Im Juni 2013 wurde MATTHIAS NASKE offiziell zum neuen Intendanten des WIENER KONZERTHAUSES, nachdem er dazu bereits im Jänner des gleichen Jahres bestellt worden war, was allerorten in Wien mit Genugtuung und Freude aufgenommen wurde. Tatsächlich konnte NASKE viele Reformschritte des Hauses weiterführen und neu in Angriff nehmen, wiewohl sein Amtsantritt durch eine schwere Hypothek belastet war und ist: Konkret drücken das KONZERTHAUS Schulden aus der Umbauzeit in Höhe von 6,4 Millionen Euro. In dem Gespräch, das Heinz Rögl im vergangenen Monat in der Direktion des Hauses mit ihm führen konnte, ging es auch darum, noch mehr aber um seine Träume und seinen Wunsch, wirklich alle Menschen in dieser Stadt erreichen zu können.
Matthias Naske hat, als er aus Luxemburg nach Wien zurückkehrte, auch die Funktion des Kuratoriumsvorsitzenden bei mica – music austria übernommen, worüber er gerne im Verlauf des Interviews sprach. Zunächst aber einige Informationen zu seiner Biografie, auch für alle Leserinnen und Leser, die ihn nicht mehr als sehr fähigen Leiter der Jeunesse in Erinnerung haben, der er bis zu dem Jahr seines Wechsels nach Luxemburg 2003 war.
1963 in Wien geboren, studierte Naske zunächst Rechtswissenschaften an der Universität Wien und arbeitete bereits in dieser Zeit im Generalsekretariat der Jeunesses Musicales Österreich. Im Jahr 1988 übernahm er die Leitung des künstlerischen Betriebsbüros des Gustav Mahler Jugendorchesters unter Claudio Abbado, zeitgleich fungierte er als Generalsekretär der Fritz Kreisler Gesellschaft Wien und leitete das Projekt „Webern Ensemble“ im Rahmen von Wien Modern. Von 1991 bis 1996 übernahm er unter der künstlerischen Leitung von Sandor Vegh das Generalsekretariat der Camerata Academica Salzburg. 1996 wechselte er ebenfalls als Generalsekretär bis 2003 zurück zur Jeunesses Musicales Österreich, ehe ihn im Jänner 2003 der Ruf nach Luxemburg ereilte, wo er Generaldirektor der sich zu dieser Zeit noch im Bau befindlichen neuen Philharmonie Luxembourg wurde. Im neuen Konzertsaal Salle de Concerts Grande-Duchesse Josephine-Charlotte gestaltete er ein abwechslungsreiches und international beachtetes Programm, sammelte Erfahrungen durch die Übernahme und Führung des Orchesters, und machte sich auch durch ein besonderes Augenmerk auf Musikvermittlung verdient.
Während des Interviews überreichte Matthias Naske eine eigens zusammengestellte Aufstellung von Grafiken, Zahlen und Fakten aus dem Konzerthaus-Jahresbericht 2015/16, die über Besucherzahlen, Umsatzentwicklung, Subventionsentwicklung, Einnahmen aus Ticketing, natürlich auch über die Zinszahlungen aus dem offenen Umbaukredit usw. Auskunft gibt, deren Referierung an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde. Am 22. März 2017 wird von ihm bei einer Pressekonferenz bereits das Jahresprogramm der kommenden Saison vorgestellt werden. Nur so viel: Die Anzahl der Eigenveranstaltungen der Konzerthausgesellschaft steigt beträchtlich, auch die der musikvermittelnden Begleitveranstaltungen. Besucherzahlen (542.000 BesucherInnen) und Kartenerlöse (10,14 Millionen Euro, der Anteil dieser Erlöse am Gesamtbudget beträgt 55,2 Prozent) stiegen ebenfalls – noch nie wurde das Haus von mehr Musikfreundinnen und Musikfreunden besucht als während der 103. Spielzeit. Es gab (und gibt) eine Vielzahl von Festivals und auch neuen Projekten, und natürlich lässt sich auch die erkleckliche Anzahl der Ur- und Erstaufführungen im Haus nicht ohne Stolz vermelden. Nicht zu vergessen: Im Dezember 2016 wurde die Wiener Konzerthausgesellschaft als erste österreichische Kulturorganisation nach ISO 9001-2015 zertifiziert.
