„MEIN SIEG BEIM PROTESTSONGCONTEST WAR AUCH GESELLSCHAFTLICH GESEHEN EIN SIEG“ – CHOVO IM MICA-INTERVIEW

Beim heurigen Protestsongcontest (PSC) im Rabenhof hat CHOVO mit dem Titel „Jedermann“ gewonnen: Ihr Siegerlied thematisiert Gewalt gegen Frauen. Die R’n’B-Sängerin mit indischen Wurzeln lässt in ihre Musik auch Rap-Ansätze einfließen. Im Interview mit Jürgen Plank erzählt CHOVO von ihrem Debütalbum „Unsere Facetten“, das im Dezember 2024 erschienen ist und die Position der Frau in unserer Gesellschaft genauso abhandelt wie etwaige Blockaden, die sich Menschen mit Migrationshintergrund unter Umständen selbst setzen. Davon handelt etwa das Lied „Mama sagt (Alaba)“. Der Protestsongcontest findet alljährlich am 12. Februar im Rabenhof statt, in Erinnerung an den Februaraufstand im Jahr 1934.

Ich beginne mit der Sportreporter-Frage: Wie fühlt sich der Sieg beim Protestsongcontest an?

Chovo: Arg. Die Rückmeldung nach dem Sieg ist doch viel heftiger als ich erwartet habe und ich fühle mich sehr geehrt und sehr bestätigt in meinem Künstlersein. Und ich fühle mich sehr gehört.

Wie hast du den Wettbewerb selbst erlebt?

Chovo: Ich fand den Contest urschön. Meine Freund:innen haben mich eine Woche davor gefragt, ob sie noch Karten bekommen können. Aber da waren schon alle Karten verkauft. Ich war ziemlich nervös, aber das war eine sehr schöne Erfahrung. Den ganzen Abend hindurch war ich mit den anderen Künstler:innen im Backstage-Bereich und es war sehr cool so einen Contest aus dieser Perspektive zu sehen. Es war insgesamt eine sehr positive Erfahrung für mich.

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Wie kam es zu deiner Entscheidung beim Protestsongcontest ein Lied einzureichen?

Chovo: Das Lied „Jedermann“ ist ja unabhängig davon entstanden. Es ist auf meinem Album, auf dem es um weibliche Erfahrungen geht. Um schöne und weniger schöne Erfahrungen. Da durfte die Perspektive des Liedes „Jedermann“ nicht fehlen. Meine Managerin hat mir vom Protestsongcontest erzählt, der genau solchen Liedern eine Bühne bietet. Sie hat vorgeschlagen, mit diesem Lied teilzunehmen und ich habe mir gedacht: ich probiere das einfach. Ich hätte nie daran gedacht, dass ich gewinnen könnte. Ich wollte es einfach probieren, auch um mich mit anderen Künstler:innen zu vernetzen.

„MIR WAR KLAR, DASS ICH EINEN SONG ÜBER DIESE TAGTÄGLICHE ANGST SCHREIBEN MÖCHTE, DIE MAN ALS FRAU VERSPÜRT“

Was war dein Anstoß das Lied „Jedermann“ zu schreiben, das von verschiedenen Seiten auf Frauenrechte blickt und auch Ängste thematisiert?

Chovo: Das Lied ist Teil des Konzept-Albums „Unsere Facetten“, auf dem es um die female experience geht. Mir war klar, dass ich einen Song über diese tagtägliche Angst schreiben möchte, die man als Frau verspürt. Angst um die eigene Sicherheit. Das ist glaube ich ein sehr großer Teil der female experience. Ich möchte sagen, dass das Lied in die Zeit der vielen Femizide gefallen ist. Aber diese Zeit hat ja nie aufgehört. Ich habe den Song im Dezember 2023 geschrieben, ich hätte ihn genauso gut letzte Woche schreiben können, weil das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen immer relevant ist. Femizid ist dann die schlimmste Form, aber es gibt ganz viele Vorstufen dazu: etwa Machtmissbrauch. Oder dass man in der Nacht einfach immer Angst um sein Leben hat, wenn man nach Hause geht. Das war der Gedanke hinter dem Song: dieses unangenehme Gefühl in einen Song zu verpacken.

Du hast wie eben angesprochen im Jahr 2024 dein Debüt-Album „Unsere Facetten“ veröffentlicht. Deutet der Titel an, dass es um Diversität geht und um zwischenmenschliche Dynamiken, die in unserer Gesellschaft bestehen?

