„MEHR IDEEN ALS MÖGLICHKEITEN“ – DUO STUMP-LINSHALM IM MICA-INTERVIEW

Oft kommen uns solche verrückten Ideen beim Autofahren, sagt HEINZ-PETER LINSHALM. Der Klarinettist meint jenes Stück, das anlässlich des 20-jährigen Bühnenjubiläums von STUMP-LINSHALM im echoraum zur Aufführung kommt. Das Besondere daran: „Nexus stammt nicht aus einer bekannten Hand, sondern vielen unbekannten Händen. 20 Komponist:innen haben nacheinander kurze Stücke geschrieben. Sich darin stets auf ihre Vorgänger:innen bezogen. Ein „großes Ganzes“ geschaffen, wie Duo- und Lebenspartnerin PETRA STUMP-LINSHALM sagt.

Wer die Liste der teilnehmenden Komponist:innen überblickt, merkt: Die Wege waren weit. Mehrere Kontinente überspannt „Nexus“. Ausgegangen ist es von Daniel Serrano. „Alle anderen Komponisten kannten wir zuvor nicht“, so LINSHALM. Dadurch habe sich nach und nach ein Stück ergeben, das eine „stilistische Vielfalt“ in sich trage. „Und uns auch viel Mut abverlangt“, so STUMP-LINSHALM. Schließlich erweitere man das Bekannte. „Eben weil der Zufall mitgespielt hat.“

Nachdem „Nexus“ am 7. Juni 2024 im echoraum mit Rahmenprogramm zur Uraufführung kommt, erweitert das Duo sein Projekt mit Literatur. Der oberösterreichische Schriftsteller Christian Steinbacher habe zu den 20 Komponierenden und ihren Stücken jeweils einen Text verfasst, so LINSHALM. Zusammen mit dem Ursprungsstück kommen diese am 30. November 2024 im Grazer MUWA bei OPEN MUSIC Graz zur Aufführung.

Bereits jetzt haben STUMP-LINSHALM über ihr 20-jähriges Bühnenjubiläum gesprochen. Und sich gerne an die Anfänge zurückerinnert.

Ihr steht 20 Jahre gemeinsam auf der Bühne. Habt ihr euch zuerst menschlich oder musikalisch gefunden?

Heinz-Peter Linshalm: Beides! 1996 war das.

Petra Stump-Linshalm: Genau, wir haben uns während des Studiums kennengelernt, die Musik hat uns also zusammengeführt. 

Heinz-Peter Linshalm: Obwohl Petra zwischenzeitlich zwei Jahre in Amsterdam war, haben wir uns nicht aus den Augen verloren. Als sie zurückkam …

Petra Stump-Linshalm: Haben wir bald gemeinsame Projekte geplant …

Heinz-Peter Linshalm: Und Konzerte gespielt …

Petra Stump-Linshalm: Allerdings hat dabei jeder für sich Stücke gespielt. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass wir bei unseren ersten Konzerten miteinander gespielt hätten. Du bist …

Heinz-Peter Linshalm: Mit Kammermusik aufgetreten und du …

Petra Stump-Linshalm: Mit Geigen und Cello, ja. Jedenfalls war da die Idee des Klarinettenduos noch nicht geboren. Das hat erst später begonnen, wir haben einfach gesagt …

Heinz-Peter Linshalm: Lassen wir mal ein Stück für uns schreiben.

Petra Stump-Linshalm: Und Bernhard Gander hat es für uns geschrieben.

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Heinz-Peter Linshalm: Allerdings nicht für zwei Bassklarinetten, sondern für Bassetthörner. Das ging allerdings so gut, dass immer neue Stücke dazukamen. Jorge Sánchez-Chiong, Judith Varga und Christoph Herndler haben für uns komponiert, Beat Furrer auch.

Weil die Bassklarinette euer Alleinstellungsmerkmal war?

Heinz-Peter Linshalm: Schon, sie war jedenfalls noch nicht so präsent, wenn auch im Kommen. Ernesto Molinari war zu dieser Zeit in Wien, er hat dem Instrument zur Popularität verholfen. Harry Spanaay hat es allerdings groß gemacht – bei ihm hat Petra damals studiert. 

Petra Stump-Linshalm: Sparnaay war ein Pionier, er gab schon in den 70ern Solokonzerte auf der Bassklarinette. Erst in unserer Zeit wurde sie zum Modeinstrument.

Auch euretwegen.

Petra Stump-Linshalm: Und mit der speziellen Komposition von Pierluigi Billone – egal ob wir damit in Kanada oder Neuseeland auftreten, bis heute kennen sie alle.

Heinz-Peter Linshalm: Na ja … Es ist nicht so bekannt wie ein Michael-Jackson-Song, aber natürlich: In der Szene kennt man das Billone-Stück, zumindest jene, die sich für Klarinette und zeitgenössische Musik interessieren.

Petra Stump-Linshalm: Allerdings hat sich seither viel verändert. Manche Dinge waren auch einfacher …

Wie meinst du das?