Lieber Matthias, ich möchte Sie über Ihre Auffassung der Rolle eines Kuratoriumsmitglieds im mica – music austria befragen, aber in der Hauptsache eher allgemeine Fragen stellen. Die erste Frage wäre: Was bedeutet für Sie die Notwendigkeit, Musik für die Gesellschaft bereitzustellen?
Matthias Naske: Das ist eine schöne Frage, die ich sehr gerne beantworte. Ich glaube in erster Linie daran, dass Teilen eines der wesentlichen menschlichen, die Gesellschaft ordnenden Phänomene ist. Wenn Musik, Kultur und kultureller Zugang geteilt werden, dann sind das Kennzeichen einer Gesellschaft, in der ich gerne lebe. Ich glaube, dass wir als kulturelle Institutionen aufgerufen sind, musikalische Exzellenz zugänglich zu machen und das gilt im Besonderen für dieses Haus. Das Programm, das die Konzerthausgesellschaft hier macht, ist maßgeschneidert für die Menschen, die in dieser Stadt leben. Das heißt, wir suchen Antworten auf die Heterogenität der Gesellschaft im Künstlerischen: Man kann sagen Exzellenz suchende künstlerische Antworten in großer stilistischer Offenheit. Das Haus kann natürlich nicht alles machen: Es gibt Genregrenzen, die wir aufgrund der Bauart der verschiedenen Räume haben, die wir bespielen.
Welche Grenzen sind das?
Matthias Naske: Wenn es wirklich zu laut wird und wenn es wirklich Popmusik wird …,
… also Beat, Hardrock, Heavy Rock usw. …
Matthias Naske: … geht sich das schlicht und einfach nicht in diesem akustischen Ambiente aus.
Betrachten Sie das, was Sie über die gesellschaftliche Aufgabe der Musik gesagt haben, auch als politische Aufgabe?
Matthias Naske: Musik und Kultur zu veranstalten und ins Leben zu begleiten, wie es Kulturinstitutionen machen, ist immer auch eine gesellschaftliche und kulturpolitische Aufgabe. Das geht über das Ästhetische hinaus und ist ein Teil der gesellschaftspolitischen Realität. Man schafft ja auch Fakten durch das, was man und wie man es macht. Ich glaube, dass das Wiener Konzerthaus sich dadurch auszeichnen soll, Exzellenz zu teilen. Das ist die Hauptmission.
Sie haben schon erwähnt, dass es für das Konzerthaus nicht nur um Alte, klassische, Neue und zeitgenössische Musik geht, sondern auch um Angebote, die andere Genres abdecken, wie Jazz, Chanson, Literatur?
Matthias Naske: Im Grunde genommen dürfen und sollen wir hemmungslos sein, was die Ansprache betrifft. Das ist aber auch genau die Tradition, in der sich das Haus seit nunmehr schon 104 Jahren seines Bestehens positioniert. Das Haus war immer eines, das anderen Genres, zum Beispiel Literatur oder musikalischen Genres, die nicht im Mainstream der Rezeptionskultur liegen, Raum gegeben hat, weil es sich als Verortung einer kulturellen Sehnsucht zu positionieren sucht. Es wäre ein anderer Ansatz, das klassische und romantische Repertoire als überwiegend prägend zu pflegen. Im Wiener Konzerthaus geht es darum, in einer großen ästhetischen und stilistischen Breite geradlinig, kontinuierlich musikalische Exzellenz anzubieten und damit möglichst viele Menschen anzusprechen. Das große Ziel dabei ist es, die individuelle Faszination der direkten Auseinandersetzung mit musikalischem Geschehen zu promoten und immer weiter zugänglich zu machen. Trotz allen Erfolgen sind wir da letztlich am Anfang. Die Arbeit der Wiener Konzerthausgesellschaft könnte noch sehr viel nachhaltiger und wirksamer sein, wenn wir unter angemessenen betriebswirtschaftlichen Bedingungen arbeiten könnten.