Chovo: Ja, bzw. es geht darum, dass die Frau einfach facettenreich ist. Dass es nicht eine

Art gibt, Frau zu sein. Die experience einer woman of coulor ist einfach eine andere als die einer weißen Frau. Die einer Trans-Frau ist anders als die einer Cis-Frau. Es sind einfach sehr unterschiedliche Erfahrungen und du kannst eine starke Boss-Lady und gleichzeitig sehr verletzlich sein. All diese Aspekte und Gefühle können gleichzeitig in einer Person existieren. Darum ging es mir mit diesem Album. Auch zu zeigen: wir lassen uns nicht in Schubladen stecken und es gibt nicht eine Art Frau zu sein. Oder eine richtige oder schlechte Art Frau zu sein. Sondern: wir sind einfach Menschen und wir sind facettenreich. Darum geht es.

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Du warst beim Musik Residency Programm im Jahr 2023 dabei und in einem Bericht  auf unserer Website ist das folgende Zitat von dir zu lesen: „Ich habe ein bisschen Angst vor der Industrie, nicht nur weil man immer davon hört, dass es so schwer sei als Frau erfolgreich zu werden.“ Welche Angst ist das genau?

Chovo: Ich habe Angst, in den falschen Kreisen zu landen. Mir haben zum Beispiel ein paar Leute über Instagram geschrieben: ich mag deine Musik voll gerne, treffen wir uns und jammen wir miteinander. Wäre ich ein Mann, wäre das unkompliziert und ich würde sagen: ja, ich komme zu dir ins Studio oder zu dir nach Hause und wir machen Musik. Als Frau geht es in erster Linie immer um meine Sicherheit und ich muss mir überlegen: kenne ich jemanden, der diese Person kennt oder treffe ich mich fünf Mal im Café um sicher zu gehen, dass der mir eh nichts antut.

Um welche Angst geht es noch?

Chovo: Es geht auch um das, was man immer hört: dass man in irgendwelche Label-Deals verwickelt ist, aus denen man nicht mehr herauskommt. Aber die größere Angst, ist die um meine Sicherheit.

Es ist schwer als Frau erfolgreich zu sein, war der zweite Teil deiner Aussage. Hast du das erlebt oder bei anderen Frauen Benachteiligung beobachtet? Oder ist das ein diffuses Gefühl, dass es für Frauen schwerer ist?

Chovo: Man hört davon. Wenn ich mir weibliche und männliche Künstler:innen anschaue, habe ich das Gefühl, dass sich die Frauen mehr beweisen und mehr heraus stechen müssen und etwas Besonderes an sich haben müssen. Ich könnte dir fünf Männer aufzählen, die musikalisch ähnlich unterwegs sind und alle fünf sind erfolgreich. Sobald es zwei Frauen gibt, die ähnliche Musik machen, heißt es gleich: die klingt voll wie die andere. Jede Frau muss sehr individuell sein und ihr eigenes Ding machen, um irgendwie erfolgreich zu sein. Ich glaube einfach, es ist für Frauen in der Musikindustrie nicht so viel Platz. Ich bin nicht lange genug dabei, um das aus eigener Erfahrung erzählen zu können, aber so sind meine Beobachtungen.

Du hast einen so genannten Migrationshintergrund. Erlebst du dadurch noch mehr Benachteiligung im Musikbereich?

Chovo: Ich bin wie gesagt noch nicht lange genug dabei. Es besteht sicher bei mir eine Blockade im Kopf. Ich nehme mir vielleicht nicht den space, den sich andere Leute nehmen würden. Das war eben arg für mich beim Protestsongcontest: ich war mir dessen bewusst, dass ich in diesem Gebäude, die einzige person of colour war. Sowohl in der Jury als auch im Publikum habe ich nur weiße Personen gesehen. Und das macht schon etwas mit einem. Es ist ein bisschen einschüchternd und man hinterfragt sich doch: bin ich hier richtig? Gehöre ich hierher? Deswegen war es schön, dass ich den Protestsongcontest gewonnen habe. Ich habe mir gedacht: okay, es ist Platz für mich. Als person of colour traut man sich manchmal nicht, so arg zu träumen. Da besteht eine gewisse Hemmung. Ich kann dir aber jetzt kein Beispiel einer Situation nennen, in der ich mich benachteiligt gefühlt habe.

Bild der Musikerin Chovo
Chovo © Liebentritt

Träume habe ich mir auch als Stichwort notiert: Dein Song „Existieren“ vom Album „Unsere Facetten“ kreist um die Zeile „Du wirst schon sehen“. Das ist ein Satz, der meist negativ konnotiert ist, weil er andeutet: egal, wovon du träumst, deine Träume werden dir noch genommen werden.

