will ja etwas Besonderes machen, besondere Momente einfangen. Mit so einem „tight schedule“ ist das echt nicht einfach! Daher war das bedroom-recording sehr, sehr angenehm und ich finde, ich singe auch etwas anders. Ich bin auch zufriedener als sonst mit den Vocal Takes. Die Aufnahmen habe ich dann immer gleich an Sophie (Lindinger, Anm.) geschickt, mit der ich das Album produziert habe.
Schmieds Puls war meine erste richtige Band, mit der ich meine ersten Schritte in der Szene gemacht habe. So fühlt sich das heute an. Der Sound, den wir gemeinsam kreiert haben, war etwas sehr Spezielles. Und das ist auch nach wie vor mein Sound. Aber mit Christian Grobauer und Walter Singer wird es trotzdem immer was anderes sein. Das war ein eigenständiger Bandsound.
Daher hab ich auch den Namen abgelegt, damit man nicht diesen speziellen Klang erwartet. Man bekommt dafür etwas doch ein wenig Anderes, Neues.
Die Radical Softness Bewegung läutet schon seit ein paar Jahren leise, aber eindringlich ein postpatriarchales Zeitalter ein. Welche Aspekte und Anliegen finden sich in deiner Musik?
Mira Lu Kovacs: Ich denke, meine Musik beleuchtet immer wieder die Tatsache, dass der Mensch kein lineares Wesen ist. Wir sind alle individuell und emotional extrem komplex. Ich kenne keine Person die nicht zumindest einen vermeintlichen Widerspruch in sich trägt. Ich glaube, das ist so eine Reibung, die man mit sich selbst herumträgt; die einen auch antreibt.
Meine Texte klingen oft anklagend, weil ich ein “Du” ansinge. Dabei sind das fast immer Monologe. Also diese Gespräche, Gedankenexperimente, in denen es viel um Selbstliebe und Selbstzweifel geht, das sind meine Themen, glaube ich. Abgesehen davon ist es mein Ziel, alle paar Jahre die schmalzigste Liebesballade EVER zu liefern…
„EIN ROTER FADEN AUF DEM ALBUM IST EBEN DIESER HOHE GRAD AN VERLETZLICHKEIT.“
Die Songs deines aktuellen Albums überspannen einen sehr langen zeitlichen Horizont. Eine deiner ersten Kompositionen, das Instrumentalstück „Zufriedenheit“ und ganz aktuelle Stücke finden sich darauf versammelt. Was hält diese Stücke zusammen?
Mira Lu Kovacs: Oh ja, ich bin froh, dass “Zufriedenheit” nach fast 20 Jahren endlich einen Platz auf einem Album von mir gefunden hat. Das war eines der ersten, oder vielleicht auch das allererste Riff das ich je geschrieben habe. Ich kann mich leider nicht so gut erinnern. Aber ich habe es seither einfach immer wieder ausgepackt und es gefällt mir auch immer noch so wie früher. Ich habe das Stück mit 11 oder 12 Jahren auch bereits “Zufriedenheit” getauft. Es klingt einfach nach einem feinen Tag, ohne gröbere Zwischenfälle. Ein roter Faden auf dem Album ist eben dieser hohe Grad an Verletzlichkeit ‒ die Offenheit, mit der ich das Repertoire spiele. Es macht einfach keinen Sinn mehr für mich, etwas zurückzuhalten. Warum sonst mache ich Kunst?
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Würdest du dich als einen zufriedenen Menschen bezeichnen?
Mira Lu Kovacs: Zufriedenheit ist ein großes Wort! Ich strebe danach in vielen Momenten, ich will es lernen. Aber nein, ich bin ein sehr unzufriedener Mensch. Denn ich will sehr oft etwas anderes, als das, was ich im Moment habe. Das würde ich Unfrieden nennen.
Mit der Auswahl deiner Mitmusikerinnen und -musiker bist du aber zufrieden, oder? Wie kam es auch zur Auswahl dieser Leute für dein neues Album?
Mira Lu Kovacs: Ich habe einfach die besten Musiker*innen gefragt, die* ich kenne. Beate Wiesinger kenne ich schon lange, noch aus Studienzeiten. Sie spielt alles: Kontrabass, E-Bass und Synth. Daher können wir musikalisch easy herumswitchen zwischen Kammermusik und Pop. Mona Matbou Riahi kenne ich auch schon länger, aber endlich arbeiten wir zusammen. Mona’s Sound ist einfach unverwechselbar. Ich kenne keine*n Klarinettist*in, der/die* so klingt. Da ist eine Tiefe in ihrem Spiel, wie ein riesiger Wal weit unten am Meeresgrund. Ich verstehe es nicht, aber es ist so schön. Und mit Kem an den Drums und Backing Vocals bilden wir eine wirklich schöne Live-Crew, die auch stimmlich unglaublich gut zusammenpasst. Wir sind schon fast mehr Chor als Band (lacht.) Die Combo ist echt ein Glücksgriff und ich bin froh, dass die drei mit mir ‒ hoffentlich bald wieder ‒ auf der Bühne stehen.