In welcher Beziehung stehen wir am Anfang?
Matthias Naske: Ich träume davon, in einer Gesellschaft zu leben, in der der Kunst und natürlich im Speziellen der Musik unserer Kultur ein angemessener Stellenwert gegeben wird. Wenn wir heute 180.000 bis 200.000 Menschen als StammkundInnen versammeln können, aber in einer Stadt leben, in der es 1,8 Millionen Menschen gibt, dann ist das Potential doch offensichtlich. Gehen Sie nur hinaus aus den Innenbezirken dieser Stadt und sprechen Sie mit den Menschen, die in weniger privilegierten Lebensumständen leben und vergleichen Sie mit offenen Herzen die verschiedenen Lebenswirklichkeiten. Es wird unschwer dazu führen, dass Sie auf substantiell unterschiedliche Erwartungen an Glück, an Gemeinschaft, auch an ästhetischen Kategorien treffen werden. Diese Beobachtung lehrt uns, dass es in dieser Stadt große soziale Differenzen gibt, und Barrieren, die zu umschiffen wir uns vornehmen sollen und müssen, und wo wir einfach noch nicht so weit sind, wie ich mir wünsche. Das hat auch mit Verortungen und mit der geografischen Lage des Hauses zu tun. Es geht um Bewusstseinsbildung und das Erkunden von Potenzialen. Das soziale und gesellschaftspolitische und damit auch kulturelle Potenzial des Wiener Konzerthauses ist noch viel größer, als wir es heute leben können. Auch wenn wir viele Abonnements verkaufen und eine beachtliche Relevanz entwickelt haben, glaube ich, dass es viel mehr Menschen gibt, die mit der einzigartigen Faszination dieser Räume und auch des musikalischen Geschehens verbunden werden könnten.
Man soll diese Leute ins Konzerthaus holen?
Matthias Naske: Ja, aber es wird nicht gehen, ohne dass wir selbst aus diesen Häusern hinausgehen. Der nächste Schritt, den wir in den folgenden Jahren gehen wollen, ist, unsere Glaubwürdigkeit im Allianzenweg mit kleinen, dezentralisierten Orten wie der Brunnenpassage oder „Soho in Ottakring“ und vielen anderen Initiativen schrittweise zu erhöhen.
Also ins Werk X oder nach Simmering?
Matthias Naske: Wir bauen etwa Brücken in den dritten Bezirk, wo es einen Kulturverein gibt, der interessant ist und exzellente Arbeit leistet, und mit dem man gemeinsam Dinge entwickeln kann.
„Wir dürfen uns nicht auf der Vergangenheit ausruhen“
Woran kann der Traum, von dem Sie gesprochen haben, scheitern?
Matthias Naske: Politikerinnen oder Politiker sind letztlich Repräsentantinnen und Repräsentanten von Gestaltungsmacht. Es geht um den Wiener Gemeinderat und um die Exekutive in der Regierung. Ich wünsche mir von der Exekutive, dass sie im Interesse der Menschen dieser Stadt Gestaltungsmacht nutzt und wir uns nicht dabei nur auf den Verdiensten von vor 150 Jahren ausruhen. Unbestritten gibt es hier in Wien, was die Musik und auch das Theater betrifft, ein hoch entwickeltes Angebot. Aber es gibt noch viel mehr Menschen, als wir kulturelle Institutionen erreichen. Ich würde gern in einer Gesellschaft leben, die die Chancen und die Freiheit der Gegenwart nutzt und Sachen aus der Zeit heraus entwickelt und sich nicht nur auf der Vergangenheit ausruht. Das gilt auch für dieses Haus. Wir sind dazu aufgerufen, das was wir am meisten lieben neu zu erfinden und den Mut zu fassen neue Formate zu entwickeln. Dazu gehört das, was wir etwa mit den Symphonikern im Format Fridays@Seven machen oder mit „Im Klang!“. Da könnte man sagen: “Wen interessiert denn das?” Aber das interessiert in Wirklichkeit tausende Leute. Es schafft neue emotionale Beziehungen mit dem musikalischen Geschehen. Ich bin den Wiener Symphonikern wirklich dankbar, dass sie sich beherzt auf diese Dinge einlassen.