Chovo: In „Existieren“ geht es darum, dass ich sage: manchmal möchte ich einfach nur in einem Raum existieren, ohne mich beweisen zu müssen. Eben als Frau oder als people of colour ist es oft der Fall, dass meine Existenz alleine schon irgendwo ein Protest ist. Manchmal will ich einfach nur existieren. Ich denke, das hat auch viel mit dem Patriachat zu tun. Die Zeile „Du wirst schon sehen“ ist zweideutig: du wirst irgendwann im Burnoutlanden, wenn du immer Hundert Prozent geben musst. Oder: du wirst schon sehen, es wird nicht gut enden, wenn wir in einer Welt leben, in der wir immer liefern und machen müssen. Es war aber auch positiv gemeint: du wirst schon sehen, es ist alles gut und es gibt einen Platz für uns alle.

„SCHON MIT ACHT JAHREN HABE ICH GESAGT, DASS ICH SÄNGERIN WERDE, WENN ICH GROSS BIN“

Eine ähnliche Ausrichtung hat für mich dein Song „Mama sagt (Alaba)“, in dem die zentrale Zeile lautet: „Du glaubst nicht dran, dass ich fliegen kann“. Das Lied deutet für eine zweite Generation an: vielleicht wird sich nicht jeder Traum erfüllen lassen. Bleibe bescheiden und sei für das dankbar, was du hast. Gleichzeitig sagst du für mich: aber ich glaube daran, dass ich fliegen kann.

Bild der Musikerin und Sängerin Chovo vor rotem Hintergund
Chovo © Liebentritt

Chovo: Genau. Der Song heißt ja „Mama sagt (Alaba)“ und das ist eine Konversation, die ich mit meiner Mama geführt habe. Sie ist aus Indien hierhergezogen und das war quasi schon der größte Traum, den sie sich erfüllt hat. Sängerin zu werden ist ja schon absurd, ist nicht realistisch. Ich glaube, meine Mama hat sehr viel Diskriminierung in ihrem Leben erfahren und das projiziert sie auf mich. Sie persönlich hat nicht erfahren, dass sie hier einen Platz hat und glaubt deswegen auch nicht, dass ich hier einen Platz habe. Genau darum geht es im Lied. Früher war sie nicht unterstützend, einfach aus Angst. Das hat sich inzwischen geändert. Die Zeile „du glaubst nicht dran, dass ich fliegen kann“ war an meine Mama gerichtet.

Am Album sind es immer zwei Songs, die zusammengehören und einen Gegensatz bilden. Das sind „Mama sagt (Alaba)“ und „Little Girl“, den ich an mein jüngeres Ich richte. Der Song sagt auch, dass ich sehr wohl daran glaube, dass ich meinen Weg schaffe. Schon mit acht Jahren habe ich gesagt, dass ich Sängerin werde, wenn ich groß bin. Und das habe ich durchgezogen.

Was wünscht du dir für die nächste Zeit nach deinem Erfolg beim Protestsongcontest? Sei es in Bezug auf dein Musikmachen oder auf gesellschaftspolitische Entwicklungen?

Chovo: Für mich persönlich: mein Debüt-Album ist erschienen und ich habe richtig Bock, noch mehr Musik zu machen. So schnell werdet ihr mich nicht los! Ich hoffe, dass sich das irgendwann auch rentiert und ich davon leben kann. Arbeiten und Musikmachen gleichzeitig ist sehr viel und ich weiß nicht, wie lange ich das machen kann, bevor ich im Burnout lande. Aber der Wunsch ist einfach, dass das Team Chovo wächst und blüht und dass auch finanziell etwas zurückkommt und ich von der Musik leben kann. Ich hoffe, dass die Dinge auch so humble blieben und ich weiterhin mit Leuten zusammenarbeiten kann, die einfach Bock haben, Musik zu machen.

Gesellschaftlich? Ja, die letzten Wochen und Monate waren hart, aber der Tag beim Protestsongcontest und mein Sieg beim Protestsongcontest war auch gesellschaftlich gesehen ein Sieg. Ich bleibe gespannt, wie sich die Dinge entwickeln und ich habe jetzt einfach ein bisschen mehr Hoffnung. Ich denke, es ist wichtig, in einer Zeit wie dieser Hoffnung zu haben.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Chovo live:
21.02.2025: Kramladen, Wien
29.03.2025: ACSL Summer Bowl 2025, Stadion Hohe Warte, Wien

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