Heinz-Peter Linshalm: Wir haben früher sehr formlos Konzerte bekommen, indem wir unsere Idee präsentiert …

Petra Stump-Linshalm: Und einfach das Gespräch gesucht haben. Das hat gut geklappt, bis es mühsam wurde, weil keine Antworten mehr kamen. Das mag eine Generationenfrage sein. Heute gibt es bei Reihen und Festivals meistens ein Thema, zu dem man passen muss. Das heißt: Man muss sich verbiegen, um dazu zu passen. Außerdem ist die visuelle Präsentation viel wichtiger als damals. So tolle Fotos wie heute hatten wir am Anfang sicher nicht.

Heinz-Peter Linshalm: Ja, mittlerweile muss die Verpackung stimmen. Der Inhalt bleibt dadurch aber ein bisschen auf der Strecke. 

Petra Stump-Linshalm: Das ist manchmal schade, auch weil wir merken: Wir haben viel Erfahrung und viel zu geben, aber kaum Nachfrage. 

Heinz-Peter Linshalm: Wenn man nicht …

Petra Stump-Linshalm: Andauernd aufzeigt und Präsenz zeigt, versinkt man. Das war anders, jedenfalls kam mehr von außen – oder bilde ich mir das ein?

Heinz-Peter Linshalm: Weiß ich nicht, aber das Gefühl habe ich auch. 

Petra Stump-Linshalm: Wir mussten suchen, wofür wir uns interessierten. Es gab eine Holschuld. Inzwischen ist das Angebot enorm. Man kann wie durch einen Supermarkt gehen und einfach nehmen, wonach einem ist. Das Problem ist: Manche sind damit überfordert. Sie können sich nicht entscheiden. 

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Schwingt da eine gewisse Traurigkeit mit?

Petra Stump-Linshalm: Bei mir? Nein, mich haben die vergangenen 20 Jahre bereichert. Stelle ich mir vor, dass ich dieselbe Zeit im selben Orchester dieselben Sinfonien gespielt hätte … Natürlich hätte ich auch dadurch Interessantes kennengelernt, aber: Was ich selbst mache und organisiere und komponiere, war immer mein Herzenswunsch.

Heinz-Peter Linshalm: Auch weil bis heute immer mehr Ideen als Möglichkeiten da sind.

Ist das eine Form von Freiheit?

Heinz-Peter Linshalm: Ich fühle mich oft nicht frei, weil wir viel tun müssen. Wenn man spielt, schaut ein Auge immer auch darauf, ob es sich gut ausgeht, das heißt: Zeit und Geld sind Faktoren, die für Freiheit wichtig sind.

Und doch seid ihr seit über 20 Jahren freie Künstler:innen – eigentlich eine Leistung, so lange …

Heinz-Peter Linshalm: Zu überstehen, ja! Dennoch, wir jammern mit unserer Anstellung an der Uni auf hohem Niveau. Bei vielen anderen wird es dennoch eng.

Petra Stump-Linshalm: Das kennen wir auch, zumindest aus unserer Anfangszeit. Es gab viel zu spielen …

Aber nichts zu verdienen?

Petra Stump-Linshalm: Genauso viel oder wenig wie heute, allerdings war das Spiel damals mehr wert. Außerdem haben wir verkauft, was wir machen wollten – nicht, was wir passend machen konnten. Das ist heute sicher anders. Mein Luxus ist: Ich kann mit Studierenden manchmal umsetzen, was sich in meinem freischaffenden Leben nicht umsetzen lässt.

Woher kommt dieser Drang?

Petra Stump-Linshalm: Es gibt einen Willen, sich auszudrücken. Ich bin immer noch begeistert, von der Klarinette, von Neuer Musik – so wie damals, als ich dachte: Das muss die Welt hören! Mit dieser Haltung kommt man sicher weiter, dennoch: Heute scheinen viele verloren zu sein, weil sie nicht wissen, in welche Richtung sie sich orientieren sollen.

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Weil es zu viele Möglichkeiten gibt?

Petra Stump-Linshalm: Ja, für mich war immer klar: Ich mache eine Sache mit voller Überzeugung. Heute ist das unmöglich. Man wird hin- und hergerissen, bekommt alles mit, steht hinter allem und …

Hofft, dass immer etwas Besseres kommen könnte?

Petra Stump-Linshalm: Schon. Obwohl wir in verschiedenen Formationen wie Bassetthorntrio oder Vienna Reed Quintet spielen, war die Hauptarbeit immer unser Duettprojekt. Auch weil wir nicht immer einer Meinung sind.

Heinz-Peter Linshalm: Immer öfter sind wir es! 

Oje!

Heinz-Peter Linshalm: Na, wir können gut streiten! Das ist unsere Qualität.

Petra Stump-Linshalm: Eine, die vor allem in kleinen Formationen wichtig ist. Wir bringen dieselbe Energie und Motivation ein. Teilen unsere Ideen. Und haben es wunderbar einfach, wenn wir uns entscheiden wollen, wohin wir essen gehen.

Vielen Dank für die Zeit!

Christoph Benkeser

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Links:
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