Kommen wir auf Ihre Biografie zurück. Sie haben bei der Jeunesse begonnen, und waren Leiter der Philharmonie in Luxemburg. Luxemburg ist nicht zuletzt für ein sehr gutes Musikvermittlungsprogramm berühmt. Kann man so etwas auf Wien übertragen?
Matthias Naske: Musikvermittlung ist der Schlüssel für die Weiterentwicklung. Im Grunde genommen kann ich das noch einmal anders sagen, weil Musikvermittlung ein Begriff ist, der unterschiedlich verstanden wird. Zentral ist das die Förderung der Kommunikation. Ich glaube, dass kulturelle Institutionen langfristig dann weiter an Relevanz gewinnen werden, wenn es uns gelingt, den kommunikativen Aspekt des Konzertgeschehens ins Bewusstsein der Menschen, aber auch ins Bewusstsein der Künstlerinnen und Künstler hineinzubringen. Abstrakt gesprochen kommunizieren Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne mit einem oder den Menschen im Publikum, und diesen Kommunikationsprozess integer und intensiv zu halten ist die zentrale Aufgabe von Veranstaltern.
Als gutes Beispiel fallen mir die Konzerte von Martin Grubinger ein, der den Großen Saal randvoll bekommt, wo auch junge Leute kommen, die sonst seltener im Konzerthaus zu sehen sind, und der moderne Sachen spielt, etwa von Varèse, die sonst von diesem Publikum kaum gehört würden.
Matthias Naske: Das liegt daran, dass Grubinger, wie kaum ein anderer zu kommunizieren in der Lage ist, er macht das auch sprachlich, aber auch musikalisch. Das ist schon eine unglaublich faszinierende doppelte Begabung.
Um auf die KulturpolitikerInnen zurückzukommen: Wer ist denn für das Wiener Konzerthaus der wichtigere Ansprechpartner? Ist das die Stadt Wien, oder der Bund, gemessen an den Positionen, der Herr Stadtrat, oder der Herr Kulturminister?
Matthias Naske: Das Wiener Konzerthaus erhält heute 1,2 Millionen Euro Subvention vom Bund und 1,154 Millionen von der Stadt Wien, also etwas weniger von der Stadt … An sich wäre es naheliegend, dass sich die Stadt Wien besonders um die Bedürfnisse des Wiener Konzerthauses annimmt. Und ich muss gestehen, dass ich bis heute nicht herausgefunden habe, warum die Stadt Wien das Potential an inklusiver – tatsächlich den Menschen dieser Stadt dienender – Kraft dieser Institution nicht deutlicher wertschätzt. Es ist ein stiller Skandal, dass das Wiener Konzerthaus bald zwanzig Jahre nach der Generalsanierung mit einem Umbaukredit in der Höhe von 6,4 Millionen Euro belastet ist. Die gesamte öffentliche Förderung, die das Wiener Konzerthaus erhält, macht 12,6 Prozent der Gesamteinnahmen der Institution aus. Das kann man im internationalen Vergleich nicht als angemessen bezeichnen. Die europäischen Konzerthäuser vergleichbarer Größe erhalten 45 Prozent ihrer Gesamteinnahmen von der öffentlichen Hand finanziert. Warum das gerade in Wien, in der die Stadt so wesentlich vom musikalischen Leben profitiert, konsequent negiert wird, kann ich nicht verstehen und es ist, denke ich, nachvollziehbar, dass wir im Vorstand damit zu kämpfen haben und es als ungerecht empfinden. Dass der Grad an öffentlicher Zuwendung für die Gesellschaft der Musikfreunde noch tiefer liegt, ist bekannt.
Dort sind es laut Thomas Angyan nur zwei Prozent.