Es gibt schon ein paar Videos zu den Songs deines Albums „What Else Can Break“. Welches Konzept steckt zum Beispiel hinter dem „Pull Away“ Video?
Mira Lu Kovacs: In „Pull Away“ geht es darum, sich selbst aus einer toxischen Situation herauszuholen. Etwas, was einem nicht gut tut. Und es geht darum, was passieren könnte, wenn man sich da nicht herausnimmt: Man könnte einen Teil von sich selbst verlieren. Und das wollte ich mit der krotesken Animation meines Gesichts zum Ausdruck bringen. Diese Selbstverfremdung. Als könne man sich irgendwann nicht mehr selbst erkennen, man ist nur mehr eine Abbildung seiner selbst. Ein schlechter Fake. Die Animation hat mein Cousin Max Gsell gemacht, er hat es am Anfang viel zu gut gemacht und die Produzentin Gersin und ich mussten ihm sagen: „Bitte noch etwas billiger, schlechter, unechter aussehen lassen.” Das hat er dann mit viel Mühe geschafft.
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Die pannonische Leere und Weite und das Verschieben und Verdrehen von Horizonten scheint das Video „Stay a little longer“ zu thematisieren. Worum geht es in diesem Song? Wie kam es zur Auswahl dieses landschaftlichen Settings?
Mira Lu Kovacs: Ich wollte schon länger mit der Künstlerin Lydia Nsiah zusammenarbeiten. Sie arbeitet mit einer 16mm Kamera und erzeugt wahnsinnig intensive, langatmige Stimmungen mit ihren Bildern. Sie hat einen Film gemacht, der heißt „To forget” und hat mich persönlich sehr inspiriert. Ich wollte mit diesem Auge für emotionale Landschaften, das Lydia hat, auch eine Geschichte von mir untermalt haben. „Stay A Little Longer“ ist ein Überlebenslied. Es geht darum, wie man ‒ in gewissen Umständen ‒ nur sich selbst retten kann. In diesem Lied singe ich mir selbst zu: warte noch ein bisschen, vielleicht lauert hinter der nächsten Ecke eine andere, schönere Wahrheit, eine neue Perspektive, für die es sich zu leben lohnt. Diese Botschaft, die Einsamkeit und unendliche Weite des ostösterreichischen Flachlands, haben zusammen für mich sehr viel Sinn ergeben. Man fühlt sich oft so alleine und verloren in seinem persönlichen Struggle mit der Welt und der psychischen Last, die einem ein hypersensibles Leben beschert. Die Erkenntnis darüber, dass man so viel spürt, kann einen aber auch sehr empowern und erst recht dazu bringen zu bleiben. Ich finde die Weite in dem Video zeichnet wunderschön auf, wie viel Interpretationsraum wir haben, bei dem Blick auf unsere Leben und Möglichkeiten.
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Das Video „Stuck“ scheint einer (Selbst)Isolations-Befindlichkeit zu entspringen. Als letzte Beruhigungsmöglichkeit scheint in Zeiten des Changierens zwischen Hard & Light-Lockdown nur mehr das Sich-Brausengehen…
Mira Lu Kovacs: Ja (lacht). Ich liebe meine Badewanne. Zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben habe ich eine eigene und es ist ein riesiges Privileg und mein einziges Hobby.
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„IN DEM LIED GEHT ES UM FAMILIE UND VERERBTE TRAUMATA.“
Der Song „84“ läßt darauf schließen, dass du so etwas wie eine „alte Seele“ besitzt. Würdest du dem zustimmen? Worin äußert sich das konkret?
Mira Lu Kovacs: Die Zahl 84 ist so eine Zahl, die ich nenne, wenn ich ausdrücken will, dass ich mich alt fühle. Dahinter steckt, dass ich mich nie so richtig “jugendlich” gefühlt habe. Was auch immer das genau heißen mag. Ich habe immer darauf gewartet, dass ich Lust bekomme Parties zu feiern und irgendwie das zu mögen, was alle mochten, in der Schule und so. Ist irgendwie nie dazu gekommen. Ich war als teeny schon so überfordert mit Nüchternsein und dachte immer nur an die ernstesten Themen und war einfach immer sehr ernsthaft, glaube ich. Echter Party Pooper halt.
In dem Lied geht es um Familie und vererbte Traumata. Um die Rollen, die alle in einer Familie einnehmen und was das mit jedem macht. Ich finde es ist wichtig, dass Kinder Kinder sein dürfen, so lange es geht. Wenn man zu früh lernt Verantwortung zu übernehmen, für Dinge die man noch gar nicht verstehen kann, das ist nicht gut, glaube ich. Ich kann das leider nicht konkreter erklären. Aber in dem Sinne bin ich vielleicht dann doch sowas wie eine alte Seele…
Herzlichen Dank für das Interview!
Michael Franz Woels
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