KennerInnen der Neue-Musik-Szene hierzulande und auch über die Grenzen hinweg ist Marino Formenti nicht nur als herausragender Pianist bekannt, sondern auch als ein solcher, der gängige Konzertformen überschreitet, wenn er etwa – wie im Rahmen des steirischen herbst 2010 – tagelang in einer Galerie verweilt, um zum wiederholten Male die immer gleichen Werke zu spielen. Weniger extrem, aber mit ähnlichen Intentionen gestaltete er im Rahmen von Wien Modern 2011 die Konzertreihe „Notturni“, bei der die Besucher dazu eingeladen wurden, sich nach den Hauptabendkonzerten noch mehr oder weniger meditativen Klavierwerken zu widmen. George Benjamin, Karlheinz Stockhausen wie auch John Cage und Brian Ferneyhough verbreiteten dabei teils zur Versenkung einladende Stimmungen wie auch aufreibende Klanggebilde; einen roten Faden durch diese Programme jedoch bildeten Werke von Friedrich Cerha, der sich nach längerer Zeit wieder dazu angeregt sah, eine Komposition für das solistisch eingesetzte Instrument zu verfassen. Um auch in den eigenen vier Wänden den nächtlichen Klängen lauschen zu können, hat col legno nun eine CD mit diesen Werken herausgebracht.
Mit der gewohnt komplexen wie aufreibenden Komposition „Lemma-Icon-Epigram“ von Brian Ferneyhough eröffnet die dramaturgisch spannungsvoll aufgebaute Einspielung, die über „Shadowlines“ von George Benjamin mit ihren heterogen und doch durch die individuelle Verbindung von tonalen und atonalen Tonkonstellationen geprägten 6 kanonischen Präludien zu gänzlicher Besinnung in „Für Marino (gestörte Meditation)“ von Friedrich Cerha führt. Die kurzen aufbrausenden Einschübe darin erweisen sich als gekonntes Mittel, um die Ruhe zu weiterer Intensität zu steigern. Romantisch muten dabei die „Slowakischen Erinnerungen aus der Kindheit“ mit ihrem Lokalkolorit an. Dazwischen eingewebt ist das abwechslungsreiche Klavierstück V von Karlheinz Stockhausen, bei dem sich die Konzentration durch den meditativen Kontext verstärkt auf den ohnehin vorhandenen, kontemplativen Charakter richten lässt. Und auch Cage ist in seinem doppelten Jubiläumsjahr mit dem aleatorischen Stück „One“ vertreten, dem durch die langsamen Akkordwechsel und langen Pausen bereits scheinbare Statik innewohnt. Selten werden wohl Stücke von Ferneyhough oder Stockhausen als kontemplativ beschrieben. Doch bietet der Aufbau in Kombination mit der intensiven Interpretation von Marino Formenti einen ungewöhnlichen Eindruck konzentrierter Ruhe. (dw)