Matthias Naske: Ich glaube aber, dass wir betriebswirtschaftlich in zwei Welten leben, weil unser Haus ja auch noch 6,4 Millionen Schulden mit sich schleppt, die aus der Generalsanierung von 1998 bis 2001 stammen. Da kann man sich auch denken, warum das sein muss, dass dieser private Verein solange seine Schulden abstottern muss, warum kann man nicht sagen, dass man diesem Raum Wiener Konzerthaus möglichst gute Bedingungen geben will und das Haus entschuldet. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum dieses Haus jetzt bald zwanzig Jahre diese Schulden mit sich trägt. Es gelingt meinen Kolleginnen und Kollegen und mir, das Budget im Griff zu haben, aber es ist evident, dass wir für die Menschen dieser Stadt noch viel relevanter sein könnten.
Zur Schwerpunktverteilung Musikverein und Konzerthaus: Thomas Angyan sagte, das Konzerthaus decke eine „bunte“ Mischung an Genres ab, während der Musikverein das nicht mache, aber etwa mehrtägige große internationale Orchestergastspiele, die sich das Konzerthaus gar nicht leisten könnte, weil es dort solche Zyklen nicht gibt. Wäre es ein Desiderat, das auch machen zu können, wenn es mehr Mittel gäbe?
Matthias Naske: Ich glaube nicht, dass das das Ziel wäre. Es geht nicht um einen quantitativen Wettbewerb, wer mehr symphonische Konzerte macht. Thomas Angyan hat sein System jahrelang aufgebaut und das verdient Bewunderung. Ich möchte, dass die Nachhaltigkeit des Interesses und die soziale Durchlässigkeit im Wiener Konzerthaus größer werden. Wenn man dafür Beispiele sucht, ist das „Superar“-Projekt ein gutes Beispiel, das noch mein Vorgänger mit der Caritas und den Wiener Sängerknaben aufgebaut hat. „Superar“ ist in der Zwischenzeit ein hochprofessioneller Betrieb geworden, der hunderte Kinder aus Wien jede Woche in musikalischen Unterricht mit Chören oder mit Instrumenten einbindet. „Superar“ ist bei uns immer mehrmals zu Gast, einmal auch im Großen Saal, der dann voller Menschen ist, die normalerweise nicht ins Konzerthaus gehen würden, worüber ich mich sehr freue. Was ja nicht heißt, dass ich nicht im Rahmen unseres Programms zu den orchestralen „Sternen“ greife, im März etwa gastieren das NHK-Sinfonieorchester aus Tokyo, das New York Philharmonic und die phänomenale Musica Aeterna bei uns. Aber das sind auch Teile von einem großen Ganzen.
„Wir müssen der zeitgenössischen Szene so gut wie nur immer möglich dienen“
Reden wir über zeitgenössische, aber auch im engeren Sinn Neue Musik. Wie wichtig ist dem Konzerthaus die Aufführung von und auch die Auftragserteilung an in Österreich lebende KomponistInnen?
Matthias Naske: Da ich mit einer Komponistin (Anm.: Elisabeth Naske) verheiratet bin, sehe ich, wie sich das erwerbswirtschaftliche Leben einer Komponistin oder eines Komponisten darstellt und wie schwierig es ist. Als Institutionen haben wir eine Mittlerrolle und müssen der zeitgenössischen Szene so gut wie nur immer möglich dienen. Da ist viel zu tun, da ist auch kontinuierlich Vermittlungsarbeit, auch Bewusstseinsarbeit zu leisten. Auch wenn das wie ein bourgeoiser Rückgriff auf Tradition klingt, sage ich jetzt auch, dass ich darauf stolz bin, dass das Konzerthaus seit drei Jahren drei Ehrenmitglieder hat, die mit Österreich eine enge Verbundenheit haben. Das sind Beat Furrer, Georg Friedrich Haas und Olga Neuwirth. Daraus ergeben sich auch neue Verpflichtungen. Auch der sehr erfolgreiche Georg Haas braucht eine Ortung, an dem sein Werk gepflegt und aufgeführt wird. Das wird sich auch in der Zukunft widerspiegeln. Damit habe ich die Frage wohl nicht hinreichend beantwortet, aber du weißt, welche Schwerpunkte für Neue Musik unsere Programme aufweisen – vom Klangforum Wien bis PHACE usw. Die große Liste der Ur- und Erstaufführungen umfasst allein in unserem Jahresbericht für 2015/16 fünf Seiten (Anm.: etwa bei den Uraufführungen Cerhas, Doderers, Jakobers, Klements, Sánchez-Chiongs, Bernhard Langs, Puschnigs, Wagendristels, um nur einige zu nennen). Also das machen wir schon und das machen wir auch weiter. Das ist auch wieder so eine Geschichte: Ein Jahr angemessen finanziert und das Wiener Konzerthaus könnte ein Feuerwerk für zeitgenössische Musik veranstalten. Wir haben in einigen Bereichen die Ticketpreise erhöht. Das Publikum ist unglaublich gut mitgegangen, war also bereit, seinen Anteil beizutragen und das ist ein „Mittragen“ einer überwiegend privat finanzierten Kulturinstitution durch das Publikum.
Aber es gibt auch einkommensschwächere Teile des Publikums.
Matthias Naske: Noch ein Traum: symphonische Konzerte unentgeltlich zur Verfügung stellen. Es gibt zum Beispiel eine schöne Tradition in Amsterdam, wo das Concertgebouw regelmäßig einstündige Mittagskonzerte veranstaltet, die bei freiem Eintritt angeboten werden. So eine Geschichte kann ich mir auch für Wien sehr gut vorstellen.
Bei den Wiener Festwochen ist 2017 wieder das Konzerthaus mit den landläufig so genannten „Festwochenkonzerten“ an der Reihe, in Wirklichkeit heißen sie heuer, auch korrekt gezählt, „38. Internationales Musikfest der Wiener Konzerthausgesellschaft“. Sie sind in diesem Jahr einer großen Pierre Boulez-Integrale gewidmet. Nun hätten, wie mir Thomas Angyan berichtete, Musikverein und Konzerthaus einen gleichlautenden Brief von den Festwochen erhalten, dass die Wiener Festwochen in Hinkunft nicht mehr an diesen Konzerten interessiert seien. Unterschrieben war das Schreiben von Thomas Zierhofer, Rudolf Scholten und Andreas Mailath-Pokorny. Wie haben Sie das aufgenommen?
Matthias Naske: Man muss dazu sagen, dass hier eine Tradition gebrochen worden ist, die seit den Fünfziger-Jahren einen Teil der kulturpolitischen Konstellation ausgemacht hat. Man muss sich schon dessen bewusst sein, dass da eine Tradition ganz jäh unterbrochen wird. Ob das just in dem Augenblick angemessen ist, wo die Wiener Konzerthausgesellschaft eine Reihe hochkarätig besetzter und exponiert programmierter Konzerte von Pierre Boulez anbietet, würde ich in der kulturpolitischen Bewertung gerne anderen überlassen. Ich bin sehr unglücklich darüber, nicht zuletzt, weil uns im Augenblick 200.000 Euro an Finanzierungsbeteiligung durch die Wiener Festwochen fehlen, mit denen wir natürlich bis zum Erhalt des Schreibens im Sommer 2016, wo die Planungen längst abgeschlossen waren, gerechnet haben. Auf der anderen Seite möchte ich die Beziehung mit Thomas Zierhofer und den Wiener Festwochen nicht belasten. Die Festwochen vollziehen offensichtlich eine Neuorientierung. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass sie eine alternative Schwerpunktsetzung brauchen.
Es war ja nie möglich, die Konzerte mit dem jeweiligen Motto und Thema der Festwochen genau abzustimmen? Die Konzerte müssen ja spätestens zwei Jahre vorher geplant sein?
Matthias Naske: Das war schon so. Jedenfalls ist die Tradition des von Egon Seefehlner 1947 begründeten Internationalen Musikfests, das damals durchaus einen gesellschaftspolitischen Hintergrund hatte, nämlich die Emanzipation des Musikgeschmacks vom ästhetischen Diktat der nationalsozialistischen Zeit, durch die Jahrzehnte wichtig geblieben. Der Schritt der Wiener Festwochen jetzt macht mich traurig, aber man könnte auch sagen,dass so ein Bruch sogar helfen kann radikaler zu sein. Und Allianzen werden auch in Zukunft wichtig für alle kulturellen Institutionen dieser Stadt und darüber hinaus sein.
„Man muss das Feuer weitergeben und nicht die Asche anbeten“
Rudolf Scholten soll ja bei Zierhofers erster Pressekonferenz in etwa gesagt haben, dass in den Konzertsälen sich immer die ewig gleichen Leute selbst feiern.
Matthias Naske: Ich war auch nicht dabei, aber er hat angeblich „Musentempel“ gesagt, und das trifft auf das Wiener Konzerthaus nicht zu, denn wir sind kein Musentempel.
Inwieweit ist die Konzertsaal-Aufführungstradition heute noch geeignet? Werden auch andere Formen angestrebt?
Matthias Naske: Es gibt in diesem Haus viele gelungene Versuche, Formate neu zu entwickeln und Menschen in eine Rezeptionshaltung zu begleiten, die ihnen guttut und auch der Musik. Das ist ja evident, das kann man aus den Programmen ersehen. Man kann Tradition leben, indem man immer dasselbe macht und an den Formen festhält, wie man es immer gemacht hat. Und man kann Tradition leben, indem man sich die Freiheit der Zeit nimmt und den Kern immer neu betrachtet. Zentral ist der Mut die Freiheit der Gegenwart zu nutzen und letztlich gilt seit jeher, dass man das Feuer weitergeben und nicht die Asche anbeten soll.
Ja, das ist ein schöner Satz.
Matthias Naske: Was man als Veranstalter vermeiden soll, ist Menschen in Situationen zu führen, die sie negativ überraschen. Andererseits ist etwa Andreas Schetts fein abgestimmter „Gemischter Satz“ ein Erlebnis für alle, die hingehen. Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der das, was man an so einem Abend an musikalischem Geschehen in großer Exzellenz erlebt, vorher so ausgewählt hätte – von Schubert über Gubaidulina über Volksmusik und Johann Sebastian Bach in einem unglaublich fein zusammengestellten dramaturgischen Konzept.
Wie kann man junges Publikum ansprechen?
Matthias Naske: Bei Kindern muss man eine feine Differenzierung des Angebots entwickeln, eine gute Balance zwischen Wort und Musik, die altersspezifisch genau abgestimmt sein muss. Bei Jugendlichen geht es auch um Konzepte der Musikvermittlung, auch bei Menschen mit Migrationshintergrund. Bei der „Youth“-Serie gibt es Backstage-Führungen, es gibt das Youth-Lab (das sind 16- bis 22-, 23-Jährige), es gibt das Format „Vorhören“. Ich habe keine Angst vor dem „Ergrauen“, es gibt gute Bedingungen für Musik in dieser Stadt.
Wie ist das Verhältnis zur Jeunesse?
Matthias Naske: Auch ich habe bei der Jeunesse gelernt und meine frühen Jahre als freier Mitarbeiter und später als Generalsekretär sehr genossen. Sie hat eine wichtige Mittlerrolle und leidet unter krasser Untersubventionierung. Ansonsten versuche ich die Jeunesse als wichtigen Kooperationspartner so gut wie irgend möglich zu unterstützen.
Letzte Frage: Worin sehen Sie die Aufgaben als Mitglied des Kuratoriums des mica?
Matthias Naske: Das mica spielt eine wichtige Rolle im musikalischen Leben. Sabine Reiter ist eine professionelle, visionäre und starke Persönlichkeit, die sich sehr gut für die Agenda des mica einsetzt, es gibt ein sehr gutes, strukturiertes Verhältnis des Kuratoriums zum Vorstand und ich bin als Vorsitzender des Kuratoriums in engem Austausch, wenn es um Evaluierungen, Bedeutung der Zielsetzungen und Einsatz der Mittel geht.
Lieber Matthias, herzlichen Dank für das Gespräch!
Heinz Rögl
Links:
Wiener Konzerthaus
Wiener Konzerthaus (Facebook)
Danke
Dieser Beitrag wurde von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7) gefördert.